2013 trat das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) in Kraft. Das damalige Ziel war vor allem die «Harmonisierung» der Asylverfahren. Im Mai 2016 legte die EU-Kommission angesichts einer zunehmenden Dysfunktionalität des Dublin-Systems dann einen Vorschlag für eine GEAS-Reform vor. Sie sollte vor allem eine bessere Lastenteilung innerhalb der EU herbeiführen. Am Ende der fast siebenjährigen Verhandlungen stand indes vor allem die Verstärkung des «Kampfes gegen die illegale Migration» im Mittelpunkt.
Ende 2023 wurde die GEAS-Reform beschlossen. Sie umfasst insgesamt zehn teils neue, teils überarbeitete, Einzelnormen:
- die Aufnahme-Richtlinie (Receptions Conditions Directive 2024/1346)
- die Anerkennungs-Verordnung (Qualification Regulation 2024/1347)
- die Asylverfahrens-Verordnung (Asylum Procedure Regulation 2024/1348)
- die Rückkehrgrenzverfahrens-Verordnung (Return Border Procedure Regulation 2024/1349)
- die Resettlement-Verordnung (Resettlement Regulation 2024/1350)
- die Verordnung über ein Asyl- und Migrationsmanagement, ex Dublin-Verordnung (Asylum and Migration Management Regulation 2024/1351)
- die Screening-Verordnung (Screening Regulation 2024/1356)
- die EURODAC-Verordnung (EURODAC Regulation 2024/1358)
- die Krisen-Verordnung (Crisis and force majeure Regulation 2024/1359) sowie
- die EU-Asylagentur-Verordnung (Asylum Agency Regulation, EU 2021/2303)
Die Neuregelungen sind am 11. Juni 2024 in Kraft getreten, die 27 EU-Mitgliedsstaaten haben bis Juni 2026 Zeit, sie umzusetzen. Die EU-Kommission hat dazu im Juni 2024 einen «Gemeinsamen Implementierungsplan» vorgelegt. Er teilt die Umsetzung in zehn operative Blöcke auf. Die Mitgliedsstaaten sollen auf dieser Grundlage bis Dezember 2024 festlegen, wie sie das GEAS in nationales Recht überführen wollen.
Die Kommission hat dazu «Unterstützungsteams» zusammengestellt, die bis zum Herbst 2024 alle EU-Regierungen besuchten und sie bei der Ausarbeitung der nationalen Umsetzungspläne unterstützen sollen. Die Fortschritte wolle die Kommission «genau überwachen und dem Europäischen Parlament und dem Rat regelmäßig Bericht erstatten».
Bis November 2024 haben allerdings nur wenige MS entsprechende Pläne präsentiert. Die Ampel-Regierung in Deutschland war mit ihrem Anfang Oktober 2024 vorgelegten «Gesetz zur Anpassung des nationalen Rechts an die Reform des GEAS» dabei eine Ausnahme. Allerdings wurde die Beschlussfassung durch das Zerbrechen der Ampel-Koalition Anfang November 2024 vorerst unterbrochen.
Griechenland hat – ebenso wie Italien und viele andere Außengrenzen-Staaten – bis Mitte November 2024 kein GEAS-Anpassungsgesetz oder eine nationale Umsetzungsstrategie vorgelegt.
Die griechische Regierung forderte allerdings – wie acht weitere EU-Staaten – für die Zeit von August bis November 2024 Unterstützung aus dem «Technical Support Instrument» der EU für die GEAS-Umsetzung an. Diese Unterstützung umfasst unter anderem eine «Lückenanalyse» und Empfehlungen für den «rechtlichen/regulatorischen» Bereich, Personal, Schulung, IT, und Beschaffung.
Situation innerhalb Griechenlands
Griechenland ist bei der Umsetzung des GEAS ein Sonderfall: Das dort bereits 2016 eingeführte Schnellverfahren an der Grenze diente als Vorbild für das GEAS. Und die Lager für Grenzverfahren werden dort seit 2021 in Pilotprojekten erprobt.
Im November 2019 hatte das deutsche Innenministerium unter Horst Seehofer in einem «Non-Paper» die wesentlichen Elemente des heutigen GEAS angeregt: Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an den EU-Außengrenzen und gegebenenfalls direkte Abschiebung aus diesen Lagern.
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen griff Seehofers Anregungen in ihrem im September 2020 präsentierten «New Pact on Migration and Asylum» auf. Dieser sah ein verbindliches Screeningverfahren, Asyl-Schnellverfahren mit eingeschränkten Rechtsmitteln für bestimmte Gruppen sowie die «Fiktion der Nichteinreise» vor. Für die Dauer des Aufenthalts in den Außengrenzen-Lagern sollen die Menschen offiziell als nicht eingereist gelten, obwohl sie das faktisch sind. So sollen unter anderem die Klagemöglichkeiten leichter beschränkt werden können.
Closed Centers
Als die EU-Kommission im September 2020 ihren Migrationspakt – die Grundlage für den letztlich getroffenen GEAS-Kompromiss – vorstellte, war klar, dass die weiteren Verhandlungen Jahre dauern würden. Wenige Tage zuvor allerdings war das Lager Moria auf Lesbos abgebrannt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nutzte die Gelegenheit, um Griechenland zur «Modellregion» für den Pakt zu erklären. Eine von ihr dazu eingesetzte «Task Force Migration Management» unter der Leitung der Deutschen Beate Gminder sollte den Wiederaufbau von Moria mit Modellprojekten für das GEAS verbinden.
Eine Folge war, dass die ab 2021 die 2016 zunächst als Hotspots eröffneten und später als Reception and Identification Centres (RIC) betriebenen Lager auf den Inseln Samos (3.650 Plätze), Kos (3.455 Plätze) und Leros (2.152 Plätze) in so genannte Closed Control Access Centers (CCAC) umgewandelt wurden.
Zentraler Unterschied waren die teils erheblich verschärften Überwachungsmaßnahmen, die den Insassen das Gefühl geben, in einem Hochsicherheitsgefängnis zu sein. Dies macht es einfacher, die Menschen für die Dauer des Screenings und gegebenenfalls auch des sich anschließenden Schnellverfahrens, faktisch in den Lagern zu internieren. Nach einer Ablehnung ist die Unterbringung in einem separaten, geschlossenen Abschiebetrakt innerhalb des CCAC vorgesehen.
Die Menschen werden eingesperrt, ohne dass dies formell so eingestuft wird oder eine entsprechende Entscheidung ausgefertigt würde.
2022 wurden die bestehenden Lager auf Chios (3.664 Plätze) und Lesbos (3.707 Plätze) in CCAC umbenannt. Auf Lesbos handelt es sich um ein provisorisches, nicht-geschlossenes Containerlager, das nach dem Brand in Moria im September 2022 eröffnet wurde. Ein neues CCAC nahe der Ortschaft Vastria im Inneren der Insel ist im November 2024 weiter im Bau.
Die Renovierung oder der Neubau der fünf CCAC mit insgesamt rund 16.000 Plätzen kostete bisher mindestens 276 Millionen Euro. Die neuen Lager sind im Schnitt 14 Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt.
Die EU-Kommission lobte die neuen Lager für die «Sicherheit und den Schutz», den sie den Bewohner*innen garantieren sowie für die «angemessenen Lebensbedingungen für alle Bewohnergruppen und würdige Aufnahmebedingungen».
Menschenrechtsorganisationen üben an den Zuständen in den neuen Lagern hingegen schärfste Kritik. Das International Rescue Committee (IRC) spricht von «gefängnisartigen Zuständen» und beklagte verheerende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. 91 Prozent der vom IRC unterstützten Menschen im CCAC Samos litten demnach unter Angstzuständen, 87 Prozent unter depressionsbedingten Symptomen, «alarmierende» 41 Prozent zeigten Symptome von Suizidalität.
Weil es auf den Inseln gar keine andere Unterbringung gibt, ist die Unterscheidung zwischen Grenzverfahren und regulärem Asylverfahren in Griechenland derzeit eher theoretisch. Praktisch landen auf den Inseln alle in denselben Lagern: den CCAC. Ausnahmen sind allenfalls für schwere Krankheitsfälle zu erwarten.
Ändern könnte sich aber, dass auch auf dem Festland die bisherigen RIC in CCAC umgewandelt werde, und ein höherer Anteil der Geflüchteten unter den so erschwerten Bedingungen auf die Asylentscheidung warten muss.
Grenzverfahren
Zwar gibt es weiter massenhafte Pushbacks aus Griechenland in die Türkei, aber keine reguläre Einreiseverweigerung und deshalb wird auch keine «Fiktion der Nichteinreise» angewandt, wie die GEAS-Screening-Richtlinie sie vorsieht. Gemäß dem Schengener Grenzkodex wäre dies in Griechenland bereits heute möglich, wird aber nicht praktiziert. Eine entsprechende Anpassung griechischen Rechts an das GEAS dürfte aber nur wenig praktische Folgen haben.
Wer einen Asylantrag stellt, durchläuft zunächst einen Registrierungsprozess, der bis zu 25 Tage dauern kann. Dieser Zeit müssen die Antragsteller*innen regulär in einem Bereich des CCAC verbringen, den sie nicht verlassen dürfen.
Infolge der EU-Türkei-Erklärung vom März 2016 wurde in Griechenland ein «beschleunigtes Grenzverfahren» auf den Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos eingeführt. Dieses Verfahren war als Ausnahme, für den Fall von «Massenankünften», gedacht. Die nationale Rechtsgrundlage wurde zwischenzeitlich angepasst, das Verfahren wird, in leicht modifizierter Form weiter praktiziert. Dem eigentlichen Asylverfahren darin vorgeschaltet ist eine Zulässigkeitsprüfung, die innerhalb von 30 Tagen beendet sein muss. Diese auf der bisherigen Asylverfahrensrichtlinie basierende Zulässigkeitsprüfung ähnelt dem vom GEAS vorgesehenen Screening-Verfahren. Die griechischen Asylbehörden prüfen derzeit unter anderem, ob der*die Antragsteller*in
- in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits Asyl bekommen hat oder dieser das Verfahren übernommen hat;
- über ein sicheres Drittland eingereist ist;
- es sich um einen Folgeantrag handelt oder ein Antrag auf Familienzusammenführung vorliegt.
Nicht geprüft wird bisher, ob die Person aus einem Herkunftsland mit einer durchschnittlichen Schutzquote von 20 Prozent innerhalb der EU kommt, wie es das GEAS als Kriterium für das Grenzverfahren vorsieht.
Die Menschen werden also eingesperrt, ohne dass dies formell so eingestuft wird oder eine entsprechende Entscheidung ausgefertigt würde.
In Griechenland betraf die Zulässigkeitsprüfung bis 2021 nur Syrer*innen, die über die Ägäis, also aus der Türkei, einreisten. 2021 wurde die Türkei auch für Menschen aus Afghanistan, Somalia, Pakistan und Bangladesch als sicheres Drittland neben Syrien ausgewiesen. Unter dem GEAS dürfte die Prüfung künftig auf alle Herkunftsländer ausgeweitet werden. Grundlage ist derzeit das griechische Asylgesetz (Paragraf 91.1), sowie eine nationale Liste sicherer Drittstaaten. Diese Liste enthält die Türkei. Eine Begründung für die jeweilige Einstufung gibt es nicht.
Griechenland ist zum Labor für die Abschottung gegenüber Flüchtenden durch Abschreckung und Entrechtung geworden. Vor diesem Hintergrund sind wesentliche Elemente des GEAS in dem Land schon länger erprobt worden.
Die neue GEAS-Asylverfahrensverordnung verlangt «gemeinsame Kriterien» für die Bestimmung von Drittstaaten als sichere Herkunftsländer. Die Einstufung soll möglichst auf EU- und nicht mehr auf nationaler Ebene stattfinden. Das soll existierende Unterschiede zwischen den nationalen Listen sicherer Herkunftsstaaten beseitigen und so verhindern, dass Menschen innerhalb der EU in ein Land weiterziehen, dass eines ihrer Transitländer oder ihr Herkunftsland nicht als «sicher» betrachtet. Mit der GEAS-Reform wurden die Anforderungen an die Sicherheit in dem Drittstaat stark herabgesetzt.
Im Zulässigkeitsverfahren werden die Fluchtgründe selbst nicht geprüft. Die EU kann direkt nach der Zulässigkeitsprüfung in die Drittstaaten abschieben. Für Geflüchtete in Griechenland könnte das bedeuten, dass Menschen aus immer mehr Herkunftsländern keinen Zugang mehr zu einem griechischen Asylverfahren bekommen.
Abschiebungen in die Türkei finden derzeit allerdings nicht statt. Die Regierung in Ankara akzeptiert seit März 2020 keine Rückübernahmen aus Griechenland im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens. Wer mit Verweis auf Voraufenthalt in einem sicheren Drittstaat abgelehnt wird, ist somit in einer rechtlichen Grauzone.
Es ist damit zu rechnen, dass die EU versuchen wird, durch Verhandlungen mit der Türkei sowie anderen Transitstaaten die Abschiebung von Asylbewerber*innen zu ermöglichen. Die Türkei und andere muss der Abschiebung der Drittstaatsangehörigen schließlich zustimmen. Dies werden sie sich im Zweifel mit erheblichen Mitteln entlohnen lassen.
Offen ist, wie die im GEAS als Kriterium für ein Grenzverfahren benannte «Verbindung» zum Drittstaat konkret ausgelegt wird, wie lange Menschen sich also beispielsweise in der Türkei aufgehalten haben müssen. Die Frage der Möglichkeit von Abschiebungen in die Türkei ist von entscheidender Bedeutung, weil die Türkei ihrerseits in viele Konfliktregionen, wie etwa Syrien oder Afghanistan abschiebt.
Lange wurden die meisten Anträge abgelehnt. Dies hat sich zwischenzeitlich geändert: Von 41.400 Entscheidungen über Asyl-Erstanträge in Griechenland in 2023 wurden 7.662 Entscheidungen im Grenzverfahren getroffen. Die Anerkennungsrate lag dabei bei den Sachentscheidungen mit 98 Prozent deutlich höher als in der Gesamtheit aller Asylverfahren – wo die Quote mit 76,6 Prozent Anerkennungen gleichfalls hoch ist.
Hintergrund dieser hohen Anerkennungsquote ist vermutlich auch die beabsichtigte Ermöglichung von Sekundärflucht/-migration innerhalb der EU durch Griechenland – wer weiterzieht, um den*die muss Griechenland sich nicht mehr kümmern. Denkbar ist, dass dies auch in Zukunft so gehalten wird. Denn wer anerkannt ist, darf innerhalb der EU frei reisen – und kann so leicht Griechenland verlassen.
Zu erwarten ist, dass der Anteil der Grenzverfahren auch auf dem griechischen Festland weiter steigt, sobald die GEAS-Anpassung vollzogen ist. Denn das neue EU-Recht sieht erheblich mehr mögliche Gründe für ein Grenzverfahren vor.
Freiheitsentzug
Insgesamt gab es 2023 in Griechenland rund halb so viele formelle Internierungen – 2023 waren es insgesamt 24.174 formelle Internierungen – wie Ankünfte (2023: ca. 48.700). Gut 20.500 der formellen Internierungen standen in Zusammenhang mit Rückführungen, rund 3.600 standen im Zusammenhang mit einem laufenden Asylverfahren. 2023 wurden in Griechenland rund 57.900 Asylanträge gestellt. Nur rund 6,2 Prozent der Asylantragsteller*innen waren also vor einer Ablehnung offiziell von Freiheitsentzug betroffen.
Hierfür werden die Gründe in der neuen GEAS-Aufnahmerichtlinie erheblich ausgeweitet.
Tatsächlich wird aber bereits heute in Griechenland praktisch allen Antragsteller*innen die Bewegungsfreiheit entzogen: Formell während des bis zu 25 Tage dauernden Registrierungsverfahrens, in der Regel faktisch auch für die Dauer des sich anschließenden Grenzverfahrens. Das gilt weitgehend auch für Minderjährige.
Die griechische Regierung vertritt allerdings – wie die deutsche Regierung und die EU-Kommission – offiziell die Auffassung, dass es sich beim Grenzverfahren in den CCAC nicht um Freiheitsentzug handelt, weil eine freiwillige Ausreise möglich sei. Verschiedene Entscheidungen des EUGH und des EGMR weisen diese Auffassung allerdings zurück: Es handele sich sehr wohl um Haft. Die hypothetische Möglichkeit der Rückreise schließt «nicht die Annahme einer Freiheitsentziehung aus», weder im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention noch mit Blick auf die Aufnahme- oder Rückführungsrichtlinie. Die Menschen werden also eingesperrt, ohne dass dies formell so eingestuft wird oder eine entsprechende Entscheidung ausgefertigt würde.
Und so gibt es heute und in Zukunft zwar Rechtsmittel gegen formelle Haft mit recht guten Erfolgsaussichten – 2023 etwa wurde jede fünfte Inhaftierung in Griechenland angefochten, 5.001 von 24.174. Rund 48 Prozent der Klagen waren erfolgreich.
Das Gros der faktisch Internierten kann aber auch unter dem GEAS nicht klagen. Denn nicht vorgesehen sind Widersprüche gegen die Entscheidung, ins Grenzverfahren genommen zu werden oder das Screening-Verfahren zu durchlaufen. Und die griechische Regierung stellt für Registrierung und Grenzverfahren keine Haftanordnung aus, die anfechtbar wäre.
So verwischt das GEAS die bereits heute in Griechenland unscharfe Abgrenzung von Haft zu anderen Rechtstatbeständen weiter.
Nach der Entscheidung
Wessen Antrag angenommen wird, der oder die hat eine Frist von 30 Tagen, um das Camp zu verlassen. Damit einher geht der Verlust sämtlicher Sozialleistungsansprüche. Entsprechend leben viele der Anerkannten in Griechenland heute als Obdachlose auf der Straße. Teils warten sie auf die Ausstellung von Passdokumenten durch die griechische Regierung.
Wessen Antrag abgelehnt wird, kann bis zu 18 Monate einem der neun «Pre-Removal-Centers» inhaftiert sein. Diese sind heute in der Mehrzahl in die CCAC integriert, hieran wird sich wenig ändern. Kann die Regierung die Person innerhalb dieser Zeit nicht abschieben, muss sie sie freilassen. In jedem Fall wird nach einer Ablehnung eine Aufforderung ausgestellt, das Land innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Und sämtliche Leistungsansprüche erlöschen.
Die extrem niedrigen Leistungen dienen offenkundig dazu, Menschen aus Griechenland in andere EU-Länder zu vertreiben und ihre Weiterwanderung zu fördern. Das ist und war rechtswidrig. Die neue Aufnahmerichtlinie des GEAS sieht vor, dass der «Lebensstandard für Antragsteller im Einklang mit dem Unionsrecht» stehen muss. Es muss also ein Existenzminimum gezahlt werden. Gleiches ergibt sich aus der EU-Grundrechtecharta für Abgelehnte und etwa aus der Genfer Flüchtlingskonvention für Anerkannte. Insofern ist Griechenland seit jeher rechtlich verpflichtet, die Leistungen anzuheben. Ein völliger Ausschluss ist klar rechtswidrig. Ob die griechische Regierung dieser Pflicht aber künftig nachkommt, ist fraglich. Die Kommission könnte deswegen zwar ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Das hätte sie allerdings in der Vergangenheit bereits tun können.
Situation im Verhältnis zu anderen Staaten
Das GEAS soll unter anderem auch Sekundärmigration, also die unerlaubte Weiterwanderung innerhalb der EU eindämmen. Was wird sich, beispielsweise mit Blick auf das Verhältnis Deutschland-Griechenland ändern?
Dublin-Fälle aus Deutschland
In Griechenland registrierte oder bereits anerkannte Menschen kamen zuletzt jährlich in fünfstelliger Zahl nach Deutschland.
Die deutschen Behörden stellten 2023 insgesamt 5.523 und im ersten Halbjahr 2024 6.927 Übernahmeersuche an Griechenland. Damit sollten Menschen, die noch kein Asylverfahren zu Ende durchlaufen hatten, zurück nach Griechenland gebracht werden.
In der Vergangenheit wurden solche Überstellungen eher dann von deutschen Gerichten akzeptiert, wenn zugesagt worden war, die Betreffenden in bestimmten Lager mit besseren Aufnahmebedingungen zu bringen. Andere geplante Überstellungen wurden von Gerichten oft gestoppt – wegen «systemischer Mängel» des dortigen Asylsystems oder weil unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe. Eine Überstellung der Betroffenen verstoße deshalb gegen die EMRK oder die EU-Grundrechtecharta. Ausgenommen seien lediglich Fälle, in denen die griechischen Behörden im konkreten Einzelfall garantieren, dass betroffene Personen angemessen untergebracht würden. Solche Zusagen gab es jedoch längere Zeit nicht mehr. Und so wurden praktisch keine Geflüchteten mehr aus Deutschland nach Griechenland überstellt. Denn die Regierung in Athen antwortet auf Übernahmeersuchen in der Regel nicht oder sie lehnt die Ersuchen ab. Daran hat auch die neue Ankündigung vom Februar 2024 wenig geändert, Rückführungen von Einzelpersonen aus den Herkunftsländern Algerien, Marokko, Pakistan und Bangladesch wieder zu akzeptieren und «deren menschenrechtskonforme Unterbringung individuell zuzusichern».
Deutschland hat sich dafür eingesetzt, dass im GEAS die Fristen für die Zuständigkeiten und die Überstellungen verlängert wurden, es also 36 Monate statt bisher maximal 18 Monate lang nach Einreise möglich ist, Menschen innerhalb der EU dorthin abzuschieben, wo sie eingereist sind. Die Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung führt dazu ein vereinfachtes sogenannten Notifizierungsverfahren ein. Das soll die Rückführung von Schutzsuchenden beschleunigen, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt haben. Unter anderem wird es deshalb in Deutschland schwieriger, etwa mit einem Kirchenasyl die Überstellungsfrist zu umgehen und Zugang zu einem Asylverfahren in Deutschland zu erhalten.
Die Bundesregierung beschloss im Oktober 2024, die Leistungen für ausreisepflichtige Dublin-Fälle auf «Bett, Brot, Seife», also auf das absolute Existenzminimum zu drücken. Damit sollen sie zur Ausreise, etwa nach Griechenland, gebracht werden. Ob dies rechtlich haltbar und verfassungsgemäß ist, ist offen. Die Leistungskürzung soll allerdings nur greifen, wenn der Aufnahmestaat der Überstellung zugestimmt hat.
Zweifelhaft ist aber, ob die griechische Regierung künftig wirklich mehr Menschen zurücknimmt als heute.
Die CDU plant, die ohnehin sehr restriktive Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte nach Deutschland auszusetzen. Eine Familienzusammenführung, wie sie in GEAS vorgesehen ist, wäre dann nicht möglich.
as GEAS sieht dazu allerdings einen Hebel vor: Den Solidaritätsmechanismus, über den jährlich mindestens 30.000 Asylbewerber*innen innerhalb der EU umverteilt werden sollen. Damit sollen Außengrenzen-Staaten entlastet werden, die «besonderem Migrationsdruck» ausgesetzt sind. Die übrigen Staaten können dabei wählen, ob sie ihnen nach einem festen Berechnungsschlüssel Menschen für das Asylverfahren abnehmen oder ersatzweise eine Ausgleichszahlung leisten.
Griechenland könnte eigentlich von diesem Mechanismus profitieren: 2023 kamen rund 48.000 Menschen irregulär in dem Land an. Das waren rund 4,5 Prozent der 1.049 Millionen Asyl-Erstanträge in der EU. Das Land hat aber nur 2,2 Prozent der EU-Bevölkerung, ist also überproportional von Ankünften belastet.
Den Solidaritätsmechanismus in Anspruch nehmen dürfen aber gemäß der Asylmanagement-Verordnung nur Mitgliedsstaaten, die ihre Rücknahme-Verpflichtungen aus dem Dublin-System einhalten. Griechenland tut das nicht und wäre deshalb vermutlich vom Solidaritätsmechanismus ausgeschlossen.
Abschiebung Anerkannter aus Deutschland
Wer bereits in Griechenland anerkannt ist, darf nach überwiegender Rechtsprechung nicht dorthin abgeschoben werden. Wiederholt hatten deutsche Gerichte geurteilt, dass den Menschen dort eine menschenrechtswidrige Behandlung oder existenzbedrohliche Notlage droht, weil es keinerlei Versorgung gibt.
Von 2018 bis 2022 haben daher rund 76.600 in Griechenland anerkannte Flüchtlinge in Deutschland einen neuen Asylantrag gestellt, um dauerhaft hier bleiben zu können. Seit März/April 2022 überprüft das BAMF den in Griechenland gewährten Schutzstatus inhaltlich. Es bestätigte etwa 2022 in 36.066 von 43.091Fällen einen Schutzbedarf.
Das GEAS sieht kein Klagerecht für andere Mitgliedsstaaten vor, damit diese Bedingungen in anderen EU-Staaten durchsetzen könnten, die Rückführungen dorthin erlauben würden. Es ist daher offen, ob sich an der Versorgungssituation in Griechenland unter dem GEAS etwas ändert. Somit blieben die Hürden für Abschiebungen nach Griechenland erhalten.
Zurückweisungen in Griechenland Registrierter an den deutschen Grenzen
Zuletzt mehrten sich die Forderungen, Geflüchtete, insbesondere solche, die etwa in Außengrenzen-Staaten wie Griechenland registriert sind, an den deutschen Außengrenzen abzuweisen. Im November 2023 versuchte die CDU mit einem Gesetzentwurf zur «Massenzustromsbegrenzung» dazu eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Diese sollte der deutschen Bundespolizei direkte Abschiebungen ermöglichen, ohne dass das BAMF für ein Dublin-Verfahren eingeschaltet werden müsste. Die Abstimmung über das Vorhaben wurde vorerst verschoben.
Im September 2023 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen «regelmäßig rechtswidrig» sind. Das Urteil folgte auf eine Klage unter anderem von Asylrechts-Anwält*innen. Sobald ein Asylantrag gestellt wird, muss ein Dublin-Verfahren durchgeführt werden, entschieden die Richter. Daran ändern auch die GEAS-Reformen nichts.
2018 hatte der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) «Verwaltungsabsprachen» mit Spanien und Griechenland getroffen. Sie sahen vor, dass Menschen, bei denen im Rahmen von Binnengrenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze anhand der europäischen Fingerabruck-Datenbank EURODAC festgestellt wurde, dass sie bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatten, innerhalb von 48 Stunden unmittelbar nach Griechenland zurücküberstellt werden. Hiervon ausgenommen waren unbegleitete Minderjährige.
Das Verwaltungsgericht München stufte diese Zurückweisungspraxis 2021 jedoch als rechtswidrig ein. Im Oktober 2024 erging ein ähnliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Die jüngste Reform des Schengener Grenzkodex vom Mai 2024 sieht zwar die Möglichkeit für Absprachen zwischen zwei Mitgliedstaaten zur beschleunigten Überstellung vor – allerdings nicht für Asylsuchende.
2022 hat die Ampel die Möglichkeit der Tatsachenrevision in Asylverfahren beim Bundesverwaltungsgericht neu geschaffen. Derzeit sind zwei solcher Revisionen über direkte Zurückweisungen anhängig.
Die griechische Regierung hatte die deutschen Pläne zur direkten Zurückweisung scharf kritisiert. Sie fürchtet eine Verschärfung des Ungleichgewichts bei der europäischen Lastenteilung auf Kosten der Außengrenzen-Staaten. NGOs warnen davor, dass die Wahrscheinlichkeit für Überbelegung in den Haftanstalten weiter ansteigt.
Insgesamt ist aber fraglich, ob direkte Zurückweisungen etwa nach Griechenland tatsächlich durchsetzbar sind.
Familienzusammenführung
Die CDU plant, die ohnehin sehr restriktive Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte nach Deutschland auszusetzen. Eine entsprechende Bestimmung war Teil ihres Gesetzentwurfs zur «Massenzustromsbegrenzung» vom September 2024. Ob dieses Vorhaben Bestand hat, ist offen.
Das GEAS allerdings hat die Möglichkeiten zur Familienzusammenführung gestärkt. Die Asylmanagement-Verordnung gewährt auch für Familien, die «im Transit», also nach der Flucht aus den Herkunftsland etwa durch Herat entstanden sind, die Rechte nach der Familienzusammenführungsrichtlinie.
Je nachdem, wie sich die Praxis in Deutschland entwickelt, könnten Angehörige von in Deutschland Schutzberechtigten weiter gezwungen sein, in Griechenland ohne Sicherung des Existenzminimums auszuharren.
Fazit
Schon seit den 2000er Jahren sind die Aufnahme- und Asylverfahrensbedingungen für Geflüchtete in Griechenland schlecht bis katastrophal und in weiten Teilen EU-rechtswidrig. Aufgrund der besonderen geographischen Lage, der besonders hohen Zahl der Ankünfte 2015/2016 und der desaströsen humanitären Lage auf den Ägäis-Inseln nach dem EU-Türkei-Deal ab 2016 ist Griechenland zum Labor für die Abschottung gegenüber Flüchtenden durch Abschreckung und Entrechtung geworden. Vor diesem Hintergrund sind wesentliche Elemente des GEAS in dem Land schon länger erprobt worden.
Die nun zu erwartenden Änderungen durch die GEAS-Beschlüsse dürften deshalb in Griechenland in der Praxis weniger ins Gewicht fallen als in anderen EU-Staaten. Das Asylsystem in Griechenland ist heute geprägt von einer Kombination aus Internierung, Registrierung, Screening, Zulässigkeitsprüfung, beschleunigten Verfahren, hoher Anerkennungsquote sowie praktisch inexistenter Sozialversorgung und hoher Sekundärmigration. Vieles davon dürfte erhalten bleiben.
Das GEAS ist durch eine teils unklare Rechtslage, die teilweise Widersprüchlichkeit der Einzelnormen und teils bewusst unscharfe Formulierungen geprägt.
In Griechenland gibt es eine teils mäßige Rechtstreue, Umsetzungsschwächen beim EU-Recht sowie die starke Tendenz, Standards für die Flüchtlingsaufnahme teils drastisch zu unterlaufen, zu verletzen oder mutwillig zu ignorieren, um Geflüchtete zur Sekundärmigration zu drängen und so – bisher erfolglos – Druck auf die übrigen EU-Staaten für ein funktionierendes Relocation-System zu machen.
Eine schnelle, unmittelbare und vollständige Umsetzung des GEAS ist daher kaum zu erwarten. Realistisch ist eher eine selektive Nutzung der neuen Rechtslage, um auf dieser Grundlage Geflüchtete weiter abzuschrecken oder außer Landes zu drängen.
Die sich aus dem GEAS ergebenden Folgen für Menschen auf der Flucht sind indes bereits heute umso deutlicher zu erkennen. In Griechenland zeigt sich, welche Auswirkungen das GEAS auch auf die Lage für Geflüchtete in andere EU-Staaten haben wird.