Mit dem globalen Rechtsruck ist eine neue politische Dynamik entstanden. Sie erfasst auch die politische Linke, deren Parteien unterschiedlich auf den Rechtsruck reagieren. Ein Ausdruck dieser Dynamik ist die Spaltung und Neusortierung der europäischen Linken. Im Spätsommer hat sich mit der neuen Europäischen Linksallianz (European Left Alliance for the People and the Planet), kurz ELA, eine neue Partei gegründet. Die bereits bestehende Europäische Linke (EL) wird damit massiv geschwächt. Auch für die deutsche Linke ist diese Situation alles andere als einfach – sie muss eine Entscheidung treffen.
Die Krise der Europäischen Linken (EL)
Seit den 1990er Jahren gibt es in der EU die Möglichkeit, aus den Reihen der jeweiligen Fraktionen im Europaparlament (EP) heraus eine Partei zu gründen. Auf dieser Grundlage konstituierte sich im Jahr 2004 die EL. Wichtige Gründungsmitglieder waren neben der PDS, den dänischen Enhedslisten und der KPÖ vor allem die ehemals starken kommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs. Zur EL gehörte aber auch eine Reihe von linken Klein- und Kleinstparteien beispielsweise aus Ungarn, Estland und Bulgarien.
Janis Ehling ist Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke sowie Mitglied im Vorstand und im Sekretariat der Europäischen Linken.
Seit der Gründung der EL vor zwanzig Jahren hat sich die jeweilige Stärke linker Parteien in den Ländern verändert. Viele der alten Parteien gerieten in die Krise, während andere einen Bedeutungszuwachs erlebten. Dennoch blieb die Zahl der Mitglieder der linken Fraktion im Europäischen Parlament, trotz einiger Schwankungen, in dieser Zeit relativ konstant bei etwa 40-50 Mitgliedern. Dies zeigt: Es handelt sich nicht einfach um eine allgemeine Krise der europäischen Linken.
Die traditionellen kommunistischen Parteien verfügen, obwohl sie national schwächer wurden, bis heute über großen Einfluss in der EL. Hinzu kommt, das die EL auch viele kleinere Formationen als Mitglieds- oder Beobachterparteien (mit Rede-, aber ohne Stimmrecht) aufnahm, die es zu keinem Zeitpunkt vermochten, in der Wählergunst signifikant zuzulegen oder gar politisch relevant zu werden. Weil es jedoch keine Mindestkriterien für eine Mitgliedschaft gibt, die regelmäßig überprüft werden, verbleiben diese Parteien, unabhängig von ihrem realen Zustand, dauerhaft in der EL. Die finnische kommunistische Partei etwa ist mit ihren 150 Mitgliedern genauso Vollmitglied wie der finnische Linksbund Vasemistolitto, der bei der Europawahl im Sommer diesen Jahres 17 Prozent der Stimmen errang. Hinzu kommen Kleinstparteien, die teilweise nicht einmal zu Wahlen antreten.
Das Grundproblem liegt dabei darin, dass jede Mitgliedspartei dank des in den Statuten verankerten Konsensprinzips sämtliche Entscheidungen der EL blockieren kann. Zu einem Auslöser der Spaltung wurde dann das Veto der französischen KP, der PCF, gegen die Spitzenkandidatur von Martin Schirdewan (Die Linke) und Manon Aubry (La France insoumise) bei der Europawahl im Juni 2024. Und so erkor die EL statt der beiden den EL-Präsidenten Walter Baier zum Spitzenkandidaten. Das aber war doppelt unglücklich, denn einerseits war die Chance seiner Partei, der KPÖ, auf einen Sitz im Europaparlament gering, und andererseits stellte die KPÖ eine andere Person an die Spitze ihrer Liste als die EL, was dann für die Außendarstellung der EL alles andere als optimal war.
Wichtiger als dieses konkrete Ereignis aber ist der schlechte Zustand der EL. Viele ihrer Arbeitsstrukturen werden kaum noch genutzt. Es gab lange aktive Arbeitsgruppen, etwa in den Bereichen Wohnen, Wirtschaft, Frauen und Arbeit/Gewerkschaften, aber etliche von ihnen sind inzwischen eingeschlafen. Viele Mitgliedsparteien reduzierten ihre finanziellen Eigenbeiträge, die das Europäische Parlament zwingend vorschreibt, sodass heute die deutsche Linke einen sehr großen Teil der Finanzmittel der EL beiträgt (die dann vom EP verzehnfacht werden zum EL-Budget). Trotzdem schöpft die EL aufgrund der niedrigen Eigenbeiträge nicht einmal das ihr zustehende Budget aus. Davon profitieren schon jetzt alle anderen Parteienfamilien, einschließlich der rechten.
Rege von den Mitgliedern genutzt wurden nur wenige Angebote, darunter die europäische Sommeruniversität. Eine gemeinsame Arbeit kam viel zu selten zustande, viele Aktivitäten blieben primär national ausgerichtet. Die interne Blockade und der schwindende Nutzen machten die EL immer weniger attraktiv. In der Folge reduzierten viele Parteien ihre Mitarbeit; auch die Runde der Parteivorsitzenden wurde zusehends zu einer Runde der stellvertretenden Stellvertreter*innen.
Gründung der Europäischen Linksallianz (ELA)
Die neue Partei ELA (European Left Alliance) entstand keineswegs aus dem Nichts. Schon zur Europawahl 2019 traten die meisten der jetzt zur ELA zählenden Parteien mit einem eigenen, gemeinsamen Wahlaufruf an. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich in diesem Jahr. (Die Linke stand pragmatisch unter beiden Aufrufen.) Hinter diesem seltsam anmutenden Theater steckte jedoch die jahrelange Entfremdung zwischen Europafraktion und EL. Es ist bis heute nicht gelungen, eine gemeinsame Arbeitsweise zu finden.
Die Annahme, die Außenpolitik sei der Knackpunkt der Spaltung gewesen, trifft jedoch so nicht zu. Zwar sind in der neuen Europäischen Linksallianz viele Parteien, die lange Jahre EU-kritisch waren und nach dem Brexit – wie viele Linksparteien – ihre radikale Ablehnung der EU durch eine Kritik an deren undemokratischen, unsozialen und neoliberalen Praktiken ersetzt haben. In punkto Ukraine-Krieg indes sind viele Linksparteien intern nicht einer Meinung. So ist Podemos als Mitglied der neuen Linksallianz eher pazifistisch ausgerichtet. Und während die spanische kommunistische Partei sich gegen Waffenlieferungen stellt, hat die Regierung, an der sie (via Sumar) beteiligt ist, diesen zugestimmt. Deshalb werden hier immer wieder Kompromisse formuliert. So hat die EL auf ihrem letzten Kongress einen Beschluss gefasst, der sich gegen den russischen Angriffskrieg und für eine diplomatische Lösung des Konflikts ausspricht.
Die Diskussion um die Solidarität mit der Ukraine spaltet viele linke Parteien.
Die neue Linksallianz wird in der deutschen Wahrnehmung stark von den nordischen Linken geprägt, die solidarisch hinter der Ukraine stehen und damit auch eine konditionierte militärische Unterstützung meinen. Demgegenüber vertreten La France insoumise und der Bloco aus Portugal eher kritische Positionen zu Waffenlieferungen. Bei der Abstimmung über die Unterstützung der Ukraine «bis zum Sieg» stimmte die linke EP-Fraktion denn auch entsprechend uneinheitlich ab: ein Drittel der Abgeordneten stimmte zu, ein Drittel enthielt sich, und ein weiteres Drittel lehnte die Waffenlieferungen ab. Kurz: Die Diskussion um die Solidarität mit der Ukraine spaltet eben nicht nur die Friedensbewegung, sondern auch viele linke Parteien.
Die schwedische und die finnische Linke sind allerdings – anders als hierzulande mitunter kolportiert – keineswegs ins Pro-NATO-Lager gewechselt. Die finnische Linke hat in der Regierung mehrheitlich für den NATO-Beitritt des Landes gestimmt, bleibt aber der NATO gegenüber kritisch eingestellt. Die schwedische Linke hat im Parlament gar gegen den NATO-Beitritt votiert. Beide Parteien sprechen sich weiterhin gegen Militärbasen der NATO und die Stationierung von Atomraketen in ihren Ländern aus und lehnen Militärinterventionen grundsätzlich ab. Es verwundert daher nicht, dass eine gemeinsame Position der ELA zur Ukrainehilfe nicht vorliegt; ein nicht unerheblicher Teil unterstützte die Resolution für militärische Hilfen, während andere sich enthielten.
Ein Hinweis auf die Uneinigkeit in diesen Fragen bildet das Wahlprogramm der neuen Partei. Es unterscheidet sich inhaltlich kaum von jenem der EL und belässt es bei vielen sehr knappen Aussagen und Bekenntnissen zum Frieden. Das neue Statut hingegen ist so kurz und allgemein gehalten, dass sich inhaltlich kaum etwas daraus ableiten lässt. Leider schüttet die ELA im Statut das Kind mit dem Bade aus. Um Zustände wie in der EL zu vermeiden, können in der ELA nur Parteien Mitglied werden, die im nationalen Parlament sitzen oder einen EP-Abgeordneten haben. Das aber schließt Parteien wie die KPÖ aus und macht es kleineren Parteien, gerade aus dem Osten Europas, unmöglich, Mitglied der ELA zu werden. Auf diese Weise wird der für junge Parteien so wichtige Erfahrungsaustausch mit etablierten Partnern substanziell erschwert.
Die Linksfraktion im Europaparlament
Beide Parteien sind nun in der europäischen Linksfraktion vertreten. Während die Linksallianz 18 Mitglieder zählt, haben für die Europäische Linke 16 Mitglieder der Fraktion unterschrieben. In der ELA sind bislang die finnische Vasmistolitto, die dänischen Enhedslisten, die schwedische Vänsterpartiet, Podemos aus Spanien, La France Insoumise, der Bloco aus Portugal und (ohne Abgeordnete) die polnische Partei Razem. Die EL kommt demgegenüber nur auf die sechs Abgeordneten der letzten beiden größeren Mitgliedsparteien (Die Linke und Syriza) und zehn freiwillige Unterschriften. Dazu muss man wissen, dass die Abgeordneten von Mitgliedsparteien einer der beiden europäischen Parteien automatisch zu diesen zählen. Die Fraktionsmitglieder der ungebundenen Parteien können sich für eine der beiden entscheiden. Die Anzahl der Unterschriften bestimmt dann das Budget der jeweiligen europäischen Partei und der ihr zugehörigen Parteistiftung. Neben EL und ELA gibt es weitere zwölf Parlamentarier*innen, die für keine der beiden Formationen unterschrieben haben. Dieser Block wird dominiert von der italienischen Cinque Stelle (Fünf Sterne). Zu den nicht gebundenen Parteien zählen auch die Sinistra Italiana und die Partei der Arbeit Belgiens (PTB).
Im Ergebnis müssen die EL und die an sie geknüpfte Stiftung transform europe nun mit der Hälfte des Geldes auskommen. Ob eine gemeinsame Stiftung beider Parteien möglich ist, wird derzeit geprüft.
Wie weiter?
Die Spaltung der europäischen Linken in zwei miteinander konkurrierende Parteien (bei vielen dazwischenstehenden Formationen) bedeutet zugleich ihre massive Schwächung. Insbesondere die Existenz der Europäischen Linken ist massiv gefährdet. Ihre ehemals mitgliederstärksten Parteien befinden sich in einer schwierigen Situation. Und während Die Linke in Deutschland vor Neuwahlen mit ungewissem Ausgang steht, versinkt Syriza nach der Absetzung ihres Vorsitzenden im Streit.
Der Vorstand der deutschen Linken hat daher im Juni beschlossen, für eine geeinte europäische Linke einzutreten. Dabei will man pragmatisch in der EL um eine Reform ringen und gleichzeitig die Entwicklung der ELA im Auge behalten (ohne sich an deren Gründung zu beteiligen). Im EL-Vorstand hat Die Linke ein entsprechendes Reformpapier vorgelegt und zusammen mit anderen Parteien eine Reformdebatte angestoßen. Dieses Papier plädiert für eine EL als strategische Plattform von Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen, die die realen politischen Prozesse der EU begleiten soll. Um die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen, gibt es Vorschläge zur Auflösung struktureller Blockaden durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen, für mehr praktische Relevanz, international ausgerichtete Veranstaltungen und für Mindestkriterien für Mitgliedsparteien.
Die Linke in Deutschland plädiert für eine EL als strategische Plattform von Parteien, Gewerkschaften und Bewegungen.
Bis zum Dezember sind die Mitgliedsparteien der Europäischen Linken – so beispielsweise die slowenische Regierungspartei Levica – aufgerufen, ihrerseits Vorschläge vorzulegen. Anfang des kommenden Jahres wird die EL dann in ihrem Vorstand über eine Reform beraten. Der Ausgang ist derzeit offen.
Für die neue Partei ELA spricht, dass sich in ihr die augenblicklich größeren und relevanten Linksparteien versammeln; es wäre deshalb nicht gut, wenn Die Linke außen vor bliebe. Gegen die ELA spricht das vage und ausschließende Statut. Auch ist immer noch unklar, welche Positionen die ELA entwickeln und was sie praktisch tun wird.
Wie sich Parteien wie die PTB und die Sinistra Italiana entscheiden, ist derzeit ebenfalls noch nicht entschieden. Fest steht lediglich, dass die deutsche Linke international ein wichtiger Bezugspunkt bleibt. Was in Deutschland passiert, hat immer auch Folgen für die gesamte EU.
Das neu gegründete BSW spielt hier bislang keine Rolle. Es war nicht in der Lage, eine Fraktion im EP zu bilden, und gehört keiner der beiden Parteien an. Aufgrund ihrer Positionen zu Migration und Klimaschutz genießt die neue Partei europaweit nur wenig Unterstützung von links.
Das Ziel bleibt, eine europäische Linkspartei zu bilden, die attraktiv ist, politische Angebote macht und mehr politische Durchschlagskraft entwickelt.
Aber auch jenseits des aktuellen Hickhacks bleibt das Ziel bestehen, eine gemeinsame europäische Linkspartei zu bilden, die attraktiv ist, politische Angebote zu den aktuellen Themen macht und mehr politische Durchschlagskraft entwickelt. Dazu braucht es inhaltliche Arbeitsgruppen, deren Diskussionen einen Mehrwert besitzen, für Kommunalvertreter*innen ebenso wie für EP-Abgeordnete. Auch müssen internationale Veranstaltungsformate (wie die Sommeruniversität) und der Austausch insbesondere zwischen den Jugendorganisationen gefördert werden. Denn auf Face-to-face-Treffen lernen Mitglieder erfahrungsgemäß mehr voneinander als durch trockene Bildungsformate.
Darüber hinaus besitzt der internationale Austausch über politische Strategien in Zeiten des Rechtsrucks große Bedeutung. Manche Länder verfügen bereits über langjährige Erfahrungen mit der rechten Konjunkturwelle – diese gilt es zu nutzen. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung europaweit große Ähnlichkeiten aufweist. Wie die linken Parteien darauf reagieren, welche organisatorischen und politischen Neuerungen sie erproben, wird über die Ländergrenzen hinaus allerdings nur sehr begrenzt wahrgenommen.
Die deutsche Linke muss angesichts dieser Entwicklungen bald eine Entscheidung treffen, wie sie sich in dieser Situation platzieren will. Fest steht: Angesichts der andauernden neoliberalen Vorherrschaft und des Aufschwungs der extremen Rechten in Europa verbietet sich ein Rückzug ins Nationale – im Interesse der Zukunft der Partei, aber vor allem im Interesse der hier lebenden Menschen.