Krieg, bewaffnete Konflikte, eine militarisierte Außenpolitik und die Auseinandersetzungen darum haben immer auch eine geschlechtliche Dimension. Frauen und Kinder sind als zivile Opfer von Krieg, militärischen Konflikten und der eskalierenden geschlechtsbasierten Gewalt schon immer am stärksten betroffen. Die aktuelle Aufrüstungsdynamik und der erstarkende Militarismus, die Kriege nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Gaza und dem Libanon, viele andere Konfliktherde auf der Welt sowie wachsender Autoritarismus erfordern eine konsequent menschenrechtsorientierte Gegenerzählung, eine auf allen Ebenen machtkritische und feministische (Friedens-)Politik.
Johanna Bussemer ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für internationalen Dialog und Referatsleiterin Europa der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Charlotte Tinawi ist Referentin für feminstische Außen- und Entwicklungspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die Wiederwahl Donald Trumps, der wachsende globale Autoritarismus und die zu erwartende Stärke der AfD bei den anstehenden Neuwahlen in der Bundesrepublik machen eine Positionierung gegen den anti-feministischen Backlash umso dringender. Eine Feministische Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik, muss dem Sicherheitsbedürfnis von FLINTA* gerecht werden und für einen feministischen Frieden eintreten.
Feministische Außen- und Entwicklungspolitik
Im März 2023 verkündete die Ampel-Koalition die Einführung der Leitlinien für eine Feministische Außen- und Entwicklungspolitik, was große Hoffnungen vor allem in feministischen Kreisen geweckt hat. Nach gut anderthalb Jahren und damit zugleich am Ende der Legislaturperiode fällt ein Fazit allerdings ernüchternd aus. Als erste weibliche Außenministerin in Deutschland wollte Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), dem Beispiel Schwedens folgend, ein grünes Alleinstellungsmerkmal ihrer Politik etablieren.
Der Versuch, staatliche Politiken feministischer zu gestalten, ist nicht neu. Patriarchale Machtverhältnisse und hegemoniale Männlichkeitsanforderungen müssen sowohl gesellschaftlich als auch in den internationalen Beziehungen in den Blick genommen werden, um Ursprüngen und Eskalationspunkten von Kriegen, bewaffneten Konflikten und Menschenrechtsverletzungen etwas entgegenzusetzen. Diese Erkenntnis wurde bereits in feministischen Teilen der deutschen Friedensbewegung der 1990er Jahre entwickelt. Grüne Feministinnen, die sich einst in diesen Kreisen verorteten oder von ihnen beeinflusst wurden, trugen das Konzept nun in die Realpolitik. Darüber hinaus erkannten sowohl Baerbock als auch die Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) die Zeichen der Zeit und schrieben sich auf die Fahnen, ressortinterne Veränderungsprozesse mit der Orientierung auf Anti-Diskriminierung und Diversität anzustoßen.
Die maßgebliche Rolle von Geschlechterverhältnissen für Entstehung und Genese von Kriegen und Konflikten sowie die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen werden von der Friedens- und Konfliktforschung seit Jahren analysiert und belegt. Das Problem besteht bis heute in der mangelnden Konsequenz bei der Umsetzung. Das gilt für die im Jahr 2000 verabschiedete Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates, einem Meilenstein auf dem Weg zu einer geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik, ebenso wie für das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), das in Deutschland im Jahr 2018 in Kraft trat.
Sicherheit für wen?
Eine feministische Orientierung von Staaten und Staatenbündnissen auf militärische und zivile Aktivitäten sowie eine Verknüpfung von innen- und außenpolitischen Bedingungen ist nachgewiesenermaßen essentiell. Wissen über Geschlechterverhältnisse ist vorhanden, feministische Akteur*innen aus Wissenschaft und Politik fordern seit Jahrzehnten, Konfliktprävention und -bearbeitung konsequent mit Geschlechtergerechtigkeit zu verbinden. Auf Analyseebene findet diese Perspektive zwar mittlerweile Anklang, auf realpolitischer Ebene und in der Außen- und Sicherheitspolitik, von militärischen Institutionen und sicherheitspolitischen Akteur*innen wird die Geschlechterfrage dennoch nach wie vor ausgeblendet.
Das Recht auf Sicherheit von Frauen wird innenpolitisch bisher staatlich nicht garantiert, die eigenen vier Wände sind immer noch der gefährlichste Ort für Frauen. Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland – getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner. Nach wie vor werden Femizide trotz zivilgesellschaftlicher Forderungen strafrechtlich nicht als solche erfasst.
Die jahrzehntelange Arbeit von NGOs und Akteur*innen der Anti-Gewaltarbeit wird immer wieder durch massive Finanzierungslücken gebremst und zurückgeworfen.
Aus feministischer, intersektionaler Perspektive muss deshalb ein Verständnis eines erweiterten Sicherheitskonzepts handlungsleitend sein, das unter zivilgesellschaftlichen, entwicklungs- und friedenspolitischen Akteur*innen entwickelt wurde. Dieser Ansatz nimmt die vielfältigen Ursachen für Konflikte und insbesondere die Geschlechterverhältnisse in den Blick und wurde auch von der UN mit dem Diskurs um Human Security, also «menschliche Sicherheit», aufgegriffen. Dabei geht es um weit mehr als nationale Sicherheit, und zwar um die Sicherheit von allen einzelnen Individuen. Auch Armut, soziale Ungleichheitsverhältnisse oder fehlende Zugänge zu medizinischer Versorgung werden als Bedrohung von Sicherheit berücksichtigt.
Im Unterschied zum traditionellen Sicherheitsbegriff, bei dem der Einsatz staatlicher Gewalt zur Abwehr militärischer Bedrohungen im Vordergrund steht, macht das Konzept der «menschlichen Sicherheit» Strategien ziviler Konfliktbearbeitung nötig, in deren Rahmen neben staatlichen Organisationen als zentrale Akteur*innen NGOs ins Spiel kommen. Im Mittelpunkt steht dabei neben dem Schutz auch das Empowerment, also die Stärkung von Betroffenen.
Es gibt keine Sicherheit, wenn sie für die Hälfte der Bevölkerung an der eigenen Haustür und dem Betreten der Straße endet. Wenn häusliche und andere Formen geschlechtsbasierter Gewalt von Staaten nicht als elementares Sicherheits- und Demokratieproblem wahrgenommen werden, dann ist das Ergebnis dieser privatisierten Gewalt, dass auch in Friedenszeiten Unfrieden und Unsicherheit den Alltag von Frauen prägen. Insbesondere während der Corona-Pandemie gab es sehr viel mehr Opfer von häuslicher Gewalt, da Schutzräume nicht zugänglich waren.
Ohne die Entstehungsbedingungen und Auswirkungen von toxischer Männlichkeit in den Blick zu nehmen, werden Gewalt, Kriege, Unterdrückung und Terror nicht im Ansatz eingehegt oder verhindert werden können.
Eine gender-sensible, menschenrechtsorientierte staatliche Politik tritt für den Schutz und die Interessen von gewaltgefährdeten Frauen, Kindern und Jugendlichen ein und setzt auf allen staatlichen Ebenen um, wozu sie sich mit Inkrafttreten der Istanbul-Konvention verpflichtet hat: Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten, ihre Rechte zu stärken, Gewalt und Diskriminierung zu verhindern. Was das im Einzelnen bedeuten muss, ist in zahlreichen Alternativberichten und Forderungskatalogen von NGOs ausbuchstabiert.
Eine feministische Politik fordert das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung ein, das Recht auf Abtreibung. Sie gibt FLINTA* Schutz, die vor Krieg, Verfolgung und geschlechtsbasierter Gewalt fliehen mussten, schafft ein modernes Einwanderungsrecht und sichere Fluchtwege nach Europa und wirbt für eine EU, die ihrem Menschenrechtsversprechen gerecht wird.
Ein intersektionaler, diskriminierungssensibler Begriff von Sicherheit blickt auf alle personellen Verortungen innerhalb von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die mit Diskriminierung oder Privilegierung einhergehen, und auf deren Auswirkungen auf Realitäten von Sicherheit und Unsicherheit. Er bezieht Sicherheitsbedürfnisse von Menschen, die von Rassismus betroffen sind, von Queers, Wohnungslosen und Personen mit Behinderung konsequent ein.
Konstruktionen von Männlichkeit als Ursache für Kriege und bewaffnete Konflikte
Das größte Sicherheitsrisiko für FLINTA* besteht im Macht- und Gewaltverhältnis in der Beziehung mit Männern, in Friedens- wie in Kriegszeiten. Feministischen (Positiven) Frieden kann es demnach nur durch die Überwindung dieses Gewaltverhältnisses geben.
Männlichkeits-Anforderungen führen in vielen Gesellschaften zur einer engen Verknüpfung von Männlichkeit mit Gewaltbereitschaft. In Kriegs- und Krisenzeiten werden diese Vorstellungen besonders geschürt. Ausschluss und Unterordnung von Frauen sowie die Absicherung von Dominanz durch Waffenbesitz und Gewaltausübung sind das Ergebnis.
Es überrascht nicht, wenn dieselben Annahmen über Männlichkeit und militärische und politische Stärke, die zum Ausbruch von Gewalt und zur Brutalität von Kriegen führen, im Ergebnis auch nicht zu ihrer Beilegung geschweige denn zur Prävention derselben beitragen. In anderen Worten: Ohne die Entstehungsbedingungen und Auswirkungen von toxischer Männlichkeit in den Blick zu nehmen, werden Gewalt, Kriege, Unterdrückung und Terror nicht im Ansatz eingehegt oder verhindert werden können. Eine feministische Politik setzt deshalb gezielt auch auf Männer als Akteure für Wandel und emanzipatorische Veränderung. Kritische und alternative Formen von Männlichkeit müssen im Zuge gesellschaftlicher Bewusstseinsbildung, in schulischer und außerschulischer Bildung zu neuem Verständnis von Geschlechterrollen beitragen und sind damit unverzichtbare Präventiv-Maßnahmen gegen Gewalt und Krieg. Feministische Außenpolitik muss einhergehen mit dem Schutz von Frauen vor Gewalt und dem Kampf gegen Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung.
Die Machtverhältnisse innerhalb der Ampelkoalition und ihre begrenzte emanzipative Handlungsfähigkeit haben ein Zusammenspiel von Reaktionen auf internationale Entwicklungen hervorgebracht, die in der Summe wenig mit feministischen Ansprüchen vereinbar und kaum vermittelbar sind. In der hochgradig patriarchalen Realpolitik wurde die Feministische Außenpolitik regelmäßig konterkariert und fiel anderen Machtinteressen zum Opfer. Nichtsdestotrotz muss sich Annalena Baerbock an dem selbst gewählten neuen Anspruch messen lassen. Wie sind die jahrelange vorbehaltlose Zusammenarbeit mit der Türkei, das halbherzige Engagement gegen die brutale Niederschlagung der feministischen Proteste im Iran und die zögerliche Haltung der Bundesregierung in Bezug auf den Krieg Israels in Gaza mit einer Feministischen Außenpolitik vereinbar?
Feministische Außenpolitik muss einhergehen mit dem Schutz von Frauen vor Gewalt und dem Kampf gegen Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung.
Feministische Politik hat den Sprung aus dem Inseldasein zum Querschnittsansatz zu schaffen, im Kleinen wie im Großen. Der Versuch bietet die Möglichkeit, die Frage nach einem intersektionalen, feministischen Politikansatz in allen Ressorts zu stellen.
Auch der Bereich der Feministischen Entwicklungspolitik muss auf den Prüfstand gestellt werden. In der internationalen Entwicklungszusammenarbeit bestehen problematische Nebenwirkungen und Machtdynamiken. Eine gut gemeinte, aber unreflektierte Feministische Entwicklungspolitik kann im schlimmsten Fall das Gegenteil von selbstermächtigend sein und feministischen Interessen durch verstärkte Mechanismen von «NGOisierung» einen Bärendienst erweisen. Sehr aktive Zivilgesellschaften mit hoch politisierten Aktivistinnen und feministischen Gruppen als Akteurinnen des Wandels können durch Agenda-Setting und den Wettbewerb um Fördermittel depolitisiert, gespalten und letztendlich in ihren Kämpfen geschwächt werden.
Agenda-Setting und begrenzte Fördertöpfe – besonders in Zeiten von Haushaltskürzungen – fördern Konkurrenz und den Kampf um Ressourcen zwischen feministischen Organisationen und Akteur*innen statt sie zu stärken und zusammenzubringen. Bürokratisierung, Entpolitisierung und De-Radikalisierung von Akteur*innen sind die Folge, da das eigene Überleben durch Fördermittel und Projektarbeit zu sichern prioritär wird und politische Kämpfe in den Hintergrund treten können. Die Arbeit von Partner- und Ausführungsorganisationen richtet sich dann an thematischen Fördertöpfen aus und Feminismus steht – mal wieder – in Konkurrenz zu anderen Themen. Diese Praxis birgt damit das Risiko, ungewollt zu einem weißen Feminismus zu werden, der dem globalen Süden vorschreibt, welche Themen dringender sind als andere.
Ein Faktor, diese Dynamik nicht noch zu verstärken, ist zum Beispiel, das Instrument des Gender Budgeting in ein Maßnahmenkonzept einzubetten und intersektional auszuweiten, um alle wirkenden Machtverhältnisse in den Blick nehmen zu können und nicht zum reinen Agenda-Setting und oberflächlichem, technokratischen Ticking Boxes zu verkommen. Kategorien müssen eindeutig definiert und das Erfüllen auch qualitativ nachweisbar sein, nicht nur quantitativ.
Globaler Feminismus statt Feministische Außenpolitik
Tatsächlicher Frieden und Sicherheit erfordern die Abwesenheit von Krieg sowie die Überwindung von gesellschaftlichen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen. Es reicht nicht aus, die Repräsentation marginalisierter Gruppen zu fordern, noch kann es darum gehen, militärische Strukturen oder kriegerische Auseinandersetzungen mit Gleichstellungs- und Diversitätsmaßnahmen zu flankieren. Bestehende Macht- und Gewaltverhältnisse, die auslösend und konstitutiv für Kriege und bewaffnete Konflikte sind, müssen adressiert werden. Es gilt zu klären, über wessen Sicherheit gesprochen wird, wessen Sicherheitsbedürfnisse fehlen und wie staatliche Politik die Sicherheitsbedürfnisse aller Menschen berücksichtigen kann.
Erfolgreiche feministische Politik funktioniert nur ressortübergreifend und darf innen- und außenpolitische Zusammenhänge nicht künstlich voneinander trennen. Möchte sie keine Debatte von weißen Feministinnen bleiben und wirksame Allianzen bilden können, ist ein glaubwürdiger intersektionaler Anspruch wichtig, um antirassistisch und machtkritisch sein zu können.
Um glaubwürdig sein zu können, bedeutet Feministische Außenpolitik, in erster Linie selbst feministisch zu agieren. Ihre Ausrufung ist kein Ersatz für die vollständige Implementierung der Istanbul-Konvention und der UN-Resolution 1325 und darf nicht ablenken von skandalösen Lücken im Bereich von Gewaltschutz und dem Recht auf Sicherheit für Frauen. Ein Ansatz, der tiefgreifend und nachhaltig sein will, muss über Frauenrepräsentation und Diversität hinausgehen. Dass beides nicht automatisch Hand in Hand geht, dafür war Angela Merkels Regierungsstil das beste Beispiel.
Personen aller Geschlechter in Führungspositionen bis in die höchsten Ebenen müssen sensibilisiert und in die Lage versetzt werden, sich selbst eine feministische und diskriminierungskritische Haltung aneignen zu können sowie individuell und vernetzt emanzipatorisch handlungsfähig zu werden. Nicht zuletzt müssen weiß positionierte Männer an den Punkt kommen, sich aktiv gegen Diskriminierung und Machtmissbrauch zu stellen, auch und gerade wenn das im Zweifel bedeutet, Bündnisse mit anderen mächtigen (Staats-) Männern in Frage zu stellen oder aufzukündigen.
Feministischer Wandel braucht langen Atem und trägt vor allem auf lange Sicht Früchte. Damit Veränderungen tiefgreifend und nachhaltig wirken können, bedarf es intensiver Prozesse in sehr unterschiedlichen Kontexten. Die Feministische Außenpolitik nach dem Ende der Ampel-Regierung als komplett gescheitert zu erklären, ist nicht feministisch und wird der Komplexität des Ansatzes nicht gerecht. Eines hat ihre Ausrufung indes geleistet: Es wurden neue Räume geschaffen für die Aushandlung der Frage, was wir für eine globale feministische Zukunft brauchen.