Das Café Klatsch ist in Wiesbaden eine Institution und schon lange über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt und wichtig. Gegründet wurde es bereits 1984, und aus Anlass des 40-jährigen Bestehens hat nun Jannek Ramm, der selbst neun Jahre Teil des Café-Kollektivs war, eine Geschichte dieses selbstverwalteten Projektes verfasst.
Das nun vorliegende umfangreiche Buch erzählt in chronologischer Vorgehensweise vom ganz normalen Alltag, von Konflikten und Moden. Es reiht sich damit in eine Reihe von ähnlichen Büchern ein, die zu vergleichbaren Projekten in verschiedenen Städten aus Anlass entsprechender Jubiläen in den letzten Jahren erschienen sind. Der Bogen reicht hier von Kiel und Lübeck, über Bremen, Hannover, Münster und Bielefeld bis nach Leipzig.
Die Themen sind ähnlich: Die hohe Fluktuation im Team, das das Café trägt, die Entdeckung der Bedeutung betriebswirtschaftlicher Umstände, die Debatten um moralisch-ethische Prinzipien («Sollen wir wirklich Club Mate verkaufen?») und das Auf und Ab zwischen Großplenum und Arbeitsgruppen als bessere, «effizientere» Arbeitsweise.
Eine beziehungsweise zwei miteinander verwobene Abweichungen gibt es allerdings: Wiesbaden ist vor allem in den ersten Jahren des «Klatsch» eine der Hochburgen der sogenannnten Anti-Imps, einer eher dogmatischen Spielart des Linksradikalismus. Zweitens - und weit wichtiger - ist Wiesbaden die Landeshauptstadt Hessens und auch geografisch relativ nah an der umstrittenen Startbahn-West des Frankfurter Flughafens. Diese wird nach jahrelangen und großen Protesten schließlich 1984 eröffnet; die Proteste gehen allerdings weiter. Anfang November 1987 werden bei einer militanten Demonstration aus deren Reihen heraus zwei Polizisten erschossen. Auch dies ist Thema des Buches.
Im Frühjahr 2015 soll das Haus, in dem das «Klatsch» beheimatet ist, überraschend verkauft werden. In einer großen Kampagne wird Geld gesammelt, Angehörige älterer Klatsch-Generationen beteiligen sich und schnell sind die benötigten 300.000 Euro Kreditsumme beisammen. Mit der Corona-Pandemie und deren Begleiterscheinungen endet das Buch.
Es zeigt ein sprichwörtliches Beispiel für die Bedeutung solcher Orte; von Orten, die die Bewegungskonjunkturen sozialer Bewegungen überleben und selbst wiederum dazu beitragen, dass soziale Bewegungen und subkulturelle Milieus zusammen mit ihnen «überwintern» konnten und können.
Eines ist aber, abgesehen vomStandort des Café Klatsch, bei allem Wandel über 40 Jahre gleich geblieben: Das Plenum ist immer montags.
Jannek Ramm: Mikrotopia. Das Café Klatsch als Alltagsbeispiel sozialer Bewegungen; Unrast Verlag, Münster 2024, 260 Seiten, 19,80 Euro