Hintergrund | Rosalux International - Globalisierung - Westafrika - Ernährungssouveränität Die bittere Wahrheit süßer Schokolade

Über die dunkle Seite des Kakaobohnenanbaus berichtet Jan Urhahn

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Jan Urhahn,

Junger Kakaoplantagenarbeiter öffnet eine Schote in Guezon, Elfenbeinküste, 2019.
Junger Kakaoplantagenarbeiter öffnet eine Schote in Guezon, Elfenbeinküste, 2019. Foto: IMAGO / BSIP

Die Luft ist kühl und frisch, durchzogen vom süßen Duft frisch gebackener Plätzchen, von Tannenzweigen und dem verlockenden Aroma heißer Schokolade. In den festlich geschmückten Straßen sind die Weihnachtsmärkte voll mit köstlichen Schokoladenleckereien, die zum Schlemmen einladen. Weihnachtszeit ist Schokoladenzeit. Der Anbau der Kakaobohne hat aber auch seine Schattenseiten.

Kakao, die Grundlage jeder Schokolade, hat seinen Ursprung im Amazonas. Ob pur, als Medizin oder Zahlungsmittel – die Geschichte der Kakaopflanze und ihrer vielfältigen Einsatzformen lässt sich mehr als 5.000 Jahre zurückverfolgen. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts erreichte die Kakaobohne das europäische Festland und eroberte von dort die ganze Welt. Dieser Weg war jedoch geprägt von Kolonialismus und der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen.

Jan Urhahn leitet das Programm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Sitz in Johannesburg, Südafrika.

Anbau, Pflege und Ernte von Kakao ist schwere Handarbeit – bis heute. Kakaopflanzen benötigen ein tropisches Klima, um zu gedeihen. Sie brauchen viel Wärme und Feuchtigkeit. Daher kann Kakao nur in wenigen Regionen rund um den Äquator angebaut werden.

Etwa Dreiviertel des weltweiten Kakaos wird in Westafrika angebaut. Dort sind die Elfenbeinküste und Ghana mit einem Anteil von rund 60 Prozent an der weltweiten Produktion die Hauptanbauländer. Weitere 18 Prozent stammen aus Mittel- und Südamerika, der Ursprungsregion des Kakaos, und fünf Prozent aus asiatischen Ländern wie Indonesien und Papua-Neuguinea. Rund 90 Prozent des Kakaoanbaus findet auf kleinen Parzellen von zwei bis fünf Hektar statt; er sichert weltweit etwa 5,5 Millionen Kleinbauernfamilien den Lebensunterhalt. Der restliche Anteil des Kakaos wird auf großen Plantagen angebaut, die oftmals auf die Kolonialzeit zurückgehen.

In der Elfenbeinküste beispielsweise ließen die französische Kolonisatoren ab Ende des 19. Jahrhunderts Kakao anbauen. Zehntausende Menschen wurden vertrieben und zwangsumgesiedelt, um auf den Kakaoplantagen zu arbeiten. In dieser Zeit wurde der Grundstein für die Rohstoffabhängigkeit der ivorischen Wirtschaft gelegt, die sich bis heute fortsetzt.

Verbraucher*innen in Deutschland konsumieren jährlich rund neun Kilogramm Schokolade pro Kopf. Die Bundesrepublik bezieht die größte Menge Rohkakao, sprich die Schokoladenbasis, aus der Elfenbeinküste. Im Jahr 2022 waren es mit über 300.000 Tonnen mehr als Zweidrittel des importierten Kakaos. Der Rest verteilt sich mit 14 Prozent auf Ghana, acht Prozent auf Nigeria, Ecuador mit fünf Prozent und einige wenige weitere Länder.

Allein zwischen 2000 und 2019 wurden in der Elfenbeinküste 2,4 Millionen Hektar Wald durch Kakaoplantagen ersetzt. Die Entwaldung verursacht erhebliche Treibhausgasemissionen und treibt so den Klimawandel voran.

Der Kakaoanbau geht mit einer Vielzahl von Problemen einher. Eines davon ist die Abholzung. In Westafrika sind – vor allem aufgrund des Kakaoanbaus – in den letzten 30 Jahren bis zu 90 Prozent der Urwälder verschwunden. Allein zwischen 2000 und 2019 wurden in der Elfenbeinküste 2,4 Millionen Hektar Wald durch Kakaoplantagen ersetzt. Ein Viertel aller Kakaoplantagen dort liegt heute in geschützten Gebieten.

Gleichzeitig verursacht die Entwaldung im Kakaoanbau selbst erhebliche Treibhausgasemissionen und treibt so den Klimawandel voran. Die Auswirkungen der Klimakrise, wie steigende Temperaturen, zunehmende Trockenheit und unberechenbare Niederschläge, sind in den Kakaoanbauregionen schon heute spürbar.

Im Kakaoanbau wird darauf gesetzt, die Erträge weiter zu steigern und landwirtschaftliche Flächen stetig intensiver zu nutzen. Ein einfaches Mittel dafür ist der Einsatz von künstlichen Düngemitteln und Pestiziden. Alleine in der Elfenbeinküste hat sich der Einsatz von synthetischen Pestiziden im Kakaosektor in den letzten zwanzig Jahren verzwölffacht. Viele Kakaoerzeuger*innen versprühen die Pestizide ohne Schutzausrüstung, weil sie sich diese nicht leisten können. Ein großes Problem ist auch, dass die Pestizidabfälle oft nicht sachgerecht entsorgt werden. Kanister mit Pestizidrückständen werden einfach irgendwo weggeworfen oder in Haushalten gelagert. So kommen Menschen mit giftigen Pestizidrückständen in Kontakt und erkranken, während diese Rückstände andernorts in Böden sickern oder in Gewässer fließen.

Die Marktmacht der Konzerne

Kakao wird seit den 1970er Jahren an Warenterminmärkten gehandelt. Die bedeutendsten Märkte sind die Börsen in New York (ICE Futures U.S.) und London (LIFFE). Händler kaufen und verkaufen Kakao in Form von Terminverträgen, die die Lieferung einer bestimmten Menge Kakao zu einem festgelegten Zeitpunkt und Preis regeln. Die Preise auf den Terminmärkten beeinflussen die realen Preise für Kakao weltweit. Neben Kakaohändler*innen tummeln sich auch viele Spekulant*innen auf den Warenterminmärkten, die auf fallende oder steigende Kakaopreise wetten, um damit Profite zu erzielen.

Die Liberalisierung der Kakaomärkte in den 1990er Jahren hatte erhebliche Auswirkungen auf den Handel mit Kakao. Viele Länder begannen, staatliche Monopole und Preisregulierungen abzubauen. Diese Politik zielte darauf ab, den Wettbewerb zu fördern und die Märkte für Unternehmen zu öffnen. Stark schwankende Preise machen es seitdem den Kakaobauern und -bäuerinnen schwer, stabile Einkünfte zu erzielen.

Große internationale Konzerne dominieren die Kakaomärkte und üben erhebliche Marktmacht aus. Zu den größten von ihnen gehören Barry Callebaut (Schweiz), Cargill und Olam International. Zu Europas Schokoladenmarktführern zählen Mars Incorporated, Ferrero, Mondelez International, Nestlé sowie Lindt & Sprüngli. Auf dem deutschen Markt hat allein Lindt & Sprüngli einen Marktanteil von über 25 Prozent.

Sechs Prozent des Werts einer Tafel Schokolade erhalten die Anbauer*innen von Kakao. Viele von ihnen leben unter der absoluten Armutsgrenze von derzeit 2,15 US-Dollar pro Tag.

Der Löwenanteil der Wertschöpfung in der Produktionskette von Schokolade findet, wie bei vielen anderen Produkten, im globalen Norden statt. An die Schokoladenhersteller geht mehr als ein Viertel des Preises, den Verbraucher*innen für eine Tafel Schokolade zahlen; in die Taschen der Supermärkte wandern gar über 40 Prozent. Die Kakaobauern und -bäuerinnen, die in den 1970er Jahren noch etwa die Hälfte des Werts einer Tafel Schokolade erhielten, werden heute mit nur noch sechs Prozent abgespeist. Viele von ihnen leben deshalb, besonders in Westafrika, unter der absoluten Armutsgrenze von derzeit 2,15 US-Dollar pro Tag.

Die geringen Einkommen reichen also kaum aus für das Überleben der Kakaoerzeuger*innen. Um auf teure Arbeitskräfte zu verzichten, setzen die Bauern und Bäuerinnen daher häufig ihre eigenen Kinder auf den Plantagen ein. Die US-amerikanische Tulane-Universität schätzt, dass in Ghana und der Elfenbeinküste zusammen über 530.000 Kinder auf Kakaoplantagen arbeiten müssen.

Unzureichende Einnahmen und schwankende Preise können zu Konflikten beitragen; umgekehrt werden Einnahmen aus dem Kakaohandel auch dafür genutzt, Konflikte zu finanzieren – so geschehen in der Elfenbeinküste. Einer der Gründe für den Bürgerkrieg im Jahr 2002 lag in der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage infolge sinkender Kaffee- und Kakaopreise. Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit in der Bevölkerung stiegen rapide an. Im Zuge dessen gewannen ausländerfeindliche, nationalistische Kräfte an Einfluss, die viele Menschen aus dem Norden, deren Vorfahren aus Mali oder Burkina Faso stammten, zu Bürger*innen zweiter Klasse degradierten. Bei der Finanzierung des Konflikts spielten die Einnahmen aus dem Kakaogeschäft eine wichtige Rolle.

Der Weltmarktpreis für eine Tonne Kakao lag im Juli 2024 bei etwas mehr als 7.000 US-Dollar pro Tonne, mehr als dreimal so hoch wie in den Jahren davor.

Seit einigen Monaten gehen die Kakaopreise förmlich durch die Decke. Der Weltmarktpreis für eine Tonne Kakao lag in der Vergangenheit meist zwischen 1.500 und 2.200 US-Dollar. Der Preis hat sich allein zwischen März 2023 und April 2024 auf mehr als 11.000 US-Dollar verfünffacht. Seitdem geht der Kakaopreis wieder zurück und lag im Juli 2024 bei etwas mehr als 7.000 US-Dollar pro Tonne.

Die Gründe für die Preisanstiege sind komplex: In kaum einem anderen Teil der Welt macht sich der Klimawandel so stark bemerkbar wie in Westafrika, wo die Hauptanbaugebiete des Kakaos liegen. Während die Regenzeit normalerweise zum Beginn der Kakaoernte vorbei ist, dauerte sie im vergangenen Jahr während der gesamten Kakaoernte an und bildete somit einen idealen Nährboden für Schädlinge und Krankheiten. Hinzu kam die Black Pot Disease, eine Pilzerkrankung des Kakaobaums, bei der die Kakaoschoten direkt am Baum schwarz werden und abfallen, bevor sie reif sind. Beides führte zu erheblichen Ernteeinbußen bei gleichzeitig wachsender Nachfrage. Hinzu kamen Spekulationen an den Warenterminmärkten. Davon profitierten in erster Linie institutionelle Anleger wie Fonds oder die großen Schokoladenunternehmen. Insbesondere in Ghana und der Elfenbeinküste, wo der Kakaopreis zu Beginn der Saison im Voraus staatlich festgelegt wird, haben die Kakaoerzeuger*innen bislang nur wenig von den hohen Preisen mitgenommen.

Der Schlüssel: Stabile Marktpreise

Der Schlüssel für nachhaltige und zukunftsfähige Kakao-Lieferketten sind stabile Mindestpreise und starke Partnerschaften mit langfristigen Verträgen, die Planungssicherheit ermöglichen. Dazu muss die Spekulation mit Kakao beendet werden; ebenso wichtig ist die Zahlung eines existenzsichernden Einkommens an die Bauern und Bäuerinnen. Die staatlichen Mindestpreise in Ghana und der Elfenbeinküste reichen nicht aus und müssen erhöht werden. Dafür bedarf es der Begrenzung der Marktmacht der großen Schokoladenunternehmen. Außerdem müssen die Unternehmen durch staatliche Kontrollen dazu gebracht werden, ihre gesetzlichen Sorgfaltspflichten einzuhalten.

Auch die Förderung der Wertschöpfung in den Anbauländern kann dazu beitragen, dass die lokalen Familien ein höheres Einkommen erwirtschaften. Dazu müssen dort Kapazitäten zur Weiterverarbeitung des Kakaos aufgebaut und den Bauernfamilien die notwendigen Ressourcen gegeben werden, um auf einen nachhaltigen und klimaresilienten Kakaoanbau umzustellen.

Ein möglicher Ansatz ist der Anbau in Agroforstsystemen. Darunter versteht man Landnutzungssysteme, bei denen Bäume oder Sträucher mit Ackerkulturen auf einer Fläche kombiniert werden. Zwischen den verschiedenen Komponenten entstehen dann ökologische und ökonomische Vorteilswirkungen. Für die Kakaobauern und -bäuerinnen würde das bedeuten, zusätzlich zu Kakaobohnen beispielsweise Obst oder Gemüse anzubauen. Dadurch wird die Bodenfruchtbarkeit erhöht und die Anwendung von Kunstdünger reduziert. Außerdem hätten die Bauernfamilien auf diese Weise weitere Einnahmequellen, sollte es Ernteausfälle geben oder der Weltmarktpreis für Kakao fallen.

Merke: Ein gerechter Schokoladengenuss an Weihnachten ist möglich.
 

Dieser Text erschien zuerst in «nd.aktuell» im Rahmen einer Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.