Als das US-Wahlergebnis feststand, knallten bei Argentiniens Präsident Javier Milei und seiner Mannschaft die Sektkorken. Denn für sie bedeutet die Wahl Donald Trumps starken Rückenwind.
Milei gehört – wie Trump und Brasiliens Jair Bolsonaro – zu den Günstlingen des internationalen Atlas-Netzwerks, eines milliardenschweren Dachverbands ultrarechter und libertärer Think-Tanks. Wenn seine Amtsübernahme sich am 10. Dezember zum ersten Mal jährt, kann der selbst ernannte «Anarchokapitalist» durchaus auf Erfolge seiner «Kettensägen-Politik» verweisen. Denn auf seinem Weg zum Regimewechsel in Argentinien ist der staatskritische Staatslenker in der Tat vorangekommen.
Torge Löding leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Argentinien, Chile, und Uruguay in Buenos Aires.
Der von ihm betriebene Umbau des Staates vollzieht sich auf drei Ebenen: der politischen, ökonomischen und sozialen. Der Staat und das System der politischen Parteien befinden sich in einem Transformationsprozess. Mileis La Libertad Avanza («Die Freiheit kommt vorwärts») ist zwar kaum mehr als eine Splitterpartei, mit schwachen Strukturen, wenigen Mandatsträger*innen und ohne Gouverneur*innen oder Bürgermeister*innen wichtiger Städte. Trotzdem hat der Umbau des Staates in Richtung Gewinnmaximierung für die transnationalen Unternehmen und das Spekulationskapital Fortschritte gemacht – auf Kosten all dessen, was vom geschwächten Sozialstaat noch übrig war.
Explosion der Massenarmut
Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte Milei für viele seiner Projekte Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments herstellen. Die konservative PRO-Partei von Ex-Präsident Mauricio Macri beteiligt sich proaktiv an der Umverteilung nach umgekehrten Robin-Hood-Prinzip, und die Mehrheit der liberalen UCR hat sich nach anfänglichem Zögern ebenfalls dem Regierungskurs angeschlossen. Außerdem gibt es zahleiche Peronist*innen, die «mit sich reden lassen».
Die oppositionellen Fraktionen der peronistischen Union por la Patria und des kleinen trotzkistischen Linksblocks FIT-U konnten mit ihren 99 bzw. 5 (von 257) Abgeordneten im Parlament und lediglich 33 von 72 Senator*innen in der zweiten Kammer den Umbau nicht aufhalten. So wurde der Präsident mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, die ihm beispielsweise erlauben, geltende Umweltauflagen beim Rohstoffabbau zugunsten internationaler Investoren außer Kraft zu setzen.
Diese Politik führt dazu, dass es einigen Unternehmern und Finanzspekulanten besser, der großen Mehrheit der Bevölkerung jedoch sehr viel schlechter geht. Auch wenn die Inflationsrate in den letzten Monaten auf einstellige Werte zurückgegangen ist, sind die Verwüstungen, die die Teuerungsrate in den ersten Monaten nach Mileis Amtsantritt erzeugte, verheerend. Selbst Menschen, die früher zur Mittelschicht zählten, können sich kaum noch über Wasser halten. So ist die Zahl derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, auf 25 Millionen angestiegen – bei einer Bevölkerung von knapp 48 Millionen. Das bedeutet: Die Mehrheit der Argentinier*innen lebt in Armut, wie auch die langen Schlangen vor den Suppenküchen zeigen. Da Milei die staatliche Förderung für Armenspeisung als eine seiner ersten Amtshandlungen eingestellt hat, kümmern sich auch nur noch soziale Organisationen und kirchliche Einrichtungen um diese Aufgabe. Das aber reicht hinten und vorne nicht; eine Million Kinder bekommt keine regelmäßige Mahlzeit am Tag.
Die Wirtschaftsdaten zeigen ebenfalls nach unten, Argentinien befindet sich in einer tiefen Rezession. Über 30.000 Staatsbedienstete wurden bereits entlassen, auch in der Privatwirtschaft gingen – trotz einer Privatisierungswelle öffentlichen Eigentums – zehntausende Arbeitsplätze verloren. Der Konsum ist zusammengebrochen, Monat für Monat meldet der Einzelhandel weniger Umsatz. Die Menschen müssen sogar beim Essen sparen, es werden immer weniger Lebensmittel gekauft: Eine Studie im Auftrag des Büros Buenos Aires der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Menschenrechtsorganisation CELS ergab, dass der Verkauf von Getränken um 26 Prozent, von Milch um 12 Prozent, Fleisch um 9 Prozent sowie von Früchten und Gemüse um je 7 Prozent zurückgegangen ist. Allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres haben sich die Preise für Grundnahrungsmittel mehr als verdoppelt (plus 111 Prozent). Durch das Zusammenstreichen der öffentlichen Subventionen sind überdies die Preise für öffentlichen Transport, Strom, Gas und Wasser geradezu explodiert. Und aufgrund der Abschaffung von Mietpreisbremse und mieterfreundlichen Gesetzen hat der Mietmarkt sich zwar belebt, aber davon profitieren lediglich jene, die hohe Mieten in US-Dollar zahlen und sich auf befristete Mietverhältnisse einlassen können.
Dem wachsenden Elend zum Trotz bleiben die Zustimmungswerte für Milei hoch. In Umfragen steht etwa die Hälfte der Befragten zu ihm. Dies ist allenfalls teilweise durch die Effizienz von Fake News in sozialen Netzwerken zu erklären. Wichtiger scheint, dass nach dem ökonomischen Scheitern der vorherigen beiden Regierungen – des konservativen Mauricio Macri (2015-2019) sowie der peronistischen Alberto und Cristina Fernandez (2019-2023) – weiterhin viele und insbesondere junge Argentinier*innen hoffen, dass sich ihr Wunsch nach individuellem Wohlstand unter Milei doch noch erfüllen werde.
Teil von Mileis radikalem Staatsumbau ist auch der massive Angriff auf das öffentliche Hochschulsystem und die Kultur, denen die Förderung entzogen wird. Darüber hinaus hat der Präsident das Frauen- und Diversitätsministerium aufgelöst und zahlreiche Beratungs- und Schutzangebote für Frauen von staatlicher Förderung ausgeschlossen. Die Regierung stellt sogar den gesellschaftlichen Konsens zur Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur (1976 - 1983) in Frage und die Unterstützung der hierzu tätigen Nichtregierungsorganisationen ein.
Stramm rechte Außenpolitik
Auch in der Außenpolitik geht Milei eigene Wege. Dass er sich vom traditionell russlandfreundlichen Kurs der Vorgängerregierungen absetzte und offensiv Partei für Wolodymyr Selenskyj ergriff, kam in den USA und der EU gut an. Im Nahostkonflikt wiederum stellte er sich auf die Seite Benjamin Netanjahus und kritisierte jedwede Kritik an Israels Kriegführung aufs Schärfste.
Insgesamt agiert der Präsident außenpolitisch durchaus im Sinne seiner ultrarechten Verbündeten; das dürfte sich nach Trumps Amtsantritt noch verstärken. Bereits im September wetterte er auf der UN-Vollversammlung gegen den «Zukunftspakt» der Vereinten Nationen und erklärte den Klimawandel zu einer «linke Erfindung», die mit «weiteren Steuern die sozialistische Agenda» finanziere.
Für Aufregung im Regierungslager sorgte Ende Oktober das Abstimmungsverhalten zur Kuba-Blockade, bei der Argentinien mit der breiten Mehrheit der Weltgemeinschaft für deren Aufhebung stimmte. Das versetzte den Präsidenten derart in Rage, dass er umgehend seine Außenministerin Diana Mondino entließ. Darüber hinaus verfügte er eine Säuberung angeblicher «Förderer von freiheitsfeindlichen Agenden» in ihrem Ministerium, um sicherzustellen, dass das diplomatische Korps den Werten seiner Regierung künftig vorbehaltlos folgt. Bei neueren Abstimmungen in den Vereinten Nationen sprach sich Argentinien dann gegen indigene Rechte aus und votierte sogar als einziges Land überhaupt gegen eine Resolution zur Gewalt gegen Frauen (dieses Votum wurde allerdings später revidiert).
Repression und Opposition
Innenpolitisch hat Milei mit den sogenannten Sicherheitsprotokollen seiner konservativen Innenministerin Patricia Bullreich eine Aufrüstung vorgenommen. Eigentlich sollten sich die neuen Regeln gegen Straßenblockaden wenden; sie werden aber zunehmend auch zur Kriminalisierung friedlicher Proteste genutzt. So wurden Gummigeschosse sogar gegen Presseleute und demonstrierende Rentner*innen eingesetzt. Milei weitete zudem die Befugnisse des Geheimdienstes aus, und Polizeiaktionen gegen Gewerkschafter*innen und andere Aktivist*innen häufen sich. Schließlich präsentierte sich die neu gegründete rechte Bürgermiliz La Fuerza del Cielo («Die Kraft des Himmels») der Öffentlichkeit als bewaffneter Arm der Regierung.
Diese Vorhaben verfolgen das Ziel, den Widerstand der traditionell in hohem Maße organisierten Zivilgesellschaft zu brechen. Das allerdings ist der Regierung bislang nicht gelungen. Nach wie vor vergeht keine Woche ohne sichtbare Proteste, kein Monat ohne eine Massendemonstration gegen die Kürzungspolitik oder den Abbau sozialer bzw. politischer Rechte. Zudem gab es bereits zwei Generalstreiks gegen die Regierung.
Positiv zu vermerken ist, dass es erste Anzeichen für die Überwindung innerlinker Gräben gibt. Zu nennen ist hier vor allem die Wiedervereinigung des (an seinem Verhältnis zum Peronismus gespaltenen) Gewerkschaftsdachverbandes CTA. Aber bis zu einer strategischen Verbindung der verschiedenen Proteste und Kämpfe scheint es noch ein langer Weg zu sein.
Politisch bindet die peronistische Union por la Patria den größten Teil der linken Kräfte, die dort in einem breiten Bündnis koexistieren, das auch Konservative einschließt. In der kritischen Öffentlichkeit gilt diese Koalition indes als zu passiv – nicht ganz zu Unrecht, gibt es doch einflussreiche Peronist*innen, die der Meinung sind, Milei solle sich durch seine Politik selbst entlarven, zurückschlagen könne man später.
Außerdem gibt es Streit darüber, wer künftig die Führung der Partei übernehmen soll. Bleibt es beim liberalen Ex-Wirtschaftsminister und gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Sergio Massa? Oder kehrt Ex-Präsidentin Cristina Kirchner trotz laufender Gerichtsverfahren wieder in die Führungsposition zurück? Als neue Gesichter präsentieren sich der beliebte Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Axel Kicilof, und – auf der linken Seite des politischen Spektrums – der ehemalige Sprecher der Bewegung der informell Beschäftigten MTE, Juan Grabois. Auch das linksradikale Bündnis FIT-U spielt eine wichtige Rolle in der Opposition; doch der Graben zum linken Flügel des Peronismus scheint weiterhin unüberwindbar.
Fest steht: Will die Opposition Milei und seine Verbündeten bei den kommenden Parlamentswahlen erfolgreich herausfordern, müssen diese Führungs- und Strategiefragen geklärt sein. Und das bedeutet, auch wenn die Wahlen erst in einem Jahr stattfinden: Die Zeit drängt.