Ägypten treibt derzeit mit Schwung die Verabschiedung eines Asylgesetzes voran. Ob Kairo die Verordnung tatsächlich in ägyptisches Recht überführen oder in Verhandlungen mit der EU nur als Druckmittel einsetzen wird – ganz nach dem Vorbild Marokkos – , bleibt unklar. Die Situation von in Ägypten lebenden Geflüchteten dürfte mit oder ohne Asylgesetz katastrophal bleiben. Auf die sich fortsetzende Ankunft sudanesischer Flüchtlinge in Ägypten reagiert das Regime weiterhin mit Massenabschiebungen in das kriegsgebeutelte Land. Die EU baut derweil ihre Migrations- und Militärkooperation mit Kairo aus und stabilisiert Ägyptens Wirtschaft mit Krediten und Zuschüssen – auch um Migration auf der Kreta-Route zu vermindern und das Al-Sisi-Regime für seine Rolle bei Israels systematischer Zerstörung Gazas bei Stange zu halten.
Sofian Philip Naceur ist Projektmanager im Nordafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitet als freier Journalist.
Ende Oktober billigte der Ausschuss für Verteidigung und nationale Sicherheit in Ägyptens Repräsentantenhaus – dem Unterhaus des ägyptischen Parlaments – überraschend einen ersten Entwurf für ein Asylgesetz. Im November stimmte die Kammer dem höchst umstrittenen Entwurf zu. Die nun teils öffentlich einsehbare Verordnung war schon 2023 von der Regierung ausgearbeitet worden, der Text selbst blieb jedoch bis Oktober unter Verschluss.
Das Gesetz überträgt Asylanerkennungsverfahren vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR an Ägyptens Regierung – mit potentiell weitreichenden Folgen. Denn es bleibe unklar, wie sich das Gesetz auf Asylverfahren auswirken werde, erklärt der Direktor der Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms (ECRF), Mohamed Lotfy, im Interview. «Registrierung, Feststellung des Flüchtlingsstatus und Schutz sollen vom UNHCR an das neu einzurichtende Ständige Komitee für Flüchtlingsangelegenheiten übertragen werden, aber es gibt keine Klarheit darüber, wie eine Übergangszeit aussehen oder welche Rolle das UNHCR nach Verabschiedung des Gesetzes spielen würde», so Lotfy.
Trotz Ägyptens Ratifizierung der Genfer Flüchtlingshilfekonvention 1981 war es bisher nicht der ägyptische Staat, sondern einzig das Ägypten-Büro des UNHCR, das im Land Asylanträge bearbeitete, Menschen einen Flüchtlingsstatus zusprach, entsprechende Ausweise ausstellte und – zumindest auf dem Papier – die Notversorgung von Flüchtlingen übernahm. Ägypten akzeptierte auf Grundlage eines Vereinbarungsprotokolls mit dem UNHCR von 1954 von diesem ausgestellte Statusdokumente als Identitätsnachweise, die für jene mit solchen Ausweisen als verbriefter Abschiebeschutz fungierten sollten. Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem oder dem formellen Arbeitsmarkt blieb Menschen mit UNHCR-Ausweis jedoch verwehrt.
Oder anders gesagt: «Die Regierung kümmert sich im Allgemeinen nicht um die Belange und das Leben von Flüchtlingen, es sei denn, es geht um Sicherheitsfragen», fassen die Migrationsforscherinnen Prof. Dr. Gerda Heck und Elena Habersky der American University in Cairo die Lage zusammen. Sollte der Entwurf ratifiziert werden, könnte sich das ändern.
Formalisierte Abschiebungen
Das Gesetz gewährt Flüchtlingen nun erstmals das Recht auf Bildung und Zugang zum Arbeitsmarkt. Doch es scheint Sicherheitserwägungen Vorrang vor dem Flüchtlingsschutz einzuräumen und damit das Asylrecht zu untergraben, warnt ECRF-Direktor Lotfy. «Der Text enthält weit gefasste Bestimmungen über «Handlungen, die die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung beeinträchtigen» könnten. Diese vage Formulierung räumt dem Komitee übermäßigen Ermessensspielraum ein, der der willkürlichen Ablehnung von Asylanträgen Tür und Tor öffnet», so der Menschenrechtler.
So gesteht der Entwurf Behörden zu, Asylbewerber*innen zu inhaftieren bis über ihren Antrag entschieden wurde und im Fall einer Ablehnung abzuschieben. Zusätzlich führt es den von EU und Grenzregimeverfechter*innen propagierten irreführenden Begriff der «freiwilligen Rückkehr» in ägyptisches Recht ein. Diese sei künftig in das «Heimatland» oder den «gewöhnlichen Aufenthaltsort» einer Person erlaubt. Mit diesen Bestimmungen formalisiert das Gesetz de jure die gegen internationales Recht verstoßende Inhaftierungs- und Abschiebepraxis der Behörden gegen Geflüchtete. Der Entwurf verbiete Flüchtlingen zudem, sich Gewerkschaften anzuschließen und ziele offenbar auch darauf ab, jede Art von Aktivismus seitens Geflüchteter zu kriminalisieren, heißt es beim ägyptischen Nachrichtenportal Mada Masr.
Die EU versucht dabei bereits seit Jahren Transitstaaten für Geflüchtete in Nordafrika dazu zu bringen, Asylgesetze zu verabschieden.
Letztere Bestimmungen sind angesichts der paranoiden Furcht der Behörden vor jedweder Form von Protesten oder Selbstorganisation wenig überraschend. In den letzten Jahren hatten sich immer wieder eritreische und sudanesische Geflüchtete vor dem UNHCR-Büro in der Satellitenstadt 6th of October City in Giza versammelt und gegen die Asylanerkennungspraxis der UN-Behörde und für bessere Lebensbedingungen protestiert. Ägyptens Polizei war gewaltsam gegen die Sit-ins vorgegangen, während der Inlandsgeheimdienst auf die Proteste mit Einschüchterungen, Drohungen und Vorladungen gegenüber sudanesischen Aktivist*innen geantwortet hatte.
Einschätzungen zum Asylgesetz sind derweil wenig optimistisch. Ein solches lasse viele irregulär im Land lebende Menschen darauf hoffen, endlich aus ihrer rechtlich prekären Lage herauszukommen. «Andererseits macht sich kaum jemand Illusionen darüber, dass ein Asylgesetz die Lebensumstände von Flüchtlingen ernsthaft verbessern würde», so die AUC-Professorin Heck. Andere Stimmen werden noch deutlicher. Ein solches Gesetz würde im «Desaster» enden, denn der Staat habe weder die Erfahrung noch die Kapazität, adäquate Asylverfahren durchzuführen, so ein Mitarbeiter einer NGO, der anonym bleiben will. ECRF fordert in einem Analysepapier die Revision des Entwurfs. Dieser müsse umfassend auf seine Vereinbarkeit mit der Genfer Konvention überprüft, vage gehaltene Bestimmungen müssten entfernt werden, so die NGO.
Ein trojanisches Pferd?
Unklar bleibt, ob das Regime den Entwurf tatsächlich in ägyptisches Recht überführen oder das Prozedere nur als Druckmittel gegenüber der von Grenzauslagerung nach Nordafrika besessenen EU einsetzen will – ganz nach dem Vorbild Marokkos. Dessen Regierung hatte 2014 begonnen ein solches Gesetz zu entwerfen, aber trotz der Fertigstellung zweier Entwürfe nie ratifizieren lassen. In Tunesien war 2017 ein Asylgesetz fertiggestellt worden, das ebenfalls nie dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt wurde. In der Türkei hingegen trat 2014 ein Asylgesetz in Kraft, das Kritiker*innen zufolge jedoch keinen adäquaten Flüchtlingsschutz bietet, sondern in mehreren Stufen das UNHCR als Entscheidungsinstanz über den Status Geflüchteter ausschaltete und vor allem im Kontext nationalistischer und geopolitischer Interessen der Regierung und dem Türkei-EU-Deal durchgesetzt worden war.
Im Falle Ägyptens wären beide Wege denkbar. Der Entwurf muss noch von Präsident Abdel Fattah Al-Sisi ratifiziert werden bevor er in Kraft tritt. Vor der Einführung nationaler Asylprozeduren ist zudem noch ein Dekret des Premierministers vorgesehen, in dem die administrativen Rahmenbedingungen für die Arbeit des Komitees festgelegt werden müssen. Mit diesen zwei ausstehenden Schritten hat Ägypten noch Spielraum, den Gesetzgebungsprozess zu verzögern und Gegenleistungen aus Europa einzufordern.
Die EU versucht dabei bereits seit Jahren Transitstaaten für Geflüchtete in Nordafrika dazu zu bringen, Asylgesetze zu verabschieden und hatte die Entwurfsprozesse in Tunesien, Marokko und Ägypten unterstützt. Sowohl das Ägypten-Büro des UNHCR als auch die EU-Asylagentur EUAA führen beispielsweise bereits seit Jahren Workshops und Trainings zugunsten ägyptischer Offizieller in Sachen Asylrecht und Asylmanagement durch. Solche Gesetze würden es EU-Staaten dabei potentiell erlauben, irregulär in die EU eingereiste Menschen in jene Staaten abzuschieben und Asylprozeduren somit auszulagern. Die Ratifizierung des Gesetzes in Ägypten wäre ein Präzedenzfall in Sachen EU-Grenzauslagerung in Nordafrika. Doch Ägyptens Regierung dürfte geschickt genug agieren, mit dem Gesetz nicht zum Zielland für Abschiebungen nicht-ägyptischer Menschen aus der EU zu werden. Kairo verfolgt mit dem Gesetz ganz eigene Ziele und will damit offenbar das UNHCR als jene Instanz ausmanövrieren, die darüber entscheidet, wer im Land einen Flüchtlingsstatus bekommt und wer nicht.
Zuckerbrot und Peitsche
Unterdessen gehen ägyptische Polizei- und Militärbehörden weiterhin rigoros gegen im Land lebende Geflüchtete und neu ankommende Flüchtlinge vor. Auf den Ausbruch des Krieges zwischen der sudanesischen Armee und der Miliz Rapid Support Forces, die zeitweise von der EU zwecks Migrationskontrolle in Teilen Sudans hochgerüstet wurde, reagierte Ägyptens Regime mit einer Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Kurz nach Kriegsbeginn begann in sozialen Medien in Ägypten eine koordinierte Hetzkampagne gegen Geflüchtete, erklärten mehrere Quellen übereinstimmend bei Gesprächen in Kairo. Aufgerufen wurde zu Abschiebungen oder dem Boykott von seitens Geflüchteter geführten Geschäften. Ägypten erlebe eine «Invasion» unzähliger irregulärer Migrant*innen, so eine ganz auf Linie der Hetzkampagne argumentierende ägyptische Parlamentsabgeordnete.
Während bereits Mitte 2023 von vereinzelten Abschiebungen in den Sudan berichtet wurde, initiierte Ägyptens Regierung im September überraschend eine Regularisierungskampagne, in deren Rahmen irregulär Eingereiste oder Menschen ohne gültige Papiere zur Legalisierung ihres Aufenthalts aufgerufen wurden. Gegen die Zahlung von 1000 US-Dollar versprach die Initiative Rechtssicherheit. Seither ist die Ausländer- und Visabehörde in Abbaseya im Osten Kairos stark überlaufen. Menschen mit abgelaufenem Visa müssen teils bis zu sechs Monate auf einen Termin warten. Zeitgleich verschärften die Behörden Visa- und Einreisebestimmungen für Menschen aus Sudan und Syrien und intensivierten Abschiebungen in beide Länder.
Mit dem Abkommen wollen Brüssel, Rom oder Athen Ägyptens Regime und die angeschlagene ägyptische Wirtschaft um jeden Preis stabilisieren und für Kairo Anreize schaffen, sich im Sinne der internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht aushöhlenden Migrations- und Grenzabschottungspolitik Europas stärker in dessen Grenzregime zu integrieren.
Seit Ablauf der auf ein Jahr befristeten Regularisierungskampagne im Juni 2024 greife wie schon während der ersten Abschiebewelle 2023 Panik unter Geflüchteten um sich, erklärt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation in Kairo im Interview. Zwar hatten Polizeibehörden schon 2023 mit systematischen Razzien, Massenverhaftungen und -abschiebungen vor allem in den Sudan begonnen. Doch seit Mitte 2024 herrsche eine Art Ausnahmezustand. Unzählige Geflüchtete trauen sich aus Angst vor Verhaftung und Ausweisung nicht mehr vor die Tür, so der Mitarbeiter, der anonym bleiben will. Viele werden nach Inhaftierung und Sicherheitschecks der Behörden nach zwei bis drei Wochen wieder freigelassen. Tausende Andere wurden seither allerdings in den Sudan abgeschoben.
Zwischen April und September 2023 seien nach UNHCR-Angaben mehr als 5000 Menschen in den Sudan ausgewiesen worden, 3000 davon allein im September. Im November seien es mindestens 1600 gewesen, darunter auch anerkannte Flüchtlinge. Weitere 800 Menschen seien zwischen Januar und März 2024 abgeschoben worden, Presseberichte bestätigen weitere 700 Ausweisungen im Juni. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, werden Geflüchtete doch inzwischen von Polizei und Armee unmittelbar nach Grenzübertritten verhaftet, ihrer Telefone beraubt und nach einigen Wochen Haft in Polizeistationen, dem Shellal-Camp der Bereitschaftspolizei in Aswan oder provisorisch errichteten Einrichtungen der Armee in Buskonvois an die Grenze gefahren. Todesfälle bei den gefährlichen irregulären Grenzübertritten mehren sich ebenfalls.
Europas beispiellose Charmeoffensive
Für die EU und ihre Mitgliedstaaten ist der Krieg im Sudan zentraler Beweggrund für ihre zuletzt zusätzlich intensivierte Migrations- und Militärkooperation mit Al-Sisis Regime. Seit Kriegsbeginn 2023 wurden nach UN-Angaben mehr als 11,6 Millionen Menschen im Sudan vertrieben, rund 1,2 Millionen davon flohen nach Ägypten. Die Zahl der beim Ägypten-Büro des UNHCR registrierten Flüchtlinge und Asylbewerber*innen hat sich in nur einem Jahr auf 800,000 Menschen mehr als verdoppelt, die Zahl registrierter Sudanes*innen auf 513,000 fast verdreifacht (Stand: Oktober 2024). Im laufenden Jahr schloss die UN-Behörde dabei Asylanerkennungsprozeduren für gerade einmal 9,000 Menschen ab, während 3,630 Menschen aus Ägypten in ein Drittland umgesiedelt wurden – im Vorjahr waren es lediglich 863. Geflüchtete aus Sudan und anderen Staaten stecken de facto in Ägypten fest – und die EU setzt alles daran, damit das so bleibt.
Im Rahmen ihrer als humanitäre Hilfe verschleierten Migrationseindämmungspolitik hatte die EU 2023 25 Millionen Euro Unterstützungsgelder für schutzbedürftige Flüchtlinge und aus Sudan geflohene Menschen bereitgestellt – und gleichzeitig Gespräche mit Ägypten über ein umfassendes Stabilisierungspaket intensiviert. Im März 2024 reiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit den Regierungschefs Griechenlands, Zyperns, Italiens, Österreichs und Belgiens nach Kairo und signierte ein 7,4 Milliarden Euro schweres Hilfspaket zugunsten Ägyptens, bestehend aus Krediten, Budgethilfen, Investitionen und Mitteln für Grenzsicherungsprojekte in Höhe von 200 Millionen Euro. Wie bereits seit Jahren von der EU und ihren Mitgliedstaaten praktiziert, verknüpft der Deal Migrations- und Entwicklungsfragen und will den Weg bereiten für eine engere Kooperation zwischen ägyptischen Behörden und EU-Agenturen wie Europol, Frontex oder EUAA.
Israels systematische Massenvertreibungen in Palästina und der Einmarsch der israelischen Besatzungsarmee im Libanon sind derweil ebenso wie der Krieg im Sudan Wasser auf den Mühlen von Fluchtbewegungen in der Region und damit auch der EU-Grenzauslagerungspolitik im östlichen Mittelmeer.
Mit dem Abkommen wollen Brüssel, Rom oder Athen Ägyptens Regime und die angeschlagene ägyptische Wirtschaft um jeden Preis stabilisieren und für Kairo Anreize schaffen, sich im Sinne der internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht aushöhlenden Migrations- und Grenzabschottungspolitik Europas stärker in dessen Grenzregime zu integrieren. Die EU verfolgt in diesem Sinne derzeit vor allem drei Ziele im Land: die Verhinderung der Weiterreise sudanesischer Flüchtlinge nach Europa, die Schließung der Fluchtroute zwischen Ostlibyen und der griechischen Insel Kreta sowie die Aufrechterhaltung von Ägyptens Beihilfe beim Management palästinensischer Flüchtlinge, die für Israels andauernden Genozid in Gaza keineswegs irrelevant ist.
Angesichts ansteigender irregulärer Ankünfte ägyptischer Staatsbürger*innen in der EU in den letzten Jahren sowie der Flucht von Menschen aus Ostafrika via Ägypten nach Libyen hatte die EU-Kommission schon 2022 ein Grenzmanagementprojekt zugunsten der ägyptischen Küstenwache in Höhe von 80 Millionen Euro initiiert. Während mit diesen Mitteln unter anderem Patrouillenboote finanziert werden, gab Brüssel im Juni 2024 20 Millionen Euro für gepanzerte Fahrzeuge, Drohnen und Radargeräte zugunsten des ägyptischen Militärs frei, die an den Grenzen zu Libyen eingesetzt werden sollen.
Von zentraler Bedeutung für den Milliarden-Deal im März ist derweil ebenso Israels völkerrechtswidriger Krieg in Gaza, der unzähligen Stellungsnahmen israelischer Offizieller zufolge auf die systematische Zerstörung Gazas und die fast vollständige Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung des Landstrichs abzielt. Ägyptens Weigerung, palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen und damit die Zerstörungs- und Siedlungspläne israelischer Hardliner in Gaza noch zusätzlich zu befeuern, ist dabei weniger Ausdruck der Palästinasolidarität des ägyptischen Staates, sondern eher Sicherheitserwägungen des paranoiden ägyptischen Militär- und Polizeiapparates und Ägyptens Zugang zu Krediten und Zuschüssen aus dem Westen geschuldet. Ägyptens Kollaboration mit Israel und seinen Verbündeten in Sachen Management seiner Grenze zu Palästina bleibt schließlich zentral für jedwedes mögliches Zukunftsszenario in Gaza. Dabei werden Solidaritätsproteste in Ägypten von den Behörden weiter konsequent aufgelöst und kriminalisiert.
Athens stille Anti-Migrationsdiplomatie
Israels systematische Massenvertreibungen in Palästina und der Einmarsch der israelischen Besatzungsarmee im Libanon sind derweil ebenso wie der Krieg im Sudan Wasser auf den Mühlen von Fluchtbewegungen in der Region und damit auch der EU-Grenzauslagerungspolitik im östlichen Mittelmeer. Brüssel hatte angesichts der zunehmenden Flucht von Menschen aus dem Libanon, Syrien oder Palästina nach Zypern 2024 auch mit Beirut einen Migrationsdeal durchgedrückt, während libanesische Behörden schon seit 2023 deutlich kompromissloser als zuvor Abschiebungen nach Syrien durchführen und Boote auf dem Weg nach Zypern abfangen. Die zypriotische Küstenwache fängt ihrerseits immer öfter im Libanon in See gestochene Flüchtende ab und führt diese unter Verletzung internationalen Rechts in den Libanon zurück – ganz nach dem Vorbild Griechenlands.
Athens rigoroses Vorgehen gegen Geflüchtete ist heute weit über Europas Grenzen hinaus berüchtigt und reicht von illegalen Refoulementpraktiken über die Kriminalisierung Geflüchteter bis zu einer Lagerpolitik auf den griechischen Inseln, die europaweit ihresgleichen sucht. «Griechenland hat eine lange Geschichte von Pushbacks und Sammelabschiebungen ohne Prüfung des Schutzbedarfs von Menschen aus Drittstaaten, an Land und auf See», so die Migrationsforscherin Maria Paraskeva in einem Bericht für das Athen-Büro der RLS. Pushbacks folgen einem jahrzehntelangen Muster und würden routinemäßig und systematisch durchgeführt.
Die von liberalen politischen Kräften verfolgte ‹Fluchtursachenbekämpfung› in Staaten wie Ägypten ist nicht mehr als ein pervertierter Euphemismus für eine neokoloniale Politik, die der Öffentlichkeit vorgaukelt, als ‹Entwicklungsprojekte› bezeichnete Almosenverteilung im Globalen Süden könne Zuwanderung technisch abstellen.
Heute vor allem im Fokus von Grenzregimeakteuren ist dabei die seit 2023 immer stärker frequentierte Fluchtroute zwischen dem ostlibyschen Tobruk und Kreta. Immer wieder kentern auch hier Boote mit Menschen, die via Ägypten nach Libyen eingereist sind – zuletzt im Oktober 2024. Trotz dieser Entwicklungen unterlassen es die griechischen Behörden, systematisch auf die zunehmenden Migrationsbewegungen nach Kreta aufmerksam zu machen und einen konkreten Plan zum Umgang mit der Situation vorzulegen, erklärt Pareskeva im Gespräch. «Die jüngste Ankunft von 200 Menschen auf Kreta im Oktober 2024 und die Ankunft von 1500 Menschen auf der kleinen südlich von Kreta liegenden Insel Gavdos im April 2024 wurde von der griechischen Presse zumindest thematisiert und die Behörden waren gezwungen, sich dazu zu äußern. Dennoch versucht die Regierung den Anschein zu erwecken, als hätten die Behörden die Situation vollständig im Griff und Migrationsbewegungen nach Griechenland erfolgreich eingedämmt.»
Auch angesichts dieses von der Regierung gepflegten Narrativs sei Griechenlands konservativer Premierminister Kyriakos Mitsotakis im März mit der EU-Kommissionspräsidentin nach Kairo gereist. «Die Regierung hat Angst, dass künftig mehr Menschen aus Ägypten über die Kreta-Route nach Europa kommen», so Pareskeva. Kein Wunder also, dass die griechische Küstenwache auf der Südroute bereits in zwei vom Alarmphone bestätigten Fällen die Ausschiffungen von durch Handelsschiffe aus Seenot geretteten Flüchtenden verweigert und diese nach Port Said in Ägypten umgeleitet hatte. Bisher sei diese Politik auf der Süd-Route jedoch nicht systematisch, so die SAR-NGO in einem Bericht.
«Das Eindämmen unerwünschter Mobilität»
Ägyptens Regime hatte schon 2016 Migrationsbewegungen erfolgreich dafür genutzt, sich in Verhandlungen mit Kreditgebern einen Vorteil zu verschaffen und sich nach dem blutigen Putsch von 2013 auf dem internationalen Parkett zu rehabilitieren. Damals hatte Al-Sisi nach dem Kentern eines Fischtrawlers vor der ägyptischen Mittelmeerküste die Seegrenzen schließen lassen und sich damit als verlässlicher Partner in Sachen Migrationskontrolle in Szene gesetzt. Die migrationspolitischen Entwicklungen in Ägyptens Nachbarschaft in den letzten Jahren haben dem Regime nun abermals Gelegenheit gegeben, stärkere Migrationskontrolle gegen Kredite, Zuschüsse oder Investitionen einzutauschen.
Die nach dem Vorbild Algeriens nun auch in Ägypten angewandte und gegen internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht verstoßende Politik, hunderte Menschen gleichzeitig in Buskonvois in südliche Nachbarstaaten abzuschieben, ist dabei Anzeichen dafür, dass die von der EU propagierte Grenzregimelogik inzwischen auch in Ägypten voll und ganz Fuß gefasst hat. Das noch zu ratifizierende Asylgesetz wäre derweil ein weiteres Mosaik eines erfolgreich nach Nordafrika ausgelagerten EU-Grenzregimes. Dieser und andere Schritte zeigen dabei, wie die von der EU holistisch vorangetriebene Migrations- und Entwicklungspolitik in Staaten wie Ägypten versuche, die «politische, humanitäre und migratorische Landschaft» eines Landes mit dem Ziel umzugestalten, «unerwünschte Mobilität aufzunehmen, zu integrieren und einzudämmen», meinen die AUC-Wissenschaftlerinnen Heck und Habersky.
Die von liberalen politischen Kräften verfolgte «Fluchtursachenbekämpfung» in Staaten wie Ägypten ist dabei nicht mehr als ein pervertierter Euphemismus für eine neokoloniale Politik, die der Öffentlichkeit vorgaukelt, als «Entwicklungsprojekte» bezeichnete Almosenverteilung im Globalen Süden könne Zuwanderung technisch abstellen. Die dringend notwendige Debatte über die strukturellen wirtschafts- und handelspolitischen Abhängigkeiten zwischen Staaten des Globalen Nordens und Südens wird dabei durch die Dominanz dieses verzerrten Entwicklungsdiskurses weiter untergraben, während internationales Menschen- und Flüchtlingsrecht zusätzlich ausgehöhlt wird. Kein Wunder also, dass sich die EU-Kommission und Regierungen in Berlin, Rom oder Athen nicht darum scheren, von Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch im Kontext ihrer Grenzauslagerungspolitik in Nordafrika der Komplizenschaft bei Menschenrechtsverletzungen beschuldigt zu werden.