Nach zwei Jahren Ringen in der Ampelkoalition hat Karl Lauterbach (SPD) seine Krankenhausreform Ende November auch durch den Bundesrat gebracht. Die Versprechen, wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern und vor allem von den dort Beschäftigten zu nehmen, wird die Reform nicht halten. Stattdessen drohen Krankenhausschließungen, die noch größere Lücken in die Gesundheitsversorgung reißen, vor allem im ländlichen Raum. Ein Kommentar von Nadja Rakowitz.
Dr. phil. Nadja Rakowitz ist Medizinsoziologin und arbeitet für den Verein demokratischer Ärzt*innen, der zum Bündnis Krankenhaus statt Fabrik gehört; sie macht Bildungsarbeit für die RLS und ver.di.
Die Krankenhauslandschaft in Deutschland ist dringend reformbedürftig. Für 2024 erwarten 70 Prozent der Kliniken betriebswirtschaftlich ein negatives Ergebnis. Vielen droht die Insolvenz. Nach 20 Jahren kapitalistischer Ökonomisierung und Konkurrenz durch Fallpauschalen (DRG), und den Verwerfungen durch die Corona-Pandemie sind die Zustände dramatisch. Es braucht dringend eine «Entökonomisierung». Eine Rückkehr zur Daseinsvorsorge. Noch besser wäre die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigte Revolution.
Beides hatte Lauterbach im Herbst 2022 zusammen mit dem angeblich dazu passenden Reformkonzept vorgelegt. Die Vorstellung dieses Konzepts im Bundestag wurde autoritär gerahmt. Der Opposition wurde vorgeworfen, dass sie sich anmaße, Kritik zu üben. Wo das doch ein wissenschaftlich erarbeitetes Konzept sei. Was von der Wissenschaftlichkeit der Papiere der Kommission zu halten ist, hat das Bündnis «Krankenhaus statt Fabrik» seitdem für jedes einzelne Papier vorgeführt – ohne allerdings irgendwo gehört oder zur Kenntnis genommen zu werden. Nach verschiedenen Auseinandersetzungen vor allem mit den Landesvertretern, die vom Gesetz her die Krankenhausplanung beanspruchen, wurde nun im Oktober 2024 im Bundestag das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) verabschiedet. Und auch - nach vergeblichen Protesten – vom Bundesrat durchgewunken. Damit kann die Reform am 1. Januar 2025 in Kraft treten.
Nun könnte es noch Klagen von Bundesländern vor dem Bundesverfassungsgericht geben: Zum einen werden die grundgesetzlich geregelten Planungsbefugnisse der Länder mit dem KHVVG unterlaufen. Zum anderen ist die Absicht des Bundesgesundheitsministers, die Kosten der Umstrukturierung der Krankenhäuser zur Hälfte den gesetzlichen Krankenkassen aufzubürden, ein Rechtsbruch. Und ein politischer Skandal. GKV-Versichertenbeiträge sind nicht dafür da, Transformationsprozesse in der stationären Versorgung zu finanzieren. Sie sollen allein zur gesundheitlichen Versorgung der Versicherten verwendet werden. Die Gesetzlichen Krankenkassen überlegen deshalb auch zu klagen. Die gesamte Umsetzung soll bis 2029 dauern und mit einem Transformationsfonds von 50 Milliarden Euro finanziert werden.
Was wird die Reform bringen?
Nicht das, was der Minister und mit ihm nahezu die gesamten Presse- und Medienvertreter behaupten: nicht mehr Qualität, nicht mehr finanzielle Sicherheit für kleine Häuser, keine Entmachtung der Fallpauschalen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes wurde von Karl Lauterbach klar und offen ausgesprochen, dass es keine Brückenfinanzierung für die von Schließung bedrohten Krankenhäuser geben wird. Durch diese Reform werden in den nächsten Jahren hunderte Krankenhäuser – von aktuell 1.719 – geschlossen. Das KHVVG wird nicht – wie versprochen – den rein betriebswirtschaftlich getriebenen kalten Strukturwandel der Kliniklandschaft stoppen. Im Gegenteil: das Sterben insbesondere kleinerer Krankenhäuser auf dem Land wird verstärkt – gleichgültig, ob diese für die Versorgung der Bevölkerung notwendig sind oder nicht.
Wenn man genau hinschaut, stellt man schnell fest, dass dieser Reform kleinere, aber zertifizierte Häuser mit guter Qualität zugunsten von großen Häusern zum Opfer fallen werden.
Die Vorhaltepauschalen sind keine: Krankenhäuser müssen für ungeplante und unvorhersehbare Situationen Betten, Personal und Behandlungseinrichtungen bereithalten. Das verursacht über die Behandlung der Patienten hinaus Kosten, die sogenannten Vorhaltekosten. Es wäre absolut sinnvoll, diese zu finanzieren. Doch die im Gesetz angekündigte und angeblich von den Fallpauschalen und ihrer Mengenlogik losgelöste Vorhaltefinanzierung deckt diese Kosten überhaupt nicht ab, sondern ist mit dem Fallpauschalensystem gekoppelt und errechnet sich aus der Anzahl und Schwere der in vorangegangenen Jahren behandelten Fälle. Zusätzlich wird die Vorhaltevergütung nur bei Erreichen von Mindestfallzahlen für diese Behandlungsfälle gezahlt. Die Höhe dieser Vergütung hängt von der Zahl der behandelten Patienten im ganzen Bundesland ab. Diese Einnahmen sind für ein Krankenhaus weder planbar. Sie sind unkalkulierbar. Auch sind die Vorhaltepauschalen nicht zweckgebunden. Es können damit auch Gewinne gemacht werden.
Mehr Spezialisierung
Weiterer zentraler Bestandteil des KHVVG ist die Einführung von 65 Leistungsgruppen. Ihnen werden sämtliche medizinische Leistungen – also alle DRG – der Krankenhäuser zugeordnet. Das sollen genauer definierte Leistungsgruppen sein – also etwa «Kardiologie» statt nur die Bezeichnung «Innere Medizin». Die Leistungsgruppen legen bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und Mindestanforderungen an deren personelle und technische Ausstattung fest. Ziel soll sein, dass zum Beispiel Krebsbehandlungen nur noch in Kliniken mit entsprechender Expertise durchgeführt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Mittel aber zu grob. Denn wenn man genau hinschaut, stellt man schnell fest, dass dieser Reform kleinere, aber zertifizierte Häuser mit guter Qualität zugunsten von großen Häusern zum Opfer fallen werden.
Es fehlt jede Planung von sektorenübergreifenden Strukturen, um die Lücke zwischen fehlenden Krankenhäusern und dem ambulanten Sektor zu schließen.
Welche Leistungsgruppen künftig von welchem Krankenhaus angeboten werden dürfen, entscheidet die die Landesregierung und ist Voraussetzung für die Abrechnungsberechtigung. Da im KHVVG aber zusätzlich Mindestbehandlungszahlen für jede Leistungsgruppe vorgesehen sind, wird aus eigentlich sinnvoller Planung ein zusätzlicher Anreiz zur Steigerung der Behandlungsfälle. Der ist noch stärker als im bisherigen DRG-System, denn es geht bei Nichterreichen der geforderten Patientenzahlen um den Verlust von 40 Prozent aller Einnahmen der jeweiligen Leistungsgruppe.
Zusätzlich droht eine Bürokratieorgie durch die Einführung einer kleinteiligen, hoch komplizierten Abrechnungssystematik für die Vorhaltevergütung. Im Ergebnis sind die gesetzlichen Bestimmungen zu den Leistungsgruppen ein massiver Eingriff in die Planungshoheit der Länder und dienen zur Marktbereinigung und Zentralisierung.
Die Lücke wird zwischen stationäre und ambulanter wird größer
Die Krankenhausreform wird zu Schließungen von Krankenhäusern führen, ohne dass es einen demokratisch geplanten Ersatz für die dann fehlende Versorgungsstruktur z.B. durch ein Primärversorgungssystem geben wird. Die finanziellen Anreize mit Auswirkung auf medizinische Behandlungsentscheidungen werden zunehmen. Noch mehr in den Hintergrund werden dann die Bedürfnisse der Patienten treten. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten werden sich verschlechtern, der Fachkräftemangel als Folge davon ein noch größeres Ausmaß annehmen. Die Finanzierung bedarfsnotwendiger Krankenhäuser in erreichbarer Nähe ist nach wie vor nicht gesichert. Gerade die Versorgung von Schwangeren und Gebärenden gestaltet sich von Tag zu Tag schwieriger und eine Lösung ist nicht in Sicht. Es fehlt jede Planung von sektorenübergreifenden Strukturen, um die Lücke zwischen fehlenden Krankenhäusern und dem ambulanten Sektor zu schließen. Und die in sektorübergreifende Versorger umgewandelten Krankenhäuser sind alles andere als der Anfang eines Primärversorgungsystems, das im Übrigen aus dem anderen großen Reformvorhaben für die ambulante Versorgung, dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzt GVSG, am Ende wieder rausgestrichen wurde.
Besser keine Reform als diese Reform! Dieser Slogan ist der richtige im Protests gegen die Reform. Auch wenn er ohne Wirkung blieb: Widerstand ist weiterhin nötig. Und eine Forderung: Die nach der Rückkehr zur Daseinsvorsorge und der ihr entsprechenden Finanzierungslogik: die Selbstkostendeckung.