Kommentar | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Rosalux International - Globalisierung - Westeuropa - Cono Sur - Freihandel EU-Mercosur-Abkommen: Ein Rückschritt für Klimapolitik und gerechten Handel

Andreas Behn über das neue Freihandelsabkommen der EU

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Andreas Behn,

Mercosur-Gipfel in Montevideo: EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen posiert mit den Staatspräsidenten Javier Milei (Argentinien), Luis Lacalle Pou (Uruguay), Luiz Inacio Lula da Silva (Brasilien) und Santiago Pena (Paraguay). 6.11.2024 Foto: picture alliance / REUTERS | Martin Varela Umpierre

Beim Gipfeltreffen der Mercosurstaaten in Uruguay hat die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, am Freitag den Abschluss der Verhandlungen über eine gemeinsame Freihandelszone verkündet. Es ist keine gute Nachricht für das Klima und gerechtere Handelsbeziehungen zwischen Süd und Nord. Einerseits  fördert das Abkommen die industrielle Landwirtschaft in Südamerika, also unökologische Monokulturen und Viehzucht, die sich im Amazonasgebiet immer weiter ausbreiten, die Abholzung anheizen und Konflikte um Landbesitz auch mit Indigenen provozieren. Andererseits fördert der Abbau von Zöllen europäische Industrieexporte, was die schüchternen Versuche insbesondere in Brasilien, die eigene Industrie aufzubauen und konkurrenzfähig zu machen, im Keim ersticken wird.

Andreas Behn, Journalist und Soziologe, leitet das RLS-Regionalbüro in São Paulo.

Nach wie vor ist das Abkommen auch in Europa sehr umstritten. Länder wie Frankreich oder Polen sind gegen einen Abschluss, da sie um ihre eigene Landwirtschaft fürchten. Deswegen bezieht sich die Ankündigung, dass die Verhandlungen nun endlich nach 25 Jahren gemeinsamer Gespräche abgeschlossen wurden, nur auf den wirtschaftlichen Teil des Abkommens.

Diesen kann die EU per Mehrheit beschließen, also auch gegen das Votum einzelner Mitgliedsstaaten. Nur für das Gesamtabkommen inklusive politischen Dialogs und Kooperation ist ein Konsens Voraussetzung.

Insofern ist die am Freitag verkündete Einigung vorerst nur eine Absichtserklärung, da der Beschluss noch durch weitere Instanzen und letztendlich von den Parlamenten verabschiedet werden muss. Auch Unterschriften gibt es noch nicht, da der Konsenstext erst noch juristisch geprüft und übersetzt werden muss.

Die seit der Kolonialzeit bestehende Tendenz, dass der Norden Industrieprodukte exportiert und der Süden dafür zuständig ist, billige Rohstoffe wie Erze und landwirtschaftliche Produkte bereitzustellen, bleibt erhalten.

Insbesondere Deutschland hat stetig den Druck erhöht, das Abkommen unter Dach und Fach zu bringen. Als Exportland von Industrieprodukten insbesondere im Automobilsektor und im Pharmabereich erleichtert das Freihandelsabkommen den Zugang zu einem großen Absatzmarkt. Dies bedeutet aber auch, dass in Südamerika nun noch mehr extrem umweltschädliche Pestizide, deren Einsatz im globalen Norden schon längst verboten ist, versprüht werden und Böden sowie Nahrungsmittel vergiften werden.

Geopolitische Konkurrenz mit China

Im Prinzip war das Freihandelsabkommen bereits 2019 ausverhandelt. Doch der Streit über die Agrarwirtschaft flammte immer wieder auf und verhinderte eine Umsetzung. Auch dass in Brasilien der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro im gleichen Jahr die brasilianische Präsidentschaft übernahm, behinderte den Prozess, da er international auch wegen seiner Leugnung der Klimakrise weitgehend isoliert war. Dass jetzt die Präsidentschaft des abstrusen Rechtspopulisten Javier Milei in Argentinien kein Hinderungsgrund für gemeinsame Abkommen darstellt, ist bedenklich, da auch er keinerlei Interesse an Klimapolitik zeigt und generell Arbeits- und Menschenrechte für überflüssig hält.

Ein wichtiges Argument für den Vertragsabschluss ist aus europäischer Sicht auch die Geopolitik. Angesichts der Umwälzungen in der Weltordnung ist es für Europa wichtig, die Verbindungen zu Südamerika zu straffen, was lange vernachlässigt wurde. Inzwischen ist China für viele Staaten, unter anderem Brasilien, der wichtigste Handelspartner und baut seinen Einfluss mittels Investitionen insbesondere in Infrastrukturprojekte immer weiter aus. Das Abkommen mit den vier Mercosurstaaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay soll die vor allem kulturell bestehenden Verbindungen nun auch wirtschaftlich festzurren. Zudem sollte die Position des Westens damit gestärkt werden, da Brasilien als Gründungsland des BRICS-Staatenverbunds immer wieder deutlich gemacht hat, dass Bündnispartner weltweit und nicht nur in Nordamerika und Europa gesucht werden.

Ein ungerechter Vertrag

Dabei hat die europäische Seite allerdings versäumt, dem Mercosur halbwegs gerechte Handelsstrukturen anzubieten. Neoliberale Grundmuster, in denen den größten Unternehmen innerhalb der Marktlogik immer bessere Ausgangsbedingungen eingeräumt werden, prägen das Abkommen. Andere Standards im Bereich Umwelt, Sozial- oder Arbeitsrechte sind nebensächlich. Die seit der Kolonialzeit bestehende Tendenz, dass der Norden Industrieprodukte exportiert und der Süden dafür zuständig ist, billige – weil unverarbeitete – Rohstoffe wie Erze und Mineralien oder eben landwirtschaftliche Produkte bereitzustellen, bleibt erhalten und wird in diesem Freihandelsvertrag zusätzlich festgeschrieben.

Die Steigerung des Handelsvolumens in der weltweit größten Freihandelszone mit über 700 Millionen Menschen wird voraussichtlich stattfinden. Doch insbesondere die Mehrheit der Bevölkerung in Südamerika wird kaum profitieren. Die dortige industrielle Landwirtschaft schafft nur wenig Arbeitsplätze und investiert ihre riesigen, oft steuerfreien Gewinne kaum in das Wohl der Menschen vor Ort. Die bestehende Deindustrialisierung wird angesichts der übermächtigen Konkurrenz aus dem Norden fortschreiten, sich negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken und auch im Bereich neuer Investitionen nur wenig positive Effekte zeitigen. Zivilgesellschaftliche Gruppen und soziale Bewegungen vor allem im Süden haben sich deswegen vehement gegen einen Abschluss des Abkommens ausgesprochen. Zurecht befürchten sie, dass mehr Profite bestimmter Unternehmen auf beiden Seiten im Endeffekt mehr Ungerechtigkeit und weniger Wohlstand für Viele nach sich ziehen werden.