Analyse | Andenregion Präsident ohne demokratische Legitimation

In Venezuela steht Nicolás Maduro vor seiner dritten Amtszeit. Von Tobias Lambert

Information

Wandgemälde in Caracas: Neben einem Porträt des verstorbenene ehemaligen Präsidenten Hugo Cháves steht auf spanisch: «Die Hoffnung liegt auf der Straße»
«Die Hoffnung liegt auf der Straße?» Das sah Venezuelas Regierung nach der Wahl anders. Foto: Tobias Lambert

Trotz offensichtlichen Wahlbetrugs wird Nicolás Maduro am 10. Januar 2025 voraussichtlich erneut als Präsident Venezuelas vereidigt werden. Die Opposition hat dem wenig entgegenzusetzen. Der politische Spielraum schwindet, es droht eine Verhärtung des wirtschaftsliberalen und autoritären Kurses.

Nach außen hin gibt sich Edmundo González unbeirrt. «Der Plan ist, für den 10. Januar nach Caracas zurückzukehren und mich dort vereidigen zu lassen», erklärte der diesjährige Präsidentschaftskandidat der venezolanischen Opposition Ende November. Auch die eigentliche Oppositionsführerin María Corina Machado, die aufgrund eines Antrittsverbotes nicht an der Wahl teilnehmen durfte, betont unerlässlich, man werden «dem Sieg Geltung verschaffen». Es klingt, als steuere Venezuela auf einen Showdown am 10. Januar zu, an dem laut Verfassung die neue präsidiale Amtszeit beginnt.

Sowohl der amtierende Präsident Nicolás Maduro als auch die rechte Opposition erheben Anspruch darauf, die Wahl am 28. Juli 2024 gewonnen zu haben.

Tobias Lambert arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer zu Lateinamerika. Seit Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Venezuela. Im Oktober 2024 erschien sein Buch «Gescheiterte Utopie? Venezuela ein Jahrzehnt nach Hugo Chávez».

Tatsächlich dürfte sich González‘ Plan, sich im Januar als Präsident vereidigen zu lassen, schwierig gestalten: Während Maduro dank der Kontrolle sämtlicher politischer Institutionen weiterhin fest im Sattel zu sitzen scheint, befindet sich der Oppositionskandidat seit September im spanischen Exil. Machado wiederum ist untergetaucht. Gegen beide Oppositions-politiker*innen liegen in Venezuela Haftbefehle vor.

Größere Proteste gegen den intransparenten Verlauf der Wahl gab es nur in den Tagen unmittelbar nach der Wahl, als etwa 2.000 Personen verhaftet wurden, von denen die meisten noch immer hinter Gittern sitzen. Die Bildung einer Regierung im Exil schließt González bislang aus. Dass die rechte venezolanische Opposition über offene oder geheime Verhandlungen noch einen Machtwechsel erreicht, ist mehr als unwahrscheinlich.

Regierung lässt das Wahlergebnis absegnen

Laut offiziellen Angaben erreichte Maduro bei der Wahl am 28. Juli 2024 51,2 Prozent der Stimmen, während González lediglich 43,2 erhielt. Unabhängig nachprüfen lässt sich dieses Ergebnis nicht: Obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet ist, hat der Nationale Wahlrat (CNE) keine detaillierten, nach Wahllokalen aufgeschlüsselten Ergebnisse veröffentlicht. Die Opposition wiederum gibt an, die Wahl mit 67 Prozent klar gewonnen zu haben. Nach eigenen Angaben verfügt sie über 83 Prozent der Wahlakten, die dieses Ergebnis belegen. Die Stimmabgabe in Venezuela erfolgt seit 2004 an elektronischen Wahlmaschinen, die das Ergebnis sowohl in Form digitaler als auch gedruckter Akten übermitteln. Als zusätzlicher Sicherheitsfaktor wird jede einzelne Stimme zudem per Kontrollausdruck quittiert. Bereits wenige Tage nach der Wahl veröffentlichte die Opposition die Wahlakten im Internet, um das Ergebnis zu untermauern. Die Regierung spricht von einer Fälschung, ohne jedoch ihrerseits die Akten zu veröffentlichen, wie es die Regierungspartei PSUV etwa 2013 tat, um Maduros damals knappen Wahlsieg zu beweisen. So sprechen alle Indizien dafür, dass die Regierung Maduro die Ergebnisse nicht offenlegen kann, weil sie die Wahl verloren hat.

Statt der Öffentlichkeit transparente Ergebnisse zu präsentieren ließ die Regierung das Wahlergebnis vom Obersten Gericht (TSJ) überprüfen, das als regierungstreu gilt und die Wahl wenig überraschend abnickte. Versuche unabhängiger (darunter auch linker) Oppositioneller, dieses Vorgehen rechtlich anzufechten, wies das TSJ ab. Das offizielle Wahlergebnis basiert somit bis heute lediglich auf einem Zettel, den der CNE-Vorsitzende Elvis Amoroso im Fernsehen verlesen hat. So wird Nicolás Maduro seine nächste Amtszeit am 10. Januar 2025 ohne demokratische Legitimation antreten.

Kritik verbündeter Regierungen

Die Regierung will das Kapitel Präsidentschaftswahl nun schnellstmöglich schließen und zur Tagesordnung übergehen. Maduros Kernanhängerschaft hält ihm dabei trotz des offensichtlichen Wahlbetrugs weiterhin die Stange. Für sie besitzen die USA, die EU und andere westliche Akteure, die nun das Wahlergebnis international anzweifeln, keine Glaubwürdigkeit. Denn diese haben sich seit jeher auf Seiten der rechten Opposition geschlagen, selbst wenn sie selbst undemokratische Manöver anwendete. Auch die Mitte-links-regierten Nachbarländer Brasilien und Kolumbien haben es nicht geschafft, auf Caracas einzuwirken. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro und sein brasilianischer Amtskollege Luiz Inácio Lula da Silva fordern zwar nach wie vor eine transparente Offenlegung der Ergebnisse. Die venezolanische Regierung wies diese Forderungen ihrer ursprünglich Verbündeten jedoch schroff als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück. Seit Brasilien beim Treffen der BRICS-Staaten im Oktober mit Hinweis auf die intransparente Wahl auch noch eine sofortige engere Assoziierung Venezuelas an das Staatenbündnis verhinderte, gilt Lula in regierungsnahen venezolanischen Kreisen gar als US-nah.

Nach jetzigem Stand wird Maduro also eine dritte Amtszeit antreten. Der Opposition bleibt vorerst nur die Hoffnung auf internationalen Druck, der sie dem Präsidentenpalast in der Vergangenheit jedoch kein Stück nähergebracht hat. Aus Europa erhielt sie in den vergangenen Monaten zwar Rückendeckung. Im September verlieh der Europarat Machado den «Václav-Havel-Preis für Menschenrechte». Im Oktober sprach das EU-Parlament Machado und González den «Sacharow-Preis für geistige Freiheit» zu, der bereits 2017 an die venezolanische Opposition ging.

Der entscheidendere Akteur hingegen sind die USA. Nach seinem Wahlsieg kehrt mit Donald Trump am 20. Januar 2025 jener Präsident ins Weiße Haus zurück, der während seiner ersten Amtszeit (2017 bis 2021) erfolglos versucht hatte, Maduro mit einer Strategie des «maximalen Drucks» zu stürzen. Dazu zählte die schrittweise Verhängung harter Wirtschaftssanktionen gegen den Erdöl- und Finanzsektor ab 2017, die Anerkennung des selbsternannten oppositionellen «Interimspräsidenten» Juan Guaidó ab 2019 sowie die offene Androhung einer Militärintervention.

USA auf Konfrontationskurs

Erste Personalentscheidungen Trumps deuten auf einen erneuten Konfrontationskurs hin. Mit dem designierten Außenminister Marco Rubio, der aus einer exilkubanischen Familie stammt, wird ein Hardliner an die Spitze des State Department gelangen, der kein Freund von Verhandlungen mit Venezuela ist. Maduro hingegen scheint darauf zu setzen, dass die USA in der aktuellen weltpolitischen Lage weiterhin dringend Erdöl aus Venezuela benötigen und zudem kein Interesse an einer erneuten wirtschaftlichen Destabilisierung Venezuelas haben dürften, welche die Migrationszahlen weiter ansteigen lassen würde. Mit der scheidenden Biden-Administration hatte Maduro im Oktober 2023 auf dieser Grundlage eine vorübergehende Lockerung der US-Sanktionen ausgehandelt. Im Gegensatz versprach er die Rücknahme venezolanischer Migrant*innen und unterzeichnete mit der rechten Opposition in Barbados ein Abkommen über transparente Wahlen, das letztlich nur teilweise umgesetzt wurde. Ein Grundproblem bleibt, dass vor der Wahl keine Garantien für einen möglichen Machtwechsel ausgehandelt worden waren. Sollte Maduro das Präsidentschaftsamt nicht erneut antreten, drohen ihm und seinem Umfeld juristische Konsequenzen und Repression, deshalb geht es ihnen um den Machterhalt um jeden Preis. Zudem setzten die USA im April, wenige Monate vor der Wahl, ihre umfassenden Wirtschaftssanktionen wieder in Kraft. So hat der internationale Druck zu einer weiteren Verhärtung der innenpolitischen Fronten geführt – keine guten Voraussetzungen für eine freie Wahl.

Für eine dritte Amtszeit Maduros bedeutet all dies außenpolitisch eine weitere Isolierung sowie eine verstärkte Hinwendung zu anderen autoritären Regimen. Innenpolitisch deutet alles auf eine repressive Linie gegen regierungskritische Akteur*innen und eine Vertiefung der Privatisierungspolitik hin. Im August ernannte Maduro den Hardliner Diosdado Cabello zum neuen Innenminister. Der frühere Militär gilt seit Jahren als Nummer Zwei des regierenden Chavismus. Unter Maduro hatte er zwar wichtige Parteipositionen, aber bislang keine Regierungsämter inne. Durch Kabinettsumbildungen vor und nach der Wahl gelang es Maduro, unterschiedliche chavistische Sektoren in seine Regierung einzubinden, darunter auch weitere potenzielle Konkurrent*innen wie den Jungpolitiker Héctor Rodríguez als Bildungsminister. Und mit Ángel Prado aus der Agrarkommune El Maizal holte er sogar einen in sozialen Bewegungen verankerten Aktivisten in die Regierung, ein Zugeständnis an die unzufriedene Basis des Chavismus. Zudem stärkte Maduro sowohl das Militär als auch wirtschaftsliberale Sektoren weiter. Um trotz der US-Sanktionen Einnahmen zu generieren, verkauft der Staat eigene Unternehmen an private Akteur*innen, die meist nicht öffentlich in Erscheinung treten. Es handelt sich um eine intransparente Privatisierungspolitik, über deren Erlöse offiziell nichts bekannt ist. Die weitgehende Dollarisierung der Wirtschaft hat zwar die Preise stabilisiert, die soziale Ungleichheit jedoch deutlich erhöht. Die im Zuge der Hyperinflation pulverisierten Löhne der Arbeiter*innen sind trotz zusätzlicher Bonuszahlungen weiterhin so niedrig, dass kaum jemand davon leben kann.

Schrumpfender politischer Spielraum

Die Verabschiedung mehrerer Gesetze und weitere angekündigte Reformen deuten indes darauf hin, dass der politische Spielraum für regierungskritische Positionen links wie rechts weiter schwinden wird. Ende November beschloss das Parlament, dass die Propagierung von Sanktionen gegen Venezuela künftig mit bis zu 30 Jahren Gefängnis und praktisch lebenslangen Antrittsverboten geahndet wird. Eine derzeit diskutierte Reform der Wahlgesetze läuft voraussichtlich darauf hinaus, dass an den für 2025 vorgesehenen Parlaments-, Regional- und Kommunalwahlen keine Kandidat*innen teilnehmen dürften, die das Ergebnis der Präsidentschaftswahl nicht anerkennen. Dies könnte den Großteil der rechten Opposition sowie linke Regierungskritiker*innen treffen und Maduro wieder sichere Mehrheiten garantieren. Übrig bliebe nur eine moderate Opposition, die der Regierung kaum gefährlich werden kann und in vielen Fällen selbst Regierungspositionen vertritt. Innerhalb der rechten Opposition könnten in der Folge erneut undemokratische Strategien Oberhand gewinnen.

Die regierungskritische Linke steht nun vor der Herausforderung, sich zugleich gegen Einmischung von außen als auch gegen Maduros Bestrebungen, das linke Feld durch eine Mischung aus Drohungen und Einbindungen komplett zu besetzen, behaupten zu müssen. Seit der staatlichen Intervention in die Parteistrukturen der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) im vergangenen Jahr verfügt sie über keine Möglichkeit mehr, eigene Kandidaturen aufzustellen. Derweil versuchen dissidente chavistische Basisgruppen und Politiker*innen, sich nach der Wahl in neuen Bündnissen zu formieren. Insgesamt ist dieser Sektor aber derzeit zu schwach, um nennenswerten politischen Einfluss zu nehmen. Am 9. Dezember 2024 gründete sich etwa die neue linke Strömung Comunes. Diese positioniert sich sowohl gegen die Maduro-Regierung als auch die rechte Opposition und will Kämpfe von unten unterstützen. Die Gruppierung geht aus der «Anderen Kampagne» («otra campaña») hervor, die regierungskritische Chavist*innen im Vorfeld der Präsidentschaftswahl ins Leben gerufen hatten. Als Partei einschreiben kann sich Comunes unter den derzeitigen politischen Bedingungen jedoch nicht.