Das Wahljahr 2024 hat die allseits erwarteten Wahlerfolge für die AfD gebracht, aber auch darüber hinaus den wachsenden Einfluss der extremen Rechten auf die Politik der Bundesrepublik gezeigt. Alle drei Landtagswahlen und auch die Europawahl standen in Deutschland thematisch unter der Dominanz des Migrationsthemas, womit das wichtigste Thema der AfD zum zentralen Bezugspunkt der politischen Debatte wurde. Auch europaweit haben sich Positionen, die bislang vor allem von Parteien der modernisierten extremen Rechten vertreten wurden, im Mainstream durchgesetzt und werden nach und nach in reale Politik umgesetzt. Die Verlagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen, die weitere Absenkung der Geldmittel für Geflüchtete unter das Existenzminimum, die Ersetzung von Bargeld durch Bezahlkarten oder die Verlängerung der abgesenkten Leistungen für Geflüchtete sind solche Punkte. Hinzu kommt die mittlerweile im Mainstream angekommene Verknüpfung von Migration mit Kriminalität, wie sie durch Ereignisse wie den Anschlag in Solingen befördert wird. Die Wahlergebnisse haben zwar erneut gezeigt, dass die Adaption von AfD-Positionen durch die Mehrzahl der anderen Parteien nicht zu einer Schwächung der extremen Rechten führt, es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass daraus Folgerungen gezogen werden.
Gerd Wiegel ist Politikwissenschaftler und Leiter des Referats «Demokratie, Migrations- und Antirassismuspolitik» beim DGB-Bundesvorstand.
Dabei hatte das Wahljahr 2024 gut begonnen, denn die Correctiv-Enthüllungen hatten in nur wenigen Monaten mehr als drei Millionen Menschen auf die Straße gebracht und den bundespolitischen Höhenflug der AfD in den Umfragen zumindest etwas begrenzt. Ein Vergleich der Wahlergebnisse mit den Umfragen zeigt, dass die AfD gegenüber den Umfragen mit Ausnahme von Thüringen leicht schlechter abgeschnitten hat. Dies ändert jedoch nichts an den desaströs hohen Ergebnissen für diese Partei.
Unklar bleibt, wie stark dieser leichte Rückgang der AfD auf die Proteste am Jahresanfang und die aktive Auseinandersetzung mit der Politik der Partei zurückzuführen ist – oder auf andere Faktoren wie Wähler*innenwanderungen zum BSW.
Gewerkschaftliche und linke Aufstellung gegen die AfD
Ein zentrales Ziel linker und gewerkschaftlicher Interventionen in die Wahlauseinandersetzung bestand darin, die AfD von strategischen Machtressourcen fernzuhalten. Das ist, so viel lässt sich nach den Landtagswahlen jetzt schon sagen, nur zum Teil gelungen. Mit den Sperrminoritäten der AfD in Thüringen und Brandenburg hat sie es geschafft, zumindest negativen Einfluss auf politische Abläufe und Entscheidungen in den Ländern zu erlangen. In Thüringen wurde bei der Konstituierung des Landtages deutlich, dass sie diesen Einfluss in ihrem Sinne maximal nutzen wird.
Als weitere «realistische Ziele» für den Wahlzyklus wurden häufig genannt:
- die Verhinderung von Regierungsbeteiligungen oder Tolerierungsmodellen auf Landesebene;
- die Verhinderung einer medialen Dynamik, mit der die Abgrenzung zur AfD in Frage gestellt wird.
Gelingt der AfD die Überwindung der Abgrenzung nach der kommunalen Ebene auch auf der Landesebene, wird es kein Halten mehr geben.
Aufgrund der komplizierten Regierungsbildung in den drei Bundesländern und der Aussicht auf möglicherweise instabile Mehrheiten lässt sich gegenwärtig noch nicht abschließend sagen, ob der erste Punkt eingehalten wird. In Sachsen wird die angestrebte Minderheitsregierung aus CDU und SPD auf Stimmen aus der Opposition angewiesen sein, ähnlich in Thüringen, wo es für CDU, BSW und SPD keine eigene Mehrheit gibt. Inwieweit die AfD hier einbezogen wird, hängt auch von der im zweiten Punkt angesprochenen medialen Dynamik ab, mit der diese Regierungen begleitet werden. Ein Blick auf Ausführungen des Chefkommentators der FAZ, Jasper von Altenbockum, verheißt hier nichts Gutes. Mit Blick auf die Zumutungen für die CDU durch das BSW schrieb er am 9.10.24 in der FAZ: «Was auch immer am Ende von Options-, Sondierungs- und Koalitionsgesprächen in den drei Ländern steht, sie sind Ausdruck einer Verlegenheit, die durch Brandmauern geschaffen werden. Die Frage muss erlaubt sein, warum mit dem BSW überstürzt gelingen soll, was mit der AfD für restlos unmöglich erklärt wurde. Parlamentarische Demokratie besteht nicht aus Brandmauern, sondern aus Brücken. Sie zu bauen ist die größere Kunst.» (FAZ 9.10.24)
Solche Vorstellungen von Pragmatismus können schnell zu einem Einstiegstor für einen Diskurs werden, der mit Verweis auf die nötige gleiche Distanz zu AfD und BSW den rechtsextremen Charakter der AfD relativiert und im Sinne der Regierbarkeit zu pragmatischen Lösungen aufruft. Genau hierin liegt das Ziel der AfD: Gelingt die Überwindung der Abgrenzung nach der kommunalen Ebene auch auf der Landesebene, wird es kein Halten mehr geben.
Gewerkschaftliche Interventionen im Wahljahr
Die Verteidigung der Demokratie gegen eine stärker werdende extreme Rechte war ein wichtiges Thema der Gewerkschaften im Jahr 2024, das mit verstärkten Ressourcen, eigenen Arbeitsstrukturen, bundesweiter Bündnisarbeit und breiterer öffentlicher Thematisierung angegangen wurde.
Für die gewerkschaftliche Auseinandersetzung mit der AfD im Wahljahr stand die sozial- und wirtschaftspolitische Ausrichtung der Partei im Mittelpunkt. «AfD – Der Feind der Beschäftigten», so eine zentrale Aussage, die mit zahlreichen Materialien an der konkreten Politik der AfD in den Parlamenten, an den Aussagen ihres Führungspersonals und an ihrer Programmatik belegt wurde. Ausgehend von gewerkschaftlichen Werten, Forderungen und Interessen in diesen Bereichen ging es darum, die fundamentalen Gegensätze zwischen einer an den Interessen der Beschäftigten orientierten Sozial- und Wirtschaftspolitik zur Politik der AfD zu verdeutlichen. Von der Tarifbindung über das Streikrecht bis zum Mindestlohn, von der Steuerpolitik über das Thema Mieten und Wohnen bis zur «Schuldenbremse» wurden diese Gegensätze thematisiert, verbunden mit dem Ziel, zumindest diejenigen zu erreichen, die ideologisch noch nicht voll und ganz bei der AfD angekommen sind.
Unabhängig von noch nicht vorliegenden Detailuntersuchungen muss konstatiert werden, dass der Effekt dieser Argumentation auf die Zustimmung zur AfD sehr gering war. In allen drei Wahlländern wurde die Partei bei «Arbeitern», also Beschäftigten im Industrie- und Produktionsbereich, mit Abstand stärkste Kraft und konnte überall zulegen (vgl. dazu auch Detje u.a. in LuXemburg 2/2024, 60ff.).
Das erscheint besonders vor dem Hintergrund besorgniserregend, dass in Sachsen und Brandenburg das Thema «Soziale Sicherheit» bei den wahlentscheidenden Themen auf Platz eins lag und in Thüringen mit knappem Abstand hinter «Kriminalität, innere Sicherheit» auf Platz zwei. Entgegen der bundespolitisch fast ausschließlich im Wahlkampf geführten Migrationsdebatte lag also das Thema der sozialen Sicherheit bei den Wählenden ganz vorn, wenngleich das Migrationsthema überall nur knapp dahinter lag. Insofern war eine gewerkschaftliche Intervention in den Wahlkampf, die vor allem sozialpolitische Themen ins Zentrum stellte, richtig – und ging dennoch an den Wählenden der AfD vorbei. Denn während bei allen Wählenden «soziale Sicherheit» ganz oben stand, verhielt es sich bei den Wählenden der AfD völlig anders. Hier rangiert das Thema weit abgeschlagen mit Zustimmung zwischen fünf und acht Prozent auf den hintersten Plätzen, wogegen mit weitem Abstand das Thema «Zuwanderung» für die Wählenden dieser Partei am wichtigsten war. Wie klug vor diesem Hintergrund eine bundespolitische Fixierung fast aller Parteien auf das zentrale Thema der AfD war, beantwortet sich von selbst.
Beispiel Brandenburg:
Hinzu kommt, dass der extremen Rechten offenbar eine zunehmende Umdeutung dessen, was unter sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit zu verstehen ist, gelingt. Denn danach gefragt, wem sie am ehesten zutrauen, für «soziale Gerechtigkeit» zu sorgen, geben in Sachsen mit 19 Prozent die meisten Wählenden an: der AfD (gefolgt von SPD 17 und CDU 16 Prozent). Ähnlich sieht es in Thüringen aus, wo die AfD bei dieser Frage mit 18 Prozent vor Linke (17) und BSW (16) liegt.
Als sozial gerecht wird von den Wählenden der AfD allerdings keine Politik der Umverteilung von oben nach unten verstanden, keine Politik, die einen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit schafft, gar die Besitzverhältnisse hinterfragt oder die für ein Steuersystem streitet, bei dem die Reichen mehr zahlen sollen. 98 Prozent der AfD-Wählenden (und noch 86 Prozent derer des BSW) vertreten in Sachsen die Ansicht, «Der Staat kümmert sich mehr um Menschen, die zu uns kommen, als um uns Bürger». Und der Kanzlerpartei SPD wird in Sachsen von 64 Prozent der Wählenden vorgeworfen: «Kümmert sich mehr um Bürgergeldempfänger, als um Leute, die hart arbeiten und wenig Geld haben».
Ganz offensichtlich sind die Werthaltungen neoliberaler Ideologie, die vor allem auf Konkurrenz innerhalb der Klasse setzen und Prekarität und Armut als individuelles Versagen deuten, weit in die Köpfe eingedrungen. Von der extremen Rechten wurde der Innen-Außen-Gegensatz (zugehörig = einheimisch; nicht-zugehörig = zugewandert) erfolgreich ergänzt, so dass sich das Ressentiment gleichermaßen gegen «Migranten» und «Sozialschmarotzer» wenden kann. Inklusive, solidarische Antworten auf Fragen von sozialer Unsicherheit und Ungerechtigkeit haben demgegenüber einen sehr schweren Stand.
Um der Demokratiekrise wirklich und im Wortsinn radikal beizukommen, braucht es endlich eine Überwindung neoliberaler Politikvorstellungen und einen Staat, der die soziale Bindung des Grundgesetzes wieder nachdrücklich mit Leben füllt.
Sozialpolitische Erwartungen werden von den Wählenden der AfD an ihre Partei also gar nicht gestellt, können demnach auch nicht enttäuscht werden und die «Entlarvung» der Partei als Anwalt der Besserverdienenden läuft ins Leere. Zumal die gesellschaftspolitische Debatte schon seit vielen Jahren nicht von sozialpolitischen Themen geprägt ist, womit diese auch nur schwer zum Maßstab für die Politik einer Partei werden können, die von ihren Anhänger*innen aus ganz anderen Gründen gewählt wird. Steffen Mau u.a. und vor ihm schon Klaus Dörre sprechen von einem «stillgestellten Klassenkonflikt», bei dem die Einkommensunterschiede und der unterschiedliche Einfluss gesellschaftlicher Klassen zwar noch als Problem gesehen wird, es aber keine Hoffnung auf eine politische Änderung dieser Zustände gibt. Diese richten sich vielmehr auf die Frage, wem Zugang zum kleiner werdenden sozialen Kuchen gewährt wird und hier wird der AfD am ehesten zugetraut, den Kreis der Anspruchsberechtigten durch Ausschluss der Migrant*innen klein zu halten.
Folgerungen
Was folgt daraus für die linke und gewerkschaftliche Auseinandersetzung mit Demokratiekrise und extremer Rechter? Angesichts der in den Wahlen deutlich gewordenen Dringlichkeit des Themas «soziale Sicherheit» sicherlich kein thematischer Kursschwenk. Das zunehmende und in Zeiten der Dauerkrise sich verstärkende Bedürfnis nach Sicherheit muss ernst genommen werden. Angesichts des erforderlichen sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft, der konkreten Gefährdung von Arbeitsplätzen z.B. in der Automobilindustrie und der konjunkturellen Flaute eine Mammutaufgabe – insbesondere für die Gewerkschaften, die hier noch einen sehr viel größeren Vertrauensvorschuss bei den Beschäftigten haben als die Parteien.
Politisch und mit Blick auf die Bundestagswahl werden Schlagworte wie «Respekt» und «Gerechtigkeit», verbunden mit dem Versprechen einer Anhebung des Mindestlohns, nicht mehr ausreichen, um das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Um der Demokratiekrise wirklich und im Wortsinn radikal beizukommen, braucht es endlich eine Überwindung neoliberaler Politikvorstellungen und einen Staat, der die soziale Bindung des Grundgesetzes wieder nachdrücklich mit Leben füllt. Die Überwindung der Investitionsbremse («Schuldenbremse»), der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und ein Investitionsprogramm, mit dem die Lebens- und Alltagssituation der Menschen spürbar verbessert wird, sind wichtige Punkte und die Gewerkschaften haben zu allen diesen Punkten eigene Vorschläge präsentiert.
Kurzfristig würde auch eine solche Veränderung der Politik nur einen begrenzten Effekt auf die Zustimmung zur AfD haben – mittelfristig sicherlich einen größeren. Deshalb stellt sich die Frage nach der gewerkschaftlichen und linken Aufstellung in diesem Themenfeld zur Bundestagswahl, mit Blick auf die Ergebnisse und Folgerungen aus den Landtagswahlen.
Die Thematisierung sozialpolitischer Fragen ist richtig und notwendig, denn das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit ist angesichts der Vielfachkrise und der sich verändernden kapitalistischen Produktion (Transformation der Wirtschaft) sehr groß. Die damit verbundene Erwartung, AfD-Wählende mit gewerkschaftlicher Bindung in signifikanter Zahl durch eine solche Schwerpunktsetzung von der AfD entfremden zu können, war falsch, zumindest aber überhöht und kann leicht zu Enttäuschungen führen. Da die Wähler*innen der AfD dem Thema «soziale Sicherheit» bei ihrer Entscheidung nur eine sehr geringe Bedeutung zumessen, wird die große Mehrzahl von ihnen über diese Themen nicht erreicht.
Wichtiger scheint es demgegenüber, sich vor allem auf diejenigen zu konzentrieren, die dem Populismus der AfD nicht erliegen, die sich jedoch in einem von Dauermissmut und allgemeinem Politbashing gekennzeichneten Umfeld politisch eher zurückziehen. Die gewerkschaftliche Ausrichtung mit Blick auf die Bundestagswahlen sollte also weniger auf die zielen, die ihre Entscheidung für die AfD bereits getroffen haben, als auf diejenigen, die unsere Argumente und Haltungen brauchen, um im Pausenraum, am Arbeitsplatz oder auch im Familiengespräch dagegenhalten zu können.