Interview | Soziale Bewegungen / Organisierung - Arbeit / Gewerkschaften Organizing ist wichtiger denn je

Nach dem Tod der Gründerin Jane McAlevey treibt Organizing for Power seine Arbeit mit neuen und erweiterten Programmen entschlossen voran

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Jane McAlevey und Ethan Earle, Mitbegründer*innen von Organizing for Power, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.
Jane McAlevey und Ethan Earle, Mitbegründer*innen von Organizing for Power, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.
 
 

 

 

Foto: RLS

Seit den Zeiten von Karl Marx und Friedrich Engels steht die Arbeiter*innenbewegung im Mittelpunkt jedes sozialistischen politischen Handelns. Als Organisationen, die allen arbeitenden Menschen offenstehen, vereinen Gewerkschaften die größtmögliche Mehrheit der Bevölkerung und bieten die Möglichkeit, durch Streiks und Arbeitsniederlegungen politische Veränderungen gegen die Interessen mächtiger Eliten durchzusetzen, wie es mit Abstimmungen oder Protesten nicht möglich wäre. Dies macht sie zu einem besonders wichtigen Bestandteil jeder Strategie, um den Kapitalismus herauszufordern und letztendlich zu überwinden.

Ethan Earle ist Koordinator und, zusammen mit Jane McAlevey, Mitbegründer von Organizing for Power.

Allerdings hat sich in den letzten Jahrzehnten das Kräfteverhältnis maßgeblich zu Ungunsten der Arbeiter*innenbewegung entwickelt. Die Zahl an Gewerkschaften in den Industrieländern ist seit den 1980er Jahren von fast 40 auf 15 Prozent zurückgegangen. Davon sind besonders Gewerkschaften in der traditionellen Schwerindustrie betroffen, die lange Zeit das Rückgrat der Arbeiter*innenbewegung waren. Die neoliberale Wirtschaftspolitik hat viele der zentralen Errungenschaften der Bewegung zunichtegemacht, und die Lohnquote, also der Anteil am Nationaleinkommen, der in die Löhne der Arbeitnehmer*innen fließt, ist stark zurückgegangen. Trotz einiger kleiner Siege in den letzten Jahren war die Linke nicht in der Lage, diesen Trend umzukehren.

Daher hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung 2019 zusammen mit der angesehenen Gewerkschafts-Organizerin und Wissenschaftlerin Jane McAlevey Organizing for Power (O4P) ins Leben gerufen, ein Online-Trainingsprogramm für Organizer*innen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt. In den fünf Jahren bis zu McAleveys frühzeitigen Tod im Juli 2024 gaben Jane und ihr Team, koordiniert von Ethan Earle, Trainings für mehr als 40.000 Menschen. Und das Programm wird weitergehen: Vor Kurzem sprachen Ethan Earle und Federica Drobnitzky von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die Philosophie hinter O4P, was das Programm bisher erreicht hat und welche Ziele das Team in den kommenden Jahren erreichen will.

In diesem Jahr feiert O4P sein fünfjähriges Bestehen. Könntest Du etwas von den Anfängen erzählen? Welche Visionen und Ziele führten zur Gründung von O4P?

Organizing for Power (O4P) wurde zwar von Jane McAlevey und mir zusammen gegründet, doch im Grunde ist O4P Janes Vermächtnis. Die Idee entstand aus ihren unermüdlichen Bemühungen, Kampagnen in Deutschland, Großbritannien und Irland bis hin zur US-Westküste und andernorts zu unterstützen. Sie hat alles dafür gegeben. Uns wurde dann irgendwann klar, dass wir eine weltweit zugängliche Plattform brauchten, auf der die Menschen von Janes Idee von Organizing lernen konnten.

Janes Methode bildet die Grundlage von O4P und betont besonders die Bedeutung von disziplinierter Partizipation und einer Strategie, die versucht Mehrheiten zu erlangen. Im Zentrum stehen die am stärksten betroffenen Menschen – Arbeiter*innen oder Menschen, denen Ungerechtigkeit widerfährt – und der Aufbau von strukturierten, methodischen Kampagnen mit den Werkzeugen, die wir in unseren Trainings vermitteln. Dazu zählen die Identifizierung von Führungspersönlichkeiten (es wird zwischen Führungspersönlichkeiten und Aktivist*innen unterschieden), strukturierte Eins-zu-Eins-Gespräche, Listenarbeit, Power Mapping und Strukturtests, mit denen kollektive Handlungsmacht abgebildet und bewertet wird. Janes Motto lautete immer: «Du bist die Gewerkschaft.» Beim Organizing geht es darum, dass die Menschen an ihrer eigenen Befreiung arbeiten.

Ihre Theorie des Wandels befasste sich mit einem wichtigen Problem: Organizing hatte sich zu sehr in Richtung oberflächlicher Mobilisierung und Interessenvertretung durch Dritte entwickelt und dabei das auf die Arbeiter*innen selbst ausgerichtete Deep Organizing aus den Augen verloren. Jane war davon überzeugt, dass es möglich sei, Menschen zu vereinen, auch die, die nicht bei jedem Thema einer Meinung sind, um so neue Mehrheit zu schaffen, die in der Lage sind, echte Veränderungen herbeizuführen und zu verstetigen. Diese Überzeugung steht auch heute noch im Mittelpunkt von O4P.

Jane war eine hervorragende Organizerin, eine produktive Autorin und noch vieles mehr. Welche Rolle spielte sie für O4P und wie hat sich ihr Tod auf das Programm ausgewirkt?

Jane McAlevey war nicht nur die Mitbegründerin von O4P, sondern auch das Herz, die Seele und die treibende Kraft der Organisation. Mit ihrer Vision und Brillanz prägte sie unsere gesamte Arbeit. Weltweit hauchte sie dem gewerschaftlichen Organizing neues Leben ein, vor allem durch ihre bahnbrechende Arbeit, einschließlich des Buches «No Shortcuts» und ihrer transformativen Trainings. Jane war unsere leitende Trainerin, entwarf das Programm und war die treibende Kraft bei der Vernetzung neuer Gewerkschaften und Organizing-Gruppen weltweit. Ihr Einfluss auf O4P war enorm, sie war sozusagen O4P.

Nach einem langen Kampf starb Jane dieses Jahr an Krebs. Wir wussten, dass es passieren würde, trotzdem war es hart für uns. Doch gab die letzte Prognose ihr und uns allen mehr Zeit als erwartet, um uns auf die Zukunft vorzubereiten. Zusammen mit meiner Co-Koordinatorin Sarah Reader und anderen half Jane, den Grundstein für das nächste Kapitel von O4P zu legen. Anstatt zu versuchen, sie zu ersetzen, haben wir einen kollektiven Ansatz verfolgt und auf die Stärke unseres globalen Netzwerks zurückgegriffen, um ihr Erbe weiterzuführen und die Bewegung weiter aufzubauen.

Es gibt viele Trainingsprogramme für Organizer*innen – was macht O4P einzigartig?

O4P zeichnet sich durch seine beispiellose globale Reichweite und Inklusivität aus. Wir haben mit Organizing-Gruppen aus mindestens 115 Ländern gearbeitet – 150, wenn man einzelne Teilnehmer*innen aus früheren Veranstaltungsreihen dazuzählt – und Trainings in über 20 Sprachen angeboten. Unsere Kurse finden über mehrere Zeitzonen hinweg statt. Damit ermöglichen wir es Teilnehmer*innen aus aller Welt mitzumachen. Unsere Veranstaltungen sind also wirklich zugänglich für alle. Wichtig dabei: Das Programm ist völlig kostenlos. Somit können auch Gruppen ohne finanzielle Mittel davon profitieren.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist unser Schwerpunkt auf Gruppenbeteiligung. Anfangs konnten noch Einzelpersonen am Programm teilnehmen, doch Jane setzte sich dafür ein, die Anforderungen zu erhöhen: zuerst mussten Gruppen mindestens aus vier, später aus zehn und in Zukunft vielleicht bald aus 20 Personen bestehen. Organizing ist von Natur aus ein kollektives Unterfangen, eine Teamleistung, die Zusammenarbeit und Übung erfordert, idealerweise im Rahmen einer konkreten Kampagne.

Außerdem nimmt O4P eine Zwischenposition zwischen zwei gängigen Arten von Programmen ein: solche, die sich auf die intensive Entwicklung von Führungskräften von einigen wenigen Auserwählten konzentrieren, und solche, die nur eine oberflächliche Einführung in das Thema Organizing bieten. Bei uns kann jede Gruppe teilnehmen, die sich mit Organizing beschäftigt. Unser Ziel ist es, die Teilnehmer*innen mit den Werkzeugen und der Disziplin auszustatten, um Mehrheiten aufbauen und wirkungsvolle Kampagnen durchführen zu können. Diese Inhalte und Ziele sind im internationalen Vergleich selten.

Seit seiner Gründung hat O4P über 40.000 Menschen von mehr als 1.800 Organisationen aus 115 Ländern trainiert. Wer nimmt normalerweise am Programm teil? Kannst Du wichtige Kämpfe nennen, die mit der Hilfe von O4P gewonnen werden konnten?

Rund 70 Prozent der mehr als 40.000 Teilnehmer*innen an unseren Trainingsprogrammen kommen von Gewerkschaften und der Arbeiter*innenbewegung. Die restlichen 30 Prozent stammen aus Gruppen mit verschiedenen Themen wie Klimagerechtigkeit, Wohnen, Rechte von Migrant*innen, Frauenrechte, Rassismusbekämpfung, aus der Friedensbewegung und studentische Bewegungen. Selbst bei den erwähnten 30 Prozent handelt es sich um mehr als 10.000 Menschen. Das hebt nochmal die Reichweite und Vielfalt des Programms hervor. Die Bandbreite reicht dabei von erfahrenen Organizer*innen, die regelmäßig teilnehmen, um andere zu schulen und ihre Fähigkeiten zu verfeinern, bis hin zu Menschen, die persönlich Ungerechtigkeit erfahren haben, erstmals an einem Training teilnehmen und lernen wollen, wie man kollektiv handeln kann.

Es gibt viele, sehr unterschiedliche Erfolgsgeschichten. Doch wir wollen uns nicht mit den Lorbeeren schmücken. In unserem sechswöchigen Programm bieten wir Werkzeuge, Training und einen gemeinsamen Raum, doch für die Erfolge sind die Teilnehmer*innen und ihre Kampagnen verantwortlich. Manchen Gruppen gibt das Training neuen Schwung für ihre aktuelle Arbeit; bei anderen wiederbelebt es ihre ins Stocken geratene Kampagne. So unterstützte O4P beispielsweise eine große Handelsgewerkschaft aus Tansania dabei, ihre großflächigen Outreach-Bemühungen wiederzubeleben, dass Mieter*innenorganisationen in Städten wie San Francisco, Vancouver und Berlin Schutzmaßnahme durchsetzen konnten, unterstützte klassische Gewerkschaftskämpfe von Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr in Toronto und im Gesundheitswesen in Argentinien. Außerdem halfen wir bei der Ausarbeitung einer globalen Rahmenvereinbarung zum Schutz der Rechte von Content-Moderator*innen und Callcenter-Mitarbeiter*innen, an der Gewerkschaften aus Jamaika, Kolumbien und El Salvador beteiligt waren.

Auch wenn O4P seinen Anteil dazu beiträgt, sind letztlich die Organizer*innen selbst für die Erfolge verantwortlich. Sie nutzen unsere Werkzeuge, um Kampagnen zu führen, zu organisieren und zu gewinnen. Kampagnen, die ihre Rechte, Würde und materiellen Bedingungen verteidigen. Unser Programm soll sie dabei unterstützen, doch die Erfolge gehen allein auf ihre Rechnung.

Jane legte großen Wert darauf, zwischen «Mobilizing» und «Organizing» zu unterscheiden. Mobilizing bedeutet, eine bereits aktive Basis zusammenzubringen, Organizing hingegen, die Arbeiter*innen dazu zu bringen, sich einem Projekt anzuschließen, das sie bis dato nicht unbedingt unterstützen. Wenn dieser Organisationsansatz so effektiv ist, warum wird er deiner Meinung nach momentan in den USA und anderswo auf der Welt so wenig genutzt?

Das ist eine sehr gute Frage. Die letzten Generationen, die Linke und progressive Bewegungen, einschließlich der Gewerkschaftsbewegung, haben ihr Augenmerk zunehmend auf Mobilizing – also eine große Anzahl von Menschen für einmalige Proteste zu aktivieren – und die Interessenvertretung durch Dritte konzentriert, bei der Fachleute im Namen der Arbeiter*innen oder anderen Gruppen Lobbyarbeit leisten. Dadurch sind die Arbeiter*innen und die am stärksten betroffenen Menschen im Prozess ihrer eigenen Befreiung ins Abseits geraten.

Ein Faktor ist dabei die Professionalisierung gewisser Bereiche in progressiven Bewegungen. Gut ausgebildete Menschen in Großstädten, die für ihre Arbeit gut entlohnt werden, treffen oft Entscheidungen für diejenigen, die von Ungerechtigkeiten betroffen sind. Dadurch entsteht eine physische und ideologische Kluft zwischen den Menschen, denen geholfen werden soll, und den Hauptamtlichen, die in ihrem Namen Entscheidungen treffen.

Diese Dynamik war für unsere Gegner*innen, Großkonzerne und rechte autoritäre Politiker*innen, praktisch, weil sie die Kraft von Organizing an der Basis schwächt. Indem wir Arbeiter*innen und die am stärksten Betroffenen weniger mit einbezogen haben, haben wir der Bewegung ihre größte Stärke genommen: die Macht der breiten Masse. Diese Menschen lassen sich dann leicht von unseren Gegnern*innen umwerben, die ihre Distanz zu den Eliten ausnutzen, um Entscheidungen für sie zu treffen.

Meiner Meinung nach haben wir viel verloren, weil wir kein Deep Organizing betrieben haben. Doch wenn man es anwendet und wenn wir uns bei der Befreiung der betroffenen Menschen auf ebenjene konzentrieren, dann erzielen wir auch Erfolge. Wenn wir uns auf diszipliniertes Organizing konzentrieren, das von einer Mehrheit getragen wird, sehen wir trotz der Rückschläge immer noch, dass Erfolge möglich sind.

Wie ist es derzeit um Streiks in den USA und in Deutschland bestellt und worin unterscheiden sich beide Länder?

Die Bedingungen in Deutschland und den USA unterscheiden sich erheblich. Das fängt an bei Thema Tarifverhandlungen: In Deutschland sind weitaus mehr Arbeitnehmer*innen durch Vereinbarungen abgedeckt. Außerdem haben Gewerkschaften wie die IG Metall und Verdi erheblichen Einfluss auf die Arbeitspolitik und politische Entscheidungen. Gewerkschaften in den USA hingegen sind weniger institutionell verankert und sind oft in der Opposition gegen jene, die politische Entscheidungen treffen. Außerdem gewähren landesweit aktive Gewerkschaften den Ortsverbänden eine größere Autonomie im Hinblick auf progressive Aktivitäten oder um etwas Neues auszuprobieren.

Die institutionelle Stärke der Gewerkschaften in Deutschland bringt Herausforderungen mit sich, da große Gewerkschaften Schwierigkeiten haben können, gegen Krisen wie einen wirtschaftlichen Abschwung und den alarmierenden Aufstieg der AfD zu mobilisieren. Mittlerweile sind die Gewerkschaften in den USA mit größeren Hürden seitens des Systems konfrontiert, doch können sich, vor allem auf lokaler Ebene, eher von festgefahrenen Praktiken lösen. Trotz dieser Unterschiede ist der Druck, den der globale Kapitalismus auf Arbeiter*innen und einfache Menschen ausübt, sehr ähnlich. Daher braucht es gemeinsame Strategien zur Verteidigung der Demokratie und der Rechte von Arbeiter*innen in beiden Ländern wie auch darüber hinaus.

Bevor Du Organizing for Power mitgegründet hast, hast Du lange Zeit im New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung gearbeitet. In wenigen Wochen wird der New Yorker Donald J. Trump ins Weiße Haus zurückkehren. Mit Blick auf seine desaströse Bilanz politischer Maßnahmen gegen Arbeiter*innen und Gewerkschaften: Was bedeutet seine Wiederwahl für die US-amerikanische Arbeiter*innenbewegung?

Trumps Wiederwahl ist eine Katastrophe für die USA und die Welt, vor allem auch für Arbeiter*innen. Blickt man auf seine arbeiter*innenfeindliche Politik in der Vergangenheit, wird klar, dass seine Politik der Bewegung schaden wird. Joe Bidens Präsidentschaft war in vielerlei Hinsicht enttäuschend, insbesondere in Bezug auf seinen Umgang mit Themen wie Israels Krieg im Gazastreifen. Doch seine Arbeitspolitik war besser im Vergleich zu Trumps.

Jedoch ist in den letzten Jahrzehnten die Zahl an Gewerkschaftsmitgliedern zurückgegangen, der Lebensstandard gesunken und die Einkommensungleichheit angestiegen, sowohl unter demokratischen als auch unter republikanischen Regierungen. In Anbetracht dessen könnte die arbeiter*innenfeindliche Politik Trumps diese wachrütteln. Die Unterstützung für Gewerkschaften in den USA wächst. Mit der Nominierung einer gemäßigten Person für das Arbeitsministerium hat Trump auch versucht, einige der Gewerkschaften für sich zu gewinnen.

Aber die Arbeiter*innenklasse kann sie letztlich nicht darauf verlassen, dass sie von Politiker*innen gerettet wird. Wirkliche Veränderung wird nur im Kollektiv von den Arbeiter*innen selbst erkämpft werden können. Die Herausforderungen, die durch Trump auf uns zukommen werden, könnten der Arbeiter*innenbewegung Energie geben und sie stärken. Denn aufgrund seiner Politik könnte sich eine stärkere und vereinte Opposition der Arbeiter*innen bilden, was unter einer gemäßigteren demokratischen Regierung nicht der Fall gewesen wäre.

Welche Folgen hat das für Arbeit*innen weltweit?

Trumps Wiederwahl wird globale Auswirkungen auf die Demokratie haben, da seine autoritären Züge ähnliche Bewegungen weltweit ermutigen. Führende Politiker*innen wie Marine Le Pen in Frankreich, Alice Weidel von der AfD in Deutschland und Narendra Modi in Indien, um nur einige zu nennen, sind nach seiner Wahl noch mutiger geworden. Die Demokratie ist stark gefährdet. Diejenigen, die sie angreifen, wissen, dass die Macht, die entsteht, wenn Menschen sich zusammenschließen, ihnen dabei am meisten im Weg steht.

In den USA und in der ganzen Welt liegt die Hoffnung darin, dass sich die Menschen organisieren, zusammenschließen und echte Demokratie einfordern. Arbeiter*innen und Communities müssen sich verbünden und die mächtigen Eliten bekämpfen. Sie müssen ihre Stimme erheben, gegen das sogenannte eine Prozent und die autoritären Kräfte, die die Demokratie untergraben wollen.

Faschismus entsteht oft als Reaktion auf schwere Wirtschaftskrisen innerhalb des Kapitalismus. Könnten effektive Organizing-Methoden dazu beitragen, die Politik der Arbeiter*innenklasse wiederzubeleben und dem Aufstieg des Faschismus entgegenzuwirken?

Ja, ich glaube, dass sich zu organisieren der einzige Weg ist, dem Aufstieg des Faschismus und des rechten Autoritarismus wirksam entgegenzuwirken. Der Faschismus wird nicht von einer kleinen, elitären Gruppe oder von spontan handelnden Bewegungen besiegt werden; es braucht die Macht der organisierten Massen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass sich nichts durch Zufall oder durch ein paar einzelne Handlungen verändert. Bei der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung beispielsweise ging es nicht nur darum, dass Rosa Parks in einem Bus saß. Die Errungenschaften der Bewegung waren das Resultat von jahrelangem kollektiven Deep Organizing.

Heute müssen wir verschiedene Gruppen, auch wenn sie sich nicht bei allen Fragen einig sind, vereinen und Gemeinsamkeiten finden. Egal ob es darum geht, einen miesen Chef, ein repressives Regime oder die Zerstörung der Umwelt zu bekämpfen, der Schlüssel liegt darin, sich tiefgreifend und demokratisch zu organisieren. So baut man eine Gegenmacht in den Communities auf, zum Beispiel am Arbeitsplatz, in Schulen oder in der Nachbar*innenschaft. So kann Politik neu gestaltet werden, nicht nur auf institutioneller Ebene, sondern auch in Bezug darauf, wie Menschen Politik wahrnehmen und wie sie sich politisch einsetzen. Wenn wir Solidarität und kollektives Handeln stärken, können wir die Welt wieder demokratischer machen.

Was können Sozialist*innen von O4P lernen? Inwieweit können die Strategien und Methoden von O4P in Kampagnen außerhalb des Arbeitsplatzes genutzt werden?

Sozialist*innen können bei O4P einige wertvolle Dinge lernen, insbesondere die Anwendung der Prinzipien des Deep Organizing auf Kämpfe außerhalb des Arbeitsplatzes. Eine wichtige Erkenntnis dabei: Der Fokus auf strukturbasiertes Organizing, innerhalb von Institutionen wie Arbeitsplätzen, Schulen oder Wohngemeinschaften, kann effektiv auf eine Vielzahl an Bewegungen übertragen werden, vom Thema Wohnen bis hin zu Klimagerechtigkeit.

Wir haben Erfolge bei Kämpfen im Bereich Wohnen miterlebt. Dort lassen sich die Prinzipien leicht übertragen, weil klar ist, gegen wen man kämpft: Vermieter*innen oder Haus- und Wohnungseigentümer*innen. Manche Bewegungen, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung, stehen vor besonderen Herausforderungen. Denn es ist nicht immer klar, gegen wen oder was man kämpft oder was das Ziel ist. Zusätzlich fühlt sich das Problem viel zu groß und überwältigend an. Aktivist*innen fällt es oft schwer, Ziele zu identifizieren, die einerseits groß genug sind, um die grundlegenden Probleme anzugehen, aber gleichzeitig klein genug, um greifbare Ergebnisse erzielen zu können.

Das gelingt, wenn man den Fokus auf strukturbasiertes Organizing legt, etwa innerhalb von Schulen oder lokalen Communities, wo Aktivist*innen sich mit Menschen verbünden können, denen das Thema Klimawandel wichtig ist. Diese können sie dann zu konkreten Aktionen und Maßnahmen bewegen, die Wirkung zeigen können. Der Schlüssel liegt darin, keine individualistischen Ansätze zu nutzen, die sich ausschließlich auf den persönlichen Konsum oder auf Freiwilligenarbeit und Ehrenamt konzentrieren. Diese Ansätze sind ineffektiv und haben eine isolierende Wirkung.

Außerdem haben wir bei O4P gelernt, wie wichtig es ist, die verschiedenen Bewegungen für Gerechtigkeit zu verbinden. Im Laufe der Jahre wurden Kämpfe der Bewegungen, wie der Klimagerechtigkeitsbewegung, durch die professionalisierte Lobbyarbeit oft von anderen Kämpfen isoliert. Das Modell von O4P unterstützt den Zusammenschluss von Aktivist*innen aus verschiedenen Themenbereichen wie Klima, Wohnen, Arbeit und vielen anderen, zu einem solidarischen und kollektiven Kampf.

Diese Solidarität ist von entscheidender Bedeutung. Denn echter Fortschritt kann nur erzielt werden, wenn Bewegungen erkennen, dass all diese Kämpfe miteinander verbunden sind, und dabei zusammenarbeiten. Die Arbeiter*innenbewegung muss sich beispielsweise mit Themen wie Umweltgerechtigkeit und Wohnen auseinandersetzen. Denn das Leben der Arbeiter*innen abseits von ihrem Arbeitsplatz ist untrennbar mit ihren Kämpfen bei der Arbeit verbunden – genauso wie die Luft, die sie atmen, das Wasser, das sie trinken, und die Gemeinschaften, in denen sie leben.

Das Modell von O4P zeigt dabei auf, dass es unbedingt kollektives, strukturbasiertes Organizing und Solidarität zwischen den Bewegungen braucht, um anhaltenden Wandel herbeizuführen. Es reicht nicht aus, dass eine Gruppe alleine kämpft. Nur wenn sich verschiedene Bewegungen zusammenschließen, können sie wirkliche Erfolge erzielen.

Mit Blick auf die Zukunft: Wie wird es in den nächsten Jahren mit O4P weitergehen und welche Vision habt ihr für die Zukunft?

Mit Blick auf die Zukunft sieht O4P vor, weiterzuwachsen und sich anzupassen, um den wachsenden Bedürfnissen der Arbeiter*innenbewegungen und den globalen Organizing-Bestrebungen gerecht zu werden. Nach dem Verlust unserer Gründerin Jane war uns klar, dass sie als Führungspersönlichkeit nicht ersetzt werden kann und dass es wichtig sein wird, die kollektive Stärke des vielfältigen Teilnehmer*innenfeldes von O4P weiter auszubauen.

Unser Schwerpunkt wird darauf liegen, diese Community weiter aufzubauen und zu stärken. Dabei wollen wir Menschen einen Raum bieten, in dem sie Erfahrungen austauschen können, Trainings anbieten und bei der Bewältigung von Herausforderungen in ihren Kampagnen zusammenarbeiten können. Wir planen unser Programm auszuweiten und fortgeschrittenere und kontextspezifische Trainings zu entwickeln, um den sich entwickelnden Anforderungen der Arbeiter*innenbewegungen und Bewegungen für soziale Gerechtigkeit gerecht zu werden.

O4P hat bereits begonnen, mit regionalen Gruppen zusammenzuarbeiten, um sein Modell anzupassen. Wir haben beispielsweise mit einer Gruppe aus Indien kooperiert, die sich auf das Organizing informeller Arbeit*innen konzentriert. Ähnliches haben wir auf den Philippinen vor. Diese Anpassungen an regionale Gegebenheiten sind besonders wichtig. Denn bei O4P arbeiten wir daran, Lösungen für die jeweils lokal vorhandenen Herausforderungen zu finden.

Seit kurzem sind wir in Gesprächen mit Aktivist*innen in Spanien, die ein auf Spanien ausgerichtetes Programm entwickeln wollen, in das sie auch Lateinamerika miteinbeziehen wollen. Wir hoffen, weiter zu expandieren, in lateinamerikanische Länder wie Brasilien, Argentinien und Mexiko. Dafür suchen wir Kooperationspartner*innen, die bei der Übersetzung von Methoden und Strategien, sowohl sprachlich als auch politisch helfen können. Diese Partnerschaften stehen sinnbildlich für unseren Einsatz im lokalen Kontext. Darüber hinaus stellen sie sicher, dass unsere Hauptmethoden und -prinzipien an die Bedürfnisse jeder Region entsprechend angepasst werden.

Außerdem wollen wir von O4P Teilnehmer*innen in Zukunft abseits des Trainings langfristig unterstützen. Ziel ist es, Gruppen über einen längeren Zeitraum zu begleiten, langfristig Orientierungshilfe zu geben und ihnen zu helfen, dauerhafte und stabile Organizing-Strukturen aufzubauen. Durch die Ausweitung und den größeren Einsatz kann O4P ein stärker vernetztes globales Netzwerk von Organizer*innen fördern und es ermöglichen, strukturbasierte Organizing-Methoden in verschiedenen Kontexten anzuwenden, sei es am Arbeitsplatz, rund um das Thema Wohnungsgerechtigkeit oder in anderen Bereichen.

Unser langfristiges Ziel ist es, Bewegungen für Gerechtigkeit und Arbeiter*innenrechte durch ausgeweitete Trainingsprogramme, eine globale Gemeinschaft und nachhaltige Unterstützung für Organizer*innen weltweit zu stärken.