Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Arbeit / Gewerkschaften - Rosalux International - Südostasien Der Putsch in Südkorea

Nach seinem versuchten Staatsstreich setzt das südkoreanische Parlament Präsident Yoon Suk-Yeol ab. Von Canan Kus

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Canan Kus,

Die Mitglieder der Trucker-Solidaritätsabteilung der koreanischen Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst und das Transportwesen sitzen in Reihen auf der Straße in Seoul und demonstrieren für ein sicheres Frachttarifsystem.
Die mächtige Koreanische Konföderation der Gewerkschaften (KCTU) hatte in den letzten Monaten verstärkt gegen die neoliberale Reformpolitik der Regierung protestiert und ursprünglich für den 5. Dezember einen Generalstreik im Eisenbahn- und Bildungssektor angekündigt. Gewerkschaftskundgebung vor der Nationalversammlung in Seoul, Südkorea, 11.11.2024, Foto: IMAGO / NurPhoto

Der Zustand des Landes sei kritisch, der Einfluss kommunistischer Kräfte bedrohe die Freiheit und die Ordnung der Republik: Mit diesen Worten rief der Präsident Südkoreas, Yoon Suk-Yeol, am Abend des 3. Dezember 2024 völlig überraschend das Kriegsrecht aus.

Doch der Präsident hatte die Rechnung ohne das Parlament gemacht. Nur sechs Stunden später beschloss dieses in einer Sondersitzung – während Soldaten versuchten, sich Zutritt zum Gebäude zu verschaffen, und vor den Türen Bürger*innen gegen den Putsch demonstrierten – einstimmig die Aufhebung des Kriegsrechts. Der Parlamentsvorsitzende, Woo Won-shik, verkündete, dass Yoons Maßnahme verfassungswidrig sei und deshalb annulliert werde.

Canan Kus arbeitet in Beijing für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Am 14. Dezember beschloss die Volksvertretung dann im zweiten Anlauf mit Zweidrittelmehrheit die Amtsenthebung des Präsidenten. Wie konnte es so weit kommen?

Streit um den Haushalt

Die Konflikte zwischen Regierung und Opposition hatten sich in den Wochen vor Yoons versuchtem Staatsstreich immer weiter zugespitzt. Zuletzt tobte ein Streit um den Haushalt für das Jahr 2025. Die Oppositionspartei, die die Mehrheit im Parlament besitzt, hatte – ohne Rücksprache mit der Regierung – die Gelder für Staatsanwaltschaft, Polizei und Geheimdienste gekürzt. Stattdessen erhöhte sie die Budgets für öffentliche Dienstleistungen, soziale Sicherheit und Wohnungsbau.

Präsident Yoon kritisierte diesen Schritt in scharfen Worten. Insofern illustriert der Streit um den Haushalt den Grundkonflikt der südkoreanischen Politik: Während die Regierung auf eine neoliberale Fiskalpolitik im Interesse der Konzerne setzt und Investitionen in «Sicherheit und Ordnung» verlangt, fordert die Opposition eine Umverteilung zugunsten sozialer Programme.

Präsident Yoon hatte demgegenüber zuletzt auch noch versucht, die Gewerkschaftsrechte einzuschränken. Die Koreanische Konföderation der Gewerkschaften (KCTU) hatte nämlich in den letzten Monaten verstärkt gegen die neoliberale Reformpolitik seiner Regierung protestiert und ursprünglich, vor der Ausrufung des Kriegsrechts, für den 5. Dezember einen Generalstreik im Eisenbahn- und Bildungssektor angekündigt.

Die «Tradition» des Kriegsrechts

In diesem angespannten politischen Klima versuchte Yoon, seine Macht in der Regierung durch die Verhängung des Kriegsrechts zu festigen und auszubauen. Das belegt auch sein Verweis auf eine angebliche «kommunistische Bedrohung», der sich das Land ausgesetzt sehe, und die vermeintliche Notwendigkeit, die bestehende «Ordnung zu wahren».

Diese Volte des Präsidenten rief in der Bevölkerung Erinnerungen an das autoritäre Regime der 1980er Jahre wach. Nicht zufällig war das Kriegsrecht mit ebendiesem Verweis auf Nordkorea zuletzt 1980 verhängt worden. Auch damals richtete sich der Schritt gegen Menschen, die zuvor friedlich gegen die Regierung demonstriert hatten. Bei einem Massaker in der südkoreanischen Stadt Gwangju wurden Hunderte von ihnen – darunter viele Studierende, die eine demokratische Verfassung gefordert hatten – bei einem gewaltsamen Militäreinsatz getötet.

Das Gwangju-Massaker gilt indes als Wendepunkt in der südkoreanischen Geschichte; in den Folgejahren wurde die autoritäre Herrschaft beendet und eine demokratische Verfassung etabliert. Dass die Demokratie in Südkorea seitdem feste Wurzeln geschlagen hat, zeigte der spontane Widerstand in Parlament und Bevölkerung.

Obwohl das Kriegsrecht binnen Stunden annulliert und der Präsident inzwischen seines Amtes enthoben wurde, bleibt die Lage im Land derzeit angespannt. Hinzu kommt: Bislang konzentrierte sich der Widerstand hauptsächlich auf Präsident Yoon, nicht aber auf General Korea Park An-su, der den Putschversuch mitgetragen hatte. Damit aber bleibt in der Diskussion bislang ausgeklammert, dass die führenden Militärs den Staatsstreich offenbar unterstützten. Das aber macht die Situation in den kommenden Monaten hochgradig volatil.

Südkoreas Zwei-Parteien-Demokratie

Die politische Landschaft Südkoreas wird von zwei großen Parteien dominiert. Yoons Partei Gungminui-him («Macht der Staatsbürger») ist die konservative Kraft. Sie unterstützt eine marktorientierte Wirtschaftspolitik, die auf die Mitwirkung großer Unternehmen und ein Programm der Deregulierung setzt. Auf diese Weise will sie ganz bewusst die Arbeitnehmer*innenrechte einschränken. Zudem priorisiert ihre konservative Sozialpolitik traditionelle Familienstrukturen und religiöse Werte.

Die Deobureo Minjudang (Demokratische Partei) ist demgegenüber eher mitte-links zu verorten. Sie setzt sich für soziale Gerechtigkeit und eine Einbeziehung der Gewerkschaften ein. Die Demokratische Partei fokussiert ihre Politik auf eine stärkere soziale Absicherung insbesondere für einkommensschwache Familien; dazu gehören etwa kostenlose Bildung, sozialer Wohnungsbau, höhere Mindestlöhne oder auch der Ausbau des öffentlichen Gesundheitssystems. Sie arbeitet eng mit Gewerkschaften wie der KCTU zusammen.

Die Geschlechterfrage ist zwischen Regierung und Opposition ebenfalls ein heiß umkämpftes Thema, vergleichbar mit den USA. Viele junge Südkoreaner fühlen sich durch die Fortschritte der letzten Jahre im Bereich der Frauenrechte angegriffen und wenden sich den Konservativen zu. Junge Frauen hingegen wehren sich zunehmend gegen die alten konfuzianischen und patriarchalen Ideologien und Strukturen. Sie fordern Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie mehr Repräsentation in Politik und Wirtschaft. Dieser wachsende Graben spiegelte sich bei der letzten Präsidentschaftswahl. Während Männer zwischen 20 und 40 Jahren mehrheitlich für Yoon votierten, wählte die Mehrheit an Frauen in dieser Altersgruppe den Kandidaten der Demokratischen Partei. Die Abschaffung des Ministeriums für Gleichstellung und Familie durch Yoon verschärfte die Situation anschließend weiter.

Die Demokratische Partei plädiert außerdem für eine vorsichtige Annäherung an Nordkorea, was aus konservativer Perspektive als sicherheitspolitisch riskant oder gar prokommunistisch denunziert wird. Nicht zufällig war die Haltung der Opposition zur Nordkorea-Frage einer der Gründe, die Präsident Yoon anführte, als er das Kriegsrecht ausrief. Bereits am 1. September 2023 hatte er sich in seiner Rede zum 60-jährigen Jubiläum der Nationalen Diplomatenakademie Südkoreas ähnlich geäußert. Yoon nutzte das Thema gezielt, um seine politischen Gegner*innen zu diskreditieren und von seiner unpopulären Innenpolitik abzulenken.

Konflikt mit den Gewerkschaften

Neben der unterschiedlichen Haltung zum Umgang mit Nordkorea ist, wie erwähnt, auch die Haltung zu den Gewerkschaften überaus kontrovers. Der wirtschaftsnahe Yoon beschuldigte die KCTU, die Wirtschaft zu destabilisieren, während er gleichzeitig die gewerkschaftlichen Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und Programmen gegen die soziale Ungleichheit ignorierte.

Die KCTU, mit über einer Million Mitglieder die größte Gewerkschaft des Landes, tritt ihrerseits als starker Widersacher der neoliberalen Wirtschaftspolitik auf. Sie fordert eine Erhöhung des Mindestlohns, eine Verkürzung der Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen, insbesondere für Beschäftigte in sogenannten 3D-Jobs. Außerdem setzt sie einen Schwerpunkt auf den Ausbau sozialer Sicherungssysteme. Die Gewerkschaft kritisierte Yoon für seine arbeitnehmerfeindliche Politik und schaffte es immer wieder, durch Generalstreiks große Teile der Wirtschaft lahm zu legen.

Die KCTU rief dann für den 20. November dieses Jahres zur Großdemonstration in die Hauptstadt Seoul auf. Dort protestierten Gewerkschafter*innen und Bauernorganisationen gegen die Regierungspolitik und forderten den Rücktritt des Präsidenten. Die KCTU stellte sich also offen gegen Yoon, bezeichnete ihn als Vertreter einer neoliberalen Elite, die systematisch die Rechte der Arbeiter*innen untergrabe. Für den Tag des Putschversuchs hatte sie zum Generalstreik aufgerufen.

Dieser Konflikt ist indes keineswegs neu. Im August 2024 erklärte mir der Vorsitzende der KCTU, Yang Kyung-soo, in einem Gespräch die Haltung der Gewerkschaften. Besonders alarmierend sei, so Yang, das Yoons Politik die gezielte Beschneidung zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume fördere. So sei den Gewerkschaften untersagt worden, sich für große Veranstaltungen oder Kundgebungen an Universitäten zu versammeln oder Hörsäle für solche Zwecke zu nutzen. Der andauernde Streit mit dem konfliktsüchtigen Präsidenten habe zum Rückgang gewerkschaftlicher Aktivitäten geführt, da viele Menschen durch ihr Engagement negative Konsequenzen fürchteten. Wer sich aktiv in Gewerkschaften engagiere oder für bessere Arbeitsrechte kämpfe, riskiere unter Yoon berufliche Nachteile und Diskriminierung durch den Arbeitgeber. In einem derart arbeitnehmerfeindlichen Umfeld ziehen es viele Beschäftigte vor, Konflikten aus dem Weg zu gehen, anstatt ihre (gewerkschaftlichen) Rechte einzufordern. Yang betonte, dass eine solche Einschüchterungspolitik bewusst darauf abziele, die Gewerkschaften zu schwächen.

Vom Putsch zur Absetzung des Präsidenten

Yoon Suk-Yeol war 2022 mit einem Vorsprung von lediglich 0,7 Prozent zum Präsidenten gewählt wurde. Aber anstatt anschließend auf die unterlegene Demokratische Partei zuzugehen, der sein Amtsvorgänger Moon Jae-in angehört, interpretierte Yoon seinen Wahlsieg als Mandat zum Durchregieren. Damit aber verschärfte er die bestehenden Konflikte nur. Seine Amtsführung insbesondere während der letzten Monate erinnert an den sogenannten Bonapartismus: Statt einen Interessenausgleich zu suchen und demokratische Verfahren zu respektieren, war der Präsident bestrebt, sich mittels der Autorität seines Amtes über Einwände hinwegzusetzen und die Institutionen (wie etwa die Staatsanwaltschaft) als politische Werkzeuge zu missbrauchen. Gerade der Staatsstreich belegt, dass Yoon den Dialog mit der Opposition oder den Gewerkschaften konsequent verweigert hat. Der Putsch wirkte daher wie ein letzter Versuch, seine schwindende Kontrolle wiederzuerlangen – eine «Notlösung», mit der er vorgab, das Land zu retten, aber in Wirklichkeit doch nur seine eigene Macht zu sichern beabsichtigte.

Dieser autoritäre Führungsstil steht in einem auffälligen Kontrast zu seinem erklärten politischen Vorbild Roh Moo-hyun. Roh, der 16. Präsident Südkoreas (2003 - 2008), ist im Unterschied zu Yoon für seine sozial geprägte, progressive Politik bekannt. So setzte er die von seinem Vorgänger begonnene sogenannte Sonnenscheinpolitik fort, die auf eine Öffnung Nordkoreas setzt. Auch wenn seine Amtszeit von Korruptionsvorwürfen begleitet war, zeigte er sich offen für Diskussionen und gegensätzliche Meinungen. Yoon hingegen lässt keinerlei Bereitschaft in diese Richtung erkennen, obwohl er die Prinzipien von «Fairness und Vernunft» einst selbst als Leitmotiv seiner Präsidentschaft ausgerufen hatte.

Die Partei des Präsidenten, die noch nach dem Ende des Kriegsrechts den ersten Amtsenthebungsversuch der Opposition boykottiert hatte, distanzierte sich zuletzt zunehmend von Yoon. Ihr Vorsitzender, Han Dong-hoon, erklärte, es sei zum Schutz von Staat und Bürger*innen notwendig, dass «Präsident Yoon Suk-Yeol seine Ausübung der Amtsgeschäfte umgehend einstellt». Denn der Präsident habe im Zuge des Putsches das Militär und die Geheimdienste angewiesen, führende Persönlichkeiten in Haft zu nehmen. Überdies habe es auch konkrete Pläne dafür gegeben, festgenommene Politiker*innen in spezielle Haftanstalten zu überführen. Zudem unterstrich der Parteivorsitzende, im Falle des Verbleibs von Yoon im Amt bestehe die Gefahr, dass er erneut das Kriegsrecht ausrufe. Inzwischen ermittelte auch die Staatsanwaltschaft gegen den Präsidenten.

Daraufhin wurde Präsident Yoon am 14. Dezember mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit des Parlaments seines Amtes enthoben; von den 300 Abgebordneten sprachen sich 204 für die Amtsenthebung aus. Durch die Absetzung Yoons führt jetzt Ministerpräsident Han Duck-soo die Amtsgeschäfte. Das Verfassungsgericht hat nun bis zu 180 Tage Zeit, die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung zu prüfen. Sollte das Gericht ihr zustimmen, müssen binnen 60 Tagen Neuwahlen stattfinden.

Demokratie in Gefahr

Dass diesmal auch Abgeordnete der Partei Yoons gegen den Präsidenten stimmten, sollte indes nicht als Bekenntnis zur Demokratie interpretiert werden. Denn hätte es in der Bevölkerung weniger Proteste gegen den Putschversuch gegeben, wäre der Schwenk dieser Abgeordneten wohl nicht erfolgt.

Die Verhängung des Kriegsrechts, das in Südkorea zuletzt vor der Einführung der demokratischen Verfassung eingesetzt wurde, war ein Kipppunkt, der beinahe den Zusammenbruch der südkoreanischen Demokratie zur Folge gehabt hätte. Dieses Mal jedoch obsiegten die demokratischen Institutionen und die Entschlossenheit der Zivilgesellschaft. Hunderttausende gingen auf die Straße von Seoul, um Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.

Der Putschversuch war nicht nur Resultat eines machthungrigen Präsidenten, sondern Ausdruck eines tiefer liegenden Problems, welches wir auch in anderen Teilen der Welt verfolgen können: eine gesellschaftliche Spaltung, die durch neoliberale Politik, soziale Ungleichheit und patriarchale Strukturen immer weiter verschärft wird. Hinzu kommt: Wie große Teile der Welt gewinnen auch in Südkorea rechtsautoritäre Strömungen (wieder) an Macht, und wie anderswo wird die Gesellschaft auch nach der Amtsenthebung tief gespalten bleiben. Hinzu kommt, dass mit dem Amtsantritt Donald Trumps am 20. Januar 2025 die rechtsautoritären und extrem rechten Kräfte in aller Welt zusätzlichen Aufwind erhalten werden.

Fest steht: Die Entschlossenheit der Zivilgesellschaft hat die Demokratie diesmal gerettet, doch wenn es nicht gelingt, die sozialen Ursachen der gesellschaftlichen Spaltung zu beseitigen, werden auch die sozialen und politischen Gräben bestehen bleiben. Es reicht nicht aus, einen autoritären Präsidenten zu entmachten. Regierung und Parlament müssen nun grundsätzlich prüfen, wie die Bedingungen, die seinen Putschversuch überhaupt erst ermöglichten – also insbesondere das Recht des Präsidenten zur Verhängung des Kriegsrechts – so geändert werden können, dass eine Wiederholung verhindert und die Demokratie dauerhaft gestärkt wird.