Analyse | Parteien / Wahlanalysen - Rosalux International - Südasien Sri Lankas wechselvoller Aufstieg der Linken

Können die linken Parteien ihren historischen Wahlerfolg für einen politischen Kurswechsel nutzen? Von Devaka Gunawardena und Ahilan Kadirgamar

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Eine Szene auf dem Lebensmittelmarkt in Colombo: Leute stehen vor einem Stand mit Kartoffeln und Zwiebeln.
Sri Lankas neue Linksregierung hat nur eine Chance, wenn sie eine klare Alternative zum bisherigen neoliberalen Modell bietet. Ein Anfang ist gemacht: Mit einem parlamentarischen «Ausschuss für Lebensmittelpolitik und -sicherheit» will Präsident Anura Kumara Dissanayake sicherstellen, dass jede*r Bürger*in mit dem Mindestbedarf an Nahrungsmitteln in ausreichender Menge und Qualität zu einem erschwinglichen Preis versorgt wird.  Pettah Markt in Colombo, 11.12.2024, Foto: IMAGO / Xinhua

Der Wahlsieg von Anura Kumara Dissanayake, des Spitzenkandidaten der Parteienallianz Nationale Volksmacht (National People’s Power, NPP), bei der Präsidentschaftswahl in Sri Lanka markiert einen Wendepunkt für den südasiatischen Inselstaat. Bei den anschließenden Parlamentswahlen konnte seine Koalition zudem zwei Drittel der Sitze für sich gewinnen und damit einen seit Einführung des Verhältniswahlrechts Ende der 1980er Jahre nie dagewesenen Erfolg feiern. Zum ersten Mal seit den 1970er Jahren ist eine linke Partei nicht nur Teil einer Regierungskoalition, sondern führt diese auch an.

Dieser politische Meilenstein eröffnet die Möglichkeit, Sri Lanka auf einen nachhaltigeren und gerechteren Entwicklungspfad zu führen. Doch er birgt auch erhebliche Risiken. Die NPP könnte der Trägheit der Institutionen und dem internationalen Druck erliegen und ihr Wahlversprechen tiefgreifender Veränderungen nicht einlösen. Für die sri-lankische Linke steht also in diesem historischen Moment einiges auf dem Spiel.

Devaka Gunawardena ist Politikwissenschaftler und Research Fellow bei der Social Scientists' Association in Sri Lanka.

Ahilan Kadirgamar ist politischer Ökonom und Dozent an der Universität von Jaffna.

Ein politisches Erdbeben

Das jüngste politische Erdbeben ereignet sich nur zwei Jahre nach Beginn der Präsidentschaft von Ranil Wickremesinghe, dem das Establishment – von Mainstream-Medien und Think-Tanks bis hin zu internationalen Kreditgebern – bescheinigte, den Inselstaat «stabilisiert» zu haben. Nach Jahren gravierender Misswirtschaft und Inkompetenz seines Vorgängers Gotabaya Rajapaksa war Sri Lanka 2022 erstmalig mit seinen Auslandsschulden in Verzug geraten. Die darauf folgende Wirtschaftskrise führte zu massiven Versorgungsengpässen, langen Warteschlangen für Treibstoff und Grundnahrungsmittel und löste landesweite Proteste aus. Diese gipfelten in der Aragalaya-Revolte, die schließlich den Sturz der Rajapaksa-Regierung im Juli 2022 zur Folge hatte.

Nach Abflauen des Aufstands ging allerdings auch die Wickremesinghe-Regierung dazu über, oppositionelle Stimmen zu unterdrücken und das vom Internationalen Währungsfonds (IWF) diktierte brutale Sparprogramm fortzusetzen. Die sri-lankische Bevölkerung wartete die nächsten Wahlen ab.

Es war diese angespannte Atmosphäre, die der linken NPP zu ihrer entscheidenden Mehrheit verhalf, deren neue Regierung mit großen Hoffnungen und Erwartungen verbunden ist. Die Parteienallianz ist in erster Linie das politische Vehikel ihrer größten Partei, der Volksbefreiungsfront (Janatha Vimukthi Peramuna, JVP). Angeführt werden beide, JVP und NPP, von Anura Kumara Dissanayake. Dissanayake positioniert die NPP als dritte politische Kraft im Land. Er präsentiert sie als Gegenpol zur Korruption der etablierten politischen Klasse, die er in den beiden wichtigsten historischen Parteien – der Freiheitspartei (Sri Lanka Freedom Party, SLFP) und der Vereinigten Nationalpartei (United National Party, UNP) – sowie deren Ablegern verortet, der Volksfront (Sri Lanka Podujana Peramuna, SLPP) und der Vereinten Volksmacht (Samagi Jana Balawegaya, SJB).

Es muss jedoch auch konstatiert werden, dass die JVP die NPP im Jahr 2019 nicht zuletzt deshalb gründete, um von ihrer eigenen blutigen Geschichte abzulenken. Zu dieser Geschichte gehören zwei bewaffnete Aufstände: ein erster im Jahr 1971 und ein zweiter, deutlich stärker von Gewalt geprägter, in den späten 1980er Jahren.

Gleichzeitig spiegelt der Sieg der NPP in Sri Lanka einen globalen Trend wider, der in vielen Demokratien zu beobachten ist: Immer größere Teile der Wählerschaft schwanken von einer Wahl zur nächsten zwischen links- und rechtspopulistischen Alternativen zum etablierten politischen System.

Die NPP weist viele der Widersprüche auf, die auch linke Formationen in anderen Ländern kennzeichnen, in denen der Neoliberalismus politisch vorherrscht. Anders als in Indien, wo die größten linken Parteien in den Bundesstaaten wie Kerala und Westbengalen seit Jahrzehnten an der Macht sind, übernimmt die NPP die sri-lankische Regierung zu einem Zeitpunkt, an dem das Land politisch und wirtschaftlich schwer angeschlagen ist. Trotz der dramatischen wirtschaftlichen Notlage und der heftigen Revolte von 2022 bleibt jedoch ungewiss, ob die neue Regierung tatsächlich bereit ist, einen unabhängigen Entwicklungspfad einzuschlagen. Immerhin wäre dafür eine Abkehr vom Neoliberalismus vonnöten.

Nach ihrem Amtsantritt verpflichtete sich die NPP, die Bedingungen des IWF-Abkommens der Vorgängerregierung zu respektieren. Sie ging sogar eine Grundsatzvereinbarung mit externen Anleihegläubigern ein, die beispiellose rechtliche Änderungen vorsieht, durch die die sri-lankischen Staatsanleihen weitgehend zugunsten der kommerziellen Gläubiger umstrukturiert werden. In dieser Hinsicht scheint es, als sei die NPP weder bereit noch in der Lage, der Erpressung des globalen Kapitals standzuhalten.

Trotzdem lässt sich die Parteienallianz nicht einfach abtun, insbesondere vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Wut über die Sparpolitik, die ihren Sieg überhaupt erst ermöglichte. Besonders die JVP hat in der komplexen Geschichte der sri-lankischen Linken eine wichtige, wenn auch widersprüchliche Rolle gespielt. Die Partei (und damit auch ihr Wahlbündnis) spiegelte häufig die allgemeinen Widersprüche der sri-lankischen Wählerschaft wider und spannte einen Bogen zwischen verschiedenen Klassen und sozialen Gruppen.

Jetzt steht die NPP an einem kritischen Wendepunkt. Wird sie die drängenden Missstände bekämpfen, die vor allem die zunehmend verarmte Mittelschicht und die Arbeiterklasse betreffen – die auch die Hauptlast der gegenwärtigen Krise tragen – und eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes sowie eine entschlossene Umverteilungspolitik anstreben? Oder wird sie es bei einer Rhetorik ehrgeiziger Ziele belassen, die vor allem die neuen Unterstützer*innen aus den Reihen der Hochqualifizierten und der Wirtschaft ansprechen, während sie gleichzeitig am gegenwärtigen Wirtschaftskurs festhält?

Die Frage, ob und wie die NPP dazu gedrängt werden kann, eine konsequent linke Politik zu verfolgen, lässt sich nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte beantworten. Dieses Thema betrifft nicht nur Sri Lanka, sondern ist eine Herausforderung, mit der sich linke Kräfte weltweit auseinandersetzen müssen, wenn sie inmitten einer zerfallenden Weltordnung tragfähige progressive Koalitionen schmieden wollen.

Sri Lankas «alte» und «neue Linke»

Um den Werdegang der JVP nachzuvollziehen, muss man die Partei im historischen Kontext der sri-lankischen Linken betrachten.

Die erste offizielle politische Partei des Landes war die sozialistische Soziale Gleichheitspartei (Lanka Sama Samaja Party, LSSP), die 1935 gegründet wurde – noch vor der Unabhängigkeit des damaligen Ceylons von Großbritannien im Jahr 1948. Die Gründungsmitglieder der LSSP waren während ihres Studiums im Ausland von Persönlichkeiten wie Harold Laski, dem britischen Wirtschaftswissenschaftler und späteren Vorsitzenden der Labour Party, beeinflusst worden. Doch die LSSP war nicht nur die erste politische Partei Sri Lankas, sondern auch eine marxistische Partei mit klar trotzkistischer Ausrichtung. Wie der Politikwissenschaftler Calvin Woodward hervorhebt, waren die Trotzkist*innen in Sri Lanka ironischerweise die dominierende politische Kraft, während die Stalinist*innen als Abweichler*innen galten. Die Kommunistische Partei (CP) entstand als Splitterpartei der LSSP und suchte, trotz ihrer ideologischen Differenzen, später wieder die Nähe zur ehemaligen Mutterpartei. Das sri-lankische Bürgertum hingegen fand seine politische Heimat in zwei Parteien der politischen Mitte: der UNP und der daraus hervorgegangenen SLFP.

Die «alte Linke», vertreten durch die LSSP und die CP, sah sich vor das strategische Dilemma gestellt, ihre politische Unabhängigkeit zu wahren oder Koalitionen mit der linksgerichteten, aber bürgerlichen SLFP einzugehen. Letztere wurde 1956 zur führenden Kraft und leitete eine staatlich gesteuerte Entwicklungs- und Importsubstitutionspolitik mit nationalistischem Einschlag ein, die sich vorrangig an der singhalesisch-buddhistischen Mehrheit orientierte. Aus der Spaltung der CP in den 1960er Jahren ging die von Nagalingam Shanmugathasan geführte Communist Party – Peking Wing hervor. Kurz darauf betrat Rohana Wijewardene als Anführer einer Jugendbewegung die politische Bühne, die schließlich zur JVP werden sollte.

Sowohl die JVP als auch die breitere «neue Linke» vertraten eine deutlich andere Haltung zum Thema bewaffneter Widerstand als die alte Linke. Zwar war die JVP von verschiedenen, teils widersprüchlichen Ideologien geprägt, doch ihre Ausrichtung war primär maoistisch. Während die alte Linke, wie es ihr bedeutender Theoretiker Hector Abhayavardhana formulierte, «Krieg predigte, aber Frieden praktizierte», nahm die JVP das Thema Revolution ernst und unternahm 1971 den Versuch, die Regierung zu stürzen.

Doch der Bruch der JVP mit der alten Linken lässt sich nicht allein auf Differenzen in der politischen Strategie zurückführen. Vielmehr ergab er sich aus tiefgreifenden Spannungen in der sri-lankischen Wählerschaft, insbesondere im ländlichen Süden. Die JVP verkörperte die vielschichtigen sozialen, sprachlichen und generationsbedingten Spaltungen, die das Land prägten. Im Gegensatz zur Führung der alten Linken, die anglophon und kosmopolitisch geprägt war, wurde die JVP vor allem von jungen, singhalesischsprachigen Menschen aus ländlichen Regionen getragen. Die alte Linke wiederum schloss sich der von der SLFP geführten Einheitsfront-Regierung (1970 bis 1977) an, in der die LSSP bis 1975 ein Juniorpartner war, und rechtfertigte die gewaltsame Reaktion der Regierung auf den JVP-Aufstand, bei dem rund 10.000 Menschen ums Leben kamen.

Manche der Dissident*innen innerhalb der alten Linken, wie etwa Edmund Samarakkody, konnten die Beliebtheit der JVP allerdings gut nachvollziehen. Denn trotz ihrer ideologischen Widersprüche war die Partei als Reaktion auf die ungelösten Probleme der unterbeschäftigten Jugend in ländlichen und städtischen Gebieten entstanden. Große Teile der jüngeren Generation hatten selbst unter dem sozialdemokratischen Regime der Zeit nach 1956 keine Zukunftsperspektive. Die JVP fand ihre politische Basis daher vor allem in der unterbeschäftigten jungen Bevölkerung, die im öffentlichen Sektor arbeiten wollte. Gleichzeitig sprach sie auch Wählergruppen wie Kleinbauern und -bäuer*innen an, die sich von den linksgerichteten Regierungen vernachlässigt fühlten, welche sich stärker auf ihre städtischen gewerkschaftlichen Anhänger*innen konzentrierten. Dieser klassenübergreifende Charakter sollte sich sowohl als Stärke als auch als Quelle grundlegender Widersprüche innerhalb der JVP erweisen.

Der Niedergang der Linken in den 1970er Jahren

Die sozialdemokratische Koalition, die Sri Lanka in den ersten Jahrzehnten nach Ende der britischen Kolonialherrschaft regierte, war nicht in der Lage, die Landumverteilung konsequent voranzutreiben. Dieses Versäumnis verhinderte nicht nur die Einbeziehung der ländlichen Räume, sondern auch eine umfassende Umgestaltung und den Ausbau der sri-lankischen Wirtschaft, die die aufkommenden Bestrebungen nach einem ökonomisch unabhängigeren Sri Lanka hätten unterstützen können.

Der entscheidende Rückschlag kam jedoch mit der Weltwirtschaftskrise der 1970er Jahre, in deren Verlauf die Schwächen des sri-lankischen Modells unmissverständlich zutage traten. Mit seinem «Kapitalstreik» trug der Westen erheblich zur Verschärfung der Krise bei, indem er seine Investitionen aus dem Land abzog und die ohnehin schon abhängige Wirtschaft weiter schwächte.

Als sich die Handelsbedingungen für Sri Lanka verschlechterten, begann der Westen, das Land unter Druck zu setzen, indem ausländische Investitionen verweigert wurden. Dabei handelte es sich um eine strafende Reaktion auf den Regimewechsel von 1956 sowie auf die Annäherung Sri Lankas an das Bandung-Projekt und die Bewegung der Blockfreien Staaten. Nach dem Wahlsieg der Einheitsfront-Regierung im Jahr 1970 ging der Westen noch weiter und schränkte multilaterale Formen der Zusammenarbeit über Institutionen wie den IWF und die Weltbank ein.

Innenpolitisch verschärfte die gewaltsame Repression der Regierung die Spaltung innerhalb der Linken und veranlasste viele Schlüsselpersonen und Organisationen, sich verstärkt für bürgerliche und demokratische Rechte einzusetzen. Mitglieder der JVP, die die mangelnde Aufmerksamkeit der Partei für die nationale Frage kritisierten, begannen, die Haltung der Partei gegenüber ethnischen Minderheiten zu hinterfragen. Dies war besonders im Hinblick auf die fremdenfeindliche Haltung der JVP gegenüber der im Hochland lebenden tamilischen Minderheit von Bedeutung. Anders als die Tamil*innen im Norden und Osten, die bereits seit Jahrhunderten auf der Insel leben, wurden die Tamil*innen im Hochland erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus Indien als Vertragsarbeiter*innen auf sri-lankische Plantagen gebracht. Die JVP beschuldigte sie, eine «fünfte Kolonne» für den angeblichen indischen Imperialismus der postkolonialen Ära zu sein.

Doch solche Debatten und Positionsänderungen innerhalb der JVP waren nur von kurzer Dauer und fanden hauptsächlich in einer Phase der Rehabilitierung in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren statt. Als die Partei sich später wieder in den Untergrund begab, brachte sie die kritischen Stimmen in den eigenen Reihen zum Schweigen.

Zwischen Neoliberalismus und Nationalismus

Anlass für das Abtauchen der JVP in den Untergrund war die Konsolidierung einer autoritären Rechtsregierung unter JR Jayewardene. Nach dem überwältigenden Wahlsieg seiner UNP im Jahr 1977 kündigte Jayewardene Reformen für eine «offene Wirtschaft» an. Damit brach er mit der ökonomischen Ausrichtung des sozialdemokratischen Regimes und führte Sri Lanka auf einen Kurs der wirtschaftlichen Liberalisierung. Kurz darauf kam es landesweit zu verheerenden antitamilischen Pogromen, die von Jayewardenes Regierung unterstützt wurden, woraufhin im Norden und Osten des Landes ein Bürgerkrieg ausbrach.

Die JVP, die nach den Unruhen von der Regierung verboten wurde, organisierte Ende der 1980er Jahre im Süden des Landes einen zweiten, noch gewalttätigeren Aufstand, in dem sie sich gegen eine angebliche indische Intervention und die quasi-föderale Lösung der nationalen Frage Sri Lankas stellte. Nachdem die JVP-Führung 1989 der brutalen Aufstandsbekämpfung zum Opfer gefallen war, trat die Partei 1994 als parlamentarische Kraft wieder in Erscheinung. Dabei vertrat sie jedoch weiterhin das Projekt einer singhalesischen buddhistischen Nation. Überzeugt davon, dass «die Nation» die letzte Bastion gegen den Imperialismus darstelle, nahm die Partei eine harte nationalistische Rhetorik an und ging Bündnisse mit weit rechts stehenden Kräften ein. Die Logik der JVP bestand im Wesentlichen darin, dass der Schutz Sri Lankas vor westlicher Einmischung – etwa in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen während der bewaffneten Auseinandersetzungen – Vorrang vor der Behandlung von Klassenfragen haben müsse.

Schließlich stellte sich die JVP hinter Mahinda Rajapaksa, den Patriarchen der Rajapaksa-Dynastie, der 2005 die Präsidentschaft gewann. Rajapaksa führte einen erbarmungslosen Krieg gegen die Befreiungstiger von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE), welche zu diesem Zeitpunkt bereits die mit ihnen rivalisierenden tamilischen Gruppen rücksichtslos ausgeschaltet hatten. Der letztendliche Sieg der Rajapaksa-Regierung über die LTTE im Jahr 2009 kostete Zehntausende Tamil*innen das Leben.

Unmittelbar nach dem Krieg besann die JVP sich jedoch wieder auf ihre Rolle als Regierungskritikerin und entwickelte sich bis 2022 zu einer relativ konsequenten Verfechterin demokratischer Rechte im Parlament. Gleichzeitig musste sie jedoch auch eine Reihe innerparteilicher Spaltungen hinnehmen. Eine linke Splitterpartei, die Sozialistische Frontlinienpartei (Frontline Socialist Party, FSP), setzte verstärkt auf den Kampf auf der Straße, während die JVP weiterhin die parlamentarische Politik in den Vordergrund stellte. Dabei verschob sich auch die Unterstützungsbasis der JVP. Die Partei zog zunehmend größere Teile der Mittelschicht an, einschließlich städtischer Berufstätiger, die eine «saubere» Alternative zur als endemisch wahrgenommenen Korruption der politischen Klasse Sri Lankas suchten.

Diese Veränderungen legten den Grundstein für den historischen Erfolg der NPP bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2024. Die Parteienallianz profitierte sowohl von der wachsenden Frustration der Mittelschicht, die durch die verheerende Wirtschaftskrise verarmt war, als auch von breiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung, die die Hauptlast der Sparmaßnahmen zu tragen hatte.

Spannungen im klassenübergreifenden Bündnis

Es dürfte an der klassenübergreifenden Ausrichtung der NPP-Koalition liegen, dass sie nach wie vor eine Plattform bietet, auf die die diverse sri-lankische Wählerschaft ihre Hoffnungen und Wünsche projizieren kann. Wie es auch schon der alten Linken erging, als sie an der Staatsmacht beteiligt war, werden jedoch voraussichtlich auch die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Segmenten der NPP-Basis immer deutlicher zutage treten, sobald sie die Regierung antritt. Denn die NPP hat weder ihre Ursprünge in der JVP überwunden, noch konnte sie sich von den Problemen lösen, die die gesamte sri-lankische Linke seit Langem plagen. Diese werden vielmehr in der NPP fortgeschrieben, wenn auch in veränderter Form.

Dies gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die JVP trotz ihrer maoistischen Wurzeln bisher noch nicht in der Lage war, ein klares und umfassendes Umverteilungsprogramm zu entwickeln, das die Beziehungen zwischen den verschiedenen Klassen und ethnischen Gemeinschaften transformieren könnte. Das Misstrauen, das sie seit den frühen Jahren ihrer Organisation den Hochland-Tamil*innen entgegenbrachte, hat die Partei daran gehindert, sich kritisch mit dem ethno-nationalistischen Charakter des sri-lankischen Staates auseinanderzusetzen.

Hinzu kommt, dass die JVP, wie auch der Rest der sri-lankischen Linken, bislang kein überzeugendes Konzept zur Lösung der landwirtschaftlichen Probleme des Landes vorgelegt hat. Dabei ist die Agrarfrage angesichts des Umstands, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gebieten leben, nach wie vor von zentraler Bedeutung. Eine robustere Antwort hätte eine alternative Vision erfordert, die auf dem Aufbau halbautonomer Organisationen wie etwa Kooperativen beruht. Eine solche Einbeziehung des ländlichen Raums hätte es dem Land ermöglichen können, anhand der Stärkung der Verbindungen zwischen Landwirtschaft, Fischerei und Industrie alternative Akkumulationsmethoden zu entwickeln.

Stattdessen hat die wirtschaftliche Liberalisierung Sri Lankas seit den späten 1970er Jahren – die ursprünglich den Mittelschichten neue Perspektiven eröffnen sollte – das Land immer anfälliger für externe Schocks gemacht. Dies wurde besonders deutlich im Zuge der Währungskrise 2022, als Sri Lanka nicht einmal mehr in der Lage war, lebenswichtige Güter wie Milchpulver zu importieren. Deshalb sind agrarpolitische Fragen wie die Umverteilung von Land nach wie drängend, aber nicht mehr die einzigen Themen auf der Tagesordnung.

Die wachsende Unterstützung der NPP unter städtischen und hochqualifizierten Wähler*innen motiviert die Parteienallianz, sich den Herausforderungen der Produktions-, aber auch der Konsumsphäre zu stellen. Dies ist umso mehr der Fall, als die real existierende neoliberale Wirtschaft Sri Lankas – die stark auf den Tourismus und die Rücküberweisungen von Wanderarbeiter*innen angewiesen ist – seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie zahlreiche strukturelle Schwächen offenbart hat. Wie die Mittelschicht auf den so dringend benötigten Wandel reagieren würde, hängt allerdings maßgeblich von der Fähigkeit der Regierung ab, eine neue wirtschaftliche Vision zu formulieren, die auch den grundlegenden Forderungen nach sinnvoller Arbeit und Aufstiegsmöglichkeiten gerecht wird.

Zwei alternative Entwicklungspfade

In anderen Worten: Die NPP hat bislang keine überzeugende Antwort auf die uralte Frage gefunden, wie Bündnisse zwischen den radikalisierten Schichten des «Kleinbürgertums» und der Arbeiterklasse dauerhaft gestärkt werden können. Um die Entwicklung Sri Lankas in den letzten Jahren zu verstehen, ist eine Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie von Tourismus und Mega-Infrastruktur unerlässlich. Denn diese Sektoren sind zu wichtigen Einfallstoren geworden, über die globale Akteure ihren Einfluss auf die sri-lankische Wirtschaft weiter ausbauen.

Um einen Block aufzubauen, der in der Lage ist, eine soziale und klassenbasierte Politik voranzutreiben, die sich einem alternativen Entwicklungspfad verschreibt, braucht es auch ein klares Verständnis der wirtschaftlichen Herausforderungen, denen dieser sich stellen müsste. Zu den strukturellen Faktoren gehören nicht nur die Volatilität ausländischer Einnahmequellen wie dem Tourismus und den Rücküberweisungen von im Ausland arbeitenden Sri Lanker*innen, sondern auch die Notwendigkeit, Devisen für Importe einzusparen und gleichzeitig die Exporte zu steigern. Jeder Versuch, die Wirtschaft auf eine neue Akkumulationsstrategie auszurichten, um den nationalen Wohlstand zu fördern, müsste die Verbindungen zwischen verschiedenen Wirtschaftssektoren stärken – etwa zwischen der Nahrungsmittelproduktion und den dazugehörigen Produktionsfaktoren wie Boote für Fischer*innen und Düngemittel für Landwirt*innen. Dies würde jedoch erhebliche staatliche Investitionen und eine gezielte Planung in Bereichen erfordern, in denen private Akteure keine sofortigen Gewinne erwarten können. Ein solcher Kurs würde zudem einen wirtschaftspolitischen Ansatz erfordern, der in der Lage ist, die oft widersprüchlichen Interessen einer bereits an sich diversen Arbeiterklasse einerseits und der Mittelschicht andererseits miteinander in Einklang zu bringen.

Wie jedoch lässt sich – auch angesichts der Geschichte der NPP – ihre Fähigkeit einschätzen, diese Herausforderungen zu meistern? Ein Großteil der Debatte über die sri-lankische Linke wurde bislang auf der Ebene von Taktik und Strategie geführt. Die Frage, ob der politische Kampf auf der Straße oder im Parlament ausgefochten werden muss, ist dabei Teil eines kontinuierlichen Versuchs, die NPP von ihrer radikaleren, aber marginalen Konkurrenz von links abzugrenzen. Allerdings braucht es ein tieferes Verständnis der ideologischen Gegensätze, die den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zugrunde liegen, um eine klare Vorstellung von den beiden Wegen zu entwickeln, die der Regierung Dissanayake derzeit offenstehen.

Der eine Weg besteht darin, einen Kompromiss mit der Kompradoren-Elite einzugehen, das bestehende Kräfteverhältnis zu akzeptieren und sich mit der vom Westen dominierten Weltordnung abzufinden. Dies würde mittelfristig eine Rückkehr zum Wirtschaftskurs früherer Regierungen bedeuten und den Sieg der NPP weitgehend aushöhlen.

Der andere Weg hingegen könnte die Wahlen von 2024 zu einem Wendepunkt für die Umgestaltung der sri-lankischen Wirtschaft machen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass die NPP das Land auf einen Kurs bringt, der eine klare Alternative zum bisherigen neoliberalen Modell darstellt.

Wenn derzeit etwas für die NPP spricht, dann vor allem, dass ihre Genese in der Linken sie vom Drang zum zügellosen Konsum von Luxusgütern abhalten wird, der die herrschenden Eliten des Landes antrieb, Sri Lanka in ein Netz von Abhängigkeitsverhältnissen zu verstricken. Dennoch ist die Bescheidenheit der NPP und ihr Ruf als «ehrliche» Partei kein Garant dafür, dass sie katastrophale wirtschaftliche Kompromisse, die aus einer Kombination von Kurzsichtigkeit, politischer Schwäche und Apathie resultieren könnten, künftig vermeiden kann.

Sollte sie ihren bisherigen Kurs der zaghaften Kompromisse fortsetzen, könnten JVP und NPP lediglich das jüngste sri-lankische Gesicht eines obsoleten Mitte-Links-Establishments werden, das in zahlreichen Ländern Sparmaßnahmen durchgesetzt hat. Um ein solches Szenario zu verhindern, muss die Linke eine Vision entwickeln, die der sozialen Mobilisierung und der Umgestaltung der Produktionsverhältnisse eine ebenso große Bedeutung zuweist wie den notwendigen rechtlichen Reformen und einer tiefgreifenden Neuausrichtung der Governance-Strukturen.
 

Übersetzung von Charlotte Thießen und Sebastian Landsberger für Gegensatz Translation Collective