Nachricht | Mexiko / Mittelamerika / Kuba Guatemala: Bernardo Arévalo tritt auf der Stelle

Der schwierige Kampf gegen den «Pakt der Korrupten». Von Knut Henkel

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Knut Henkel,

In Guatemala-Stadt protestieren Menschen gegen den Klüngel in der Justiz: «Weg mit den Korrupten» steht auf einem Schild aus Pappe
«Weg mit den Korrupten»: Protest in Guatemala-Stadt im Jahr 2024 Foto: Knut Henkel

Der guatemaltekische Präsident Bernado Arévalo galt bei seinem Amtsantritt im Januar 2024 als Hoffnungsträger für einen politischen Wandel. Im Kampf gegen Korruption geht es jedoch kaum voran. Liegt das an der zögerlichen Politik des Präsidenten oder sind die Strukturen, die sich der «Pakt der Korrupten» um die Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras geschaffen hat, robuster als erwartet?

Für den Journalisten Gerson Ortiz ist die Freilassung seines Kollegen und journalistischen Ziehvaters José Rubén Zamora eine exzellente Nachricht. «Nach exakt 814 Tagen in Untersuchungshaft kam er am 19. Oktober frei, kann sich nun von den Strapazen der Haft erholen. Die schlechte Nachricht ist jedoch, dass er sich in zwei laufenden Verfahren weiter verteidigen muss. Sie lassen ihn nicht in Ruhe», kritisiert Ortiz. Im Juli 2022 war Zamora unter dem Vorwurf der Geldwäsche verhaftet worden, Menschenrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen bezeichnen die Vorwürfe gegen ihn als fadenscheinig. In der von ihm gegründeten Tageszeitung «El Periódico» hatte der renommierte Investigativjournalist mit seinem Team immer wieder über Veruntreuungen und Korruptionsskandale berichtet, die nicht nur die ehemalige Regierung von Ex-Präsident Alejandro Giammattei betrafen.

Knut Henkel ist Politikwissenschaftler, arbeitet als freier Korrespondent zu Wirtschaft und Gesellschaft in Lateinamerika, schreibt für die taz, das Amnesty Journal und andere Printmedien und ist mehrmals im Jahr auf Recherche in Guatemala.

Dass die Justiz darauf empfindlich reagiere, sei kein Einzelfall, mahnt Ortiz: «In Guatemala werden weiterhin Journalist*innen kriminalisiert, Gesetze instrumentalisiert, um die kritische Presse mundtot zu machen. Gegen Ortiz, der bei «El Periódico»  seine journalistische Karriere begann, laufen gegenwärtig zwei politisch motivierte Verfahren für «boshafte» und «respektlose»  Berichterstattung gegenüber der Justiz. Mit seiner langjährigen Kollegin Julia Corado leitet er heute aus dem Exil das Onlineportal «eP Investiga». So wollen sie die Arbeit von «El Periódico» fortsetzen, nachdem die Regierung Giammatei die Tageszeitung durch Druck auf Anzeigenkund*innen im Mai 2023 in den wirtschaftlichen Ruin trieb.  

Der «Pakt der Korrupten» ist ungebrochen

An eine Rückkehr von Ortiz ist auch zehn Monate nach der Vereidigung von Bernardo Arévalo am 15. Januar 2024 zum Präsidenten Guatemalas nicht zu denken. Dabei hatte dieser versprochen, das Land vom «Pakt der Korrupten», wie die Seilschaften aus Politik, Justiz und Kriminalität in Guatemala bezeichnet werden, zu befreien. Von seinem Versprechen, die Justiz zu reformieren und wieder unabhängig zu machen, ist er jedoch weit entfernt. Zwar hält ihm die Bevölkerungsmehrheit Umfragen zufolge weiterhin die Treue, aber die korrupten Seilschaften ziehen alle Register. Als Arévalos mächtigste Gegenspielerin gilt die 71-jährige Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras. Diese hat seit ihrem Amtsantritt im Mai 2018 das Justizsystem umgekrempelt und vielen ihrer hochkorrupten Anhänger*innen zu Schlüsselpositionen verholfen, bis hinein ins Verfassungsgericht des Landes.

Porras Klüngel aus Richter*innen, Staatsanwält*innen und Justizmitarbeiter*innen kontrolliert damit de facto die Justiz und instrumentalisiert sie gegen ihre politischen Gegner*innen. Dazu gehören unbequeme Andersdenkende wie José Rubén Zamora, der sich nach wie vor in Hausarrest befindet, aber den jederzeit ein Gericht zurück in Haft schicken könnte, aber auch Richter*innen, Staatsanwält*innen oder Ermittlungspersonal. Wer nicht nach Porras Pfeife tanzt, muss mit Ermittlungen der Justiz rechnen. Dutzende sind ins Ausland geflohen, darunter Richter wie Miguel Ángel Gálvez, Staatsanwälte wie Juan Francisco Sandoval oder zuletzt Virginia Laparra. Die ehemalige Leiterin der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit in der zweitgrößten Stadt des Landes, Quetzaltenango, floh Ende Juli des Jahres ins Ausland. «In Guatemala bin ich wegen der Weitergabe vertraulicher Informationen zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Bei den Informationen handelte es sich um Belege, die die Korruption im Amt eines Richters bewiesen», kritisiert die 44-jährige. Weil sie ein Verfahren gegen den korrupten Richter eröffnet hatte, saß sie mehr als 20 Monate für angebliche «Amtsanmaßung» im Gefängnis, zahlreiche davon in Isolationshaft. Die Haftstrafe und das Urteil gegen sie sind für Virginia Laparra Drohbotschaften an das Justizsystem: «An mir wurde ein Exempel statuiert, um allen Angestellten im Justizsystem zu signalisieren: Jeder und jede ist antastbar».

So herrscht ein Klima der Einschüchterung, gegen das auch Bernado Arévalo bisher nichts zu tun vermochte. Für einige ist dafür der zögerliche, zaudernde Politikstil des Präsidenten verantwortlich, andere verweisen auf die immense Herausforderung, die es bedeute, gegen Institutionen vorzugehen, die der «Pakt der Korrupten» in gut acht Jahren nahezu komplett unter seine Kontrolle gebracht hat. «Man kann nicht erwarten, dass eine Regierung die Institutionen binnen zehn, zwölf Monaten strukturell reformiert und neu besetzt. Dazu sind Mehrheiten nötig», so Gerson Ortiz. Genau die hatte Bernardo Arévalo nur direkt nach seiner Vereidigung, wo das Gros der Abgeordneten hinter ihm und seiner Partei Movimiento Semilla stand.

Kraftlose Reformversuche

Damals unternahm Arévalo einen eher zaghaften Versuch María Consuelo Porras zum Rücktritt aufzufordern, indem er sie erst in den Präsidentenpalast und dann zu einer Kabinettsitzung einbestellte. Doch davon ließ sich Porras, deren Name auf der in den USA geführten «Engel-Liste» korrupter und demokratiefeindlicher Personen aus Mittelamerika steht, nicht beeindrucken. Zu genau wusste sie, dass sie wichtige Schlüsselpositionen besetzt hatte und dass sich Abgeordnete in Guatemala im Zweifel bestechen oder einschüchtern lassen. Das Kalkül ist aufgegangen. Als sich die Regierung Arévalo im Mai endlich dazu entschied, ein nicht ausreichend vorbereitetes Gesetz zur Reformierung der guatemaltekischen Generalstaatsanwaltschaft (Ministerio Público) zu präsentieren, fand es kaum Widerhall. «Das Gesetz mit dem eine Absetzung der Generalstaatsanwältin möglich gewesen wäre, hat es nicht einmal in die erste Lesung geschafft – ein Desaster für Semilla», urteilt Héctor Reyes, Direktor der Menschenrechtsorganisation CaLDH.

Es fehlt Movimiento Semilla an politischer Stärke, um derartige Reformen wirksam umzusetzen: Mit nur 22 Abgeordneten, ursprünglich waren es 24, stellen sie nur eine Minderheit im Parlament. Aufgrund eines juristischen Manövers des korrupten Justizapparats um Porras fehlt ihnen zudem der Fraktionsstatus im Parlament. Damit sind sie in Ausschüssen und Gremien nicht vertreten. Die dadurch stark geschwächte Partei hat dagegen zwar Rechtsmittel eingelegt, vermag aber kaum etwas gegen die politisch agierenden Gerichte auszurichten. An dieser Situation wird sich vorläufig kaum etwas ändern, denn María Consuelo Porras hat noch bis Anfang 2026 ein Mandat und eine Entlassung der Generalstaatsanwältin scheint für Präsident Arévalo nicht in Frage zu kommen. «Arévalo agiert nach demokratischen, ethischen und moralischen Parametern, Porras setzt alles und jeden skrupellos zu ihrem Vorteil ein und hat das Verfassungsgericht hinter sich», meint die im Exil lebende Virginia Laparra.

Diese Meinung teilt auch Héctor Reyes, allerdings hält er das Vorgehen Arévalos für falsch: «Der Präsident hat ein Mandat, wurde von der Bevölkerungsmehrheit gewählt, um Entscheidungen zu treffen – auch unbequeme. Er hat das Recht die Generalstaatsanwältin zu entlassen», meint Reyes und verweist auf die sinkende Zustimmungsrate Arévalos. Die rangiert um die 54 Prozent mit sinkender Tendenz. Zudem ist für Reyes vollkommen unklar, ob die Regierung 2026, wenn die Nominierung einer neuen Generalstaatsanwältin oder eines Generalstaatsanwalts ansteht, einen vertrauenswürdigen Kandidaten oder Kandidatin durchsetzen kann.
 
«Die Nominierungsverfahren sind komplex, oft intransparent», mahnt der Jurist. Das zeigte sich bereits bei den Wahlen der Richter*innen des höchsten Gerichts (Corte Suprema de Justicia, CSJ) und der Berufungsgerichte im Oktober 2024. Es setzten sich etliche Kandidat*innen durch, die weder als neu noch als unparteiisch gelten: Drei der dreizehn Richter*innen des CSJ wurden wiedergewählt und haben bereits Erfahrung im lukrativen Spiel mit der Straflosigkeit.

Auch unter den 156 Richter*innen der Berufungsgerichte seien zahlreiche dubiose Figuren, urteilt Reyes in Übereinstimmung mit dem deutschen Rechtsanwalt Miguel Mörth, der seit mehr als dreißig Jahren in Guatemala lebt und gut vernetzt im Justizsektor ist. Die Reform der Justiz von unten durch die Nominierungsverfahren, wie hier und da erhofft, ist gescheitert, weil der «Pakt der Korrupten» auch hier Gewährsleute organisiert und Vorbereitungen getroffen hatte.

Macht die indigene Bewegung weiter Druck?

Für Michael Mörth ist das Ergebnis auf dem Papier daher ernüchternd. Vielleicht könnten einzelne glaubwürdige Richter*innen in manchen Fällen einen Unterschied machen, schätzt Mörth. Dass das alles sein soll, ist jedoch für jene, die sich von Arévalo einen Bruch mit dem «Pakt der Korrupten»  erhofft hatten, eine frustrierende Perspektive. Héctor Reyes wünscht sich daher mehr Führungsstärke von Arévalo. Diese Einschätzung teilen auch indigene Vertreter*innen wie Bernardo Caal Xol, Umweltaktivist aus Alta Verapaz, einer der ärmsten Regionen des Landes. Bei seiner Wahl hatte Arévalo viel Rückhalt von den indigenen Wähler*innen, je nach Quelle zwischen 44 und 52 Prozent der guatemaltekischen Bevölkerung, erhalten. Als die Justiz versuchte, die Wahl Arévalos anzuzweifeln und zu unterminieren, gingen sie von Oktober 2023 bis Mitte Januar 2024 auf die Straße und verteidigten das Wahlergebnis. Erfolgreich. «Unsere Forderung nach Absetzung der Generalstaatsanwältin steht seitdem im Raum», sagt Caal Xol. «Wir wissen, dass die Regierung de facto gegen die Justiz regiert und das sorgt dafür, dass es zu wenige Reformen, zu wenige Entscheidungen gibt – die Justiz behindert die Regierung. Das verlangsamt den Reformprozess und sorgt für Frust», erklärt Caal Xol. In einigen Gemeinden habe die Regierung an Glaubwürdigkeit verloren, die Kritik nehme zu, so der stämmige Mann von Anfang 50. Vor allem unter den Jugendlichen sei der Frust groß und auch Caal Xol würde gern sehen, dass Bernardo Arévalo entschlossener agiert.

Doch davor schreckt der Präsident weiter zurück. Ein Grund könnte sein, dass Porras auch das Verfassungsgericht kontrolliert und Arévalo einen offenen Machtkampf vermeiden will. Das mag nachvollziehbar sein, aber es kostet die Regierung Rückhalt. In den indigenen Gemeinden fordern daher manche, wieder in die Hauptstadt zu ziehen, um Reformen einzufordern. Bernardo Caal Xol wäre dabei.