
Der Überfall der Hamas und anderer Gruppen war in seiner Brutalität für Israel eine Zäsur. Eine Zäsur mit weitreichenden Folgen, auch für die jüdischen Communites auf der ganzen Welt. Die aktuelle Ausgabe des Jüdischen Almanach versammelt dazu, wie es der Titel ausdrückt: Stimmen aus Israel.
Diese Stimmen sind meist persönlich, sprechen davon, wie der 7. Oktober und die Zeit danach erlebt wurden. Etliche berichten aber auch von gesellschaftlichen Prozessen, wenn etwa von den Strukturen der Zivilgesellschaft, die bis zum 7. Oktober den Protest gegen die rechte Regierung trugen, in solche der Solidarität und Hilfsbereitschaft für die Folgen dieses Tages umgewandelt wurden.
Der Friedensforscher Gershon Baskin erzählt davon, wie er in den drei Wochen nach dem 7. Oktober intensiv mit einem hochrangigen Mitglied der Hamas kommunizierte, mit dem Ziel, Geiseln zu befreien und die Situation zu entschärfen. Daniel Mahla schreibt über die Situation an den Universitäten, insbesondere der in Haifa, an der er als Historiker lehrt. 40 bis 45 Prozent der Studierenden dort sind arabische Israelis.
Die Aktivistin und emeritierte Professorin für Geschichte Fania Oz-Salzberger ist mit einem Beitrag von Anfang 2024 vertreten, in dem sie für einen humanistischen Zionismus eintritt. Etliche Texte reflektieren darüber, wie Israel nach diesem Angriff weiterexistieren kann, als eine Gesellschaft, die traumatisiert ist, ja der dies mit voller Absicht angetan wurde. Denn durch den Angriff auf Zivilist*innen und die massenhafte sexualisierte Gewalt sollte das Sicherheitsversprechen zerstört werden. Wie damit umgegangen werden kann, auch davon sprechen die Texte dieses Almanachs.
Die durchweg lesenswerten Beiträge sind leise und voller Geduld, sie handeln davon, wie Israel als demokratischer und jüdischer Staat jetzt weiterleben kann und noch mehr davon, wie die Traumata geheilt werden können. Auch dafür ist Geduld nötig. Sicherlich ist es so, dass es «auf beiden Seiten der Mehrheit (schwerfalle), den Schmerz und das Leid ‹des Anderen› anzuerkennen» (S. 12). Davon schreibt Ksenia Svetlova. Die Schriftstellerin Lilah Nethanel versucht in Worte zu fassen, wie die Gewalt ihre Opfer entwürdigen soll, und die Ereignisse des 7. Oktober somit eine Realität schufen, die nichts Positives mehr, sondern ausschließlich Negatives enthält. Aber war nicht genau das das Ziel der Hamas und anderer Gruppen?
Die Texte sind allesamt sehr informativ, keiner fordert «Solidarität mit Israel» oder mit Juden und Jüdinnen» ein. Aber alle zeigen, jeder auf je eigene Art, dass genau dies jetzt nötig ist.
Gisela Dachs (Hrsg.): 7. Oktober. Stimmen aus Israel; [Jüdischer Almanach 2024], Jüdischer Verlag/Suhrkamp, Berlin 2024; 204 Seiten, 23 Euro