Kommentar | Arbeit / Gewerkschaften - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Alles wird teurer Fleiß, Anstand, Deutschland

Die Politik will von den Menschen mehr «Leistung» – aber was ist damit eigentlich gemeint?

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Leute sitzen und liegen am Strand vor Strandkörben am Ostseebad Binz auf der Insel Rügen.
«Arbeit, Fleiß, Leistung, Produktivität – damit ist nichts weiter gemeint als der Anspruch der Kapitalisten auf möglichst viel Umsatz, möglichst hohe Gewinne und anständige Kapitalrendite.» Binz auf der Insel Rügen, Juli 2023, Foto: IMAGO / Frank Drechsler

Die deutsche Wirtschaftsleistung wächst nicht mehr und um das zu ändern, wird an die Leistungsbereitschaft der Menschen appelliert. Laut Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing zweifeln Investoren zunehmend an Leistungsbereitschaft und dem Leistungswillen der Deutschen. Der Industrieverband BDI fordert einen «Leistungswettbewerb» und die Zeitung FAZ warnt, das «Bürgergeld bremst den Arbeitswillen».

Stephan Kaufmann ist Wirtschaftsjournalist und schreibt unter anderem für nd.DieWoche, Frankfurter Rundschau und den Freitag.

Auch die Politik nimmt das Thema auf: Die FDP will «Lust auf Leistung» machen und fordert eine «Agenda für die Fleißigen». Laut Bundeskanzler Olaf Scholz ist «die Sozialdemokratie die Stimme der Fleißigen und Anständigen», schließlich «sind wir alle zum Arbeiten geboren». CDU-Chef Friedrich Merz will «Tugenden» wie «Leistungsbereitschaft, Fleiß, Anstand» wieder mehr «wertschätzen» lassen. Und CSU-Chef Markus Söder hält fest: «Deutschland, das ist Fleiß, Pünktlichkeit und Leistung

Mehr Leistung für mehr Produktivität

Ist Deutschland zu einem Freizeitpark geworden? Kaum. Noch nie wurde hier zu Lande mehr gearbeitet, die Zahl der Erwerbstätigen ist 2024 auf ein Rekordniveau gestiegen. Dennoch wird mehr Leistung gefordert, schließlich «macht der Fleiß der vielen Millionen in der Summe die Kraft unseres Landes aus» (Lindner). Was aber ist mit «Leistung» oder «Fleiß» eigentlich genau gemeint?

Die Leistung soll mehr werden, heißt es. Dabei ergibt sich schon ein erstes Problem: Leistung lässt sich kaum messen. Natürlich kann man sagen, ein Mensch, der in einer Stunde zwei Toaster herstellt, leistet mehr als einer, der nur einen Toaster schafft. Aber leistet er auch mehr als eine Krankenschwester? Wer leistet mehr, ein Börsenspekulant oder eine Buchhalterin? Ein Pförtner oder eine Reinigungskraft? Das lässt sich nicht sagen. Denn es fehlt schlicht der gemeinsame Maßstab, anhand dessen man Leistung quantifizieren und damit vergleichen könnte.

Wenn Politik und Unternehmen mehr Leistung fordern, dann meinen sie auch nicht einfach mehr Arbeitsstunden. Oder mehr Arbeitsstunden, in denen nützliche Dinge produziert würden. Sie meinen Arbeit, die sich für die Unternehmen lohnt. Sie fordern «produktive» Arbeit und zwar produktiv für das Unternehmen.

Nur was das Unternehmen hinterher erfolgreich verkauft, zählt als Leistung. Wer hart an einem Produkt arbeitet, das sich aber nicht verkauft, hat nichts geleistet.

Produktivität ist dabei der zentrale Maßstab. Sie soll steigen. Definiert als Produktivität lässt sich Leistung durchaus messen: etwa als Umsatz oder Gewinn je Mitarbeiter*in. Gleiche Belegschaftsgröße vorausgesetzt, sind die Beschäftigten in einem Betrieb mit zwei Millionen Euro Umsatz produktiver als in einem Betrieb, der nur eine Million Umsatz macht. Was die Produktivität misst, ist allerdings weniger Einsatz, Anstrengung oder Geschicklichkeit der Arbeitenden, sondern der Markterfolg ihrer Arbeitsprodukte – nur was das Unternehmen hinterher erfolgreich verkauft, zählt als Leistung. Wer hart an einem Produkt arbeitet, das sich aber nicht verkauft, hat nichts geleistet.

Für ein kapitalistisches Unternehmen zählt letztlich der Gewinn. Die Produktivität der Belegschaft besteht also darin, dem Unternehmer einen möglichst hohen Überschuss zu generieren. Das ist die «Leistung», die von ihr verlangt wird. Wie ließe sich diese Leistung steigern? Zum Beispiel durch Lohnverzicht. Das steigert den Gewinn je Mitarbeiter*in. Oder durch Automatisierung oder Reorganisation der betrieblichen Arbeit, damit die gleiche Belegschaft bei gleichem Lohn mehr Produkte herstellt.

Die Leistung der Beschäftigten ist der Wert ihrer Arbeit, den sie nicht bekommen, sondern das Unternehmen.

Steigerung der Produktivität oder Leistung bedeutet also, dass die Beschäftigten immer weniger erhalten im Verhältnis zu dem, was sie produzieren. Die Eigentümer*innen der Betriebe wiederum immer mehr. Die Löhne der Beschäftigten bemessen sich nicht – wie häufig gesagt wird – an dem, was sie an Arbeit leisten. Sondern ihre Leistung ist der Wert ihrer Arbeit, den sie nicht bekommen, sondern das Unternehmen. «Fleiß», das ist der Dienst am Unternehmensgewinn. Und wer diesen Dienst immer besser versieht, wer in diesem Sinne immer produktiver wird, der*die darf auch ein bisschen mehr verdienen – solange der Verdienst gering genug und die Leistung hoch genug ist, damit sie Mittel steigender Profite sind.

Mehr Fleiß für mehr Gewinn

Arbeit, Fleiß, Leistung, Produktivität – mit all dem ist also nichts weiter gemeint als der Anspruch der Kapitalisten auf möglichst viel Umsatz, möglichst hohe Gewinne und anständige Kapitalrendite. Und in diesem Sinne können Unternehmer*innen tatsächlich nicht genug von der «Arbeit» bekommen. Denn sie ist ihr Mittel, um reicher zu werden. Das ist die Anforderung an jeden Arbeitsplatz. Und das meint CDU-Chef Merz, wenn er «Entscheidungen» verspricht, «die das Arbeitskräftepotential unseres Landes wieder besser ausschöpfen, und wir alle zusammen eine höhere volkswirtschaftliche Leistung erbringen».

Dafür sollen die Arbeiter*innen sorgen, durch Einsatz und Verzicht. Das stärkt die Gewinne und damit die Investitionen und damit das Wirtschaftswachstum. Und auf einen weiteren Vorteil weist der Ökonom Guntram Wolff von der Denkfabrik Bruegel in Brüssel hin: «Das Produktivitätswachstum Europas ist eine Katastrophe», schreibt er, das bremse das Wachstum – mit weitreichenden Folgen: «Wenn man eine geopolitische Macht sein will, ist Wirtschaftsmacht der Schlüsselfaktor.»