
Am 14. November 1973 begann an der Technischen Universität in Athen (Polytechnio) ein Aufstand gegen die Junta, die Griechenland seit 1967 beherrschte. Zwar wurde er nach drei Tagen blutig niedergeschlagen, dennoch hatte er das Ende der Diktatur im Juli 1974 eingeläutet. In Portugal blühten die Nelken bereits kurz zuvor am 25. April 1974 mit dem Sturz des Salazar-Regimes, und als im November 1975 «Seine Exzellenz, das Staatsoberhaupt von Spanien», Francisco Franco, verstarb, war auch die letzte Diktatur Süd- und Westeuropas an ihr Ende gekommen. Die Diktaturen, der Widerstand dagegen und die jeweils folgende «Transition zur Demokratie» waren Thema eines internationalen Workshops, den die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit dem Contemporary Social History Archives (ASKI) am 12. und 13. November 2024 in Athen veranstaltete. Teilgenommen hatten hauptsächlich Wissenschaftler*innen aus den drei angesprochenen Ländern. Sie diskutierten den jeweiligen historischen Forschungsstand, präsentierten Fallbeispiele und machten auf kontroverse politische Betrachtungsweisen aufmerksam, die sich heute ebenso in unterschiedlichen Erinnerungspraktiken zum historischen Geschehen widerspiegeln.
Diktatur und Widerstand
Bevor jedoch über den Transitionsprozess selbst gesprochen wurde, ging es in die Zeiten der Diktatur zurück, um Zusammensetzung und charakteristische Züge des Widerstandes gegen die Diktatur zu erfassen. Polymeris Voglis (Universität Thessalien) plädierte in diesem ersten Panel für ein multidimensionales Konzept, das sowohl die Zirkulation von Ideen in transnationalen Netzwerken, als auch individuelle wie kollektive alltägliche Mikropraktiken in der Bevölkerung, spontane und organisierte Aktionen bis hin zu Bombenanschlägen von Untergrundgruppen zusammendenkt. Der – so gesehen – fluide Widerstand gegen die Junta habe sich dadurch wesentlich unterschieden auch vom Griechischen Bürgerkrieg Ende der 1940er-Jahre. Dass dessen ungeachtet Formen der Diktatur und die Akte des Widerstandes immer in einem engen Wechselverhältnis zueinanderstanden, verdeutlichte auch Ainhoa Campos Posadas (Oxford) in ihrem Beitrag über vier Phasen in Francos Regime seit dem Spanischen Bürgerkrieg. Durchgehend habe es auf der Anwendung von Gewalt basiert, bröckelte jedoch angesichts innerer Opposition wie vernehmbarer Proteste von außen zunehmend. Einen Anteil daran hatten ebenso Programminhalte, Bilder und Ideen aus dem neuartigen Phänomen der Fernsehkommunikation. Die Grenzen, sie staatlich zu steuern oder – schließlich immer weniger erfolgreich – zu zensieren, lotete Rita Luís (Lissabon) für Portugal und Spanien aus.
Transition und Demokratisierung
In den Diskussionen wurde deutlich, dass der Widerstand von Vielen zugleich als ein Befreiungskampf geführt wurde, wobei ganz unterschiedliche Vorstellungen davon existierten, was der Diktatur folgen sollte. Das zeigte sich auch im Transitionsprozess selbst. Die verschiedenen kommunistischen Parteien (KKE Ausland, KKE Inland, PCE, PCP) beispielsweise – prägende Akteure für den Widerstand gegen die drei angesprochenen Diktaturen und von Magda Fytili (Barcelona) diskutiert – entwickelten ihre Strategien in Analogien zur jeweiligen nationalen Geschichte. Auch wenn sie alle auf den jeweiligen Übergangspfaden eher auf graduelle soziale Reformen als auf den revolutionären Umsturz setzten, wurde ihre «nationale Loyalität» permanent angezweifelt. Demgegenüber hob António Munoz Sánchez (Lissabon) für das portugiesische Beispiel zugleich die große Bedeutung des Europäischen Integrationsprozesses hervor und verwies insbesondere auf die westdeutsche Sozialdemokratie als einen dafür treibenden Motor. Eine weitere Radikalisierung der Gesellschaft im südwestlichsten Zipfel Europas würde ihre «Ostpolitik» und den darin verfochtenen Ansatz vom «Wandel durch Annäherung» gefährdet haben. Eines der von Linken – nicht nur in Zeiten des Übergangs – am schwersten zu lösenden Probleme beschäftigte Diego Palacios (Madrid). Wie mit einer Polizei umgehen, die kurz zuvor noch Inbegriff einer brutalen Diktatur gewesen ist, nun aber zur Absicherung der neuen demokratischen Verhältnisse vonnöten sein könnte? Allerdings scheint in allen drei betreffenden Ländern im Transitionsprozess die (Wieder)Herstellung staatlicher Ordnung wichtiger gewesen als die Demokratisierung der Polizei voranzutreiben.
Katerina Labrinou (Athen) nahm sich der griechischen Gewerkschaften an, die – eng geknüpft an die ihnen verbundenen Parteien – jedoch kaum als eigenständiger Akteur der Demokratisierung angesehen werden können. 1974/75 hatten in Griechenland die meisten Oppositionellen ein Ende des militanten Kampfes akzeptiert, unter der Bedingung, dass die linken Flüchtlinge zurückkehren und unter Anerkennung aller verbrieften Rechte wiedereingebürgert werden konnten. Gegen die Intention der Linken wurde dies zur «nationalen Versöhnung» verklärt. Die Zeit der Junta aber blieb noch lange tief in Staat und Gesellschaft verankert. Entsprechend gestalteten sich die von Manos Avgeridis (Athen) analysierten Erinnerungspolitiken wie auch Strategien des Vergessens, bis hin zum wohl symbolträchtigsten Akt 1989, als die Regierungskoalition aus Konservativen und Linken die Behörden anwies, öffentlich rund 16 Millionen Akten zu verbrennen, die von Geheimdiensten über vier Jahrzehnte hinweg über die politischen Überzeugungen von Privatpersonen gesammelt wurden.
Erinnerungskulturen und Gedenkpraktiken
Wenig Berührung mit diesen Ereignissen und einer eher politischen Geschichte hatte zunächst Luis Trindades (Lissabon) in seinem Beitrag über Modernisierung und soziale Transformation, die er für die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in Portugal untersuchte. Er beobachtete kulturelle Ausdrucksweisen des Aufstiegs der Mittelklassen, ihre neuen moralischen Normen sowie eine massive Urbanisierung und größer werdende ökonomische Ungleichheit. Im Spiegel von Musik, Kunst und Kultur jedoch fielen dann aber doch die Absenz der Kolonialgeschichte Portugals auf und ein im weiteren historischen Verlauf wiedererstarkter Nationalismus mit deutlichen kolonialen Bezügen auf die frühere «Größe» Portugals.
An diese Entkoppelung von positiv besetzten Erinnerungen an den Übergang zur Demokratie von der Auseinandersetzung um die eigene koloniale Vergangenheit heute knüpfte Miguel Cardina (Coimbra) an. Während beide Momente inmitten der Nelkenrevolution noch eng miteinander verwoben waren, habe das neue Portugal sich zwar von Diktatur und Salazarismus distanziert, aber nicht vom Kolonialismus – was im Übrigen nicht einmal im Widerspruch zu einer europäischen Geschichtspolitik stehe, die sich gut von verschiedenen Totalitarismen abgrenze, aber gegenüber der eigenen kolonialen Unterdrückungsgeschichte mit Amnesie glänze. Kostis Kornetis (Madrid) stellte schließlich für alle drei Länder eine erinnerungskulturelle Konkurrenz von historischen Ereignissen fest, die in der Gedenkpraxis unterschiedliche politische Perspektiven auf die Transitionsgeschichte beinhalten: Gedenkt man in Griechenland dem Polytechnio-Aufstand im November 1973 (als einer Umwälzung von unten) oder der Rückkehr von Konstantinos Karamanlis aus dem Exil am 24. Juli 1974 nach dem Ende der Junta? Erinnert man in Portugal den Beginn der Nelkenrevolution oder den 25. November 1974, als die linksradikale Fraktion in den Streitkräften entmachtet und die Revolution damit beendet wurde? Soll für Spanien der Tod Francos 1975, die Wahlen 1976 oder die Annahme der neuen Verfassung 1978 (für eine dann parlamentarische Monarchie) gefeiert werden? Es fehlten die verbindenden Momente und so würde auch der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft von den einen als Teil der Demokratisierung gesehen, wohingegen andere mit diesem Schritt den Weg hin zu einer stärker sozialistischen Demokratie verbaut sahen. Seit den 1980er-Jahren seien solche Fragen allerdings nicht mehr diskutiert worden. Erst in der Weltwirtschaftskrise 2008ff. und bei Protesten gegen die Austeritätsmaßnahmen habe man sich in Spanien, Portugal und Griechenland auf die Kämpfe gegen die Diktaturen besonnen. Im Zuge der nun anstehenden 50-Jahr-Feiern zum Ende der Diktaturen jedoch würden die Diktaturen in der Public History oftmals durch reichweitenstarke TV-Serien oder Boulevardmedien verharmlost und die sozialen Bewegungen, die politischen Ideale sowie menschlichen Opfer im Kampf gegen die Diktatur unterschlagen. Nötig sei es nun auch eine «Alltagsgeschichte» (nach Alf Lüdtke) des täglichen Lebens in Diktatur und Widerstand zu schreiben, die dem gerecht werde.
Democracy Today. 50 Years Later
Damit war ein wichtiger Link in die Gegenwart gesetzt, bei einem Workshop, der über die hohe inhaltliche Qualität der einzelnen Beiträge hinaus durch eine kollegiale Atmosphäre bestach. Ein Höhepunkt bestand zweifelsohne im gemeinsamen Besuch von zwei aktuell in Athen präsentierten Ausstellungen, die künstlerische Reaktionen auf Kämpfe gegen autoritäre Herrschaft und für Demokratie in den 1960er- und 1970er-Jahren in Griechenland, Spanien sowie Portugal aufzeigten und die Geschichte damit auch kulturell näherbrachten.
Der Veranstaltung gelang, was Boris Kanzleiter für die RLS und Vangelis Karamanolakis für das ASKI von vornherein als Ziel beschrieben hatten: den Transitionsprozess komparativ mit internationalistischer Ausrichtung als einen widersprüchlichen Prozess mit Fort- und Rückschritten zu diskutieren, dessen historische Reflexion selbst historisch und damit nicht eindimensional oder gar kumulativ betrachtet werden könne. Seit Nicos Poulantzas bereits Mitte der 1970er-Jahre über die «Krise der Diktaturen» geschrieben hatte,[1] waren nur wenige Versuche zu verzeichnen, das Ende der Diktaturen in Süd- und Westeuropa vor 50 Jahren auch theoretisch zusammenzuführen. Dieser Faden wurde hier wiederaufgenommen – er könnte und sollte produktiv weitergesponnen werden!
Zur abschließenden öffentlichen Abendveranstaltung fanden sich Marga Ferré (transform! Europe Network, Spanien), Sofia Valadas Lopes (Bloco de Esquerda, Portugal) und Kostis Papaioannou (SIGNAL, Researching and Confronting the Far Right, Griechenland) ein. Sie war geprägt durch einen sorgenvoll geschärften Blick auf die aktuelle Bedrohung durch postfaschistische Bewegungen und auf die damit ebenso verbundenen Fragen, wie stabil heutige Demokratien sind und wie weit die Demokratisierung überhaupt gegangen war. Selbst in Portugal, wie Lopes berichtete, sind unterdessen 50 Abgeordnete der rechten Partei «Chega!» ins Parlament eingezogen. Lopes verspürte jedoch zugleich eine große Kraft, die von den diesjährigen Demonstrationen zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution auf den Straßen Portugals zu beobachten waren.
Angesichts der zugespitzten Situation schlug Marga Ferré vor, wie schon in den 1930er-Jahren eine Volksfront zu bilden. Sie bekannte, Portugal um seine Revolution zu «beneiden» und markierte damit den für Spanien unheilvollen Unterschied, wo ohne jeden Aufstand gewartet wurde, bis Franco 1975 nach langer Agonie schließlich in seinem Krankenbett starb. Die daraufhin erfolgte politische Einigung auf eine nationale Versöhnung im Transitionsprozess und das jahrzehntelange Beschweigen der Verbrechen in Francos Regime werden von einer neuen Generation erst heute durchbrochen, die nach den Knochen ihrer noch immer verschwundenen Vorfahren buchstäblich zu graben begann. Woran in dieser Konstellation im Jubiläumsjahr 2025 positiv erinnert werden sollte, blieb für Ferré ebenfalls eine offene Frage. Dennoch dürfe auch das Feld des Gedenkens bei den zu erwartenden vielfältigen Aktivitäten 2025 nicht den restaurativen Kräften überlassen werden.
Demgegenüber betrachtete Kostis Papaioannou die aktuellen Feiern zum Ende der Diktatur in Griechenland ambivalent – zu sehr hätten sie sich in zeremonielle Paraden gewandelt und zu wenig würden Linke sie mit aktuellen politischen Kämpfen in Verbindung bringen. So konnten Rechte und Konservative die 50-Jahr-Feiern für die Forderung nutzen, endlich ein Ende der seit dem Sturz der Militärdiktatur errichteten politischen und sozialen Ordnung («Metapolitefsi») einzuleiten und damit die Tendenz zur weiteren Entdemokratisierung Griechenlands voranzutreiben.
Dieser etwas entgegenzusetzen wäre heute dringend nötig – nicht nur in Griechenland.
[1] Nicos Poulantzas: Die Krise der Diktaturen. Portugal, Griechenland, Spanien, Frankfurt am Main 1977.