Dokumentation Lesung "Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat."

Szenische Lesung von Annett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann mit Bowle Zubereitung.

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Der große Saal im Peter-Weiss-Haus ist prall gefüllt an diesem Donnerstagabend, als Annett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann den Raum Richtung Bühne betreten.

Bei einer kurzen Vorstellung der drei Autorinnen wird klar: Diese Frauen haben nichts anbrennen lassen! Annett Gröschner, Schriftstellerin und Journalistin, erhielt unter anderem 2021 den großen Kunstpreis Berlin. Peggy Mädler ist Autorin und Dramaturgin und erhielt für ihren zweiten Roman <<Wohin wir gehen>> den Fontane-Literaturpreis. Wenke Seemann ist Künstlerin und Sozialwissenschaftlerin. Ihre Werke waren unter anderem im Albertinum Dresden und im Sprengel Museum Hannover sowie in ihrer Geburtsstadt Rostock zu sehen.

Die rund 90-minütige Lesung beginnt mit dem Kapitel „Nacht 1“ und der Klarstellung von Annett: „Wir sind zwar Ostfrauen, aber wir gendern.“ Es ist ein Abschnitt der Klischees über ostdeutsche Frauen, der nicht nur den Berliner-Plattenbau-Ausblick, sondern auch die Inneneinrichtung in ostdeutschen Wohnungen mit Tapeten in den Farben: Orange, Braun und Beige Revue passieren lässt. Die Frauen teilen eigene Erfahrungen ihrer Ostbiographie und enden mit der These von Annett: „Ostdeutsche Frauen unterscheiden sich nicht so sehr von westdeutschen Frauen aus unterprivilegierten Verhältnissen.“

Peggy setzt die Bowle an und mit der Lesung aus „Nacht 2“ folgt ein Kassensturz der 90er Jahre und der Wendezeit. Die Frauen erzählen von Orientierungslosigkeit, Angst und den Folgen der Treuhand. Nach der Wende sollten „ostdeutsche Teilnehmende vom Markt sein, aber nicht Teilhabende.“ sagt Wenke. Sie sprechen darüber, wie alle nur zugeschaut haben, als die Daseinsfürsorge privatisiert wurde. Ergebnisse sind dabei nicht allein, dass nur 29% der Erbschaftssteuer aus dem Osten kommt, sondern eine generelle Abwertung der Arbeiter*innenschaft nach der Wende.

Der Übergang zu „Nacht 4“ ist ein Plädoyer für Genossenschaften anstelle von Privateigentum und die Bowle wird von den Frauen an das Publikum verteilt.  

In „Nacht 4“ nehmen uns die drei ostdeutschen Frauen mit auf den Campus der ehemaligen FDJ-Jugendhochschule Bogensee, auf dem sie bei einem Picknick eine Liste an Begriffen diskutierten, Begriffe wie Emanzipation, Privileg, aber auch: Dialektik.

Während Annett mit der „Zonen-Barbie Hannelore“ Minigumitwist performt, erklären sie den Begriff Dialektik und Peggy muss feststellen: Die Kindheit in der DDR hat sie nicht auf dialektisches Denken vorbereitet. Sie ist groß geworden mit Freund-Feind-denken: Wo ist da die Synthese?

Zum Schluss stellen sich die drei der Frage: wonach streben? Der ideale Staat ist es jedenfalls nicht. Doch konnten sie aus jeder Nacht etwas mitnehmen.

Die Lesung war ein Zusammenspiel aus geteilten Ost- und Wenderfahrungen und Idealen, die fremd geworden sind.