
Wenn Unternehmen die Preise erhöhen, leiden darunter vor allem die ärmeren Haushalte. Angesichts der hohen Inflationsraten in Europa und in den USA in den vergangenen Jahren erleben wir eine Renaissance der Preiskontrollen. Lange galten sie als Tabu, denn die neoliberale Wirtschaftslehre setzt darauf, dass Preise sich vermeintlich im freien Spiel von Angebot und Nachfrage bilden. Doch gerade in Krisensituationen muss der Staat intervenieren und Preise deckeln, um Lohnabhängige vor zu starken Belastungen zu schützen. Dabei kommt es jedoch auf das Wie an.
Staatliche Preiskontrollen werden hierzulande kaum öffentlich diskutiert. Politisch gelenkte oder ausgehandelte Preise wie das «Deutschlandticket» für den öffentlichen Regionalverkehr gelten als Ausnahme. In der wirtschaftspolitischen Diskussion ebenso wie im Alltagsverstand ist die Vorstellung vorherrschend, dass Angebot und Nachfrage auf einem durch freie Konkurrenz bestimmten Markt den Preis regeln. Das ist im Grunde eine alberne Auffassung, denn in Wahrheit gibt es weder eine reine, freie Konkurrenz noch Preise, die politisch nicht beeinflusst wären.
Thomas Sablowski ist Referent für Politische Ökonomie der Globalisierung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die Produktionsbedingungen werden immer auf vielfältige Weise durch staatliche Politik geprägt. Die Frage ist nur, ob der Staat bei einzelnen Waren auch unmittelbar in die Preisbildung eingreift und Ober- oder Untergrenzen für Preise festlegt. Der Mindestlohn etwa ist ein staatlich festgelegter Mindestpreis für die Ware Arbeitskraft. Er ist Resultat des politischen Drucks der Gewerkschaften und der Linken und eine notwendige Maßnahme, um den Arbeiter*innen ihren Lebensunterhalt (und damit auch die Reproduktion der Ware Arbeitskraft) einigermaßen zu sichern, wo Tarifverträge oder andere Regelungen nicht greifen. Die Mietpreisbindung für Sozialwohnungen ist ein wichtiges Beispiel für seit Jahrzehnten existierende, staatlich gesetzte Preisobergrenzen in Deutschland.
Zwei Typen von Preiskontrollen
Zwei Arten von Preiskontrollen müssen unterschieden werden: Der Staat kann erstens bestimmte Ober- oder Untergrenzen für Preise festsetzen. Die Unternehmen sind dann bei ihrer Preisbildung an die rechtlichen Vorgaben gebunden. Allerdings kann der Staat in einer kapitalistischen Gesellschaft die Preise nicht beliebig festsetzen; sollen die Unternehmen überhaupt Waren produzieren, so müssen die Preise kostendeckend sein. Sofern es sich um kapitalistische Unternehmen handelt, müssen sie darüber hinaus langfristig einen üblichen Profit erzielen können. Vor allem wenn die betroffenen Güter knapp werden, besteht das Risiko, dass ein Schwarzmarkt mit höheren Preisen entsteht. Zudem können ausländische Unternehmen nicht ohne Weiteres gezwungen werden, einen Markt zu festgelegten Preisen zu beliefern – es sei denn, dieser Markt ist für sie aufgrund seiner Größe unverzichtbar. Für den Staat stellt sich also die Frage, ob er Preisgrenzen überhaupt durchsetzen kann.
An diesem Punkt kommt ein zweiter Typ von Preiskontrollen ins Spiel: Der Staat begrenzt die Preise für die Endverbraucher*innen, indem er sie subventioniert, indem er also die Differenz zwischen dem höheren Marktpreis und dem niedrigeren, politisch festgelegten Preis für die Endverbraucher*innen bezahlt. Dann stellt sich die Frage, wie diese Preissubventionen finanziert werden und wie sich die Finanzierung auf die Einkommensverteilung auswirkt.
Der Ökonom John Kenneth Galbraith war in den 1940er- und 1950er-Jahren in den USA selbst an der Konzipierung und Durchsetzung von Preiskontrollen beteiligt. Er schreibt in seinem 1952 erschienenen Buch «A Theory of Price Control», dass den Regierenden in bestimmten Situationen gar nichts anderes übrigbleibt, als Preiskontrollen einzuführen. Für Produkte, bei denen es nur wenige Anbieter gibt, seien sie noch relativ leicht durchzusetzen. In Märkten mit vielen Anbietern werden dagegen die Preise oft illegal erhöht oder die Waren werden auf Schwarzmärkten gehandelt. Die effektive Durchsetzung von Preisgrenzen erfordert dann eine größere Behörde, die auch zu engmaschigen Kontrollen der Unternehmen in der Lage ist. Außerdem sind gegebenenfalls begleitende Maßnahmen wie die Bildung staatlicher Vorräte, die staatliche Rationierung oder die Verteilung von Produkten notwendig, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Preiskontrollen sollen für Stabilität sorgen
In Staaten der kapitalistischen Peripherie haben Preiskontrollen für Produkte wie Grundnahrungsmittel oder Benzin eine weit größere Bedeutung als in den Zentren. Staatlich festgelegte Höchstpreise für wichtige Güter des alltäglichen Bedarfs sind dort, wo die Einkommen der Mehrheit prekär und die Inflationsraten hoch sind und wo Armut weit verbreitet ist, ein wesentliches Mittel, um die Stabilität der Herrschaftsordnung zu gewährleisten. Gleichzeitig sind staatlich subventionierte Preise auch in diesen Ländern umkämpft. Auf der einen Seite macht der Internationale Währungsfonds seine Kredite für Länder des globalen Südens, die in eine Finanzkrise geraten, häufig davon abhängig, die Subventionen auf Grundnahrungsmittel und andere Produkte abzuschaffen. Auf der anderen Seite kommt es immer wieder zu Volksaufständen, wenn Preise für lebensnotwendige Produkte erhöht werden.
Steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne als Folge erhöhter Leitzinsen sind aus der Perspektive der herrschenden Wirtschaftspolitik in einer Situation hoher Inflationsraten erwünscht.
Auch die Erfahrung der letzten Jahre in Deutschland zeigt, dass vor allem Menschen mit geringen Einkommen unter hohen Inflationsraten leiden. Die vorherrschende Methode, steigende Preise zu bekämpfen, ist die Erhöhung der Leitzinsen durch die Zentralbanken. So werden Kredite teurer und die Anforderungen für profitable Kapitalanlagen werden erhöht. Investitionen werden dadurch erschwert, das Wirtschaftswachstum wird gedämpft und der Druck auf die Einkommen erhöht. Hintergrund ist die Annahme, dass die Preise steigen, weil die Nachfrage im Verhältnis zum Angebot zu hoch ist. Wenn das Warenangebot nicht entsprechend vergrößert werden kann, dann muss die Kaufkraft beschränkt und so die Nachfrage reduziert werden, um einen Preisanstieg zu verhindern.
Steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne als Folge erhöhter Leitzinsen sind aus der Perspektive der herrschenden Wirtschaftspolitik in einer Situation hoher Inflationsraten also sogar erwünscht. Die Arbeiterklasse kommt dabei vom Regen in die Traufe. Die Inflation schadet vor allem der Arbeiterklasse, aber die Therapie der Herrschenden gegen die Inflation schadet ihr ebenso. Es stellt sich also die Frage, ob es Alternativen zur Politik der Zinserhöhungen gibt, um hohen Inflationsraten entgegenzuwirken. An diesem Punkt kommen die Preiskontrollen ins Spiel.
In der Vergangenheit haben auch die Industrieländer des globalen Nordens von Preiskontrollen in großem Umfang Gebrauch gemacht, vor allem in Kriegszeiten. Während des Zweiten Weltkriegs waren sie weit verbreitet. In den USA waren Preiskontrollen noch während des Koreakriegs Anfang der 1950er-Jahre sowie in der Hochzeit des Vietnamkriegs in den Jahren 1971 bis 1974 in Kraft. Auch in Westdeutschland spielte die staatliche Preisregulierung bis in die 1950er-Jahre hinein angesichts von Versorgungsmängeln und hohen Inflationsraten eine wichtige Rolle (vgl. Zündorf 2006; Fuhrmann 2017).
Freie Konkurrenz ist eine Illusion, Oligopole sind die Realität
Verfechter*innen der «freien Marktwirtschaft» sehen in Preiskontrollen eine Politik, die das freie Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage behindert und zum ineffizienten Einsatz oder gar zur Verschwendung knapper Ressourcen führt. Doch in der modernen kapitalistischen Wirtschaft ist freie Konkurrenz ohnehin eine Illusion. Die kapitalistische Dynamik hat im Laufe der letzten 200 Jahre zur Herausbildung gigantischer Großunternehmen geführt, von denen einige wenige jeweils ganze Branchen beherrschen. Wir haben es nicht mit der perfekten Konkurrenz zu tun, wie sie in den Lehrbüchern der neoklassischen Wirtschaftstheorie vorgestellt wird, sondern mit Oligopolen, in denen die Unternehmen über eine erhebliche Preissetzungsmacht verfügen.
Hinzu kommt, dass die Lohnabhängigen aufgrund ihrer unterlegenen Stellung in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen gezwungen sind, sich gewerkschaftlich und politisch zu organisieren, wollen sie ihre Interessen verteidigen. Der Klassenkampf nimmt unter anderem die Form von Tarifverhandlungen an, in denen die Löhne und Arbeitsbedingungen für große Kollektive ausgehandelt werden. Auch dies entspricht nicht der Vorstellung der neoklassischen Ökonomie. Sie betrachtet kollektive Lohnverhandlungen als Hindernis der freien Konkurrenz. Der Staat interveniert mit Preiskontrollen also in eine Situation, die bereits durch eine erhebliche Machtzusammenballung und nicht durch eine perfekte Konkurrenz geprägt ist.
Teuer und sozial unausgewogen: das Beispiel der deutschen Energiepreisbremsen
Es ist maßgeblich das Verdienst der Ökonomin Isabella Weber, dass Preiskontrollen überhaupt wieder in die Diskussion gekommen sind. Im Dezember 2021 schlug Weber in der britischen Tageszeitung The Guardian strategische Preiskontrollen zur Bekämpfung der Inflation vor. Dies stieß zunächst auf brüske Ablehnung, selbst bei keynesianisch orientierten Ökonom*innen wie Paul Krugman, der seine Meinung aber später änderte. Im Februar 2022 plädierte sie gemeinsam mit Sebastian Dullien, dem Chefökonomen des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), für einen Gaspreisdeckel zur Drosselung der Inflation. Die Bundesregierung griff den Vorschlag auf, allerdings erst ein halbes Jahr später. Die spanische Regierung handelte schneller, begrenzte die Strom- und Gaspreise und bekam dadurch die Inflation besser in den Griff.
Während sich die Partei Die Linke frühzeitig für die Begrenzung der Strom- und Gaspreise aussprach, verfolgte die Ampelkoalition zunächst ein entgegengesetztes Konzept. Die nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stark steigenden Gaskosten wollte sie durch eine Gasumlage ab Oktober 2022 noch weiter erhöhen. So wollte sie Bail-outs (dt. Rettungsaktionen) von Gasimporteuren wie Uniper, denen die Insolvenz drohte, finanzieren. Nach massiver Kritik ließ die Regierung die Gasumlage fallen und setzte zunächst auf Steuersenkungen und Einmalzahlungen, um die Bürger*innen von steigenden Lebenshaltungskosten zu entlasten. Angesichts der sehr hohen Inflationsraten und weil davon vor allem Menschen mit höheren Einkommen profitierten, waren diese Maßnahmen aber völlig unzureichend.
Die deutschen Strom- und Gaspreisbremsen kamen zu spät und wurden zu früh wieder aufgehoben.
Erst am 23. September 2022 setzte die Bundesregierung die «ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme» ein, mit dem Auftrag, eine «Gaspreisbremse» auszuarbeiten. In die Kommission wurden allerdings auch Gegner*innen von staatlichen Preiskontrollen berufen, die sich sinnvollen Regelungen widersetzten (vgl. Krebs/Weber 2024: 35). Letztlich beschloss die Regierung Strom- und Gaspreisbremsen, die ab Januar 2023 in Kraft traten. Zum Ende desselben Jahres ließ die Regierung sie auslaufen, weil die Strom- und Gaspreise inzwischen wieder gesunken waren und die Koalition sich auf die notwendige Finanzierung der Preissubventionen nicht einigen konnte. Bei geltender Schuldenbremse und dem vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Verbot, die Notlagenkreditermächtigungen aus der Zeit der Covid-Pandemie weiter zu nutzen, setzte die FDP – mit Rückendeckung vieler Ökonom*innen und Wirtschaftsverbände – ihre restriktive Fiskalpolitik durch.
Die deutschen Strom- und Gaspreisbremsen kamen also zu spät und wurden zu früh wieder aufgehoben. Doch auch ihr Design war problematisch. Die Gaspreisbremse sollte Haushalte und Unternehmen entsprechend ihrem Gasverbrauch im Jahr 2021 entlasten. Dafür sollten sie die Differenz zwischen dem Preis, den die Gasversorger aktuell forderten, und dem staatlich festgelegten vergünstigten Preis erhalten, begrenzt auf 80 Prozent (für Haushalte und Kleinunternehmen) bzw. 70 Prozent (für größere Unternehmen) der 2021 verbrauchten Gasmenge.
Die Gaspreisbremse enthielt zwar eine ökologische Komponente, da für die verbleibenden 20 bzw. 30 Prozent der nicht subventionierte, hohe Marktpreis fällig wurde und dadurch ein Anreiz für Gaseinsparungen gegeben war. Doch die Regelung hatte zwei große Nachteile: Erstens funktionierte die Entlastung nach dem Gießkannenprinzip: Haushalte mit einem hohen Gasverbrauch erhielten auch einen hohen Entlastungsbetrag, Haushalte mit niedrigem Verbrauch entsprechend weniger. Für eine sozial ausgewogene Preiskontrolle wäre es auch denkbar gewesen, den Grundbedarf an Strom und Gas pro Haushalt bis zu einem bestimmten Grenzwert zu subventionieren oder eine Entlastung pro Kopf zu beschließen (vgl. Dullien/Weber 2022b). Derartige Regelungen enthielten die Energiepreisbremsen jedoch nicht (vgl. Witt 2023a).
Zweitens bedeutete die Orientierung am Gasverbrauch aus dem Jahr 2021, dass Unternehmen keinen Anreiz erhielten, ihre Produktion fortzuführen. Gerade Großunternehmen mit einem hohen Energieverbrauch hatten in der Zwischenzeit ihre Produktion wegen der hohen Energiekosten bereits drastisch eingeschränkt. Einige Ökonom*innen waren sogar ausdrücklich dafür, den Unternehmen eine «Überwinterungsprämie» zu zahlen, auch wenn sie ihre Produktion einstellten. Eine solche gleichmäßige Ausschüttung staatlicher Subventionen an alle Unternehmen, unabhängig von ihrer realen Produktion, hätte aus neoliberaler Sicht am ehesten staatliche Marktverzerrungen verhindert. Dazu ist es dann – nach öffentlicher Kritik – nicht gekommen (vgl. Weber u. a. 2023: 14; Krebs/Weber 2024: 37). Die Gas- und Stromrechnungen der Unternehmen konnten zwar wie diejenigen der Haushalte bis auf Null sinken, wenn sie ihren Gas- und Stromkonsum stark reduzierten, sie konnten jedoch nicht negativ werden.
Die deutschen Energiepreisbremsen sahen außerdem vor, dass die industriellen Großverbraucher bestimmte Bedingungen erfüllen mussten, um in den Genuss der staatlichen Strom- und Gassubventionen zu kommen. Ab einem Entlastungsbetrag von 2 Millionen Euro mussten die Unternehmen nachweisen, dass sie mindestens bis zum 1. April 2025 gültige Tarif- oder Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung abgeschlossen hatten oder sich alternativ verpflichten, mindestens 90 Prozent ihrer am 1. Januar 2023 vorhandenen Belegschaft aufrechtzuerhalten. Zudem wurde Unternehmen, die Entlastungen in Höhe von mehr als 25 Millionen Euro bezogen, für das Jahr 2023 die Gewährung von Boni für ihre Geschäftsleitungen untersagt. Ab einer Entlastungssumme von 50 Millionen Euro durften die Unternehmen für das Jahr 2023 auch keine Dividenden auszahlen.
Diese Auflagen mögen dazu geführt haben, dass Großunternehmen die Energiepreissubventionen kaum in Anspruch nahmen. Während private Haushalte etwa 13 Milliarden Euro durch die Gaspreisbremse erhielten, floss an Großunternehmen weniger als eine Milliarde Euro. Ursprünglich war für beide Gruppen ein etwa gleich großes Budget veranschlagt worden (vgl. Krebs/Weber 2024: 37 f.).
Die Gas- und Strompreisbremsen leisteten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entlastung der Haushalte und Kleinunternehmen sowie zur Reduzierung der Unsicherheit. In sozialer und ökologischer Hinsicht wäre allerdings eine andere Ausgestaltung der Preisbremsen wünschenswert gewesen. Dass dies nicht geschah, lag an dem Zeitdruck, unter dem die Expert*innen-Kommission arbeiten musste, an dem Einfluss neoliberal orientierter Kräfte sowie an der mangelnden Verfügbarkeit von Daten über die Struktur der Haushalte und Unternehmen sowie ihres Energieverbrauchs (vgl. Weber u. a. 2023; Witt 2023a). Vor allem mangelte es an einer effektiven Abschöpfung der Extraprofite, die zahlreiche Unternehmen aufgrund der Energiekrise realisieren konnten (vgl. Witt 2023b).
Wenn die Preise steigen, müssen Preiskontrollen erkämpft werden
Die große Teuerungswelle, die 2021 aufgrund der Verwerfungen durch die Covid-Pandemie begann und durch die Folgen des Kriegs in der Ukraine verstärkt wurde, ist zunächst abgeebbt. Neben den angehobenen Leitzinsen haben auch Maßnahmen wie die Energiepreisbremsen oder die Einführung des «9-Euro-Tickets» und später des «Deutschlandtickets» dazu beigetragen. Steigende Inflationsraten könnten allerdings schon bald wieder zur Belastung werden. Wir leben in einer Zeit der multiplen Krise und es gibt mehrere Faktoren, die in der Weltwirtschaft im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen zu steigender Inflation beitragen könnten:
- Erstens wird die rücksichtslose Ausbeutung und Verknappung natürlicher Ressourcen früher oder später zu enormen Preissteigerungen führen. Je schwerer Rohstoffe verfügbar sind und je mehr der Arbeitsaufwand für deren Produktion steigt, desto stärker wird die Produktivität sinken. Die üblichen Mechanismen der Preisbildung, einschließlich der Börsenspekulation, werden schon vor dem peak everything (dem Produktionsmaximum einer Vielzahl von Rohstoffen) die Preise drastisch erhöhen.
- Zweitens gehört zu den Ressourcen, die nicht vermehrt werden können, auch der Boden. Wenn die Bildung der Bodenpreise weiterhin dem Markt überlassen bleibt und der Staat nicht effektiv gegensteuert, werden die Bodenpreise auch weiterhin stark erhöht werden. Die damit verbundenen steigenden Mieten sind der größte Kostenblock für die Lohnabhängigen und verteuern die Ware Arbeitskraft – sofern sie nicht zu sinkenden Ausgaben in anderen Bereichen, also zu einer Senkung des Lebensstandards der Lohnabhängigen führen.
- Drittens führen die wachsenden geopolitischen Spannungen und der veränderte politische Umgang damit zu steigenden Kosten. Die Abschottung der Binnenmärkte, etwa durch Schutzzölle und Wirtschaftssanktionen, nimmt zu. Im Fall von Sanktionen erhöhen deren Umgehung durch Zwischenhändler und die Verlängerung der Transportwege die Kosten. Ein wachsender Teil der gesellschaftlichen Ressourcen wird zudem für die Aufrüstung genutzt und steht somit nicht für die Produktion in anderen Bereichen zur Verfügung. Diese neue internationale Konstellation führt insgesamt tendenziell zu steigenden Preisen.
- Viertens führen demografische Verschiebungen in den alten kapitalistischen Zentren zu Arbeitskräftemangel. Dieser könnte durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und durch Einwanderung gemildert werden, aber konservative und reaktionäre gesellschaftspolitische Orientierungen erschweren das. Der Arbeitskräftemangel könnte zunächst die Verhandlungsposition der Lohnabhängigen gegenüber den Kapitalist*innen verbessern. Dadurch könnten Letztere aber unter Druck geraten, die Preise zu erhöhen, um ihre Profitraten zu erhalten.
Je stärker die Inflation sich ausbreitet, desto mehr werden auch Preiskontrollen an Bedeutung gewinnen. Wie die Preiskontrollen auf die Einkommensverteilung wirken, hängt davon ab, welche Preise wie kontrolliert werden und ob die Löhne oder die Profite begrenzt werden. Entsprechend ist die Durchsetzung und Ausgestaltung von Preiskontrollen in Zeiten hoher Inflation ein wichtiger Gegenstand des Klassenkampfes.
Literatur:
- Dullien, Sebastian/Weber, Isabella (2022a): Der Staat muss den Gaspreis deckeln, in: Süddeutsche Zeitung, 12.2.2022.
- Dullien, Sebastian/Weber, Isabella (2022b): Mit einem Gaspreisdeckel die Inflation bremsen, Wirtschaftsdienst 102,154–155.
- Fuhrmann, Uwe (2017): Die Entstehung der «Sozialen Marktwirtschaft» 1948/49. Eine historische Dispositivanalyse, Konstanz/München.
- Galbraith, John Kenneth (1980): A theory of price control, Cambridge, MA.
- Krebs, Tom/Weber, Isabella (2024): Can price controls be optimal? The economics of the energy shock in Germany, Working Paper Series Nr. 597, Amherst, University of Massachusetts.
- Weber, Isabella (2021): Could strategic price controls help fight inflation?, in: The Guardian, 29.12.2021.
- Weber, Isabella/Beckmann, Thore/Thie, Jan-Erik (2023): The tale of the German gas price brake: Why we need economic disaster preparedness in times of overlapping emergencies, in: Intereconomics 1/2023, DOI: 10.2478/ie-2023-0004, 10–16.
- Witt, Uwe (2023a): Wirken die Gas- und Strompreisbremsen? Bestandsaufnahme und Bewertung der staatlichen Entlastungspakete, Kommentar, 31.1.2023, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin.
- Witt, Uwe (2023b): Übergewinnsteuern laufen ins Leere. Zwei Seiten einer Medaille: Extrem akkumulierter Reichtum und bittere Armut, Kommentar, 30.1.2023, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin.
- Zündorf, Irmgard (2006): Der Preis der Marktwirtschaft. Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Westdeutschland 1948 bis 1963, Franz Steiner Verlag.