Analyse | Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Alles wird teurer - Ernährungssouveränität Wer profitiert von der Lebensmittel-Inflation?

Während Unternehmen gut an den steigenden Preisen verdienen, haben die Konsument*innen und die Arbeiter*innen in der Landwirtschaft das Nachsehen

Eine Nahaufnahme von Kartoffeln in 2,5 kg-Netzen abgepackt auf einem Verkaufstisch im Supermarkt getürmt. Im Vordergrund ist ein Preisschild zu sehen, auf dem steht: "Tiefpreis - 3.99"
Die Kosten für Kartoffeln sind seit 2020 um 43 Prozent gestiegen. Foto: IMAGO / Sven Simon

In den letzten Jahren sind die Preise für Lebensmittel deutlich gestiegen. Zwischen 2020 und Oktober 2024 erhöhten sich die Preise durchschnittlich um 34,1 Prozent. Bei einigen Produkten ist der Anstieg besonders stark: Käse und Teigwaren wurden im gleichen Zeitraum fast 50 Prozent, Butter sogar 60 Prozent teurer. Der größte Preissprung ereignete sich im Jahr 2022, nach der russischen Invasion in die Ukraine: Im März 2022 verzeichneten die Vereinten Nationen den größten Anstieg der Nahrungsmittelpreise seit Beginn der Aufzeichnungen 1990. Gleichzeitig trugen die gestiegenen Energiepreise zu den höheren Kosten im Agrarsektor bei.

Steffen Vogel ist Referent für Menschenrechte in Lieferketten bei der Entwicklungsorganisation Oxfam Deutschland und Autor mehrerer Oxfam-Studien zu Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft.

Seit Anfang 2023 sind die Preise nur noch moderat gestiegen. Anders als nach dem starken Rückgang von Energiepreisen ab Mitte 2022 und der Normalisierung der Lieferbeziehungen zu erwarten gewesen wäre, sind sie jedoch nicht gesunken. Ein Rückgang der Preise ist daher auch in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten – im Gegenteil: die Preisempfehlungen vieler Hersteller «legen nahe, dass es in der ersten Jahreshälfte 2025 weitere Erhöhungen geben könnte».

Infografik zur Entwicklung der Verbraucherpreise und Löhne 2020 -2024
Lebensmittel treiben die Inflation – die Löhne können nicht Schritt halten.
  Hinweis: Bei den Bruttostundenverdiensten handelt es sich um Quartalszahlen., Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Zahlen des Statistischen Bundesamtes

Die Löhne konnten mit den Preisanstiegen bei Weitem nicht Schritt halten. Die Bruttomonatsverdienste von Vollzeitbeschäftigten, ein recht treffsicherer Indikator für die allgemeine Lohnentwicklung, stiegen nur um etwa 17 Prozent im Vergleich zu 2020. Damit hat sich die Kaufkraft der Beschäftigten in Deutschland insgesamt um 2,4 Prozentpunkte verringert, für Lebensmittel sogar um mehr als 15 Prozentpunkte. Verbraucher*innen bemerken also nicht nur die höheren Preise im Supermarkt, sie erfahren auch real einen deutlichen Kaufkraftverlust beim wöchentlichen Einkauf.

Besonders hart treffen die steigenden Lebensmittelpreise Menschen mit niedrigem Einkommen. Zum einen geben sie einen viel größeren Teil ihres Monatseinkommens für Lebensmittel aus als Haushalte mit höheren Einkommen. Zum anderen haben Supermärkte die Preise ihrer Eigenmarken fast doppelt so stark erhöht wie die der Markenprodukte, wie das Handelsblatt errechnen ließ. Wer sich also grundsätzlich mit den günstigeren Eigenmarkenprodukten versorgt, erlebte allein in den letzten zwei Jahren eine Inflation von knapp 25 Prozent. Für wirtschaftlich schlechter gestellte Haushalte bedeutet die Lebensmittelinflation eine deutlich größere Belastung – sie sind wohl zwei- bis dreimal stärker betroffen als Haushalte mit höherem Einkommen. Ernährungsarmut in Deutschland nimmt zu, wie die Verbraucherzentrale NRW feststellte. Die Lebensmittelinflation verschärft also die soziale Ungleichheit.

Die Unternehmen haben die Gunst der Stunde genutzt

Während der Hochinflationsphase 2022/23 mehrten sich Belege und Analysen, die aufzeigten, dass der Preisanstieg weit höher ausfiel, als es die Knappheit bei bestimmten Rohstoffen vermuten ließ. Unternehmen erhöhten ihre Preise mehr, als sie es aufgrund steigender Einkaufspreise und Kosten mussten. So erhöhten sie ihre Gewinne. Die Ökonomin Isabella Weber prägte den Fachbegriff der Verkäuferinflation (sellers՚ inflation). Dem traditionellen Erklärungsansatz einer Lohn-Preis-Spirale, derzufolge sich Löhne und Preise während einer Inflation gegenseitig antreiben, setzte sie die Gewinn-Preis-Spirale entgegen. Nach anfänglichem, lautstarkem Widerstand neoklassischer Ökonom*innen wird die Analyse mittlerweile weithin geteilt. Im Sommer 2023 errechneten Ökonom*innen für den Internationalen Währungsfonds, dass 45 Prozent der Preiserhöhungen in der Eurozone auf erhöhte Unternehmensgewinne zurückzuführen seien. EZB-Chefin Christine Lagarde sprach von einem Beitrag der Stückgewinne zur Inflation von ganzen zwei Dritteln. Für die USA kam der Ökonom Matt Stoller auf 60 Prozent.

Es darf also als gesichert gelten, dass Unternehmen die Gunst der inflationären Stunde nutzten, um Profite einzufahren. Kund*innen ächzten zwar unter den Preisanstiegen, brachten wegen der Krisensituation aber größeres Verständnis für sie auf. Letztlich hatten die Verbraucher*innen auch keine Alternative. Hierin liegt die Verbindung zu Marktmacht und Marktkonzentration: Unter häufig in Wirtschaftslehrbüchern angenommenen perfekten Wettbewerbsbedingungen müssten, wenn der externe Preisschock der Krise abklingt, die Preise ebenso schnell wieder sinken, wie sie zuvor gestiegen waren, da ein günstiger Anbieter am Markt erfolgreich sein müsste. Wird ein Markt jedoch von einer kleinen Zahl mächtiger Unternehmen beherrscht, können sich diese Unternehmen mit den Preissenkungen Zeit lassen. Wie Ökonom*innen des DIW Berlin vermerkten, müssten sich Preise zumindest langfristig wieder angleichen: «Preise steigen wie Raketen und fallen wie Federn.» Sieht man sich die Preiskurven im Lebensmittelsektor an, erinnern die meisten Kurven eher an Langstreckenflugzeuge (siehe Abbildung 1). Zwischenzeitliche Preissenkungen konnten den Anstieg bei Weitem nicht ausgleichen.

Ein Preisdiktat der großen Vier

Die aktuelle Inflation hängt also mit Defiziten im Wettbewerb zusammen. In Deutschland ist vor allem im letzten Glied der Lieferkette eine immense Marktkonzentration zu beobachten: Die vier großen Supermarktketten Edeka, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, Rewe und Aldi (Nord und Süd) teilen sich mittlerweile 87 Prozent des Marktes untereinander auf – Tendenz steigend: Im Jahr 1995 kamen die heutigen «Big Four» nur auf 55 Prozent. Man erinnere sich an Spar, Real und Kaisers-Tengelmann: Über die Jahrzehnte wurden zahlreiche kleinere Lebensmittelketten aus dem Markt gedrängt oder von den Großen geschluckt. Auch die Discounter Penny und Netto, die heute zu Rewe bzw. Edeka gehören, waren einst eigenständig.

Die Supermarktketten können durch ihre Marktmacht die Verkaufspreise erhöhen. Expert*innen sehen durch das Vierer-Oligopol den Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) bereits deutlich eingeschränkt. Analyst*innen der Allianz Trade sprachen 2023 von «übermäßigen Gewinnmitnahmen»: Die Inflation könne nicht mit traditionellen Kostentreibern erklärt werden, und: Die Mitnahmeeffekte seien in Deutschland wegen des unzureichenden Wettbewerbs sogar dreimal so hoch wie im europäischen Vergleich.

Der Marktanteil der «Big Four» nimmt zu.
  Aus: Oxfam Deutschland, «Unternehmen Ungleichheit» (2024)

Gleichzeitig können die Ketten aufgrund ihrer Marktmacht auf der Einkaufsseite Lieferanten unter erhöhten Druck zu setzen. Trotz eines teilweisen Verbots unlauterer Handelspraktiken sind Lieferanten des Einzelhandels regelmäßig mit Drohungen und einseitigen Vertragsänderungen der Supermärkte konfrontiert. Bäuerinnen und Bauern klagen seit Langem über ein «Preisdiktat der Supermärkte»: Es gebe keine wirklichen Preisverhandlungen mehr, wer die geforderten Konditionen des Handels nicht akzeptiere, bleibe auf seiner Ware sitzen. Eine viel beachtete Studie aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss, der Einzelhandel könne sich nicht mehr als «Hüter der Inflation inszenieren, sondern ist einer ihrer Ursachen».

Der Preisdruck trifft die schwächsten Glieder der Lieferkette

Dieser Preisdruck setzt sich entlang der Lieferkette fort und schmälert das Einkommen von Landwirt*innen. So werden Preissteigerungen im Supermarkt auch nicht automatisch an Hersteller oder Landwirtschaft weitergereicht. Zwar berichten Bäuerinnen und Bauern, dass die steigenden Preise im Laden etwa für Milch und Butter auch zu Mehreinnahmen führten, jedoch würden diese viel zu langsam und unvollständig an sie weitergereicht. Die Landesanstalt für Landwirtschaft Baden-Württemberg errechnete, dass bei Milch und Käse die Verbraucherpreise – und damit die Gewinnspanne – deutlich stärker gestiegen sind als die Erzeugerpreise. Der Anteil der Erzeuger sei langfristig rückläufig. Grundsätzlich zeigt sich, dass größere Player dem Druck besser standhalten können: Während mittelständische Lebensmittelhersteller hierzulande zunehmend in Bedrängnis geraten, konnten Großkonzerne wie Nestlé oder Henkel ihre Gewinne steigern.

Letztlich leiden unter dem Preisdruck auch die schwächsten Glieder in den Lieferketten: Landarbeiter*innen und Kleinbäuerinnen und -bauern, die von ihrer harten Arbeit auf dem Feld kaum leben können. Erst kürzlich protestierten Bananenverbände aus Ecuador gegen den Preisdruck der deutschen Einzelhändler: Der Preis, den sie für eine Kiste Bananen bekamen, sei in Folge eines Sonderangebots bei Kaufland, bei dem die anderen Supermärkte mitzogen, um fast 50 Prozent eingebrochen. Gleichzeitig sind Arbeitsrechtsverletzungen auf ecuadorianischen Bananenplantagen noch immer an der Tagesordnung.

Preisdruck und Hungerlöhne stehen in einem Zusammenhang: In einem der Beschwerdefälle, die Oxfam 2023 nach dem Lieferkettensorgfaltpflichtengesetz beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einreichte, bekamen Arbeiter*innen zu geringe Löhne, weil die Plantage, ein Edeka-Zulieferer, keine Gewinne machte. Und eine Umstellung auf eine ökologischere Produktion, etwa mit weniger giftigen Pestiziden, bedeutet ebenfalls erhöhte Kosten.

Die Analyse des Problems ist für Landwirt*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen nicht neu. Bereits 2007 forderte Oxfam in der Studie «Endstation Ladentheke» mit Blick auf den Bananensektor, «dass Einzelhändler und Importunternehmen die in der Studie aufgezeigten unfairen Einkaufspraktiken ändern [müssten], um auf diese Weise ihren Lieferanten die Durchsetzung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen zu ermöglichen».

Neu ist, dass sich seit der Hochinflation und den Bauernprotesten Anfang 2024 auch Institutionen wie die Monopolkommission mit dem Thema befassen – und das Problem bestätigen. Das Beratungsgremium der Bundesregierung, das aus Expert*innen für Kartellrecht besteht, zeigt in seinem aktuellen Hauptgutachten, dass sich die Gewinnmargen entlang der Lebensmittel-Lieferkette stark verschoben haben – weg von der Landwirtschaft, hin zur verarbeitenden Industrie und vor allem zum Handel. Erhöhten sich die Kosten für Hersteller, könnten sie Preiserhöhungen nicht an die Supermärkte weitergeben. Auf der anderen Seite gebe der Einzelhandel Kosteneinsparungen im Laden nicht an die Hersteller weiter. «Die Nichtweitergabe sinkender Kosten deutet auf fehlenden Wettbewerbsdruck und oligopolistisches Verhalten hin», so die Kommission.

Die Gewinnmargen verschieben sich entlang der Lebensmittel-Lieferkette immer mehr von der Landwirtschaft hin zu Industrie und Handel.
  Quelle: Monopolkommission: Hauptgutachten XXV: Wettbewerb 2024, S. 86

Die Preise der günstigen Eigenmarken wurden am stärksten erhöht

Die Handelskonzerne bestreiten die Preismitnahmen im Zuge der Inflation. In der Tat sind diese nur schwer nachzuweisen, da es im Lebensmitteleinzelhandel an Transparenz mangelt. Die deutschen Supermärkte sind nicht börsennotiert und müssen daher keine Rechenschaft gegenüber Aktionär*innen oder der Öffentlichkeit ablegen. Zudem wollte keiner der Supermärkte im Rahmen einer Studie der Organisation Foodwatch Einblick in die Margenkalkulation geben.

Dabei mehren sich Hinweise auf sogenannte Mitnahmeeffekte, also dass die allgemeine Inflation genutzt wurde, um Preise und damit Gewinnmargen nach oben zu treiben. Bei einzelnen Produkten wie Sonnenblumenöl kam es in deutschen Supermärkten zeitweise zu Anstiegen um bis zu 270 Prozent, obwohl der Weltmarktpreis nur um etwa 60 Prozent stieg. Das Eigenmarken-Mineralwasser der Supermärkte wurde binnen zwei Monaten um 32 Prozent teurer. Ein Forscher des ifo-Instituts sagte im Mai 2023: «Die Verbraucherpreise bei vielen Lebensmitteln sind nach wie vor hoch, während die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft und die Preise für Vorprodukte für die Lebensmittelindustrie in vielen Fällen wieder gesunken sind. […] Hier wurden offensichtlich die Gewinne gesteigert.»

Eine Analyse für das Handelsblatt vom November 2024 zeigte, dass in allen vier Handelsketten ähnliche Preise existieren, die Preise wurden fast zeitgleich erhöht. Ein früherer Supermarkt-Geschäftsführer erklärt: «In der Inflation hat Aldi die Preise erhöht, und der Wettbewerb hat nachgezogen. […] So haben sie sich gemeinsam hochgeschaukelt, weil sie genau wissen, dass keiner nach unten ausbricht.» Die Organisation Foodwatch bestätigte Anfang 2025 diesen Effekt.

Besonders auffällig ist der viel stärkere Anstieg der Supermarkt-Eigenmarken im Vergleich zu Markenprodukten, die zwar in der Regel knapper kalkuliert sind, bei denen die Supermärkte aber eine direkte Kontrolle über Produktion und Preise haben. Sie sind immer häufiger Hersteller und Verkäufer zugleich, man spricht von der vertikalen Integration von Lieferketten. Foodwatch errechnete, dass der Preisanstieg bei Eigenmarken zwischen Anfang 2022 und 2023 bei 30,9 Prozent lag – bei Markenprodukten waren es lediglich 14 Prozent. In der Adventszeit 2024 berichtete das Handelsblatt, dass Schoko-Nikoläuse der Eigenmarken um 50 Prozent teurer waren als im Vorjahr – bei bekannten Herstellermarken wie Lindt (7%), Kinder (12%) oder Milka (25%) war der Anstieg deutlich geringer. Auch für andere Länder ließ sich dieser «Cheapflation» genannte Effekt belegen.

Politik und Behörden können handeln

Eine erneute Sektoruntersuchung des Bundeskartellamts könnte Licht ins Dunkel der Preisbildung bringen. Dabei muss das zunehmende Vordringen der Supermärkte in Produktionsbereiche – die sogenannte vertikale Integration – geprüft werden, inklusive dessen Auswirkungen auf Vielfalt, Wettbewerb und faire Produktionsbedingungen. Kartellamt und Politik haben es bisher nicht vermocht, der steigenden Marktkonzentration im Lebensmittelhandel einen Riegel vorzuschieben. Dabei verfügt das Bundeskartellamt seit letztem Jahr über deutlich stärkere Eingriffsmöglichkeiten – bis hin zu einer Entflechtung, also der Aufspaltung marktbeherrschender Unternehmen.

Zudem braucht es nach Frankreich und Spanien auch in Deutschland eine Preis- und Margenbeobachtungsstelle, die eine laufende Überprüfung der Gewinnmargen leisten und auf Ungleichgewichte in der Lebensmittel-Lieferkette hinweisen könnte.

Kurzfristig könnte eine Mehrwertsteuersenkung den Verbraucher*innen Entlastung verschaffen. Im hoch konzentrierten Lebensmittelhandel müsste jedoch, ähnlich wie beim Tankrabatt 2022, darauf geachtet werden, dass die Vergünstigung auch bei den Kund*innen ankommt.

Außerdem sollte die Bundesregierung ein Gebot des kostendeckenden Einkaufs für die Handelsketten beschließen, damit Landwirt*innen nicht länger unter Dumpingpreisen leiden. Ein solches Gebot zeigt in Spanien bereits erste Wirkung.

Schließlich muss das Lieferkettengesetz, das vor allem den schwächsten Gliedern der Lieferkette, nämlich Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Landarbeiter*innen, zugutekommt, gegen die Angriffe von Wirtschaftslobby und neoliberalen Politiker*innen verteidigt werden.

Dies wären erste Schritte, um unser aus dem Lot geratenes Ernährungssystem wieder in die richtige Richtung zu bewegen.