Kommentar | Rassismus / Neonazismus - Parteien / Wahlanalysen - Kampf gegen Rechts Die Brandmauer ist gefallen

Die erste Bundestagsmehrheit mit Hilfe der AfD ist ein Dammbruch mit Ansage

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Autorin

Anika Taschke,

Berlin, 30.1.2025: Tausende Menschen versammeln sich vor der CDU-Parteizentrale gegen die Politik von Friedrich Merz und einer Zusammenarbeit der CDU mit der AFD.
30.1.2025: Tausende Menschen versammeln sich vor der CDU-Parteizentrale in Berlin gegen die Politik von Friedrich Merz und einer Zusammenarbeit der CDU mit der AFD. Die Protestwelle hat gerade erst begonnen. Foto: IMAGO / F. Anthea Schaap

Es ist passiert. Die CDU hat im Bundestag erstmals offen mit der AfD kooperiert – und damit eine politische Grenze überschritten, die noch vor wenigen Monaten als unantastbar galt. Friedrich Merz und seine Partei haben das Versprechen der «Brandmauer nach rechts» gebrochen.

Schon seit Jahren gab es Anzeichen dafür, dass die CDU schleichend ihre Abgrenzung zur extremen Rechten aufweicht. Die Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene, die vorsichtige Relativierung der Brandmauer durch Merz im ZDF-Sommerinterview 2023, die strategischen Abstimmungen mit der AfD in Thüringen – all das waren Warnsignale. Jetzt ist die Zusammenarbeit kein Tabu mehr, sondern Realität auf Bundesebene. Ein historischer Wendepunkt.

Anika Taschke ist Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Referentin für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit.

Die hitzigen Debatten auch im Plenarsaal drehen sich um diesen Vorgang. Was nicht thematisiert wird: die migrationsfeindliche Politik der Anträge. Menschenrechte und Asylgesetzgebung sind kaum hörbar in der Debatte.

Ein fatales Signal

Die CDU mag behaupten, es habe keine Absprachen gegeben. Doch das ändert nichts an der Tatsache: Wer wissentlich mit den Stimmen der AfD rechnet und ihre Mehrheiten nutzt trägt zur Normalisierung dieser Partei bei. Und das hat weitreichende Folgen. Die AfD gewinnt weiter an Einfluss, ihre Politik wird salonfähiger.

Für Menschen, die sich für Demokratie, Vielfalt und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, ist das ein alarmierendes Signal. Wer glaubt, diese Strategie der CDU sei ein Einzelfall, sollte sich nicht täuschen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass einmal geöffnete Schleusen selten wieder geschlossen werden. Doch genau das ist jetzt nötig.

Ein Blick zurück: 2020 ließ sich FDP-Mann Thomas Kemmerich in Thüringen mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen. Der öffentliche Druck zwang ihn zum Rücktritt. In den Jahren 2019 bis 2024 haben Steven Hummel und ich über 121 Fälle von Kooperationen mit der extremen Rechten auf der kommunalen Ebene nachgewiesen. Seit der Wahl im Juni 2024 hat sich die Situation noch verschärft – ein Testlauf für die weiteren parlamentarische Ebenen. 2025 nun der nächste Schritt: Eine CDU, die sich offen auf AfD-Mehrheiten stützt, um ihre migrationspolitischen Pläne voranzutreiben.

Die Entwicklung in Österreich zeigt, wohin dieser Weg führen kann. Als die FPÖ von einer rechtsnationalistischen Protestpartei zu einem ernstzunehmenden Koalitionspartner wurde, hatte das langfristige Auswirkungen auf die politische Kultur des Landes. Ähnliches droht nun Deutschland. Denn jede Annäherung an extrem rechte Parteien verschiebt die politischen Maßstäbe – schleichend, aber kaum umkehrbar.

Wie weit wird die CDU noch gehen?

Es wäre naiv zu glauben, dass der 29. Januar 2025 ein isoliertes Ereignis bleibt. Besonders in Ostdeutschland, wo die CDU und AfD in vielen Kommunen bereits Mehrheiten haben, könnte sich diese Entwicklung rasant fortsetzen.

Noch gefährlicher als die aktuelle Situation ist der gesellschaftliche Gewöhnungseffekt. Wenn sich die Empörung über diese Kooperation erst einmal legt, könnten weitere Annäherungen folgen – erst bei vermeintlich unpolitischen Themen, dann bei Personalentscheidungen. Und irgendwann ist die Zusammenarbeit mit der AfD kein Skandal mehr, sondern Routine. Dieser Entwicklung gilt es einen Riegel vorzuschieben.

Dazu kommt: Die AfD verändert sich weiter. Teile der Partei träumen offen von einer autoritären Umgestaltung des Staates, von Massendeportationen und einer Aushöhlung demokratischer Institutionen. Und trotzdem ist sie für die CDU offenbar ein berechenbarer Partner. Merz deutet an, dass die Mehrheit des Bundestages darüber entscheide, was beschlossen würde. Die Mehrheit mit der AfD auch weiter zu nutzen ist also mindestens angekündigt.

Und die AfD sitzt am Rand der Debatte und lacht. Für sie ist diese Situation ein Selbstläufer. Die demokratischen Parteien streiten. Die CDU hadert mit ihrer Haltung nach rechts, aber fordert genau das, was die AfD ohne die CDU nicht durchbekommen würde: Grenzschließungen, Abschiebehaft, faktisches Aussetzen des Rechts auf Asyl, massenhafte Ausweisungen. Nun hat die AfD jemanden gefunden, der die Arbeit für sie übernimmt. Sie werden gestärkt aus diesen Debattentagen hervorgehen.

Widerstand ist gefragt

Die gute Nachricht ist: Der Protest wächst. Viele Menschen lassen das nicht einfach geschehen. In mehreren Großstädten formieren sich Demonstrationen, und auch innerhalb der CDU gibt es noch kritische Stimmen, mit der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze. Doch das wird nicht reichen. Es braucht eine klare, unmissverständliche Haltung aller demokratischen Parteien: Jede Zusammenarbeit mit der AfD muss tabu bleiben – auf allen Ebenen.

Die Brandmauer existiert nicht von selbst. Sie muss aktiv verteidigt werden. Denn eines ist klar: Wenn dieser Tabubruch folgenlos bleibt, wird er nicht der letzte gewesen sein. Und dann ist Demokratie am Ende kein Selbstverständnis mehr, sondern ein Kampf, der täglich geführt werden muss.

Die CDU hat die Brandmauer eingerissen. Es liegt nun an der Gesellschaft, aber auch an den demokratischen Parteien diese wieder zu aufzubauen.