
Im letzten Jahrzehnt der DDR war im Umgang mit den Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung während der NS-Zeit, im Umgang mit dem sogenannten jüdischen Erbe und im Umgang mit den wenigen, öffentlich wahrnehmbaren Jüdinnen und Juden in der ostdeutschen Gegenwart eine Veränderung in Gang. Die maßgeblichen Akteur*innen dieser Veränderungen fanden sich auf staatlicher Ebene, in der Zivilgesellschaft und im Privaten. Es mutet wie eine ‚späte Liebe‘ an, neutraler lässt sich von einem Perspektivwechsel sprechen. Je nach Akteur*in fiel dieser sehr unterschiedlich aus. Manchmal gab es Überschneidungen, oft verbargen sich hinter den Perspektivwechseln indes ganz gegensätzliche Fragen und Motive.
Lisa Schoß ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und forscht an der Schnittstelle von Jüdischen Studien und audiovisueller Zeitgeschichte. Im Jahr 2021 promovierte sie mit der Arbeit «Von verschiedenen Standpunkten. Die Darstellung jüdischer Erfahrung im Film der DDR» (Berlin, Bertz+Fischer 2023).
Nun lässt sich erstmal konstatieren, dass dieser Perspektivwechsel auf Jüdisches (bzw. auf das, was als jüdisch wahrgenommen wurde), ein Phänomen darstellte, das durch den zunehmenden Abstand zur NS-Zeit und einen Generationswechsel in Ost wie West zu beobachten war. Im Westen wird meist vom Katalysator Holocaust (1978), also der Wirkung der US-amerikanischen Serie auf das gesellschaftliche Bewusstsein gesprochen. In der BRD habe sie einen erinnerungskulturellen Umbruch wenn nicht ausgelöst, so doch beschleunigt.
Versäumnisse bei der Auseinandersetzung mit dem Faschismus und die Folgen
Das DDR-Fernsehen kaufte Holocaust nicht an und die Dritten Programme, in denen die Serie 1979 in der BRD simultan ausgestrahlt wurde, konnten nur von wenigen DDR-Bürger*innen empfangen werden (nicht zuletzt deshalb wurde Holocaust 1982 in der ARD wiederholt). Dafür startete im DDR-Fernsehen eine großangelegte Retrospektive. Sie erinnerte an eine filmische Traditionslinie, die bis 1946 zurückreichte: die sogenannten Antifaschismus-Filme. Innerhalb des Genres wurden auch die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung und Themen wie Antisemitismus verhandelt. Die Retrospektive entfaltete, wenig überraschend, keine katalysatorische Wirkung. Das Antifaschismus-Genre steckte seit Langem in der Krise, das Publikum fühlte sich übersättigt ob der Omnipräsenz der immer gleichen Darstellungen vom Faschismus, Kapitalismus, Imperialismus, vom heldenhaften kommunistischen Widerstand und der DDR als dessen Vermächtnis. Auch das Gros der Filmemacher*innen wünschte sich seit je mehr Spielraum für ihre Geschichten. Gelang etwas Neues, ohne dass es der Zensur zum Opfer fiel, dann wurde der Impuls in den 1980ern nur noch selten wahrgenommen. Die Leute gingen schlicht kaum mehr ins Kino oder schalteten den Fernseher nicht ein, wenn ein Antifaschismus-Film angekündigt wurde. In immerhin 25 ostdeutschen Spiel- und Fernsehfilmen der 1980er Jahre wurden jüdische Erfahrungen mal zentral, mal peripher dargestellt. Gleichzeitig debattierten in der Akademie der Künste Ost Künstler*innen und Intellektuelle hinter verschlossenen Türen hitzig über die Versäumnisse bei der Auseinandersetzung mit dem Faschismus und speziell mit der Shoah. Es fielen alarmierende Sätze über die Ignoranz weiter Teile der DDR-Bevölkerung, aber auch von Genoss*innen. Die Ergebnisse einer Studie des Zentralinstituts für Jugendforschung zum Geschichtsbewusstsein junger Leute waren so deprimierend, dass man sie zur «geheimen Verschlusssache» deklarierte.[1]
Von unten wuchs zeitgleich seit Ende der 1970er Jahre wie in der BRD ein Interesse für alles Jüdische. Eine entscheidende Rolle für Neuansätze ging in der DDR von den Kirchen aus. Es hatten sich christlich-jüdische Arbeitskreise gebildet, die Themen jüdischer Kultur und Lebens einem immer größer werdenden Adressat*innenkreis näherbrachten. Auch mit der Shoah wurde sich beschäftigt. Indirekt kritisierten die Akteur*innen damit einen defizitären Antifaschismus-Diskurs.
Die Aktivitäten wurden staatlicherseits registriert und beargwöhnt. Die SED war bemüht, ihr historisches Deutungsmonopol zurückzugewinnen, in dem sie sich an die Spitze dieser Entwicklung zu setzen versuchte. Der offizielle Erinnerungskanon sollte kontrolliert erweitert werden. So wurde jüdische Kultur in das Programm «Erbe und Tradition» integriert, das eine «sozialistische Nationalkultur der DDR» entwarf.[2] Der Staat begann die Jüdischen Gemeinden der DDR, die nur noch 400 Mitglieder zählten, zu umwerben und zu fördern. Sakrale Orte und Denkmäler sollten bewahrt, Gedenktafeln errichtet werden. Die FDJ und Kirchengruppen absolvierten freiwillige Arbeitseinsätze auf den jüdischen Friedhöfen. Der Grundstein zum Wiederaufbau der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße wurde gelegt, die Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum gegründet. Den 50. Jahrestag der Novemberpogrome 1988 beging man als Staatsakt mit internationalen Gästen aus Ost und West. Die Regierung signalisierte sogar Bereitschaft für Entschädigungszahlungen. Alles in allem werden die staatlichen Anstrengungen heute als Symbolpolitik betrachtet. Sie bedienten vor allem außen- und wirtschaftspolitische Interessen.
Neue Perspektiven erwünscht, aber nicht uneingeschränkt
Widersprüche blieben bei dem veränderten Umgang mit deutsch-jüdischer Geschichte und Gegenwart nicht aus. Die Filmpolitik ist dafür ein gutes Beispiel. Einerseits betonten Entscheidungsträger*innen und Presse als Reaktion auf Holocaust, dass man keinen «Nachhilfeunterricht»[3] nötig habe und wiederholte neben der Retrospektive mehrfach Filme wie den Vierteiler Die Bilder des Zeugen Schattmann (1972). Basierend auf Peter Edels autobiographischem Roman erzählt der Film vom Schicksal des Juden Frank Schattmann und seiner Familie, vom deutsch-jüdischen Berliner Milieu, von Ausgrenzung, Zwangsarbeit, Verfolgung, von der Entwicklung zum Kommunisten, von Widerstand, Folter, Deportation, von Vernichtungs- und Konzentrationslagern (v.a. Auschwitz), von Befreiung und Rückkehr und dem Weiterleben in der DDR. Von den Einschaltquoten waren die Verantwortlichen gleichwohl enttäuscht. Neben dem Publikum und den Filmemacher*innen sahen bald auch die Leitungsorgane die Notwendigkeit für neue Perspektiven im Antifaschismus-Genre. Im Fokus stand dabei die Jugend. Die Vorstellungen davon gingen gleichwohl auseinander.
Peter Kahane etwa arbeitete Mitte der 1980er Jahre an einem Projekt auf Grundlage von Friedrich Wolfs Erzählung Jules (1941). Handlungsort ist das Internierungslager Le Vernet: Der polnische Jude Aron Liter, genannt Jules, ist durch Verfolgung und Erniedrigung zum «Tier» geworden. Ihm nimmt sich ein ebenfalls inhaftierter Arzt, Kommunist und Jude, an und erzieht ihn zum besseren «Menschen», zum tapferen Kameraden. Am Ende stellt sich Jules in den Dienst der kommunistischen Sache.[4] Kahane wollte die Geschichte ohne Hierarchie erzählen, als Begegnung zweier Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen. Doch die Studioleitung erteilte eine unmissverständliche Absage. Und das Schicksal von Michael Kanns Diplomfilm Natalja dir, dir Isaak (1979 gedreht, 1980 nach dem abendlichen Hauptprogramm im Fernsehen ohne Nennung von Namen ausgestrahlt) ist bis heute ungeklärt. Der Film, nach einer journalistischen Notiz Ilja Ehrenburgs, handelt von einer Russin, die ihren jüdischen Mann vor den deutschen Besatzern versteckt. Der Film fiel zunächst an der Hochschule durch, während er auf internationalen Festivals viel Anerkennung erhielt und mutmaßlich sogar zu den Student Academy Awards in die USA eingeladen wurde – was der Regisseur allerdings erst später erfuhr, denn die Entsendung wurde verhindert. Sowohl Kahane als auch Kann kamen aus jüdisch-kommunistischen Familien, die aus der Emigration zurückgekehrt waren. Beide gehörten zu den letzten Nachwuchsregisseur*innen der DEFA, denen es in den Filmstudios nicht leicht gemacht wurde. Partei- und Studioleitung fürchteten deren «idealistische Energien»[5] – obwohl sie sie gebraucht hätten.
Begeistert hingegen nahmen Kulturabteilung, Filmkritik und Publikum 1982 einen dreiteiligen Fernsehfilm auf, der intern bei der DEFA der ‚Jiddenfilm‘ genannt wurde: Hotel Polan und seine Gäste. Der Film basierte auf einer bereits 1970 veröffentlichten, autobiographischen Erzählung von Jan Koplowitz, die der Autor später zu einem knapp 700 Seiten starken Roman ausarbeitete.[6] Koplowitz beschrieb darin einen Teil seiner böhmisch-jüdischen Familiengeschichte, das Aufwachsen seines Alter Egos Peter Samuel im großelterlichen Hotel, einem koscher-rituell geführten Haus mit jüdischen Gästen aus aller Welt, den Ersten Weltkrieg, den Aufstieg der Nationalsozialisten, Enteignung und Verfolgung und Peters Weg zum Kommunismus.
Die Dramaturgen des Fernsehens erkannten schnell das Potenzial der Geschichte: unter politisch-ideologischen Aspekten (die Darstellung des «klassenmäßig bedingten Zerfalls einer jüdischen Hoteliersfamilie»)[7], unter den Aspekten der Publikumswirksamkeit (der Stoff bot eine emotionale Familiengeschichte, diverse Schauplätze und enorme Dekoration), aber auch weil man die Geschichte als informativ einschätze. Sie erhelle die historischen Gründe des Antisemitismus und vermittle jüdische Kultur in Form von Tradition und Religion.[8]
Als sich herauskristallisierte, dass Holocaust in Deutschland ausgestrahlt werden würde, kam nach langer Zeit Fahrt in das Projekt. Mit Hotel Polan sollte die Darstellung der historischen Entwicklung, nicht zuletzt die Darstellung des Zionismus in der US-Serie ‚richtiggestellt‘ werden. Den ostdeutschen Israel-Diskurs dominierte seit den 1950er Jahren ein dezidierter Antizionismus, der im Laufe der Jahre mitunter Formen eines israelbezogenen Antisemitismus annahm. Das änderte sich bis zum Ende der DDR nicht.
Straßenfeger oder Stürmer-Karikatur
Die Regie übernahm Horst Seemann, bekannt für optisch opulentes Unterhaltungskino. Seemann machte Hotel Polan zu einem gewaltigen Unterfangen. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen unterstütze die fachliche Beratung durch die jüdischen Gemeinden. Der Ostberliner Kantor Oljean Ingster sollte auf die Darstellung all dessen achten, was jüdische Tradition und Religion betraf, und der Westberliner Kantor Abraham Rettich beriet Seemann in Sachen Liturgie. Seemann arbeitete akribisch und besessen. Nach der Ausstrahlung schwärmte die Presse von «geheimnisvollen Gesängen» und «Schönheit und Kraft» [9] der Riten einer «längst versunkenen Welt»[10]. Judentum dargestellt als etwas Gestriges, Exotisches, ja Ideosynkratisches. Kitsch traf hier auf Karikatur, und war darüber hinaus gepaart mit einer gehörigen Portion antisemitischer Stereotype.
Jüdische Zuschauer*innen fühlten sich bei den Männern mit langen Bärten und Schläfenlocken, die ‚schachern‘ und ‚mauscheln‘ an den Stürmer erinnert und schrieben entsetzte Protestbriefe. Der Protest blieb allerdings auf jüdische Stimmen beschränkt. Jeder Teil von Hotel Polan hatte über 3 Mio. Zuschauer*innen, er wurde erfolgreich ins Ausland exportiert (auch in die BRD) und erhielt mehrere Preise. Koplowitz hatte sich da schon von dem Film distanziert.
Hotel Polan war ein Straßenfeger. Er traf genau den Zeitgeist. Ein allgemeines Defizit an Wissen ging einher mit einer nostalgischen (Re-)Konstruktion jüdischer Kultur – ein selektiver Vorgang, der meist ohne jüdische Beteiligung auskam. Hier schufen «judaisierende Milieus» mehr oder weniger gefällige «jüdische Räume», wie es Y. Michal Bodemann und Anthony Kauders für die BRD beschrieben haben.[11] Ein anderer DEFA-Spielfilm jener Jahre spiegelt, wie Mode und subversive Erweiterung der Erinnerung Hand in Hand gehen konnten. Coming Out (1989) handelt von Homosexualität in der DDR. Nische trifft hier auf Nische: Die Schulklasse des schwulen Lehrers tanzt zu Klezmermusik, bei Kellerkonzerten werden jiddische Ghetto-Lieder gesungen und ein alter Mann, ein Überlebender mit ‚rosa Winkel‘, stellt resigniert fest: «Und heute ist es scheißegal, ob jemand Jude ist oder sonst etwas, nur die Schwulen haben wir vergessen.»
Bildungs- und Kulturauftrag
Natürlich gab es auch jüdische Akteur*innen, die versuchten, Bestandteile jüdischer Geschichte, Kultur und Religion freizulegen. Lin Jaldati, «the Yiddish diva of the communist world»[12], interpretierte in der DDR seit den 1950er Jahren jiddisches Liedgut. Nach der Ausstrahlung von Holocaust zeigte das DDR-Fernsehen eine gekürzte Version des Anne-Frank-Programms, das die Familie Jaldati/Rebling entwickelt hatte, eine Montage aus jiddischen Liedern, Tagebuchauszügen Anne Franks und Berichten Jaldatis von ihrer Begegnung mit den Franks in Westerbork, Auschwitz und Bergen-Belsen. Auf der Studiobühne saßen in kleinem Kreis Jugendliche. Am Ende durften Fragen gestellt werden. Manche waren erwartbar, andere überraschend: So schlug ein Schüler vor, man möge doch Geschichtsstunden in der Schule ausfallen lassen und stattdessen in Veranstaltungen wie diese gehen.[13] Jaldatis jüngste Tochter, Jalda Rebling, etablierte danach ihr eigenes Programm und rief 1987 die Tage der jiddischen Kultur ins Leben.
Zur selben Zeit trat auch der Schauspieler Gerry Wolff mit dem Programm ... und wenn der Rebbe lacht (1988) im Fernsehen auf. Begleitet von der ersten ostdeutschen (nichtjüdischen) Klezmer-Band Aufwind trug Wolff jiddische Lieder vor und erzählte jüdische Witze. Wolff war selten öffentlich als Jude aufgetreten. Jetzt trug der Sohn eines Rabbiners weißen Vollbart und sprach vom «Kulturauftrag». Die erste Sendung lief ohne Publikum, die Heiterkeit zwischen Wolff und den Musiker*innen wirkte angestrengt. Am Ende resümierte Wolff selbstironisch: «War ja nicht richtige Generalprobe: Alles was schiefgehen konnte, ging schief. Na gut, ist ja ein gutes Zeichen.» Mit Bei dem Rebben is gewesen setzte Wolff 1990 das Programm fort. Den Bart hat Wolff nicht mehr abgelegt. Nach 1989 nannte er sich den «Alibi-Juden des deutschen Fernsehens».[14]
Suche nach einem ostdeutsch-jüdischen Selbstverständnis
Wolff, der Ende der 1980er Jahre auf die Siebzig zuging, war nur einer jener Ostdeutschen jüdischer Herkunft, die damals eine Spurensuche begannen. Viele Ältere, die ihr Leben dem Aufbau des Sozialismus gewidmet hatten und ihre Ideale gescheitert sahen, traten wieder in die Jüdische Gemeinde ein. Deren Kinder trafen sich in informellen Zusammenkünften wie der 1986 gegründeten Gruppe «Wir für uns». Sie suchten über die Familiengeschichte nach ihren jüdischen Wurzeln, nach einem ostdeutsch-jüdischen Selbstverständnis. Manche, wie Barbara Honigmann, stellten Ausreiseanträge, weil sie ihr Judentum unter freieren Bedingungen leben wollte. Andere blieben und setzten die Beschäftigung mit dem Jüdischsein auf dem Gebiet der Kultur fort, auch im Film. Róza Berger-Fiedler, Peter Rocha und Maja Ulbrich arbeiteten mit dem Dokumentarfilm. Peter Abraham schrieb Stoffe für den Kinderfilm. Michael Kann durfte 1987 endlich sein Spielfilmdebüt präsentieren: Stielke, Heinz, fünfzehn ..., die Geschichte eines glühenden Hitlerjungen, der erfährt, dass sein Vater Jude war. Sein Leben steht plötzlich Kopf. Stielke ist eine aberwitzige Geschichte, in der alle Vorstellungen von Jüdisch- und sog. ‚Deutsch-Sein‘ ad absurdum geführt werden. Und manchmal waren es nur subtile Hinweise, etwa wenn Peter Kahane die Protagonist*innen seiner Coming-of-Age-Geschichte Vorspiel (1987) für wenige Sekunden vor der ehemaligen Synagoge Schönebeck platzierte.
Bei den meisten dieser Filme handelte sich stets um Auseinandersetzungen mit dem Jüdischsein und der DDR gleichermaßen. Doch anders als in Filmen nichtjüdischer Regisseur*innen, waren Herkunft und Rebellion bei Künstler*innen aus jüdisch-kommunistischen Familien vielfältig verknüpft. Honigmann hat den Mut zur Provokation nachträglich nämlich nicht nur als Generationskonflikt und Protest gegen die uneingelösten Versprechen eines ‚anderen Deutschlands‘ reflektiert: Er sei eben auch «zum großen Teil aus dem Bewusstsein geschöpft, nicht in die historische deutsche Schuld verstrickt zu sein.»[15]
In diesem Bewusstsein lebten Jüdinnen und Juden in beiden deutschen Gesellschaften von Anfang an. Neu war die Aneignung, Identifikation und Anverwandlung der nichtjüdischen Umwelt – die die Aushandlungsprozesse unter Ostdeutschen jüdischer Herkunft von außen beeinflussten. Über Generationen hinweg tradiertes antisemitisches Gedankengut, bestenfalls die Gleichgültigkeit der Mehrheit der DDR-Bürger*innen wurde durch das Interesse an Jüdischem kaum beeinflusst. Rassistische Übergriffe, vor denen Jüdinnen und Juden immer gewarnt hatten, begleiteten die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit. Auch das hatte übrigens schon Coming Out gezeigt.
[1] Wilfried Schubarth: Zum Geschichtsbewusstsein von Jugendlichen der DDR. Leipzig 1988. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/STJ6RAN2BV6AFIGGEHTPXEKS732WYTIU [05.01.2025].
[2] Gerd Dietrich: Kulturgeschichte der DDR. Bd. 3. Göttingen 2018, S. 1741.
[3] Heinz Grote: In diesen Tagen: Holocaust. Film und Fernsehen, 3 (1979), S. 2.
[4] Friedrich Wolf: Jules (1941). In: ders.: Dramen und Prosa. Berlin, Weimar 1973, S. 276-317.
[5] Reinhild Steingröver: Spätvorstellung. Die chancenlose Generation der DEFA. Berlin 2014, S. 16.
[6] Jan Koplowitz: Kampf um die ‚Bohemia‘. In: Neue Deutsche Literatur, 9 u. 10. (1970). Jan Koplowitz: «Bohemia» – mein Schicksal. Halle (Saale), Leipzig 1979.
[7] Hans Müncheberg: Argumentation zum Filmzyklus «Der Kampf um die Bohemia», 3.11.1975 (DRA, Schriftgutbestand Fernsehen: Dramatische Kunst, Hotel Polan und seine Gäste).
[8] Hans Müncheberg: Einschätzung des erreichten Standes der Arbeit am Filmzyklus «Der Kampf um die Bohemia», 12.10.76 (DRA, Schriftgutbestand Fernsehen: Dramatische Kunst, Hotel Polan und seine Gäste).
[9] Gisela Hoyer: Wege zur Erkenntnis. Hotel Polan und seine Gäste. Fernsehfilm nach Koplowitz. Der Morgen, 3.3.1982.
[10] Ingeborg Klug: Eine längst versunkene Welt. Zum dreiteiligen Fernsehfilm Hotel Polan und seine Gäste. Märkische Volkstimme, 3.3.1982.
[11] Y. Michal Bodemann: Gedächtnistheater. Die jüdische Gemeinschaft und ihre deutsche Erfindung. Hamburg 1996, S. 51 f.; Anthony Kauders: Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik. München 2007, S. 217.
[12] David Shneer: Eberhard Rebling, Lin Jaldati, and Yiddish Music in East Germany, 1949–1962. In: Tina Frühauf/Lily Hirsch (Hg.): Dislocating Memories. Jews, Music, and Postwar German Culture. Oxford 2014, S. 162.
[13] Zugleich wurden erhebliche Teile der Diskussion, die das Judentum betrafen, vermutlich herausgeschnitten. Ich bedanke mich bei Alexander Walther für diesen Hinweis.
[15] Barbara Honigmann: «Abends in die Iphigenie. Zum Max-Frisch-Preis 2011, Zürich». In: dies.: Unverschämt jüdisch. München 2021, S. 64.