Analyse | Rosalux International - Globalisierung - Zentralasien (K)ein Spagat: Zentralasien und BRICS

Die Rolle des Staatenbündnisses für die zentralasiatische Region analysiert Marlies Linke

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Autorin

Marlies Linke,

Der Präsident von Kasachstan, Qassym-Schomart Toqajew, trifft zum BRICS-Plus-Outreach-Treffen in Kasan, Russland, ein, 24.10.2024.
Der Präsident von Kasachstan, Qassym-Schomart Toqajew, trifft zum BRICS-Plus-Outreach-Treffen in Kasan, Russland, ein, 24.10.2024.
 
 

 

 

Foto: IMAGO / SNA

Der 16. BRICS-Gipfel vom 22.-24. Oktober 2024 in Kasan war unter der Überschrift «Multilateralismus für eine gerechte globale Entwicklung und Sicherheit stärken» als eine Demonstration angelegt, dass – so die Abschlusserklärung – die Zusammenarbeit der beteiligten Staaten aus dem globalen Süden auf den Gebieten Politik und Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen, Kultur und zwischenmenschliche Kooperation ausgebaut wird, sich eine strategische Partnerschaft zum Wohle der beteiligten Völker durch die Förderung von Frieden, einer repräsentativeren, faireren internationalen Ordnung, eines erneuerten und reformierten multilateralen Systems, nachhaltige Entwicklung und inklusives Wachstum entwickelt.

Marlies Linke ist Leiterin des Regionalbüros Zentralasien der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Almaty.

Im Vorfeld des Gipfels hatte Dmitri Peskow, Pressesprecher des russischen Präsidenten und damit des Gastgebers dieses BRICS-Gipfels angemerkt, dass die Erweiterung der BRICS-Gruppe und die Klärung des Status der Partner zu den wichtigsten Diskussionspunkten des Treffens zählen werde.

Multivektorale Orientierung

Welcher Staat wie Partner oder Mitglied der BRICS werden könne, bedurfte einer Klärung, da die Mitgliedstaaten unterschiedliche Positionen zu potenziellen Erweiterungsprozessen ihres Verbundes vertreten. Dieser Klärungsprozess wird nach dem Gipfel weitergeführt; Partner sind nicht automatisch Beitrittskandidaten, sondern eher «mitwirkendende Beobachter». Die Einführung eines Partnerstatus als Schritt vor der Akzeptanz als Mitglied in die Staatengruppe – ähnlich zum Aufnahmeprozess der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit – soll wahrscheinlich innere Konflikte um diesen Punkt abschwächen. Einen Anstoß zu solchen Überlegungen könnte u.a. die Entscheidung des rechtskonservativen argentinischen Präsidenten Javier Milei gewesen sein, sofort nach seinem Amtsantritt im Dezember 2023 die positive Reaktion seiner Mitte-links-Vorgängerregierung vom August 2023 auf die Einladung des BRICS-Gipfels von Johannesburg zurückzunehmen, sodass sein Land nicht ab Januar 2024 Mitglied der Organisation wurde.

Hatte Kasachstans stellvertretender Außenminister Kairat Umarow während des BRICS-Plus-Treffens im Juni 2023 ausgeführt, dass sein Land an einer Beteiligung an der BRICS interessiert sei, konkretisierte Berik Uali, Pressesprecher des Präsidenten Qassym-Schomart Toqajew, wenige Tage vor dem BRICS-Plus-Treffen 2024, dass Kasachstan die Evolution der BRICS mit Interesse verfolge und die Einladung, BRICS-Mitglied zu werden, ausgehend von den nationalen Interessen Kasachstans analysiere: «[…] vorläufig und in der nächsten Zukunft wird Kasachstan keinen Antrag auf BRICS-Mitgliedschaft stellen. Dies ist mit dem mehrstufigen Beitrittsprozess und anderen Faktoren verbunden, die die Entwicklungsperspektiven dieser Organisation betreffen.»

Auch wenn diese Entscheidung von einigen westlichen Beobachter*innen vorrangig als Signal Kasachstans gewertet wurde, nicht als Mitglied in einem weiteren internationalen Konstrukt mitwirken zu wollen, das wesentlich von Russland und China geprägt wird, sollte sie nicht als Absage an eine Zusammenarbeit mit der Organisation BRICS oder den beteiligten Staaten gelesen werden. Kasachstan, das – wie auch die anderen Staaten Zentralasiens – traditionell enge Verbindungen zu Russland und China in Wirtschaft, Politik und Sicherheit pflegt, zog 2022 beispielsweise 81 Prozent des Anteils der zentralasiatischen Staaten am Handelsvolumen zwischen den Ländern der EU und Zentralasiens sowie 86 Prozent des Anteils der zentralasiatischen Staaten am Handelsvolumen mit den USA auf sich. Zweifellos werden westliche Gesprächspartner deutlich gemacht haben, welche Angebote sie Kasachstan machen oder nicht realisieren könnten, wenn das Land auf die BRICS-Offerte eingehe.

Vor dem Hintergrund der sich verändernden internationalen Beziehungen, können Austausche mit Staaten, denen als Mittelmächten in ihren jeweiligen Regionen hohes Gewicht zukommt, von besonderem Interesse für Zentralasien sein.

Wurde BRICS als noch nicht gefestigt genug angesehen, um sich hier stärker zu engagieren? Oder erweiterte sie sich – wie Nikita Schatalov, Abgeordneter in der Madschlis (dem kasachischen Unterhaus), kommentierte – durch die Aufnahme von Staaten aus Südamerika und Afrika in eine Richtung, die nicht den vorrangigen Interessen Kasachstan entspricht? «Kasachstan arbeitet […] dauerhaft eng mit Partnern innerhalb der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) zusammen, wo es Tagesordnung und Fragen mitbestimmt, die das unmittelbare Interesse des großen Eurasiens sowohl in der Wirtschaft als auch auf dem Gebiet der Sicherheit betreffen.»

Insgesamt sollte die Entscheidung als erneuter Ausdruck der multivektoralen Orientierung der Außenbeziehungen des Landes verstanden werden. Parallele Interaktionen mit verschiedenen Seiten ohne vorrangige Bezugnahmen auf nur ein Land oder ein Lager dienen der Wahrung eigener nationaler Interessen und sollen das Land Zwängen entziehen, sich einseitig positionieren zu müssen. Dazu werden sowohl bilaterale Beziehungen zu den großen und kleineren Nachbarn, verschiedenen Staaten des Westens und Ländern des Globalen Südens gepflegt, als auch multilaterale Kooperationen mit Staaten oder unterschiedlichen internationalen Gemeinschaften aufgebaut. Dass die zurückhaltende Reaktion der Führung Kasachstans auf eine angetragene BRICS-Mitgliedschaft während Russlands BRICS-Vorsitz nicht dem Ausbau der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Kasachstan entgegensteht, wurde wenige Wochen später deutlich, als Präsident Putin zum Staatsbesuch in Astana weilte.

Ein solcher multivektoraler Ansatz prägt die Außenbeziehungen nicht nur Kasachstans, sondern auch der anderen Staaten Zentralasiens. Auch wenn bisher kein Land Zentralasiens BRICS-Mitglied wurde, ist aus der Region das Interesse an einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Staatenzusammenschluss und den an ihr beteiligten Staaten zu vermerken. Dies spiegelte sich 2024 u.a. in der aktiven Beteiligung der Staatsoberhäupter Kasachstans, Kirgisistans, Tadschikistan, Turkmenistans und Usbekistans, also erstmals aller fünf Staaten Zentralasiens, am Outreach-Format der Organisation, dem BRICS-Plus-Gipfel. Mit Kasachstan und Usbekistan wurden die beiden größten, wirtschaftlich stärksten Länder Zentralasiens im Oktober 2024 in den Kreis der BRICS-Partner eingeladen.

Intensivierte Kontakte

Austausche während der Outreach-Treffen sind willkommene Gelegenheiten, eigene Sichten zu internationalen und regionalen Problemen vorzustellen, mit anderen abzugleichen, damit verbunden für Initiativen zu werben, die ein Staat unter Umständen bereits an anderer Stelle vorgebracht hat, Mitstreiter und Finanzierungsmöglichkeiten dafür zu gewinnen und so eigene Positionen und Entwicklungsmöglichkeiten zu stärken.

Erste Schritte in dieser Richtung wurden 2013 im Umfeld des 5. BRICS-Gipfels von Durban unternommen. 2015 richtete Russland parallel zum 7. BRICS-Gipfel auch SCO- und EAWU-Gipfeltreffen aus. Das Format BRICS-Plus wurde 2017 auf dem BRICS-Gipfel von Xiamen erstmals vorgestellt. China als Ausrichter dieses Treffens war bemüht, seine «Neue-Seidenstraße»-Initiative den BRICS-Outreach-Partnern besonders nahezubringen.

Der Präsident Südafrikas, Cyril Ramaphosa, hatte als Gastgeber des BRICS-Plus-Gipfels 2023 Staatsoberhäupter vieler afrikanischer Staaten und führende Persönlichkeiten aus wichtigen regionalen Organisationen nach Johannesburg eingeladen. Ähnlich hatte auch der russische Präsident Putin einen besonderen Kreis von Gästen für den BRICS-Plus-Gipfel am 24. Oktober 2024 ausgewählt. In seiner Begrüßung der Teilnehmer*innen wies er darauf hin, dass die russische Präsidentschaft zu diesem Treffen «Russlands nächste Nachbarn und freundliche Staaten, mit denen wir eine gemeinsame Vergangenheit teilen und mit denen [es] in einem Staat gelebt hat, eingeladen hat».

Bedeutsam ist im Kontext der Outreach-Formate auch die Beteiligung multilateraler Organisationen: 2024 wurden zusätzlich zu den Vertretern von Staaten auch die Generalsekretäre der Vereinten Nationen (UNO), der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS) und der Eurasien Wirtschaftsunion eingeladen. Zielsetzungen und Ausrichtungen dieser Organisationen sind unterschiedlich – gleichzeitige Mitgliedschaften in mehreren dieser Organisationen versetzen Kasachstan, Kirgisistan und teilweise auch Usbekistan und Tadschikistan in die Lage, ihre Aktivitäten auf Feldern wie Wirtschaft, Handel, Investitionen und Sicherheit komplementär und einander verstärkend zu gestalten.

Kasachstans Präsident Toqajew, von 2011-2013 Generaldirektor des Büros der Vereinten Nationen in Genf, sieht in der UNO eine zentrale Struktur für die Sicherung der internationalen Beziehungen – auch wenn diese verbessert werden muss: «Die vielfältigen Anstrengungen der BRICS ergänzen die Tätigkeit der UNO harmonisch, diese [die UNO, d. Verf.] ist weiterhin die unersetzliche und universelle Struktur. […] Die in der UN-Charta niedergelegten Prinzipien der Diplomatie und des Dialogs wurden zur Basis der BRICS-Agenda, fördern so die friedliche Regulierung von Konflikten und die Stärkung strategischer Stabilität.»

Auch wenn die BRICS-Staaten anfangs vorrangig ökonomische Kooperationen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten des Zusammenschlusses stellten, besitzt die Staatengruppe das Potenzial, sich zu einer geopolitisch bedeutenden Plattform zu entwickeln, die zu einer Stärkung von Süd-Süd-Kooperationen beitragen kann.

Zu mehreren BRICS-Mitgliedern haben die Staaten Zentralasiens strategische Beziehungen entwickelt, besonders intensive zu denen in ihrer engsten Nachbarschaft – zu Russland und China. Usbekistan beispielsweise verbindet mit China eine «wetterfeste allumfassende strategische Partnerschaft», mit Russland eine «allumfassende strategische Partnerschaft und Allianz».

Bedeutsam für Staaten Zentralasiens entwickelten sich ebenfalls strategische Partnerschaften mit anderen asiatischen BRICS-Beteiligten – so etwa Tadschikistans zu Indien und Iran. Als spezifische Form internationaler Gespräche der fünf Staaten Zentralasiens hat sich in den letzten Jahren das Format «5+1» etabliert: Vertreter von Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan tauschen sich gemeinsam mit Vertretern eines anderen Staates oder einer anderen Organisation (beispielsweise der EU) aus. Ob sich künftig auch ein «Fünf-Plus-BRICS»-Forum findet, bleibt zu beobachten.

Vor dem Hintergrund der sich verändernden internationalen Beziehungen, des wachsenden Gewichts der Länder des globalen Südens und der Diskussion, ob die neue Weltordnung künftig als multipolar oder polyzentrisch charakterisiert werden sollte, können Austausche mit Staaten, denen als Mittelmächten in ihren jeweiligen Regionen hohes Gewicht zukommt, von besonderem Interesse für Zentralasien sein. Kasachstan selbst ist eine Mittelmacht. Diskutiert wird in Zentralasien, ob die Region einer der künftigen Pole einer multipolaren Welt werden kann.

In internationalen Konfliktfeldern

Ausgangspunkt für die Entwicklung der BRICS waren Überlegungen, wie die Weltwirtschaft verändert und internationale Finanzinstitutionen reformiert werden können. Die Sicherung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten ist das wichtigste nationale Interesse der Staaten Zentralasiens – dafür sind verbesserte Bedingungen für wirtschaftliche Kooperationen und erfolgreiches Einwerben von Investitionen aus möglichst vielen verlässlichen Quellen essenziell. Sowohl bilaterale Projekt mit BRICS-Staaten oder im Umfeld der BRICS-Treffen zu entwickeln, als auch multilateral Finanzierungen dafür zu finden, ist wichtiger Teil dessen. Die 2015 gegründete Neue Entwicklungsbank als BRICS-Institution, die Schlüsselprojekte im Infrastruktur- und Bildungsbereich oder regionale Initiativen und die sozial-ökonomischen Entwicklung unterstützen könnte, wird von ihnen beobachtet.

Wegen ihrer engen wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland sind seit dem Ukrainekrieg auch wirtschaftliche Akteure in Zentralasien von den Auswirkungen der Sanktionen betroffen, die zunächst in erster Linie gegen russische Subjekte gerichtet waren. Handel und Zahlungsflüsse, teilweise auch innerhalb der Region, sind davon beeinträchtigt. Ob sich die Entwicklung alternativer Zahlungswege wie BRICS Bridge und eine angestrebte Diversifizierung von Währungen als tragfähig erweisen, wird mit darüber entscheiden, ob sie für Geschäftsbeziehungen mit Partnern im BRICS-Kontext bzw. im globalen Süden eingesetzt und eine Ergänzung zum bisherigen System werden können.

Nicht zuletzt die kurz nach seiner Wahl zum US-Präsidenten erfolgte Ankündigung Donald Trumps, dass die BRICS-Staaten eine Zusage geben müssten, auf alternative Zahlungssysteme zu verzichten, oder andernfalls während seiner Amtszeit damit rechnen müssten, dass auf ihre Waren ein Importzoll in Höhe von 100 Prozent erhoben werde, verdeutlicht, dass er derartige Initiativen vehement bekämpfen wird.

Besonders wichtig für die Entwicklungen in Zentralasien und für die Zusammenarbeit mit den BRICS-Staaten und -Institutionen sind die Fragen von Ressourcen und internationalen Transportwegen, Klimawandel und Wasser, die Entwicklung von «grüner Ökonomie» und «grüner Energie», Bildungs- und Gesundheitswesen, Innovation und Digitalisierung sowie Sicherheit.

So machte Sadyr Dschaparow, Präsident Kirgisistans, auf dem Kasaner Gipfel besonders auf die Auswirkungen des Klimawandels für Bergstaaten und entsprechende Initiativen seines Landes in der UNO aufmerksam. Der tadschikische Präsident, Emomali Rahmon, unterstrich dies unter Verweis auf die für 2025 geplante internationale Konferenz zur Rettung der Gletscher in Duschanbe. Usbekistans Präsident Schavkat Mirziyoyew bekräftigte das Interesse seines Landes, an gemeinsamen Projekten der BRICS-Forschungsgruppe zu künstlicher Intelligenz mitzuwirken, um mögliche Risiken antizipieren und einheitliche Richtlinien dafür entwickeln zu können. Usbekistan ist bereit, dem BRICS-Zentrum für industrielle Kompetenz beizutreten, das in Kooperation mit der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) entstehen soll.

Auch Herausforderungen im Bereich Sicherheit wurden von den Vertretern Kasachstans, Usbekistans, Tadschikistans und Turkmenistans während des BRICS-Plus-Gipfels angesprochen. Sie warben für multilaterale Lösungen zur Bekämpfung von Bedrohungen wie Terrorismus, Extremismus und Radikalismus sowie für gemeinsame Anstrengungen zur regionalen Konfliktregelung und für globale Sicherheit.

Auch wenn die BRICS-Staaten anfangs vorrangig ökonomische Kooperationen in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten des Zusammenschlusses stellten, besitzt die Staatengruppe das Potenzial, sich zu einer geopolitisch bedeutenden Plattform zu entwickeln, die zu einer Stärkung von Süd-Süd-Kooperationen beitragen kann. Nach Einschätzung Präsident Toqajews wandelt sich BRICS in ein Zentrum mit internationaler Anziehungskraft, an dem viele Länder ein praktisches Interesse haben, die nach einer für alle Beteiligten vorteilhaften Zusammenarbeit streben.

Dieser Text erschien zuerst in «WeltTrends», Heft 203 (Winter 2024).