Artikel | Was ist eigentlich Innere Sicherheit?

Die gefühlte Unsicherheit nimmt zu, auch wenn die Kriminalität sinkt

Nahaufnahme eines Polizeiautos bei Dunkelheit an einem Unfallort
‹Mehr Polizei› ist die übliche Forderung aus der Innenpolitik – obwohl Kriminalität vor allem soziale Ursachen hat. Foto: IMAGO / Fotostand

Wir leben in extrem politisierten Zeiten. Die Diskussionen ändern sich schnell und sind oft hitzig. Manchmal werden absichtlich falsche Behauptungen aufgestellt, und es ist nicht immer leicht, Fake News von Fakten zu unterscheiden. In unserer Serie «Was ist eigentlich …? Politische Grundlagen zum Bundestagswahlkampf 2025» erklären wir wichtige Begriffe aus der politischen Diskussion und zeigen, welche Interessen und Konflikte dahinterstecken.

Innere Sicherheit ist eine konservative Erfindung. Sie stellt soziale Probleme als Probleme dar, die durch mehr Polizei gelöst werden können. Besonders beliebt ist die Innere Sicherheit in Wahlkampfzeiten.

Wenn in Politik und Medien über Angst vor Kriminalität gesprochen wird, ist eine erstaunliche Verzerrung der Realität zu beobachten. Man könnte glauben, die Gesellschaft sei so unsicher wie nie – vor allem durch Migrant*innen. Die Realität sieht anders aus. In den Jahren 2021 bis 2023 wurden in Deutschland so wenige Morde verübt wie seit 30 Jahren nicht – trotz durch Einwanderung gewachsener Bevölkerung. Gleichzeitig leben Migrant*innen unsicherer als zuvor, weil Angriffe von rechts auf sie zunehmen.

Die Gewaltkriminalität insgesamt ist 2022 und 2023 gestiegen – nachdem sie zuvor einen historischen Tiefstand erreicht hatte. Hier machen sich die Folgen der Pandemie und die gestiegenen Lebenshaltungskosten bemerkbar, die mehr Menschen in finanzielle und emotionale Notlagen gebracht haben. Das sind, neben Jugend, Männlichkeit und mangelnder Bildungsteilhabe, statistisch die wichtigsten Faktoren für Gewaltkriminalität.

Auch Ausländer*innen begehen Straftaten. Gegen sie wird sogar häufiger ermittelt, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Aber nicht-deutsch heißt nicht gleich geflüchtet. Auch Tourist*innen zählen dazu. Zudem verzerren häufigere Kontrollen nicht weißer Menschen die Statistik. Die Hauptgründe für Straftaten von Geflüchteten, laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik «die Lebenssituation in Erstaufnahmeeinrichtungen, wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen», bleiben in der Debatte meist unerwähnt.

Dagegen wird die Herkunft von Verdächtigen ohne deutschen Pass überbetont: 2023 waren bei Straftaten ohne ausländerrechtliche Verstöße 34 Prozent der Tatverdächtigen Nichtdeutsche, doch in Medienberichten mit Nennung der Herkunft lag der Anteil bei über 80 Prozent. Rechte und Konservative picken gezielt Fälle mit nichtdeutschen Tatverdächtigen heraus und behaupten fälschlich, «etablierte» Parteien und Medien würden das verschweigen. Im Versuch, diesen Vorwurf zu entkräften, überbieten sich selbst SPD und Grüne mit immer schärferen Maßnahmen gegen Migrant*innen. Diesen rassistischen Wettlauf kann nur die AfD gewinnen.

Es gibt aber auch begründete Unsicherheitsgefühle – wegen Inflation, Klimaerwärmung, Einsamkeit und Krieg. Doch «kriminelle Ausländer abschieben» löst diese Probleme nicht. Nötig wären ein Mietendeckel und sozialer Wohnungsbau, Umverteilung, besserer Zugang zu Bildung und psychosozialer Betreuung, ein wirkungsvolles Vorgehen gegen Femizide und mehr Schutz vor Gewalt. Doch das kostet Geld. Stattdessen werden Sündenböcke präsentiert, am liebsten jene, die sich kaum wehren können: Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus.

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