
«Es ist ein Buch über Bewegung und im besten Fall für Bewegung, von einem Menschen, dessen Lebensinhalt Bewegung ist.» So lauten Sätze am Ende von Tadzio Müllers Klima-Buch «Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps. Wie ich lernte die Zukunft wieder zu lieben», das im Mandelbaum-Verlag erschienen ist. Und man kann ohne zu spoilern sagen, der beste Fall ist eingetreten: es ist ein Buch für die Bewegung geworden, für eine neue Post-Klima-Bewegung, die sich auf neue wenig vorteilhafte Voraussetzungen einstellen muss.
Fritz Burschel leitet das Regionalbüro Bayern der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Der Tatsache, dass diese Sätze ganz hinten auf Seite 298 von 303 stehen, können wir entnehmen, welch bitteren Weg wir mit dem Autor bis zu den drei Beispielen von «Hope in the Dark» (z.B. Lützerath) gehen müssen. «Das ist ja kein Therapiebuch», behauptet er da am Schluss auch noch, aber das stimmt nur teilweise, denn der Erkenntnisweg, den Müller als Person und gleichzeitig – wie er selbstbewusst postuliert – als «Bewegungsintellektueller» durchläuft, ist immer auch zurückgebunden an sein persönliches Erleben und die tiefe Depression, die ihn mit der Klimabewegung befiel, und aus der er sich mühe- und schmerzvoll durch Phasen der «Trauer» zu neuer Handlungsfähigkeit arbeiten musste.
Am Ende steht das Buch. Und wer Tadzio Müller kennt, weiß, dass er mit geradezu exhibitionistischer Lust (aber durchaus auch Selbstironie) sein Innen- und Privatleben als schwuler, HIV- und überaus sex-positiver Mann bis an vieler Leute Schmerzgrenzen hin offenlegt. Dieses Konzept maximaler Offenheit funktioniert hier sehr gut und macht die Lektüre des Buches zu einem wirklich faszinierenden und erhellenden Erlebnis. Wir vollziehen Müllers spannenden Erkenntnisprozess fast körperlich nach. Also doch irgendwie ein Therapiebuch.
Von der «Verdrängungsgesellschaft» inhaliert
Kern dieser Erkenntnis ist die frustrierende Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Entwicklungen hin zur «Arschlochisierung» und zum Niedergang der Klimagerechtigkeitsbewegung vom unbesiegbar scheinenden Aufbegehren der «Heiligen Greta der Schulhöfe» mit Millionen protestierenden Schüler*innen weltweit über den drastischen Bedeutungsverlust der Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) im Zuge der COVID-19-Pandemie bis hin zur maximalen Eskalation der Arschloch- bzw. Automobilgesellschaft gegen die «Klimakleber» der «Letzte Generation» (LG).
«Die Pandemie führte zum Shutdown gesellschaftlichen Zusammenlebens und genau das, wovon Bewegung lebt, Kollektivität, Masse, gemeinsame, gleichsam körperliche Handlungsfähigkeit, war plötzlich unmöglich» (S. 40), beschreibt Müller. Heute frickeln «Ende Gelände» und LG kriminalisiert am Rande weiter, FFF sind weg vom Fenster oder von der «Verdrängungsgesellschaft» inhaliert worden, die die Wucht der Veränderungen, die die Klimakatastrophe ohne Zweifel mit sich bringen wird, einfach wegzuschwafeln versucht.
Die Dynamik des augenblicklichen reaktionären Rollbacks, der Faschisierung der deutschen und der meisten anderen europäischen Gesellschaften (und darüber hinaus) führt Müller darauf zurück, dass nicht Demut noch Einsicht das Handeln der Massen im Klimawandel bestimmt, sondern bestenfalls ein trotziges Verdrängen und schlechtestenfalls die faschistische Eskalation. Und das Buch ist Mitte 2024 erschienen, als der apokalyptische Veitstanz auf dem Vulkan der fossilen Selbstverbrennung mit den Systemsprengern Trump, Musk, Milei u.a. noch nicht in der empörenden Drastik erkennbar war wie jetzt. «Schaut in die USA, schaut auf den Trumpismus. Schaut überall dorthin, wo der Faschismus reüssiert», ruft Müller seine Leser*innen auf und bietet als Analogie das Private an: «Und schaut in Eure alltäglichen Beziehungskonflikte. Ihr werdet sehen: Angst, Schuld, Scham sind viel wichtigere (politische) Produktivkräfte, als wir bisher dachten». (S.49)
«Klimatrauer» und neue Handlungsfähigkeit
Dass die Klimakämpfe irgendwann vor Kurzem gescheitert sind, wirft den Aktivisten Müller in ein tiefes Loch, in eine veritable Depression. Über die Phasen der «Klimatrauer», in der man einsieht, dass die Zeitspanne, in der die Klimaveränderung noch durch politisches Handeln (auf Druck etwa einer Protestbewegung) beeinflussbar gewesen wäre, vorbei ist, und dass nun der ökologische und damit gesellschaftliche Kollaps unabwendbar geworden ist, finden wir Trauernden zu neuer Handlungsfähigkeit: «Erst wenn wir getrauert haben, können wir vernünftig handeln. » (S. 74)
Es gelingt Müller in dem Buch, die Falle, in der die Menschheit jetzt sitzt, konsistent zu beschreiben und auch das beschwichtigende Verdrängungsgerede á la «Es wird schon nicht so schlimm werden» zu entlarven. Er arbeitet den Zusammenhang von Faschisierung im «Arschlochozän» und Selbstbetrug der (nördlichen, westlichen, industriellen) Verdrängungsgesellschaften auf Kosten derjenigen Menschen auf dem Globus, die im Grunde keine Verantwortung für Erderwärmung und CO-2-Boost haben, heraus. «Denn die Mehrheit der Menschen hierzulande profitiert natürlich relativ zu Menschen im globalen Süden von der Weiterführung des fossilen Wachstumskapitalismus, der das Klima zerstört» (S. 80). Es sei, so schreibt Müller, einfach «zu schrecklich» sich realistisch vorzustellen, «wenn alles sich mit der gegebenen Hyperschallgeschwindigkeit weiter in Richtung totale Scheiße entwickelt. » (S. 161)
Seine Schlussfolgerung: «Den Kampf gegen den Faschismus mit anzuführen, der auch aus globaler Gerechtigkeitsperspektive die zentrale Gefahr im Klimakollaps ist, ist eine unserer zentralen Zukunftsaufgaben. » (S. 167) Müller prägt dafür den Begriff der Klimantifa und sieht in der Partei gewordenen Arschlöchrigkeit ein Ziel des neuen Klimaaktivismus: «In so einer Situation ist der Anstieg der Umfragezahlen für die AfD nicht die Schuld der linksgrünen Wokeria und auch nur teilweise der hart nach rechts blinkenden Union und FDP: Er repräsentiert den sich zunehmend nach rechts (…) zum trumpesquen schamfreien Arschloch-Sein tendierenden deutschen Volkswillen.» (S. 189)
Dass Müller dieses Hochkochen faschistischer Schamlosigkeit im Angesicht des Klimakollaps allerdings mit dem Leidensdruck vor einem schwulen Coming-out vergleicht, wird ihm manche*r übelnehmen, hinkt der Vergleich doch schon allein bei genauer Differenzierung von gesellschaftlicher Macht bzw. Ohnmacht von Nazis bzw. Queeren (S. 195ff).
«Preppen» von links – und dann?
An diesem Punkt vollzieht Müller, ausgehend vom Besuch bei Freund*innen im von massiver Drogenkriminalität gebeutelten schwedischen Hauptstadt Stockholm, dann eine Wende hin zu einer eher lokalen und kleinteiligen Form antifaschistischen Preppertums (= to prepare) in Abgrenzung hin zu rechten Preppern, die neben Wasser, Lebensmitteln und Unterschlupfen eben auch Waffen, Leichensäcke und Löschkalk in großen Mengen horten. Müllers Preppertum konzentriert sich darauf, Waren und Dienstleistungen für Betroffene herbeizuschaffen und vorzuhalten, wo sich der Staat, wie wir ihn bisher kannten, zurückzieht oder nicht mehr durchsetzen kann, was angesichts des Klimakollaps recht schnell gehen kann. Müller sieht darin «das wichtige Handlungspotenzial einer intersektionalen Klimagerechtigkeitsbewegung», nämlich «dafür zu sorgen, dass die Netzwerke, die sich bilden werden, um alltägliche Notwendigkeiten zu organisieren, nach solidarischen Prinzipien organisiert sind». (S. 242)
Wem das nun zu weit geht, der*die hat bis hierhin Müllers Überzeugtheit noch nicht begriffen, wie real und ungemütlich die Auswirkungen einer Anomie im Klimakollaps unter Umständen werden können. Krisenerfahrungen zeigen, so Müller, dass Menschen in der Krise dorthin gehen, «wo es das gibt, was gebraucht wird, und zwar mit am wenigsten Nerv und der meisten Offenheit, Liebe und Solidarität». (S. 263).
Spätestens hier zum Schluss des Buches hin, fragt man sich allerdings, zu wem der Klima-Intellektuelle eigentlich spricht: das Buch ist flüssig und bisweilen – trotz des deprimierenden Themas – auch vergnüglich zu lesen, wenn man Müllers jugendsprachliche Eskapaden und das Switchen zu englischen Einspengseln goutieren kann. Aber seine Sprache ist auch hochgestochen, durchsetzt mit Fremdwörtern und lateinischen Wendungen, die einen bildungsbürgerlichen Hintergrund des Autors offenbaren und vermutlich auch das Zielpublikum seiner wirklich wichtigen Ansprache: die selbstbewussten Kids aus gutem Hause, die die Klimagerechtigkeitsbewegung bis hierhin ausmachen oder ausgemacht haben. Ob das aber ausreichen wird, wenn «wir uns der Dunkelheit stellen, ohne gelähmt zu werden» (S. 8), wenn man also dem Faschismus etwas entgegensetzen will, bleibt am Ende fraglich. Aber wenn auch nur dies Zielpublikum das Buch zur Kenntnis nähme, wäre schon viel gewonnen.
Dem Verlag sei ins Stammbuch geschrieben, dass es grotesk ist, dass ausgerechnet in einem Buch über den Klimakollaps mindestens zehn Mal im Kontext mit «Klima» falsch getrennt wird. Einem sorgfältigen Lektorat wäre auch aufgefallen, dass Michael Kretschmer nicht Landesvater Sachsen-Anhalts ist und der Rammstein-Frontmann nicht wie ein CDU-Generalsekretär heißt.