Interview | Deutsche / Europäische Geschichte - Arbeit / Gewerkschaften - Kunst / Performance Gerd Kroske: «Stolz & Eigensinn»

Frauen in der DDR-Industrie, ein Film auf der 75.Berlinale

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Autor*innen

Gerd Kroske, Ulrike Hempel,

Standbild aus dem Dokumentarfilm «Stolz & Eigensinn». Die Bergarbeiterin Silke Butzlaff ist eine der dort porträtierten Frauen. Foto: salzgeber

Deutschland kurz nach der Wende:1994. Die zweite große Entlassungswelle fegt durch den Osten. Frauen aus den ehemaligen Industrie-Großbetrieben der DDR erzählen über ihren Arbeitsalltag in Industriegebäuden und Braunkohle-Zechen, über ihre Qualifizierungen, ihre Erfahrungen mit männlichen Kollegen, ihre Unabhängigkeit. Die Interviews sind erhalten geblieben: Auf alten U-matic-Bändern des ehemaligen Leipziger Piratensenders KANAL X. Gerd Kroske hat sie über 30 Jahre später aus dem Archiv geborgen. Das alte Filmmaterial wird nun im Split-Screen von den Frauen neu kommentiert und hinterfragt: stolz und eigensinnig. Alle drei Vorstellungen im Forum der 75. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 13.-23. Februar 2025 – waren ausverkauft. Ulrike Hempel, Rosa-Luxemburg-Stiftung, im Gespräch mit Regisseur und Produzent Gerd Kroske.

Keine der Frauen in meinem Film verfällt heute in Nostalgie und Jammerei. Das schätze ich sehr an ihnen. Mich interessierte was einst gewonnen und nun verloren ist.

Ulrike Hempel: Was hat Sie an den Frauen, die als Industriearbeiterinnen in der DDR gearbeitet haben, fasziniert?

Gerd Kroske: Mich hat schon immer redliche Arbeit interessiert und ich habe in anderen Filmen auch schon dazu gearbeitet. Die Lebensleistung dieser Frauen ist heute leider völlig unterbelichtet oder – was ich fast noch schlimmer finde – wird in Klischees der taffen Ost-Frau oberflächlich abgehandelt.

Dass die Frauen in der DDR-Industrie eine wirklich harte Arbeit – zum Teil über Jahrzehnte in Schichtarbeit – leisteten und dabei die Wege in höhere Leitungsfunktionen zumeist unmöglich für sie waren, das wird dabei ausgeblendet. Vielleicht auch deswegen, weil das massenhafte Verschwinden dieser Arbeitsplätze keine Ruhmestat der Nachwendejahre war. Wieweit diese Erfahrungen in die Familien hineingeschlagen haben, das ist noch heute spürbar. Keine der Frauen in meinem Film verfällt heute in Nostalgie und Jammerei. Das schätze ich sehr an ihnen. Mich interessierte was einst gewonnen und nun verloren ist.

Wie viele Frauen haben Sie für Ihren Film «Stolz & Eigensinn» interviewen können?

Ich habe für den Film vor der Kamera mit zehn Frauen Gespräche geführt. Davon sind neun dieser Gespräche im Film wiederfindbar. Drei Frauen wollten nicht über ihre Erfahrungen vor der Kamera sprechen. Das muss ich dann auch eingedenk der offenbar gravierend eingetretenen Lebensumstände respektieren.

Waren alle sofort bereit, an dem Filmprojekt mitzuwirken?

Das ging erst nachdem wir sie davon überzeugt hatten und natürlich erst als auch Vertrauen und Zutrauen in unsere Arbeit etabliert war. Es ist immer sehr unterschiedlich, wie die Erstreaktionen das befördern oder kompliziert werden lassen. Ich handhabe das so, dass ich auch meinerseits sehr viel preisgebe.

Was hat die Frauen Ihrer Ansicht nach dazu bewogen, Sie so nah an ihr damaliges und heutiges Leben ranzulassen?

Es sind ganz sicher die eigenen Erlebnisse und sehr konkreten Abwertungserfahrungen nach den Entlassungen in den 1990-er Jahren gewesen, die den Impuls für das Mitmachen gaben. Bei den Dreharbeiten und auch jetzt nach den ersten Berlinale-Vorführungen, wo fünf der Frauen anwesend waren und in Publikumsgesprächen ihre Erfahrungen teilten, fiel mir auf, dass es allen wichtig war, ihre Erlebnisse für die eigenen Kinder und Enkelkinder weiterzugeben. Zugleich muss man ja berücksichtigen, dass es ansonsten in der medialen Öffentlichkeit doch eher selten ist, dass diese Frauengeneration mit ihren Erfahrungen präsent ist.

Wie lange haben Sie und Ihr Team an diesem Dokumentarfilm gearbeitet?

Wir haben ein knappes Jahr an dem Film gearbeitet.

Alle drei Vorstellungen im Forum der Berlinale waren ausverkauft. Welches Feedback haben Sie und ihr Filmteam bisher bekommen?

Es gab sehr wohlwollende Reaktionen und lange Publikumsgespräche. Das war sehr erhellend und wir sind froh über die begeisterte Aufnahme unseres Films. Offenbar vermittelt sich Unbekanntes und auch Unerzähltes. Ganz sicher liegt es aber an den auftretenden Protagonistinnen, die sich im Film sehr zugänglich zeigen.

Was wollen Sie für Ihren Film?

Der Kinostart wird ab Herbst sein und wir wünschen uns ein waches und zahlreiches Publikum. Vielleicht findet sich auch eine unserer TV-Sendeanstalten und möchte den Film ausstrahlen? Das wäre doch mal was!

Foto: Ulrike Hempel

Zur Person:

Gerd Kroske, geboren in Dessau/DDR. Lehre als Betonwerker. Arbeit als Telegrammbote und in der Jugendkulturarbeit. Studium der Kulturwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin und Regie an der HFF „Konrad Wolf“, Potsdam-Babelsberg. Arbeit als Autor und Dramaturg im DEFA-Dokumentarfilmstudio [1987-1991]. Zusammenarbeit mit den Regisseuren Jürgen Böttcher, Petra Tschörtner (†) Thomas Heise (†) und Volker Koepp. Eigene Regiearbeiten ab Herbst 1989. Freischaffender Autor und Regisseur seit 1991. Verschiedene Jury- & Lehrtätigkeiten für Film. Produzent realistfilm http://realistfilm.de/de/ seit 1996.

Der Film:

Stolz & Eigensinn

von Gerd Kroske (Regie, Buch) mit Silke Butzlaff, Steffi Gänkler, Ingrid Kreßner, Bärbel Grätz, Ulla Nitzsche

113' Minuten, Deutschland 2025

Eine Produktion von realistfilm http://realistfilm.de/de/
gefördert durch Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Medienboard Berlin-Brandenburg

im Verleih von Salzgeber https://salzgeber.de/