Analyse | Rassismus / Neonazismus - Kampf gegen Rechts Wie weiter mit den Protesten gegen rechts?

Wir brauchen eine Perspektive, die Antifaschismus und soziale Gerechtigkeit verbindet

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Die Proteste artikulieren die Interessen einer gesellschaftlichen Mehrheit: Laut der Nachwahlbefragung von infratest dimap sehen 65 Prozent der Befragten die AfD als Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Demonstration «No AFD - Hand in Hand» am 16. Februar 2025 in Berlin. Foto: IMAGO / Hami Roshan

Damit die Massendemonstrationen gegen rechts langfristig wirksam sein können, müssen sie den Rechtsruck gesellschaftlich einordnen und ihm mit einer Perspektive der sozialen Gerechtigkeit entgegentreten. Hilfe dazu gibt Bertolt Brecht.

Seit Jahresbeginn haben über 1,8 Millionen Menschen in Deutschland an Versammlungen gegen rechts teilgenommen. Vieles erinnert an die großen Proteste vor einem Jahr. Allerdings richten sich die Demonstrationen diesmal nicht allein gegen Rechtsextremismus und die AfD. Sie richten sich auch gegen die CDU und das taktische Manöver von Friedrich Merz, mit den Stimmen der AfD einen – ebenso aussichtslosen wie ungesetzlichen – Antrag zur Begrenzung von Migration im Bundestag durchzusetzen. Bislang haben die Demonstrationen eher appellativen Charakter. Sie drücken Angst und Empörung aus und fordern Haltung und eine beständige demokratische Brandmauer gegen rechts.

Sebastian Wehrhahn ist Referent Rechtsextremismus/ Antifaschismus der Linken im Bundestag.

Man muss keinen Hang zum Pessimismus haben, um im Hinblick auf die kommenden Jahre Schlimmes zu befürchten. Die Fraktion der Rechtsextremen im Bundestag hat sich verdoppelt, die Parteien der Ampelkoalition haben mit ihrer restriktiven Migrationspolitik der vergangenen Wahlperiode bereits wesentliche Forderungen der AfD übernommen. Die CDU hat deutlich gemacht, dass sie zur Erreichung ihrer Ziele auch auf die Stimmen der AfD setzt und die AfD wird diese Macht zu nutzen wissen. Und natürlich wirken sich dieses Manöver und der brachiale Erfolg der extremen Rechten auch in den Ländern aus: gemeinsame Mehrheiten mit der AfD sind auch hier fortan Teil des strategischen Repertoires der CDU. Der Druck auf zivilgesellschaftliche Projekte und antifaschistische Initiativen wird weiter zunehmen, Kunst- und Meinungsfreiheit werden durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse faktisch eingeschränkt werden und die Bedrohungslage für Angehörige verletzbarer Minderheiten wird sich weiter zuspitzen.

Die Proteste werden also weiter notwendig sein, vermutlich werden sie noch notwendiger werden. Sie artikulieren die Interessen einer gesellschaftlichen Mehrheit: Laut der Nachwahlbefragung von infratest dimap sehen 65 Prozent der Befragten die AfD als Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat.[1] Was muss also geschehen, damit die Proteste nicht in Resignation verfallen, sondern eine langfristige Perspektive des Widerstands entwickeln?

«Man kann den Schlag aufhalten»

Eine ähnliche Frage, wenn auch vor drastischerem Hintergrund, diskutierte Bertolt Brecht 1935 in einer Rede auf dem «Ersten Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur» – mit Schlussfolgerungen, die auch 90 Jahre später noch fruchtbar gemacht werden können.

Er beginnt seine Rede mit der Feststellung, dass der bloße Hinweis auf das Unrecht zwar Zorn und Mitleid hervorrufen kann, doch je notwendiger diese Gefühle werden, desto schwächer drohen sie zu werden: «Wenn die Verbrechen sich häufen, werden sie unsichtbar. [...] Wenn die Untat kommt, wie der Regen fällt, dann ruft niemand mehr halt.»

Die Hilflosigkeit im Angesicht einer sich dramatisch zuspitzenden Wirklichkeit lässt auch empörte Menschen tatenlos werden und kann Bewegungen lähmen. Das Unrecht ist aber kein Schicksal – und hier kommen Analyse und Praxis ins Spiel. «Man kann den Schlag aufhalten, wenn man weiß, wann er fällt und wohin er fällt und warum, zu welchem Zweck er fällt.»

Diese Erkenntnisse lässt sich auf die Proteste gegen die AfD übertragen, denn auch ihre bislang anhaltenden Erfolge sind Ausdruck gewordener, besser noch: gemachter Kräfteverhältnisse, und keine Naturgewalten, denen wir ausgeliefert sind. Politik und Strategie der AfD lassen sich dank antifaschistischer Recherche, investigativem Journalismus, kritischer Forschung und zivilgesellschaftlicher Erfahrung verstehen, auf ihrer Grundlage können wirkungsvolle Aktionsformen entwickelt werden.

Der Rechtsruck kann vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Krisen, des Abbaus sozialer Sicherungssysteme, der damit zusammenhängenden Verunsicherungen und der diesen Entwicklungen zugrunde liegenden politischen Entscheidungen begreifbar gemacht und damit auch zurückgedrängt werden.

Der Rechtsverschiebung auf den Grund gehen

Eine der wesentlichen Fragen ist die nach dem «Warum». Warum findet die rassistische Politik der AfD so viel Zustimmung? Warum erfährt die Partei auch und gerade von den Leuten Unterstützung, deren materielle Lebensbedingungen sich unter einer AfD-Regierung objektiv verschlechtern würden? Hier gibt die Rede von Brecht einen zweiten wichtigen Hinweis: Den Erfolg des Faschismus auf die Roheit seiner Anhänger zurückzuführen ist keine Erklärung, sondern eine Art Tautologie. Aktuell formuliert: Es ist zwar richtig, dass der Erfolg einer rassistischen Partei viel damit zu tun hat, dass deren Anhänger*innen rassistisch denken und handeln, erklärt ist damit aber weder der Erfolg der Partei noch der Rassismus ihrer Wähler*innen.

Dementsprechend greifen auch Ansätze zu kurz, die dem Hass der Rechten Appelle für mehr Liebe entgegenstellen, denn «die Güte wird nicht von der Forderung nach Güte kommen, […] so wie die Roheit nicht von der Roheit kommt», so Brecht.

Stattdessen müssen Hass und Roheit als Ausdruck einer Politik begriffen werden, die nicht zufällig das Gefallen des reichsten Menschen der Welt findet. Sie entsprechen schlicht den Interessen der Reichen und Superreichen. Die Ablehnung von Trans-Menschen oder geteilte Verschwörungstheorien gegen den jüdischen Philanthropen Georg Soros stiften ohne Zweifel Gemeinsamkeit. Dass sich die AfD zum Beispiel für die Abschaffung des Digital Services Act einsetzt, auf dessen Grundlage die EU empfindliche Strafen gegen Musk verhängen könnte, ist ebenfalls ein bedeutsames gemeinsames Interesse.

Ein anderes Beispiel: Rassismus ist für Zusammenkünfte wie die im Potsdamer Landhaus Adlon im November 2023 die gemeinsame Arbeitsgrundlage. Doch die Zusammenarbeit mit Leuten wie Hans-Christian Limmer, backwerk-Mitgründer und Mitinitiator des Potsdamer Treffens, kommt nur zustande, weil die AfD auch deren ökonomischen Interessen vertritt. Auch die regelmäßigen Millionenspenden an die AfD – allein in den vergangenen Wochen seit Jahresbeginn sind es bislang drei Großspenden in Höhe von zusammengerechnet knapp 5 Millionen Euro – belegen die ideologische und ökonomische Nähe.

Diese Nähe wird auch im Programm der AfD deutlich. Einer Untersuchung des Leibniz-Instituts für Europäische Wirtschaftsforschung zufolge würde die Armut mit der Politik der AfD um 13 Prozent zunehmen. Entlasten würde die AfD stattdessen Spitzenverdienende: Wer über 180.000 Euro im Jahr verdient, bekommt mit dem AfD-Programm knapp 20.000 Euro an Steuern erlassen. Durch diesen und andere Vorschläge würden der Öffentlichkeit 97 Milliarden Euro Steuergelder verloren gehen. [2]

Klarheit, Offenheit und Kritik am Eigentum

Damit die Proteste gegen die AfD und ihre Steigbügelhalter ihre gesellschaftliche Breite nicht einbüßen, ist es wichtig, weder in der Analyse noch in der Frage der Konsequenzen zu eng zu denken. Niemandem ist geholfen, wenn die Klarheit in Begriff und Forderungen dadurch bezahlt wird, dass alle Bündnispartner*innen vergrault werden. Gleichzeitig entsteht eine Bewegungsperspektive nur durch Organisation, vermittelbare Ziele, eine nachvollziehbare Einordnung und die Verbindung mit anderen Kämpfen. Den Rechtsruck und seine Folgen werden wir ohne Blick auf seine gesellschaftlichen Ursachen und seine soziale Dimension weder verstehen noch langfristig zurückdrängen können. Dafür ist eine Perspektive notwendig, die Antifaschismus und soziale Gerechtigkeit verbindet.

Oder wie es in der Rede von Brecht heißt: «Sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!»