
Auf der ganzen Welt gewinnt die extreme Rechte an Macht, sowohl in Regierungen als auch in der Gesellschaft. Viele sind von diesem Phänomen überrascht. Diejenigen, die glaubten, der Faschismus sei «eine Sache der Vergangenheit» und die Menschheit habe aus ihren Fehlern gelernt, setzten großes Vertrauen in die «Stabilität» der politischen Mitte – und sind jetzt schockiert. Doch nach Jahrzehnten des Neoliberalismus und multipler Krisen des Kapitalismus sollte die global verbreitete neofaschistische Welle keine Überraschung sein. Sie ist vielmehr ein gewaltsames und autoritäres Symptom des Wirtschaftssystems, in dem wir leben – ein System, das auf Kosten der Verarmung und Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung voranschreitet und sich auf repressive Strategien stützt, die die Profitmaximierung und Machtausweitung lokaler und globaler Eliten ermöglichen.
Lucas Reinehr ist Projektmanager im Lateinamerikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.
Unzufriedenheit ist überall in der Gesellschaft sichtbar. Die Menschen arbeiten viel, verdienen wenig, kämpfen mit exorbitanten Mieten und spüren die Folgen der immer prekäreren Gesundheits-, Bildungs- und sozialen Infrastruktursysteme. In einer Welt, die von aufeinanderfolgenden Krisen und dem gleichzeitigen Fehlen von Zukunftsperspektiven geprägt ist, nutzt die extreme Rechte den Unmut der Bevölkerung mit einer zentralen Strategie aus: Sie bietet einfache Antworten auf komplexe Fragen. Wenn Wohnungen und Arzttermine fehlen, werden die Migrant*innen beschuldigt. Der Einsatz für Frauenrechte und die queere Community wird als Bedrohung für die moralische Struktur der Gesellschaft dargestellt, die die «heilige» Rolle von Familie und Religion gefährden. Und der Kommunismus, verkörpert durch die Linke, taucht wieder als der zentrale Feind auf, der bekämpft werden muss.
Sündenböcke – Migrant*innen, Feminist*innen, queere Menschen und andere marginalisierten Gruppen – werden geschaffen und Ängste werden gezielt geschürt. Diese Werkzeuge sind mächtig, um die Unzufriedenheit und Unsicherheit der Massen nach rechts zu lenken. Die Triade «Gott, Vaterland und Familie» ist zu einem Grundpfeiler der Rhetorik reaktionärer Politiker*innen in verschiedenen Ländern geworden, die «die anderen» zum Feind machen. Wer sind diese anderen? Diejenigen, die die Ordnung, Sicherheit und Werte des »Volkes” bedrohen. Diejenigen, die das Ideal von Vaterland, Familie und Religion infrage stellen.
Bei der internationalen Konferenz Good Night, Far Right treffen sich vom 27.-30. März 2025 linke Politiker*innen und Aktivist*innen aus Deutschland, Europa und Lateinamerika auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch.
Obwohl sie in dieselbe Richtung marschieren, variieren die Strategien der extremen Rechten je nach lokalem Kontext. In Brasilien spielen beispielsweise die Evangelikalen eine zentrale Rolle bei der Beeinflussung der Wähler*innen. In den Vereinigten Staaten gewann Trump mit seinem Versprechen, «Amerika wieder großartig zu machen», die letzte Wahl. In Europa dominiert die Angst vor Migration die kollektive Vorstellungskraft – mit der Forderung nach Grenzschließungen und Abschiebung liefern rechte Parteien vermeintliche Antworten auf diese Verunsicherung. In Argentinien verführte Javier Milei mit seiner anarchokapitalistischen Kahlschlag-Rhetorik, die den wirtschaftlichen Aufschwung ohne Rücksicht auf Verluste in das Zentrum der Politik stellt, die wirtschaftlichen Sektoren und die Mehrheit der durch Inflation und Rezession geplagten Bevölkerung gleichermaßen.
Trotz aller Unterschiede wiederholen sich zwei zentrale gemeinsame Punkte in der rechten Programmatik: Die Verherrlichung autoritärer Denkmuster in ihren Programmen und Reden und eine Wirtschaftspolitik, die den Eliten dient und die Arbeiter*innenklasse verarmt.
Diese Strategien zu verstehen ist der erste Schritt, um sie zu bekämpfen.
Antifaschistische Wirtschaftspolitik – und Kulturkampf ebenfalls
Es ist unbestreitbar, dass die zunehmende Ungleichheit, die Inflation und der Verlust von sozialen Rechten dazu geführt haben, dass ein Teil der Arbeiter*innenklasse die extreme Rechte unterstützt. Durch demagogische Reden, die illusorische Lösungen vorschlagen und sich an das «Volk» im Gegensatz zur Gesellschaft wenden, gewinnt die extreme Rechte, insbesondere in Europa, an Einfluss. Dies führt dazu, dass Menschen, die früher Linksparteien gewählt haben, nach rechts wandern.
Doch der Kampf gegen den Faschismus darf sich nicht auf die Wirtschaft beschränken. Wie Juliano Medeiros, Präsident der brasilianischen PSOL, in einem kürzlich geführten Interview mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung argumentierte, muss ganz generell die neoliberale Subjektivität, die über Jahrzehnte hinweg gefestigt wurde, in Frage gestellt werden.
Denn der Neoliberalismus hat die Menschen nicht nur verarmt, sondern auch soziale Werte umgeformt, indem er Individualismus, Gleichgültigkeit und die Verantwortung des Einzelnen für systemische Probleme förderte. In Deutschland predigt die AfD, jeder solle sein Leben mit «Selbstbestimmung» führen. Mit diesem verdrehten Freiheitsbegriff wird die Rolle des Staates als Träger sozialer Politik abgelehnt – während seine Rolle als Repressionsapparat gestärkt wird. In den Vereinigten Staaten und in Brasilien propagiert die Wohlstandstheologie der Evangelikalen die Idee, dass Erfolg oder Scheitern ausschließlich vom Einzelnen abhängen.
Die Wirtschaftskrise ist daher nur ein Teil des Problems. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und die blinde Verteidigung »weißer Vorherrschaft” treffen zwar auf einen gefährlichen Nährboden in materieller Unzufriedenheit – es sind aber tief verwurzelte Ideen in Unterdrückungssystemen, die diesen Krisen vorausgehen. Das zu erkennen ist entscheidend: Eine wirksame antifaschistische Politik muss den Kampf für ein gerechteres Wirtschaftssystem mit dem Aufbau einer antifaschistischen Kultur verbinden, die rassistische Ideologien bekämpft und Solidarität fördert.
Freiheit: Ein umstrittener Wert
Am 2. Dezember 2024 trafen sich rechtsextreme Politiker*innen der Welt in Madrid zum 6th Transatlantic Summit, organisiert vom Political Network for Values – einer Plattform, die von politischen Führungspersonen betrieben wird, die angeblich «universelle Menschenrechte, insbesondere in Bezug auf den Schutz von Leben, Familie und fundamentalen Freiheiten», verteidigen – laut ihrer eigenen Beschreibung. In der Praxis ist es eine Organisation, die reaktionäre Politiker*innen wie José Antonio Kast aus Chile, Enikő Győri aus Ungarn, Lola Velarde aus Spanien und andere zusammenbringt.
Die Aneignung des Konzepts der Freiheit durch die extreme Rechte ist nicht neu. Während linke Projekte das Ideal einer Gesellschaft teilen, die frei von Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und autoritären Denkmustern und Strukturen ist, missbraucht die Rechte den Freiheitsbegriff, indem sie eine «Freiheit» verteidigt, die auf Ausbeutung, Unterdrückung und Repression basiert. Deshalb ist es so wichtig, die Rhetorik der extremen Rechten zu entlarven und zu zeigen, wer von ihrer Vorstellung von «Freiheit» eigentlich profitiert. Denn wie Albert Camus sagte: «Wenn jemand euch euer Brot entzieht, beraubt er euch gleichzeitig eurer Freiheit.»
Good Night, Far Right
Der internationale Kampf linker Bewegungen richtet sich nicht nur gegen die extreme Rechte, sondern auch gegen das neoliberale System, das sie stützt. Die reaktionären Kräfte müssen durch die Stärkung eines linken Programms besiegt werden. Es reicht nicht aus, beispielsweise die AfD (vorübergehend) in Deutschland in Schach zu halten, indem gleichzeitig die CDU gestärkt wird – eine Partei, die zunehmend die Rhetorik und das Programm der extremen Rechten übernimmt. Wir wollen aus diesem Dilemma heraus: Es ist eine Illusion zu glauben, dass die «Mitte» (die uns mit ihrer Austeritätspolitik und ihren neoliberalen Maßnahmen überhaupt hierher gebracht hat) uns retten wird.
Wir glauben auch nicht, dass es möglich ist, die extreme Rechte allein auf institutioneller Ebene zu bekämpfen, ohne an der gesellschaftlichen Basis Veränderungen zu organisieren, die unsere politische Kultur beeinflussen. Der Kampf gegen den Faschismus im Parlament ist unabdingbar, doch wir müssen mehr denn je den Kampf auf der Straße stärken und eine neue Hegemonie von unten aufbauen: eine soziale Mehrheit, die überzeugt und bereit ist, strukturelle Transformationen voranzutreiben, die die Art und Weise, wie der Staat geführt wird, radikal verändern und die eine gerechte Wirtschaftspolitik für die Mehrheit einfordert und umsetzt.
Mit diesen Zielen treffen wir uns vom 27. bis 30. März 2025 in Berlin mit politischen Akteuren aus verschiedenen Ländern, die sich derzeit mit dem Aufstieg der extremen Rechten konfrontiert sehen. Wir wollen die Gründe dieses Aufstiegs gemeinsam analysieren,– aber wir wollen noch mehr. Wir wollen konkrete Wege und Strategien diskutieren, um das Blatt zu wenden. Wir wollen nicht nur gegen rechts agieren, sondern für eine gerechte und friedliche Gesellschaft kämpfen.
Jetzt ist der Zeitpunkt, aus der Defensive zu kommen, die linke Melancholie zu überwinden, aus dem Pessimismus auszubrechen und der Gesellschaft konkrete Alternativen anzubieten, die sich auf die realen Probleme der Arbeiter*innenklasse beziehen. Wir müssen der Hegemonie des Kapitalismus, der neuen Macht des Techno-Feudalismus und den reaktionären Diskursen und Praktiken, die unsere Gesellschaften von innen aushöhlen, eigene Lösungsmodelle entgegensetzen.
Dafür braucht es eine Linke, die präsent ist – nicht nur in Wahlkämpfen, sondern im Alltag der Menschen. Eine Linke, die soziale Bewegungen stärkt, sich mit Gewerkschaften, Klimabewegungen und migrantischen Organisationen vernetzt, um gemeinsame Kämpfe zu führen: in den Betrieben, den Nachbarschaften, den Universitäten, den Jugendzentren. Die extreme Rechte nutzt Fake News und missbraucht die sozialen Medien, um Angst zu schüren – wir müssen dem mit einer Kommunikationsstrategie begegnen, die Fakten mit Hoffnung verbindet, digitale Räume nicht den Rechten überlässt und Erinnerungspolitik als Mittel gegen Geschichtsrevisionismus verteidigt. Der Kampf gegen die Klimakrise und gegen Krieg ist untrennbar mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit und Demokratie verbunden. Eine internationalistische Linke muss deshalb auch grenzüberschreitende Solidarität aufbauen, um eine echte Alternative zum globalen Rechtsruck zu bieten.
Eine andere Welt ist möglich – eine Welt, in der nicht Profite, sondern Menschen im Mittelpunkt stehen. In der Wohnraum keine Ware ist, sondern ein Recht für alle. In der Arbeit nicht ausbeutet, sondern ein gutes Leben ermöglicht. In der Bildung, Gesundheit und soziale Absicherung keine Privilegien, sondern Selbstverständlichkeiten sind. In der Klimaschutz nicht den Interessen der Konzerne geopfert wird, sondern als Kern sozialer Gerechtigkeit verstanden wird. In der Frieden nicht nur ein Wort bleibt, sondern gelebte Politik bedeutet – gegen Aufrüstung und Kriegslogik, für internationale Solidarität.
All das sind keine utopischen Träume, sondern machbare Alternativen, wenn sie gemeinsam erkämpft werden. Überall dort, wo Menschen sich organisieren, gemeinsam für bessere Bedingungen streiten und neue Wege erproben, wird diese andere Welt bereits greifbar. Jetzt ist der Zeitpunkt, den Unmut nach links zu kanalisieren, unsere Art, mit der Gesellschaft zu kommunizieren, zu revolutionieren und linke Visionen an die gegenwärtige Realität anzupassen. Nur so können wir nicht nur der extremen Rechten eine gute Nacht wünschen, sondern auch einen neuen Morgen für die Linke ermöglichen.