Hintergrund | Partizipation / Bürgerrechte - Digitaler Wandel Digitale Teilhabe und das Recht auf analogen Zugang

Alle reden von Digitalisierung – doch wer nicht mitkommt, wird zurückgelassen? Das ist ungerecht.

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Anne Roth,

Das Deutschlandticket ist grundsätzlich als digitales Angebot geplant. Bei der Deutschen Bahn ist der Kauf und die Nutzung nur per App möglich, bei Verkehrverbünden werden teilweise noch Chipkarten angeboten. Foto: IMAGO / Beautiful Sports

Als der pensionierte spanische Arzt Carlos San Juan de Laorden im Dezember 2021 eine Petition dagegen startete, dass viele Bankdienstleistungen nur noch online erreichbar sind, ahnte er nicht, wie sehr sein Anliegen einen Nerv traf. Innerhalb kurzer Zeit zeichneten 650.000 Menschen die Petition mit dem Titel «Ich bin alt, aber kein Idiot» bei der Petitions-Plattform Change.org.

Anne Roth ist Expertin für Digital- und Netzpolitik. Bis zur Fraktionsauflösung 2023 war sie Referentin der Fraktion Die Linke im Bundestag.

«Ich bin fast achtzig Jahre alt, und es macht mich sehr traurig zu sehen, dass Banken ältere Menschen wie mich vergessen haben», beschrieb er seine Motivation und forderte, dass es für Menschen, denen der Online-Zugang Schwierigkeiten bereitet, weiterhin Bankfilialen vor Ort mit Personal geben muss, das konkret ansprechbar ist und bei der Erledigung von Bankdienstleistungen behilflich sein kann.

Als er wenige Wochen später dem spanischen Wirtschaftsministerium 600.000 Unterschriften übergab, empfing ihn die Ministerin persönlich und versprach, innerhalb eines Monats einen Plan mit wirksamen Maßnahmen vorzulegen, die dieses Problem lösen sollten, und zwar nicht nur für ältere Menschen. 2022 wurde ihm für sein Engagement sogar der European Citizen’s Prize des Europäischen Parlaments verliehen.

Fünf Prozent der Bevölkerung sind nie im Internet

Nicht nur für ältere Menschen gibt es zunehmend das Problem, dass bestimmte Dienstleistungen nur noch online erreichbar sind. In Deutschland waren im Jahr 2023 drei Millionen Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren und damit gut fünf Prozent der Menschen dieser Altersgruppe «offline», also noch nie im Internet. Für Menschen ab 75 Jahren werden von der europäischen Statistikbehörde Eurostat keine Daten erfasst, aber die vom Bundesseniorenministerium geförderte Studie «Hohes Alter in Deutschland» (D80+) kam 2022 zu dem Ergebnis, dass lediglich 37 Prozent der Personen ab 80 Jahren das Internet nutzen.

Dabei gibt es deutliche Unterschiede innerhalb der Altersgruppe. Die Autor*innen der Studie stellten fest, dass die Internetnutzung sozial ungleich verteilt ist: «Die Internetnutzung der Ab-80-Jährigen hängt stark von Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Wohnsituation und kognitiver Gesundheit ab – zu Ungunsten von älteren Gruppen, Frauen, Niedrigergebildeten, Einkommensschwächeren, kognitiv Beeinträchtigteren und Personen in Heimen.»

Nicht bestätigt hat sich übrigens das Vorurteil, dass ältere Menschen modernen Technologien generell ablehnend gegenüberstehen. Etwa gleich viele, nämlich je ein Drittel, sind entweder skeptisch oder aber interessiert und sehen Vorteile in der Nutzung des Internets.

Was es allerdings nicht gibt: ein Recht auf nichtdigitale Kommunikation oder überhaupt Zugang zu öffentlichen wie privaten Leistungen. Das aber fordern inzwischen verschiedene Initiativen und Einzelpersonen.

Auch bei jüngeren Altersgruppen gibt es vergleichbare demografische Unterschiede. Laut D21-Digitalindex 2023/2024 waren 65 Prozent der befragten Offliner*innen Frauen, 76 Prozent hatten niedrige und 18 Prozent mittlere Bildung und 60 Prozent verfügten über ein Einkommen von weniger als 70 Prozent des Medians.

Ähnlich ist es bei der Nutzung des Online-Angebots von Behörden und Ämtern. Nach dem eGovernment MONITOR 2023 waren vergangenes Jahr 80 Prozent der Menschen mit hoher Bildung in der Lage, diese Angebote zu nutzen, aber nur gut zwei Drittel mit mittlerer und nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen mit niedriger Bildung.

Auch der Paritätische Gesamtverband kam in einer Studie 2023 zu dem Ergebnis, dass arme Menschen ein besonders großes Risiko haben, nicht an den Entwicklungen der Digitalisierung teilhaben zu können: «Armen Menschen fehlt es im Vergleich zu nicht von Armut Betroffenen doppelt so oft an den nötigen technischen Geräten und Voraussetzungen zur digitalen Teilhabe, zudem haben sie viel seltener Gelegenheit zum Auf- und Ausbau digitaler Kompetenzen über den Beruf.»

Tatsächlich hat laut der Studie ein Fünftel der armutsbetroffenen Menschen in Deutschland keinen Internetanschluss zu Hause, und zwar aus finanziellen Gründen. Im selben Jahr waren im Regelsatz der Grundsicherung für den «Kauf und die Reparatur von Festnetz- und Mobiltelefonen sowie anderer Kommunikationsgeräte» 3,34 Euro vorgesehen. Das bedeutet, dass auch der Kauf der nötigen Geräte von Bezieher*innen von Grundsicherung nur mit spürbaren Einschnitten in anderen Bereichen geleistet werden kann – wenn überhaupt.

Die Autor*innen der Studie stellten darüber hinaus fest, dass Menschen, die nicht regelmäßig und selbstverständlich im Alltag mit digitalen Arbeitsmitteln wie Laptop oder Tablet und auch nicht mit den üblichen Programmen oder Apps umgehen, nicht im gleichen Maß die nötigen Kompetenzen entwickeln, die für Zugang zum und Partizipation am digitalen Leben erforderlich sind. Das darf nicht unterschätzt werden, denn selbst für diejenigen, die täglich vor dem Computer sitzen, sind die ständig wechselnden Formulare, Sicherheitseinstellungen und unterschiedlichen Apps oft eine Herausforderung. Nur die wenigsten trauen sich zu, mit Sicherheit sagen zu können, ob ihre Daten im jeweiligen Online-Formular gut und sicher aufgehoben sind oder welche Folgen es hat, wenn bestimmte Buttons einer neuen App geklickt werden, die für die Nutzung einer spezifischen Dienstleistung zwingend ist. Umgekehrt gibt es ein hohes Maß an Scham, anderen gegenüber einzugestehen, dieses Wissen nicht zu haben. Der D21-Digitalindex 2023/2024 kam zum Ergebnis, dass es einem Drittel der Befragten unangenehm ist, «etwas digital nicht hinzubekommen».

Eine weitere Bevölkerungsgruppe, die in spezifischer Weise an der Nutzung digitaler Angebote gehindert wird, umfasst alle, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen Chancengleichheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dies beinhaltet auch die digitale Teilhabe. Dabei können digitale Technologien für die gesellschaftliche Teilhabe durchaus hilfreich sein, aber ihre Nutzung hat eine Reihe von Voraussetzungen, die nicht immer gegeben sind. Das beginnt bei fehlenden Bildbeschreibungen und geringem Kontrast von Apps und Websites oder dem Fehlen von Übersetzungen in Leichte Sprache und reicht bis zu den Kosten für spezifische zusätzliche technische Lösungen zur Unterstützung beim Nutzen der digitalen Angebote. Für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen stellen ungewohnte und komplexe Zugangsanforderungen eine noch größere Barriere dar als für andere. Dies kann dazu beitragen, dass sie sich noch eher entscheiden, diese Angebote gar nicht zu nutzen.

Es ist also offensichtlich, dass die Möglichkeit zur Teilhabe an digitalen Angeboten wie auch die Nutzung digitaler Antragstellung bei Behörden nicht für alle Menschen gleichermaßen gegeben ist.

Bewusste Entscheidung gegen digitale Kommunikation

Neben denen, die aus den unterschiedlichen Gründen nicht an digitaler Kommunikation teilnehmen können, gibt es auch die, die sich bewusst dagegen entscheiden. Wir lesen fast täglich in den Medien, dass Daten bei öffentlichen wie privaten Anbietern oft nicht sicher sind. Kommunen, Krankenhäuser, Unternehmen, Messenger, Plattformen: Sie alle sind immer wieder von Datenlecks oder Angriffen betroffen, denen nicht alle gewachsen sind. Es ist völlig legitim, wenn sich Menschen entscheiden, die eigenen Daten davor schützen zu wollen.

Nicht zuletzt ist seit den Enthüllungen von Edward Snowden bekannt, dass Geheimdienste große Anstrengungen unternehmen, um Zugriff auf sämtliche digitale Kommunikation und Daten zu erlangen. Wir müssen davon ausgehen, dass dies seit den Enthüllungen im Jahr 2013 nicht ab-, sondern weiter zugenommen hat. Sich dem nicht aussetzen zu wollen, insbesondere wenn es sich um authentische persönliche Daten handelt, ist ein weiterer legitimer Grund, auf digitalen Datenaustausch mit Behörden oder privaten Dienstleistern wie beispielsweise Banken, der Post oder der Bahn zu verzichten.

In jedem Fall sind Staat wie Unternehmen gefordert, durch deutlich verbesserte IT- und Datensicherheit Grundlagen für mehr Vertrauen in ihre Datenhaltungen zu schaffen. Womöglich würden sich dann mehr Menschen dafür entscheiden, digitale Angebote zu nutzen.

Stattdessen erleben wir eine Zunahme von staatlichen und privaten Verpflichtungen und Dienstleistungen, die nur noch digital zur Verfügung stehen und entweder gar keine oder aber nur mit umständlichen Umwegen erreichbare analoge Alternativen anbieten.

Schleichende Veränderung in Richtung «digital only»

Die Deutsche Bahn begann im Herbst 2023 damit, Fahrkarten zum Sparpreis auch am Schalter nur noch gegen Angabe einer E-Mail-Adresse oder Mobiltelefonnummer zu verkaufen. Ab Juni 2024 gab es auch die Bahncard nur noch digital, was bedeutet, dass sie bei Kontrollen per Mobil-App mit dem Smartphone oder Tablet gezeigt werden muss. Zwar ist möglich, sie auch als ausgedrucktes PDF-Dokument bei sich zu haben, allerdings ist auch für die Erstellung des Dokuments ein Online-Account bei der Bahn erforderlich. Für alle, die weder Internetanschluss noch Smartphone oder Computer besitzen und damit auch keine E-Mail-Adresse, eine fast unüberwindbare Hürde. Dabei sind doch aber sie diejenigen, die am meisten auf vergünstigte Fahrkarten angewiesen sind.

Gleichzeitig macht die Bahn deutlich, dass sie denen, die mit digitalen Fahrkarten oder Bahncards Schwierigkeiten haben, wenig Toleranz entgegenbringt. Im Hilfebereich von bahn.de heißt es zur Frage «Was passiert, wenn mein Smartphone-Akku leer ist oder ich mein Smartphone nicht bei mir habe?»: «Wenn Sie Ihre BahnCard bei der Fahrkartenkontrolle nicht vorzeigen können, erhalten Sie eine Fahrpreisnacherhebung zum doppelten Fahrpreis.» Das klingt plausibel, aber die meisten Smartphone-Besitzer*innen sind schon mehr als einmal in der Situation gewesen, dass der Akku schneller leer war als angenommen, kein Kabel oder keine Steckdose in Reichweite waren oder die Bahnfahrt einfach viel länger gedauert hat, als eingeplant war. In den meisten Zügen gibt es Steckdosen, aber eben nicht in allen.

Es darf nicht unterschätzt werden, welche Wirkung es hat, wenn Menschen so deutlich vor Augen geführt wird, dass die Gesellschaft im Zweifelsfall bereit ist, auf ihre Beteiligung zu verzichten. Was es bedeutet, wenn für sie spürbar wird, dass immer mehr Dinge, die ein Leben lang selbstverständlich zum Alltag und zur Daseinsvorsorge gehörten, nur noch schwer erreichbar sind.

Gegen diese Maßnahmen regte sich viel Protest. Im Mai richteten 28 Organisationen der Zivilgesellschaft einen offenen Brief an die Bahn und forderten: «Gewährleisten Sie einen analogen Zugang zu BahnCard und Sparpreisen, der ohne Mehrkosten und barrierefrei von allen, auch von sogenannten Offlinern, genutzt werden kann.» Beteiligt waren unter anderen die GEW, der Paritätische Gesamtverband, die Gewerkschaft der Polizei, die AWO sowie zahlreiche Verbände zu verschiedenen Krankheiten und Behinderungen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) appellierte im September 2024 gemeinsam mit Verbraucherzentralen und -verbänden an die Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG, niemanden durch die Digitalisierung im Vertrieb von Bus- und Bahnreisen auszuschließen. Das Bündnis «Bahn für alle» rief Digital- und Verkehrsminister Wissing auf, den Zwang zur digitalen Bahncard wie zum DB-Kund*innenkonto zurückzunehmen und sammelte Unterschriften dafür, die dem Minister im Oktober übergeben wurden.

Auch in öffentliche Einrichtungen gibt es Beschränkungen auf digitale Zugänge. Die Berliner Bäder-Betriebe, laut eigener Beschreibung der größte kommunale Bäderbetrieb Europas, führten im Sommer 2024 für fünf ihrer Freibäder ein, dass Eintrittskarten nur bis 10 Uhr am Vormittag an der Kasse gekauft werden können. Wer später kam, musste ein Ticket online buchen, bezahlbar ausschließlich mit Kreditkarte oder dem Online-Zahldienst Paypal. Auch hierzu wurde eine Petition initiiert. Die Initiative «Freibad einfach für alle!» wies darauf hin, dass gerade Kinder und Jugendliche nicht über Online-Zahlungsmöglichkeiten verfügen und viele ältere Menschen keine Erfahrung mit Internetbestellungen haben und forderte, dass die Freibadkassen wieder den ganzen Tag Eintrittskarten verkaufen sollten. In der Petition erläutert die Initiative, dass die Berliner Bäder den gesetzlichen Auftrag haben, Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen für sportliche Betätigung, Erholung und Entspannung zur Verfügung zu stehen. Dies sei durch die Beschränkung des Ticketverkaufs nicht mehr gegeben.

Ebenfalls 2023 führte die Bundesregierung zwei Sonderzahlungen ein, die sich an junge Menschen richteten und nur digital beantragt werden konnten. Zum Ausgleich für die stark angestiegenen Energiepreise konnten Studierende und Fachschüler*innen die «200-Euro-Einmalzahlung» beantragen. Dazu allerdings brauchten sie eine Bund-ID, also einen Account zur Authentifizierung für Verwaltungsleistungen, und außerdem einen elektronischen Personalausweis (e-Perso), samt die für den Online-Zugang nötigen Zugangsdaten.

Alle, die im selben Jahr 18 Jahre alt wurden, konnten den KulturPass beantragen, ein Budget in Höhe von 200 Euro, das für Konzerte, Kinobesuche, Bücher oder Musikinstrumente genutzt werden konnte. 2024 wurde das Budget auf 100 Euro reduziert. Voraussetzung für die Nutzung ist die Installation der KulturPass-App auf einem Smartphone und im Regelfall auch die Registrierung mit dem e-Perso. Hier wurde später eine Ausnahmeregelung für Jugendliche ohne deutschen Personalausweis eingeführt.

Auch das inzwischen in Deutschland-Ticket umbenannte frühere 9-Euro-Ticket sollte es seit der Umstellung nur noch in digitaler Form geben, wobei das die Nutzung einer Plastikkarte mit Chip einschließt. Der Kauf bzw. das Abonnement des Tickets sind ausschließlich online möglich, es kann nicht wie sein Vorgänger am Fahrkartenautomaten gekauft werden. Verkehrsminister Wissing machte im April 2023 deutlich, worum es ihm dabei ging: «Ziel muss sein, teure Doppelstrukturen abzuschaffen und rein digital zu verwalten und das so schnell wie möglich. Voraussetzung dafür sind gut durchdachte, digitale Angebote. Das Deutschlandticket zeigt, dass ‹digital only› in unserem Land funktioniert – ohne Menschen auszuschließen.» Wissing argumentierte immer wieder, dass das Ticket digital sein müsse, damit Nutzungsdaten ausgewertet und letztlich das Fahrangebot verbessert werden könne. Allerdings: Solche Daten werden weder von den Verkehrsunternehmen noch durch die Tickets erfasst. Das wäre auch gar nicht möglich, denn es ist gar nicht erforderlich, wahlweise Mobil-App oder Chipkarte bei jeder Fahrt durch ein Gerät im Fahrzeug auslesen zu lassen. Was er sich davon genau verspricht, ist weiterhin offen.

«Digital only» als Prämisse der FDP

Die FDP, die den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 unter das Motto «Digital first, Bedenken second» gestellt hatte, verfolgte seitdem mit der Phrase «digital only» das Ziel, nichtdigitale Angebote abzubauen. Einstmals für die liberale Partei leitende Ideen der Freiheit, über die eigene Lebensführung selbst entscheiden zu können, sind dabei offensichtlich unter die Räder gekommen.

Beim Digital-Gipfel der Bundesregierung im Oktober 2024 sagte der Minister ganz deutlich: «Wir sollten nicht parallel das Analoge weiter finanzieren.» Begründet wird dies mit Effizienzsteigerung und der pauschalen Notwendigkeit, Daten zu generieren. Die erste Digitalminister*innen-Konferenz der Bundesrepublik hatte bereits im April 2024 betont, die Prinzipien «digital first» und «digital only» umsetzen zu wollen – ausgerechnet in einem Beschluss zum Thema digitale Teilhabe.

Die ebenfalls im Herbst 2024 verabschiedete Fortschreibung der Digitalstrategie der Bundesregierung sieht vor, dass unternehmensbezogene Verwaltungsleistungen in spätestens fünf Jahren nur noch digital angeboten werden sollen. Das betrifft dann allerdings nicht nur große Unternehmen, deren IT-Abteilungen idealerweise in der Lage sein sollten, eine komplette Umstellung auf digitale Abwicklung aller Verwaltungserfordernisse zu bewältigen, sondern auch kleine und kleinste Betriebe wie auch Soloselbstständige. Dabei hat bereits 2020 ein selbstständiger Physiotherapeut erfolgreich dagegen geklagt, seine Steuererklärung digital abgeben zu müssen. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hielt es für unzumutbar, dass er allein für die Steuererklärung einen Internetanschluss hätte finanzieren müssen.

Die Digitalminister*innen bekräftigten in ihrem Beschluss dann zumindest «die Notwendigkeit, bei der digitalen Transformation von Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft möglichst (sic!) niemanden zurückzulassen», und dass «der Zugang zu Leistungen der Daseinsvorsorge und die Nutzung von Verfahren in der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung für alle digital niedrigschwellig und digital barrierefrei erreichbar» sein müsse.

Das Europäische Parlament hingegen hat 2022 eine Entschließung mit dem Titel «Digitale Kluft: die durch die Digitalisierung verursachten sozialen Unterschiede» verabschiedet. Es hält darin fest, dass «viele tägliche Dienste eine nicht digitale Lösung bieten sollten, um den Bedürfnissen derjenigen Bürger gerecht zu werden, die nicht über die für die Nutzung von Online-Diensten erforderlichen Fähigkeiten oder Kenntnisse verfügen, die Dienste offline nutzen möchten oder die keinen Zugang zu digitalen Geräten und Anwendungen haben.»

Digitale Teilhabe

Daraus ergeben sich zwei miteinander zusammenhängende Fragestellungen: Was ist für eine tatsächliche digitale Teilhabe erforderlich? Und brauchen wir ein Recht auf analogen Zugang, solange die Teilhabe nicht für alle gegeben ist?

Digitale Teilhabe findet auf mehreren Ebenen statt: Da ist zum einen die aktive digitale Teilhabe durch Nutzung digitaler Angebote von Verwaltungsdienstleistungen bis zum Online-Shopping, Nutzung von Medien, eigene Beiträge in Form von Text, Bildern, Videos, Social Media oder Diskussionsbeiträgen.

Zum anderen gibt es eigene Online-Aktivitäten, die Algorithmen beeinflussen, die wiederum Auswirkungen auf das eigene Erleben im Netz haben. Plattformen bilden aus den Aktivitäten ihrer Nutzer*innen Profile und bieten entsprechende Leistungen an. Das können Filmempfehlungen sein, aber auch unterschiedliche Preise für die gleichen Produkte.

Schließlich werden aktuell für die Entwicklung generativer Künstlicher Intelligenz (KI) große Datenmengen verarbeitet, die beeinflussen, welche Informationen durch die KI ausgegeben werden. Wenn bestimmte Fakten und Realitäten nicht oder weniger eingespeist werden, werden die auch weniger in den Ergebnissen dargestellt. Wenn also beispielsweise arme Menschen, Menschen mit geringerer Bildung oder behinderte Menschen weniger aktiven Zugang zum Netz haben, wird ihre Realität in den Antworten der KI-Chatbots auch weniger berücksichtigt sein, was perspektivisch die Ausschlüsse weiter verstärken wird (siehe dazu Loh 2024).

Digitale Teilhabe bedeutet also einiges mehr als den Internetzugang und ein Gerät, um ihn zu benutzen. Junior-Professor Ingo Bosse schreibt in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung, es gehe um drei Ebenen, «die eng miteinander verwoben sind: Teilhabe IN Medien, Teilhabe AN Medien und Teilhabe DURCH Medien». Bei der Teilhabe in Medien ist die mediale Darstellung gemeint, also die Berichterstattung über alle Gruppen der Gesellschaft, auch in Massenmedien. Teilhabe an Medien bedeutet, dass der gleichberechtigte Zugang zu Information und Kommunikation gegeben sein muss, denn die ist eine Frage der demokratischen Meinungsbildung, von der niemand ausgeschlossen sein darf. Bei der Teilhabe durch Medien schließlich geht es um die erforderliche Medienkompetenz, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, und um eine Medienbildung, die Differenzen in Zugängen und Nutzungsweisen berücksichtigt.

Regierungspolitik und Verwaltung betrachten Digitalisierung allerdings häufig zunächst aus der Perspektive ihrer eigenen Erfordernisse. So gibt es für die Verwaltungsdigitalisierung seit 2017 das Onlinezugangsgesetz (OZG), das allerdings nicht definiert, was mit dem Begriff Onlinezugang gemeint ist oder um wessen Zugang es geht.

Der pensionierte Professor für Angewandte Informatik Herbert Kubicek schrieb 2023 in einem Aufsatz für die Zeitschrift Verwaltung & Management, dass aus der Beschreibung des Gesetzes «eine angebotsorientierte und keine nutzerzentrierte Perspektive zu erkennen» sei. Es gehe «um die Digitalisierung von Diensten und eine IT-Infrastruktur innerhalb und zwischen den Behörden. Die Verbesserung des Zugangs besteht vor allem in der Verpflichtung der Verwaltungen zu einem Portalverbund, damit man mit einem einzigen Nutzerkonto Leistungen unterschiedlicher Verwaltungen auf Bundes- und Länderebene in Anspruch nehmen kann.» Er argumentiert, «dass die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger nicht wirklich eingenommen wird, weil schon die zentralen Begriffe in einer eigenwilligen technozentrierten Weise verwendet werden, die den Blick für die komplexe soziale Realität verengt und zentrale Aspekte ausblendet.»

Zweifellos ist bei der Verwaltungsdigitalisierung noch sehr viel Luft nach oben, aber dabei darf die Perspektive derjenigen, die sie nutzen sollen, nicht ausgeblendet werden. Angesichts der schleichenden Zunahme von Dienstleistungen, die nur noch digital zugänglich sind und insbesondere solche gesellschaftlichen Gruppen ausschließen, die auch so schon von Ausschlüssen und Benachteiligungen betroffen sind, werden Forderungen von Sozialverbänden, NGOs und Gewerkschaften laut.

Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) legte im Oktober 2024 ein Positionspapier zur digitalen Teilhabe vor, in dem an erster Stelle die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf digitale Teilhabe steht, die folgendermaßen definiert wird: «Digitale Teilhabe bedeutet, dass alle Menschen Zugang zu digitalen Technologien haben und diese auch nutzen können – unabhängig von Alter, Behinderung, Geschlecht, Herkunft oder sozialem Status.» Für die Umsetzung eines solchen Anspruchs beschreibt die AWO ein digitales Existenzminimum, das auch in den Transferleistungen abgebildet sein muss und das eine digitale Grundausstattung, einen Sozialtarif für den Internetzugang sowie die flächendeckende Förderung digitaler Kompetenzen enthalten muss.

Der Paritätische Gesamtverband erklärte bereits 2022 in seinem Positionspapier «Digitalisierung fördern, Zivilgesellschaft stärken, digitale Teilhabe für alle ermöglichen»: «Digitale Teilhabe gehört inzwischen zur Daseinsvorsorge», und forderte unter anderem die allgemeine Versorgung mit digitaler Hardware sowie die Finanzierung von technisch notwendiger Assistenz bei Bedarf. Auch die gesetzlich vorgeschriebene Barrierefreiheit müsse umgesetzt werden.

In einem Gutachten zum Thema «Ein Recht auf analoge Teilhabe – Freiheit vor Digitalzwang», das vom Verein Digitalcourage initiiert wurde, benannten die Datenschutz-Expert*innen Karin Schuler und Thilo Weichert 2024 zahlreiche Beispiele, bei denen Menschen ohne digitalen Zugang ausgeschlossen werden. Noch betrifft das mehrheitlich private Anbieter. Einige Banken nehmen keine Papierüberweisungen mehr an und die Möglichkeit, dann ein Terminal zu nutzen, wird teilweise stark eingeschränkt. Pakete können nur mithilfe einer Smartphone-App an Packstationen in Empfang genommen werden, und viele Arztpraxen vergeben ihre Termine nicht mehr telefonisch, sondern nur noch online. Hotels oder Mietwagen können nur auf digitalem Weg bezahlt, manche Konzerte oder Sportveranstaltungen nur mit digitalen Tickets besucht werden. Aber auch öffentliche Leistungen gibt es in einigen Fällen nicht mehr analog, also per Antrag auf Papier. Schuler und Weichert nennen hier die bereits beschriebene Energiepreispauschale, öffentliche Bekanntmachungen einer Gemeinde in Baden-Württemberg oder die Künstlerförderung in Bayern während der Corona-Pandemie.

Juristische Auseinandersetzungen und das Recht auf analogen Zugang

In einigen Fällen führt dies zu juristischen Auseinandersetzungen, bei denen gegen den Zwang zum Digitalen entschieden wurde. Der Bundesfinanzhof entschied 2020, dass es einem klagenden selbstständigen Physiotherapeuten nicht zuzumuten sei, allein für die Einkommensteuererklärung einen Internetzugang finanzieren zu müssen, und befreite ihn von der ansonsten verpflichtenden elektronischen Abgabe. Für die oben erwähnte, ausschließlich online über ein BundID-Konto erreichbare Energiepreispauschale verwarnte die Landesdatenschutzbeauftragte von Sachsen-Anhalt im Juni 2024 das zuständige Landesministerium für Infrastruktur und Digitales nach Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Es seien «über 2,8 Millionen Antragsteller dem Zwang ausgesetzt» gewesen, «sich bei BundID zu registrieren, wenn sie nicht auf die 200 € verzichten wollten». Die «zwangsweise Verarbeitung personenbezogener Daten in einer derart großen Anzahl war nicht erforderlich und entbehrte einer Rechtsgrundlage».

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (vzbv) klagte 2021 erfolgreich gegen Online-Verträge des Hamburger Gas- und Stromanbieters Lichtblick, die festlegten, dass die Kommunikation wie etwa die Kündigung des Vertrags ausschließlich elektronisch zu erfolgen hatte.

Was es allerdings nicht gibt: ein Recht auf nichtdigitale Kommunikation oder überhaupt Zugang zu öffentlichen wie privaten Leistungen. Das aber fordern inzwischen verschiedene Initiativen und Einzelpersonen. So schrieb Rechtsanwalt Bernd Lorenz 2022: «Das Recht auf ein analoges Leben gibt ein Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben, ohne das Internet selber benutzen zu müssen. Insofern ist es ein Abwehrrecht gegen Verpflichtungen, das Internet selber benutzen zu müssen, um eine Dienstleistung in Anspruch nehmen zu können.» Lorenz leitet ein solches Recht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs 1 sowie dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ab. Auch der Journalist Heribert Prantl, lange Zeit Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, spricht sich für ein solches Grundrecht aus.

Der Bundeskongress 2023 der Gewerkschaft ver.di beschloss, dass diese sich im Bereich der öffentlichen und privaten Dienstleistungen für ein «Recht auf analog» einsetzen solle, und auch der Verein Digitalcourage fordert ein solches Grundrecht. Das bereits zitierte von ihm beauftragte Gutachten kommt zu dem Ergebnis, es sei «geboten, ein umfassendes und übergeordnetes ‹Recht auf analoge Teilhabe› normativ festzuschreiben».

Die Linke im Bundestag setzte sich Ende 2023 mit einem Antrag «Für ein Offlinezugangsgesetz» dafür ein, dass öffentliche Dienstleistungen des Bundes oder Leistungen, die in öffentlichem Auftrag erbracht werden, zwingend auch in nichtdigitaler Form angeboten werden müssen. Der Antrag wurde allerdings von der Mehrheit im Bundestag abgelehnt.

Es darf nicht unterschätzt werden, welche Wirkung es hat, wenn Menschen so deutlich vor Augen geführt wird, dass die Gesellschaft im Zweifelsfall bereit ist, auf ihre Beteiligung zu verzichten. Was es bedeutet, wenn für sie spürbar wird, dass immer mehr Dinge, die ein Leben lang selbstverständlich zum Alltag und zur Daseinsvorsorge gehörten, nur noch schwer erreichbar sind. Die Bank, Bahnfahrkarten, Arzttermine, Kontakt zur Versicherung, das günstigere Zeitungs-Abo, der Rabatt im Supermarkt. Bei manchen liegt es am fehlenden Gerät, bei anderen am fehlenden Wissen, wie Weg dorthin ist, ohne dabei Betrüger*innen auf den Leim zu gehen. So kann bei Menschen ein Gefühl des Abgehängtseins entstehen. Wer aber an immer mehr Dingen des täglichen Lebens nicht mehr teilhaben kann, wird möglicherweise auch aufgeben, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen. Das darf sich die Gesellschaft nicht leisten. Digitalisierung kann, wenn sie gut und sicher gestaltet wird, vieles erleichtern. Zentral muss dabei aber sein, dass die ganze Gesellschaft mitgenommen wird und allen die nötigen Mittel und Methoden zur Verfügung stehen. Solange das aber nicht für wirklich alle der Fall ist, muss es analoge Alternativen geben.