
Die neue Regierung steht. Schon vor Amtsantritt wurden alte fiskalpolitische Grundsätze abgeräumt. Mit Mehrheiten des alten Bundestags wurden Investitionen für die Infrastruktur auf den Weg gebracht und Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen. Doch die Investitionen reichen bei weitem nicht aus, während die blinde Aufrüstungswut auf Kosten der sozial-ökologischen Transformation geht. Worauf es jetzt ankommt.
Samuel Decker ist Ökonom und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Netzwerk Plurale Ökonomik e.V.
Dieser Beitrag ist eine Aktualisierung des Artikels vom 11.3.2025.
Die finanzpolitischen Grundsätze der neuen schwarz-roten Regierung unter Friedrich Merz (CDU) sind Teil einer historischen Verschiebung der geopolitischen Konstellation. Vor dem Hintergrund des Rückzugs der USA und der entstehenden neuen multipolaren Weltordnung mit ihrem ökonomischen und militärischen Vormachtskampf entsteht ein neues wirtschaftspolitisches Leitbild.
Die Weichen dafür hatte noch der Bundestag in seiner alten Zusammensetzung gestellt: Am 18. März 2025 brachten CDU/CSU und SPD mit Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen Grundgesetzänderungen auf den Weg, mit denen die Schuldenobergrenze für alle Militärausgaben, die über 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hinausgehen, abgeschafft werden soll. Zusätzlich wurde ein Investitionspaket für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro geschnürt, die Verschuldungsgrenze der Länder von 0 auf 0,35 Prozent des BIP angehoben und eine noch weiterreichende Reform der Schuldenbremse bis Ende 2025 angekündigt. Damit wurde ein neues Kapitel in der deutschen Fiskalpolitik aufgeschlagen.
Abschied von der «Schwarzen Null»
Dabei stand Deutschland lange wie kein anderes Land für einen ausgeprägten fiskalpolitischen Konservatismus. Nach der Erfahrung der Hyperinflation in den 1920er Jahren und den darauf folgenden Wirtschaftskrisen setzte sich in der Anfangszeit der BRD ein konservativer und in Teilen ordoliberaler Zeitgeist durch, der strikte Haushaltsdisziplin priorisierte.
Die erste Rezession der Nachkriegszeit 1966/67 führte zwar zeitweise zu einer expansiveren Geld- und Fiskalpolitik, also zu vermehrten öffentlichen Investitionen, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollten. Doch Helmut Schmidt (SPD) hat dieses keynesianische Intermezzo in den 1970er Jahren wieder beendet. Insgesamt dominierten unter wechselnden Regierungen Sparpolitik und die Angst vor übermäßiger öffentlicher Verschuldung – was 2009 in Folge der Finanzkrise, der hunderte Milliarden Euro teuren Bankenrettungspolitik und der dadurch gestiegenen Staatsverschuldung zur Aufnahme der Schuldenbremse ins Grundgesetz führte.
Mit der Fetischisierung der «Schwarzen Null» unter Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Schuldenbremse-Obsession der FDP, die mit Lars Feld einen ordoliberalen Hardliner zum Chefberater im Finanzministerium machte, schien es in den letzten Jahren, als wäre der fiskalpolitische Konservativismus in Deutschland nicht totzukriegen.
Diese politische Kontinuität scheint nun tatsächlich durchbrochen. Zwar wurde die Schuldenbremse in Folge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges bereits zeitweise ausgesetzt. Und schon vor dem 2022 verabschiedeten Sondervermögen für die Bundeswehr hatten sich zahlreiche Sonder- und Schattenhaushalte herausgebildet, die die Schuldenbremse faktisch umgingen. Diese Praxis hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom November 2023 jedoch verboten und damit den Grundstein für den Bruch der Ampel-Koalition und schließlich die jetzige Neuregelung gelegt. Nun ist nicht mehr von einer Notlage die Rede, sondern von einer dauerhaft geänderten Situation. Wenn nun jedes Jahr höhere dreistellige Milliardenbeträge an Schulden aufgenommen werden, stellt das tatsächlich eine neue Dimension dar.
Beispiellose Aufrüstung
Die fiskalpolitische Kehrtwende ist – vor allem wenn es tatsächlich mittelfristig zu einer noch weiterreichenden Reform der Schuldenbremse kommen sollte – aus linker Perspektive einerseits zu begrüßen. Denn progressive Politik ist unter dem Sparzwang der Schuldenbremse kaum möglich. Andererseits ist die Reform Teil eines beispiellosen Aufrüstungsbestrebens und einer insgesamt autoritären Entwicklung, die eine sozial-ökologische Politik weiter in den Hintergrund drängt.
Ja, die Herausnahme von Militärausgaben jenseits von 1 Prozent des BIP aus der Verschuldungsregel würde die Zielkonflikte mit anderen Haushaltsbereichen abschwächen. Doch eigentlich geht es gar nicht primär ums Geld. Denn Geld ist, wie wir nun sehen, genug da. Wichtiger als die (scheinbare) Knappheit des Geldes sind realwirtschaftliche Grenzen: Ressourcen, Arbeitskräfte und die ökologische Tragfähigkeit des Planeten sind begrenzt. Wie Lukas Scholle im Surplus Magazin ausgeführt hat, werden bei den geplanten massiven Verteidigungsausgaben reale Ressourcen gebunden – eine «begrenzte Anzahl von Ingenieuren baut mit einer begrenzten Menge Stahl Panzer statt Züge. Dadurch können wir nicht nur weniger Züge bauen, die Züge werden auch teurer, weil Ingenieure und Stahl knapper werden».
Wir stehen erst am Beginn einer neuen Ära der Aufrüstung, die reale Ressourcen verschlingt, die für die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation und den Kampf gegen die Klimakatastrophe notwendig wären. Ebenfalls im Surplus Magazin hat Adam Tooze die Frage gestellt: «Ist Russland wirklich eine größere Bedrohung für die Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen in Deutschland als die globale Klimakrise oder die Tatsache, dass ein erschreckend großer Teil der Kinder im Land in Armut aufwächst?» Mehr und mehr geht es nicht mehr darum, ob wir Geld ausgeben, sondern wofür und wer davon profitiert. Auch wenn wir als gesellschaftliche Linke dabei sind, den Kampf um das «ob» zu gewinnen, verlieren wir vielleicht gerade den Kampf um das «wofür» und «für wen».
Verteidigungsfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit
Gerade angesichts der gewaltigen Aufrüstungspläne, die im Grundsatz auch nicht von AfD und Grünen hinterfragt werden, wird es eine zentrale Aufgabe der gesellschaftlichen und parteipolitischen Linken sein, diese Pläne zu kritisieren und Alternativen aufzuzeigen. Hier wird von linker Seite häufig das Argument angebracht, dass die europäischen Verteidigungsausgaben diejenigen Russlands übersteigen. Es gibt jedoch auch Studien, die dem widersprechen. Die Position, dass eine weitere Aufrüstung Europas gegen Russland rein zahlenmäßig nicht notwendig sei, ist angreifbar. Hier braucht es stärkere Argumente.
Die Szenarien, die von einem Frontalangriff Russlands auf die europäischen Nato-Staaten ausgehen, stärken die militärischen Hardliner und müssen hinterfragt werden. Selbst wenn Russland einige Jahre nach einem Waffenstillstand einen erneuten Angriff auf die Ukraine oder gar auf die NATO-Mitglieder Litauen, Lettland oder Estland planen sollte, würde es sich um einen begrenzten militärischen Konflikt handeln, nicht um eine direkte Konfrontation des gesamten militärischen Arsenals der EU mit demjenigen Russlands. Um imperialen Bestrebungen Russlands zu begegnen, ist eine stärkere europäische Koordination und eine gezielte Stärkung in spezifischen militärischen Bereichen ausreichend. Diese Position, die sich an realen Szenarien und nicht an einer abstrakten Bedrohungskulisse orientiert, ist in der öffentlichen Wahrnehmung marginalisiert und müsste durch Fakten und Studien unterlegt werden.
Neben der stärkeren europäischen Koordination fordert die Partei Die Linke richtigerweise eine Verstaatlichung der Rüstungsindustrie, die über die im Koalitionsvertrag angekündigten «strategischen Beteiligungen des Bundes» in Rüstungsunternehmen weit hinausgeht. Wenn die privaten Profite in der Rüstungsindustrie wegfallen, können Kosten gesenkt werden. Doch wie sich das konkret umsetzen ließe, ist nicht ausgearbeitet.
Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie forderte im März 2025 das «Freiwerden von Ressourcen im Automobil- und Automobilzulieferbereich in Deutschland» zu nutzen, um «Rüstungskapazitäten gerade im Bereich größerer Serien schnell hochzufahren». Tatsächlich ist eine Konversion der Automobil- und Zulieferindustrie bereits im Gang. Da Konversion und Verstaatlichung auch Werkzeuge einer progressiven Wirtschaftspolitik sein können, ist eine fundierte linke Kritik hier besonders nötig.
«Verteidigungsfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit» wird die zentrale Konfliktlinie in den kommenden Diskussionen sein. Zwar stellen sich Friedrich Merz und europäische Regierungschef*innen gegen den russischen Angriffskrieg und gegen das autoritäre Gebaren von Donald Trump und vertreten damit scheinbar liberale Werte. Doch ein unbegrenzter Rüstungswettlauf ist in niemandes Interesse. Eine Politik der Diplomatie und Abrüstung scheint heute nahezu unvorstellbar, selbst in linksliberalen Kreisen. Um die verbreitete Überzeugung zu durchbrechen, dass nur Aufrüstung und militärische Abschreckung Konflikte lösen oder verhindern, braucht es konkrete Vorschläge für eine Politik des internationalen Interessensausgleichs. Es geht ganz grundsätzlich um Alternativen zur autoritären Krisenbearbeitung und eine Erzählung von globaler Kooperation statt militarisierter Konkurrenz.
Kein Umbau der Wirtschaft
Neben der faktisch unbegrenzten Aufrüstung wird die neue Regierung Investitionen im Rahmen des 500 Milliarden-Euro-Pakets für die Infrastruktur auf den Weg bringen – 100 Milliarden davon gehen in den kommenden 12 Jahren an die Länder und weitere 100 Milliarden fließen in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds. Noch ist unklar, wie das Ausführungsgesetz für dieses Sondervermögen aussehen wird, und wie die Ausgaben priorisiert werden. Bei einer von Friedrich Merz geführten Regierung braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass «Infrastrukturinvestitionen» vor allem der Wirtschaft zu Gute kommen sollen und nicht der Bevölkerungsmehrheit. Konzerne könnten unmittelbar durch öffentliche Aufträge und mittelbar durch eine verbesserte Infrastruktur profitieren, die zum Beispiel Logistikkosten senkt.
Vor allem aber reichen die Mittel bei weitem nicht aus. Selbst der bisherige Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) äußerte Zweifel am Umfang des Sondervermögens und forderte, nachzusteuern. Wenn beispielsweise eine komplette Neugestaltung des Verkehrs bzw. der öffentlichen Mobilität zusammen mit einer Konversion der Automobilindustrie angestrebt wird, wären Ausgaben im Billionen-Bereich nötig. Eine öffentlich geplante Transformation aller Wirtschaftssektoren, die zum Ziel hat, dass es auch in 50 oder 60 Jahren noch sinnvolle Produktion und Arbeit gibt und zugleich die Klimaziele eingehalten werden, wäre eine Mammutaufgabe, die neben öffentlicher Verschuldung auch eine massive Vermögensbesteuerung erfordern würde und bei der Marktmechanismen und private Unternehmen nur noch eine untergeordnete Rolle spielen würden.
Die tiefe Krise der Automobilindustrie zeigt, dass die Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze nur mit einem massiven Umbau bis zur Konversion einzelner Industriebereiche erhalten und ökologisch sinnvoll transformiert werden können. Doch von einer in diesem Sinne transformativen Industriepolitik ist der politische Mainstream in Deutschland (inklusive der Grünen) weit entfernt. Die von den Grünen so breitschultrig herausgehandelten 8,3 Milliarden Euro pro Jahr für den KTF sind da eher ein schlechter Witz. Es ist die Aufgabe der Linken, die neue Legitimierung des Schuldenmachens gemeinsam mit Beschäftigten, Gewerkschaften und dem zivilgesellschaftlichen Ökosystem für progressive Wirtschaftspolitik zu nutzen. Mittelfristiges Ziel muss ein noch ambitionierteres Investitionsvorhaben für den radikalen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft sein, das auch ein Gegenmodell zur Kriegskonversion bilden kann.
Kürzungspolitik kommt trotzdem
Klar ist: Die Einigung von CDU und SPD stellt höhere Militärausgaben über alles andere. Dafür wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz umgeschrieben. Die «Infrastruktur» – wobei unklar ist, was damit gemeint ist und wer am Ende profitiert – steht an zweiter Stelle. An letzter Stelle stehen Sozialausgaben. Für sie gilt weiterhin die Schuldenbremse im Grundgesetz. Dementsprechend wird das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abgeschafft, während gleichzeitig die Unternehmenssteuern gesenkt werden.
Auch wenn sich die Koalition auf eine umfangreichere Reform der Schuldenbremse einigen sollte, ändert das nichts daran, dass Schwarz-Rot eine autoritäre politische Verschiebung fortführt, bei der soziale und ökologische Ziele der «Kriegstüchtigkeit» des Militärs und der Profitabilität der Wirtschaft untergeordnet werden. Während der Bundeswehr Milliarden hinterhergeworfen werden, wird Bürgergeldempfänger*innen das Nötigste gekürzt. Widerstand gegen Kürzungsvorschläge zu organisieren, wird eine zentrale Aufgabe der gesellschaftlichen Linken in den nächsten Monaten und Jahren sein.
Kommt eine umfassende Reform der Schuldenbremse?
Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD auf die Einrichtung einer Expertenkommission geeinigt, die einen Vorschlag für eine «Modernisierung» der Schuldenbremse erarbeiten soll. «Auf dieser Grundlage wollen wir die Gesetzgebung Ende 2025 abschließen», heißt es im Koalitionsvertrag.
«Expertenkommission» klingt jedoch verdächtig nach Verschleppungstaktik. Der noch immer nicht umgesetzte Volksentscheid über die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen in Berlin macht deutlich, wozu die Mühlen der parlamentarischen Demokratie fähig sind. Es ist gut möglich, dass CDU und SPD durch eine einseitig besetzte Expertenkommission einen konservativen Reformvorschlag erarbeiten wollen, mit dem sie Die Linke unter Druck setzen – wenn das Reformvorhaben dann platzt, würde diese ihrer «staatspolitischen Verantwortung» nicht gerecht.
Es ist gut, dass Die Linke die umfassende Reform der Schuldenbremse zu einem zentralen Thema macht und diese mit einer Kritik an einseitiger Aufrüstung und sozialer Kürzungspolitik verbindet. Die tatsächliche Reform der Schuldenbremse und auch schon die Besetzung der Expertenkommission werden eine wichtige Rolle in den kommenden Auseinandersetzungen einnehmen.
Worauf es jetzt ankommt
- Aufrüstung ablehnen: Die geplanten gigantischen Militärausgaben, denen auch die Grünen nicht widersprechen, binden reale Ressourcen, die für den Umbau der Wirtschaft, die für eine langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen und den Kampf gegen die Klimakatastrophe gebraucht werden. Die Aufrüstungs-Milliarden sind sicherheitspolitisch nicht notwendig. Gebraucht werden stattdessen eine stärkere europäische Koordination und die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie.
- Höhere Investitionen fordern und diese gezielt steuern: Für die Sicherung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft sind weitaus höhere Investitionen notwendig, die auch durch Vermögensbesteuerung finanziert werden müssen. Öffentliche Investitionen müssen an ökologische und soziale Kriterien gebunden werden oder direkt zu öffentlichem Eigentum führen.
- Kürzungen und Steuersenkungen abwehren: Trotz höherer Schuldenaufnahme gibt es Steuergeschenke für Unternehmen und Superreiche, bei gleichzeitigen Kürzungen im Sozialbereich. Hier gilt es, Widerstand zu organisieren und die Legitimationskrise der Austeritätspolitik sichtbar zu machen.
- Umfassende Reform der Schuldenbremse einfordern: Die angekündigte Expertenkommission darf nicht zur Verschleppungstaktik werden. Die Schuldenbremse muss für alle Investitionen abgeschafft werden. Auch die künstliche Trennung zwischen vermeintlich «konsumtiven» und «investiven» Ausgaben muss hinterfragt werden.
- Öffentliche Debatte verschieben: Die Frage ist nicht mehr «Dürfen wir Schulden machen?», sondern: «Wem dienen sie?» Statt Milliarden in Rüstung zu pumpen, muss die Debatte auf Klimagerechtigkeit, soziale Sicherheit und öffentliche Daseinsvorsorge zentrieren.