
«Auch die Wahl in Berlin wurde gestohlen.»
David Broder ist Europa-Redakteur für Jacobin und Historiker der kommunistischen Bewegungen Frankreichs und Italiens.
Die Erkenntnis, dass die Wahl in Deutschland vom 23. Februar nicht zu einer Regierungsbeteiligung der extrem rechten Alternative für Deutschland (AfD) führen würde, sorgte bei manchen italienischen Konservativen für Entrüstung. Beispielhaft zeigt sich dies in einem Artikel in La Verità, in dem der Herausgeber dieses rechtsgerichteten Boulevardblatts, Maurizio Belpietro, darüber klagte, dass die stärkste Partei im ehemaligen Ostdeutschland durch «eine unsichtbare Barriere»— wenn auch nicht die «3,6 Meter hohe Mauer» von damals — von der Regierungsbank ferngehalten würde. Der italienische Autor und Think-Tank-Chef Francesco Giubilei, der enge Verbindungen zur Regierung von Giorgia Meloni und zum «national-konservativen» Milieu in den USA pflegt, wandte sich direkt an Friedrich Merz: «Statt ein Bündnis mit den Sozialisten einzugehen, die Deutschland zerstört haben, sollte [die CDU/CSU] lieber ein rechtes Bündnis mit der AfD eingehen. Die gemeinsamen Anliegen: Freiheit, ‹keine Grünen›, Einwanderungsstopp.»
Während Meloni ihrerseits das Wahlergebnis der AfD nicht kommentierte, bezeichnete Matteo Salvini, der stellvertretende Ministerpräsident und Vorsitzende der migrationsfeindlichen Lega, die knapp 21 Prozent für die AfD als «ein Votum für Hoffnung, für die Zukunft». Zudem kritisierte er eine mögliche Koalition zwischen den beiden Parteien der Mitte, bei der die Sozialdemokraten «an ihren Posten [im Kabinett] kleben bleiben, als ob nichts geschehen wäre». Die Brandmauer gegen die AfD betrachtete er als zum Scheitern verurteilt. Nicht zuletzt empfahl er den Patrioten für Europa (seiner Fraktion im Europäischen Parlament, der auch Marine Le Pens Rassemblement National angehört), die Beziehungen zur AfD zu intensivieren.
Solche Aufrufe spiegeln eine Idee wider, über die vor den EU-Wahlen im vergangenen Juni heftig spekuliert wurde: über die Schaffung einer «Allianz rechter Kräfte», zumindest auf EU-Ebene; ähnlich derjenigen, die derzeit Italien regiert. Die italienische Allianz entstand erstmals 1994, als der Milliardär und spätere Ministerpräsident Silvio Berlusconi ein Bündnis mit der Lega und der postfaschistischen Partei (die heute als Melonis Fratelli d’Italia neu gegründet wurde) schmiedete. Im Ausland erklären häufig migrationsfeindliche und unternehmensfreundliche Nationalist*innen wie die Französin Marion Maréchal, die sich nicht einem Populismus vom Typ «Weder rechts noch links» verpflichtet fühlen, dieses langwährende Bündnis zwischen den drei rechten Parteien in Italien zum Vorbild.
Während die AfD früher immer wieder ein Referendum über den EU-Austritt forderte, legt sie heute einen stärkeren Fokus auf eine Neuausrichtung der Union, bei der die Nationalstaaten einen Teil ihrer Macht zurückerhalten würden.
Kurz vor der Bundestagswahl äußerte Giubilei in einem Radiointerview die Ansicht, dass die AfD weder eine traditionell konservative Partei sei noch den Regierungsparteien in Italien ähnele (er beschrieb sie als «in vielerlei Hinsicht post-ideologisch»). Und doch zielten seine Überlegungen darauf ab, dass die Koalitionsbildung in Deutschland einem ähnlichen Muster wie in Italien folgen sollte. Dennoch klang Belpietros Behauptung einer «gestohlenen Wahl in Berlin» reichlich deplatziert angesichts der Tatsache, dass Merz bereits im Vorfeld der Wahl eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hatte – und das, obwohl beide Parteien erst kürzlich gemeinsam für einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik gestimmt hatten.
Allerdings lässt sich an diesen positiven Bezugnahmen auf die AfD eine Veränderung der Wahrnehmung der Partei durch ihre Gegenparts im Ausland feststellen, oder zumindest in deren öffentlichem Umgang mit der Partei. Noch während ihrer siegreichen Wahlkampagne 2022 betonte Meloni ihre «transatlantisch orientierte» Außenpolitik – einschließlich einer Zusammenarbeit mit der Biden-Regierung und einer Unterstützung derer Ukraine-Hilfen – und erhielt in diesem Zuge Lob von Zeitungen wie der Washington Post und der Londoner Times für ihre konformistische Zurückhaltung auf diesem Gebiet.
Es war ihre Distanzierung von Kräften, die als zu nachsichtig gegenüber Wladimir Putin galten – womit hauptsächlich die AfD gemeint war –, die oftmals dazu führte, dass Melonis Partei im Umfeld des respektablen Mainstreams situiert wurde, was ihr Außenminister (und der Vorsitzende von Forza Italia) Antonio Tajani sowie dessen Verbündete auf europäischer Ebene bestärkten, etwa Ursula von der Leyen und Manfred Weber. Es waren diese beiden, die vor den EU-Wahlen vom Juni 2024 betonten, dass sie ausschließlich mit Kräften zusammenarbeiten würden, die «für den Rechtsstaat, für Europa und für die Ukraine» seien: ja zu Meloni, nein zur AfD. Selbst der französische Rassemblement National machte bei diesem Spiel mit, als er seine frühere Kritik an der NATO beiseite wischte und, unmittelbar vor den EU-Wahlen, seine Allianz mit der AfD aufkündigte. Die Parteiführer*innen, Marine Le Pen und Jordan Bardella, schienen dem Rat des Unternehmers Alain Minc zu folgen, mehr wie Meloni zu sein und bei den Themen ausgeglichener Haushalt und transatlantische Außenpolitik auf den «Kreis der Vernünftigen» «zu hören».
Alternative für Europa?
Ist die Ausgrenzung der AfD jetzt passé, weil sie bei der Wahl 20,8 Prozent errungen hat? Nicht unbedingt. Nicola Procaccini, die Vorsitzende von Melonis Gruppe im Europäischen Parlament, sagte Deutschland Jahre der Instabilität voraus, weil «das kohärenteste Bündnis, welches zu vielen der internen Probleme – wie Einwanderung, Sicherheit und Wirtschaft –, eine gemeinsame Vision hätte, so gut wie unmöglich ist», womit sie einen Pakt zwischen CDU-Chef Merz und der AfD meinte. Procaccini kritisierte die «Brandmauer» und betonte, dass Merz sehr viel weiter rechts stehe als seine Vorgängerin Angela Merkel. Sie bezweifelte jedoch, dass es zu einer Verständigung kommen werde. «Ein Dialog mit der AfD ist unmöglich, nicht so sehr wegen der Frage persönlicher Rechte, wo sie sehr offen sind, sondern wegen ihrer internationalen Positionen.» Die «Begeisterung» der deutschen Partei für den «Putin von heute» – das Wort «heute» soll dabei in Erinnerung rufen, dass Meloni noch vor einigen Jahren den Putin von «gestern» anpries – «macht es unmöglich, mit ihnen einen gemeinsamen Weg einzuschlagen».
Der italienische Vizeminister für auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit Edmondo Cirielli, der auch Melonis Partei angehört, wählte eine leicht andere Herangehensweise: Die christdemokratische Partei solle die AfD «institutionalisieren», indem sie diese entweder in die Regierung aufnehme oder ihr zumindest als Opposition auf Augenhöhe begegne, anstatt so zu tun, als ob ihre Basis aus «6 Millionen Nazis» bestehe. Zur Frage der internationalen Beziehungen warf Cirielli zudem ein, dass die Position von Donald Trump dabei behilflich sein könne, den Konflikt zwischen verschiedenen Teilen der Rechten zu überwinden.
Uns droht also womöglich genau das, wovor viele europäischen Staats- und Regierungschefs warnen: der Zusammenbruch der ukrainischen Front oder zumindest eine Situation, bei der Kyjiw gezwungen wird, in einem von der Trump-Regierung ausgehandelten Abkommen massiven territorialen Zugeständnissen zuzustimmen.
Wenn führende Mitglieder der Europäischen Volkspartei wie von der Leyen bislang eine proeuropäische und transatlantische Haltung zum Maßstab für die Unterscheidung zwischen Verbündeten und Gegner*innen erhoben haben – wie steht es heute um diesen Ansatz? Jenseits von Italien stehen sowohl in Schweden als auch in Finnland Mitte-Rechts-Parteien an der Spitze der Regierungen, und zwar gestützt durch rechte Parteien, die ihre NATO-Ablehnung abgelegt und ihre Euro-Skepsis mittlerweile in mehrdeutigen Begriffen verpackt haben. Ein Aspekt der EU-Wahlen 2024, dem nicht hinreichend Aufmerksamkeit geschenkt wurde, war die Tatsache, dass im Vergleich zu 2019 oder auch 2014 kaum noch Parteien antraten, die zum Austritt ihrer Länder aus der EU aufriefen.
Während die AfD früher immer wieder ein Referendum über den EU-Austritt forderte, legt sie heute einen stärkeren Fokus auf eine Neuausrichtung der Union, bei der die Nationalstaaten einen Teil ihrer Macht zurückerhalten würden: eine «europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft» statt einer föderalen Union. Das Wahlprogramm der Fratelli d’Italia von 2024 – das verfasst wurde, als Meloni bereits eine der zentralen Figuren in der EU-Politik war – präsentierte die Wahl dreist als Entscheidung zwischen einem «Superstaat im Stile der Sowjetunion» und der Neuorientierung hin zu einer «europäischen Konföderation» von «starken Nationen». Einmal in hohe Ämter gelangt, machen extrem rechte Parteien regelmäßig Gebrauch von dieser Art vager Versprechungen. Wer diese Masche bereits kennt, mag sich fragen, wie viel davon wirklich unabdingbar ist, damit der AfD eine führende Rolle zugedacht wird. Klar ist hingegen, dass die AfD angesichts der gewichtigen Rolle Deutschlands in der EU ein weit größeres disruptives Potenzial besitzt als seine italienischen Gegenparts.
Weniger grün, mehr Waffen
Am Abend der Bundestagswahl sprach Merz davon, dass es «fünf vor Zwölf» für Europa und daher notwendig sei, «Europa so schnell wie möglich zu stärken, um Unabhängigkeit von den USA zu erreichen». Die meisten Kommentare verstanden dies als Forderung nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben und als Zeichen dafür, dass die neue Bundesregierung zu diesem Zweck die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse lockern könnte. Schließlich stand nicht nur die US-Militärhilfe für die Ukraine in Frage, sondern auch Washingtons politische Solidarität mit seinen europäischen Partnern. Eine Woche zuvor hatte US-Vizepräsident JD Vance den europäischen Staaten auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeworfen, die freie Meinungsäußerung mit Füßen zu treten, weshalb sie nicht länger auf die Verteidigung durch die USA zählen könnten. Teil dieser Rede war auch eine scharfe Kritik an der sogenannten Brandmauer, mit der die AfD von jeglicher Regierungsverantwortung abgehalten wird.
Die Partei wird fast einhellig so dargestellt, als ob sie sich einer Aufrüstung Deutschlands entgegenstellen würde – ein Bild, das insbesondere auf ihrer Ablehnung von Waffenlieferungen an Kyjiw, ihrer Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland und der wiederholten Aussage fußt, dass vor den ukrainischen Verteidigungsausgaben zunächst die deutschen Energierechnungen beglichen werden müssten. Es scheint daher nahe zu liegen, dass die Partei ihre Position zur Schuldenbremse von solchen Fragen abhängig machen könnte, um weitere Unzufriedenheit mit der Regierung zu schüren. Allerdings forderte die AfD bereits 2017 eine Stärkung der europäischen Säule der NATO (wenn auch den «deutschen Interessen» untergeordnet), und das AfD-Wahlprogramm von 2025 betont die Bedeutung der NATO bis zur erhofften Schaffung eines «unabhängigen und handlungsfähigen europäischen Militärbündnisses». Der Fokus auf eine «interessenbasierte» Außenpolitik sowie auf bessere Beziehungen zu Russland und China sind offensichtlich Ausdruck einer Aversion gegenüber dem liberalen Internationalismus. Der Aufruf zu Frieden spielte in der AfD-Kampagne eine zentrale Rolle. Es ist allerdings weniger klar, dass dies per se mit einer grundsätzlichen Abneigung gegen eine Erhöhung der Militärausgaben einhergeht.
Das von Trump eingeleitete Ende der Hilfen für Kyjiw sowie die scheinbar geringen Chancen der Ukraine, den Kampf nur mit Hilfe von EU-Staaten bestreiten zu können, könnten die Fragestellung enorm verändern. Uns droht also womöglich genau das, wovor viele europäischen Staats- und Regierungschefs warnen: der Zusammenbruch der ukrainischen Front oder zumindest eine Situation, bei der Kyjiw gezwungen wird, in einem von der Trump-Regierung ausgehandelten Abkommen massiven territorialen Zugeständnissen zuzustimmen. Doch selbst, wenn das passiert und die Kämpfe beendet werden, könnte es dennoch – mit Verzögerung – zu der von denselben Politiker*innen vorgeschlagenen Lösung kommen: nämlich einer drastischen Steigerung der Verteidigungsausgaben.
Für extrem rechte Kräfte, die bereits in Regierungsverantwortung sind , kann eine militärische Neuaufstellung Europas sicherlich eine attraktive Perspektive darstellen.
Diese werden kaum die fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), von denen Trump sprach, erreichen (mehr als das Dreifache der bisherigen europäischen Ausgaben). Doch mit dem Versprechen mehrerer europäischer NATO-Mitglieder, die Militärausgaben rapide zu erhöhen – von den baltischen Staaten bis zu neuen NATO-Mitgliedern in Skandinavien, ganz zu schweigen von der britischen Labour-Regierung (die versprach, Gelder aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit umzuschichten) – scheint der Trend bereits festzustehen.
Es bleiben allerdings noch viele Fragen offen: Werden die europäischen Staaten von US-Anbietern kaufen, oder werden die EU-Staaten neue Produktionskapazitäten aufbauen, wie es der letzte Draghi-Bericht des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank zur Wettbewerbsfähigkeit der EU nahelegt? Kann dieses Projekt aus EU-Mitteln und durch eine gemeinsame Schuldenaufnahme finanziert werden, oder wird es von erbsenzählenden Nationalist*innen der wohlhabenderen Mitgliedstaaten torpediert? Immerhin wurde die AfD von Personen gegründet, die eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme ablehnten. Und impliziert eine Stärkung des europäischen NATO-Flügels die Schaffung einer echten EU-Armee, oder soll sie letzten Endes nur die jeweiligen nationalen Armeen und ihre gemeinsame Koordination stärken?
Hier kommen unweigerlich weitergehende Fragen hinsichtlich des Föderalismus und der Autonomie der einzelnen Staaten ins Spiel. Das Thema sollte aber weder als Nullsummenspiel zwischen Nettobeitragszahler*innen zum EU-Haushalt und Empfänger*innen ausgetragen, noch entsprechend der Logik von Projekten wie dem Europäischen Grünen Deal umgesetzt werden, da extrem rechte Parteien die dabei geplanten EU-Ausgaben in Höhe von einer Billion Euro grundsätzlich ablehnen. Trumps Druck auf die europäischen Staaten, mehr für die Verteidigung auszugeben, eröffnet paradoxerweise eine Chance, die Schnittmenge der Interessen wahrzunehmen – trotz unterschiedlicher Positionen zum Thema Ukraine – zwischen liberal-internationalistischen Kräften, die für eine stärkere strategische Autonomie Europas eintreten, und nationalistischen Parteien, die die Vorteile eines militärischen Keynesianismus sehen, einschließlich der damit verbundenen Reindustrialisierung.
Selbst Parteien, die den Green Deal ablehnten, und jene, die in der Post-2008-Ära behaupteten, die EU verschwende Steuereinnahmen für die Unterstützung der Sozialsysteme in Südeuropa (wie die AfD oder die Partei für die Freiheit von Geert Wilders in den Niederlanden), könnten ihre Haltung zu einer gemeinsamen Schuldenaufnahme für spezifisch militärische Zwecke ändern. Man nehme das Beispiel des französischen Rassemblement National, der vor der Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 eine Steigerung der französischen Verteidigungsausgaben von 41 auf 55 Milliarden Euro forderte. Vor Kurzem veröffentlichte dessen Parteivorsitzender Bardella einen offenen Brief, in dem er zu einem Bündnis rechter Kräfte in der EU aufrief, um den Green Deal zu begraben und der Wirtschaft größeren Gestaltungsfreiraum zu verschaffen. Der Aufbau neuer Kapazitäten der Rüstungsindustrie könnte sich als weit effizienteres ideologisches Banner erweisen, um ein breites Spektrum an rechten Parteien zusammenzubringen, die gemeinsam eine Schuldenaufnahme auf europäischer Ebene unterstützen, ohne diesen offenbaren «Föderalismus» auf alle Themen anwenden oder gar damit eine EU-Armee meinen zu müssen.
Zeiten der Veränderung
Die Selbstdarstellung der AfD als «Friedenspartei» und ihre häufige Beschreibung in den Medien als «Kreml-freundlich» verweisen auf die Bedeutung, die ihre Positionen in der Ukrainefrage für ihre Wählerschaft haben. Teile der Rechten, dazu zählt auch Trump, sind bestrebt, die Beziehungen zu Russland zu verbessern, um sich stattdessen auf eine Konfrontation mit China konzentrieren zu können. Die AfD hingegen spricht davon, die Beziehungen zu Peking zu verbessern. Dabei sollen deutsche Interessen allerdings weiterhin Vorrang haben.
Doch weder solche Positionen noch die Orientierung am freien Markt oder die rechts-libertären, Milei-artigen Anwandlungen bedeuten, dass die Partei Staatsinterventionismus und staatliche Ausgaben per se ablehnt, am allerwenigsten im militärischen Bereich. In ihrem Wahlprogramm von 2025 drückte die AfD ihre inbrünstige Bewunderung für die Bundeswehr und ihre «besten Traditionen» aus. Dabei handelte es sich nicht allein um ein rhetorisches Hochhalten von «militärischem Liedgut und Brauchtum» sowie der «soldatischen Haltung und Tugenden in der Öffentlichkeit», sondern auch um die Forderung nach einer Rückkehr zur Wehrpflicht und einer bedeutenden Erhöhung der Finanzmittel für die Bundeswehr.
Auf dem Januar-Kongress der AfD wollte Tino-Chrupalla, der Ko-Vorsitzende der Partei, die Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht aus dem Programm streichen, doch 70 Prozent der Delegierten stimmten dagegen. Entsprechend fand sich im Wahlprogramm folgende Passage: «Die deutschen Streitkräfte sind nicht verteidigungsfähig. Mit der im Februar 2022 ausgerufenen ‹Zeitenwende› wurde das auch von der Bundesregierung anerkannt. Trotzdem bleiben die erforderlichen Maßnahmen für den Wiederaufbau der Bundeswehr aus. Aufgrund der chronischen Unterfinanzierung über Jahrzehnte, sowie der fortlaufenden Abgabe von einsatzfähigem Material und Waffensystemen aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine und der Dauerbelastung der Truppe durch die Ausbildung von ukrainischen Soldaten, befinden sich die deutschen Streitkräfte in einem desolaten Zustand.» Die Lösung: die Hilfen für die Ukraine zurückschrauben und stattdessen die Finanzierung und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr stärken.
Für extrem rechte Kräfte, die bereits in Regierungsverantwortung sind – dies gilt insbesondere für Fratelli d’Italia –, kann eine militärische Neuaufstellung Europas sicherlich eine attraktive Perspektive darstellen, nicht zuletzt deswegen, weil die Gelder, die für den Aufbau nach der Coronapandemie gedacht waren und Italien in den letzten Jahren ein bescheidenes Wirtschaftswachstum bescherten, inzwischen zur Neige gehen. Die Rechten sprechen von einer Stärkung der Armeen Europas, sind allerdings skeptischer, wenn es um eine europäische Armee geht. Angesichts ihrer bereits vollzogenen Einbindung in die Führung der EU ist es jedoch längst an der Zeit, dass Kommentator*innen aufhören, Meloni als «isoliert in Europa» oder als Verfechterin einer allgemeinen «Euroskepsis» darzustellen, die mit einer Fundamentalopposition gegen Projekte auf EU-Ebene einhergehen würde. Wie viele ihrer europäischen Schwesterparteien distanziert sich auch ihre Partei bei ausgewählten Themen stark von gemeinschaftlichen Lösungsansätzen (insbesondere bei der Energiewende), während sie bei anderen durchaus zur Zusammenarbeit bereit ist.
Generell lässt sich feststellen, dass einstige Brexit-Befürworter*innen wie Fratelli d’Italia oder die Partei für die Freiheit von Geert Wilders heute davon sprechen, Europa selbst, von innen heraus, zu verändern – oder wie Bardella es ausdrückt: Sie müssen nicht länger austreten, denn «wer kurz vor dem Gewinn steht, muss den Verhandlungstisch nicht verlassen». Stattdessen setzt die extreme Rechte mittlerweile in mancherlei Hinsicht eigene Akzente, etwa wenn von der Leyen die Pläne der italienischen Ministerpräsidentin unterstützt, den Grenzschutz in Nicht-EU-Staaten in Nordafrika oder nach Albanien auszulagern – Pläne, die mittlerweile sogar von linksliberalen Parteien übernommen werden. Selbst Parteien mit einer offensichtlichen nationalistischen Ausrichtung können Maßnahmen vorschlagen, die von der EU im Namen der europäischen Solidarität umgesetzt werden sollen und eher den ausschließenden Charakter des Europäisch-Seins betonen als dessen Verbindung zu einer aufgeklärten Weltoffenheit.
Selbst Parteien, die des Öfteren Kampagnen gegen die Bürokratie in Brüssel führten, machen eine Ausnahme, wenn es um den Ausbau der militärischen Zusammenarbeit in Europa geht.
Ihre Ausrichtung an der Außenpolitik von Joe Biden, von der Ukraine bis Israel, dient Meloni und Co. seit 2022 als Kernelement ihrer Außendarstellung als stabile und kompetente Kraft an der Spitze des Landes. Sicherlich beruhigte dieser Ansatz Politiker*innen der italienischen Mitte, die der Regierung vor allem bei ihrer internationalen Positionierung auf die Finger schauten. Darüber hinaus erntete Meloni in Washington dafür Beifall, sowohl Gegenstimmen von rechts als auch von pazifistischer Seite zurückgedrängt zu haben.
Die neue Trump-Regierung hat jedoch alles auf den Kopf gestellt. US-Zölle auf Importe aus der EU könnte Volkswirtschaften wie Italien treffen, und zwar unabhängig von ideologischen Übereinstimmungen zwischen den aktuellen Regierungen in Rom und Washington oder geteilten Positionen zum «Kulturkampf». Zudem wurde das Konzept der von Liberalen so gerne genutzten Unterscheidung zwischen «transatlantischen» und «pro-russischen» Teilen der Rechten mit der Trump-Regierung offensichtlich aus den Angeln gehoben. Konkret waren es einige seiner wichtigsten Vertreter (Elon Musk, JD Vance und zu einem gewissen Maße Marco Rubio), die diese Unterscheidung obsolet werden ließen, als sie europäische Konservative an den Pranger stellten, die die AfD ausgrenzen.
Gewiss gibt es in Europa Politiker*innen, die dezidiert für eine aktivere Rolle der EU im Ukraine-Krieg eintreten – allen voran Emmanuel Macron, der gar die Entsendung europäischer Truppen fordert – sowie andere, insbesondere Meloni, die unverblümt sagen, dass der US-Regierung die Hauptrolle beim Abschluss eines Abkommens zukomme. Selbst nach dem öffentlichen Zwist zwischen Wolodymyr Selenskyj und Trump am 28. Februar blieb die Position der italienischen Ministerpräsidentin unverändert: Sie besteht weiterhin darauf, dass die Staats- und Regierungschefs der EU den Dialog mit dem US-Präsidenten suchen müssten. Angesichts Europas offenkundiger Führungsschwäche bei der Gestaltung des Konfliktausgangs ist jedoch unklar, ob diese unterschiedlichen Positionen zu einem von außen diktierten Friedensabkommen eine dauerhafte Spaltung in der EU-Politik bewirken werden – eine Spaltung, die klar zwischen dem hegemonialen Lager des Blocks und jenen anderen Akteur*innen unterscheiden würde, die leicht als Kreml-freundliche Extremist*innen abgestempelt werden können.
In der Tat trennen die unterschiedlichen Haltungen der CDU/CSU und der AfD zur Ukraine die beiden Parteien voneinander. Und angesichts der Wahrscheinlichkeit einer Koalition zweier Parteien der Mitte ist es leicht vorstellbar, dass die deutsche Rechte von der Oppositionsbank aus jede Chance nutzen wird, in ihre Entscheidungen hineinzugrätschen. Ihr Bemühen, sich selbst als «Friedenspartei» von den anderen abzuheben, kann sehr gut dazu führen, dass sie sich gegen jeden Versuch einer Lockerung der Schuldenbremse stellen wird. Aktuell zieht sich die US-Regierung schrittweise aus ihrem seit dem Zweiten Weltkrieg währenden militärischen Schutz des Kontinents zurück. Die Vorstellung, dass Europa angesichts dessen endlich dazu gezwungen sei, auf eigenen Beinen zu stehen, sollte jedoch nicht voreilig als Anlass für eine Wiederbelebung liberal-internationalistischer Werte gedeutet werden, die in den Augen einiger einen Schutzwall gegen Europas eigene extrem rechte und Trumpsche Parteien darstellen.
Die ersten Versuche zur Etablierung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in den 1950er Jahren scheiterten am französischen Parlament, wo sie sowohl die Kommunist*innen ablehnten, denen die Logik des Kalten Krieges nicht behagte, als auch die Gaullist*innen, die dadurch ihr Konzept einer französischen Autonomie gefährdet sahen. Die Truman- und Eisenhower-Regierungen strebten ein Europa an, das unter Washingtons Ägide seine Verteidigung in die eigenen Hände nehmen würde. Damals beharrte Charles de Gaulle allerdings darauf, dass es erst dann eine europäische Armee geben könne, wenn «Europa» als «politische, ökonomische, finanzielle, administrative und, insbesondere, moralische Realität» existiere; ein Europa, das auf die Loyalität seiner Subjekte zählen könne, und «falls nötig, ein Europa, für das Millionen zu sterben bereit sind».
Die EU von 2025 genügt einem solche Standard offensichtlich nicht. Aber selbst Parteien, die des Öfteren Kampagnen gegen die Bürokratie in Brüssel führten, machen eine Ausnahme, wenn es um den Ausbau der militärischen Zusammenarbeit in Europa geht. Procaccini drückte es so aus: «Wir waren stets der Meinung, dass sich die Europäische Union nicht in alles einmischen sollte, mit Ausnahme einiger weniger wichtiger Punkte. Die gemeinsame Verteidigung europäischer Grenzen und Interessen ist eines der wenigen Dinge, für die die EU nützlich ist – und wie!»
Übersetzung von Sebastian Landsberger und Claire Schmartz für Gegensatz Translation Collective.