
Das Sammeln von Beweisen ist entscheidend: Es gilt, ihre Organisationen, Projekte, sozialen Medien, Websites, Printmedien, Sitzungen und Veranstaltungen zu dokumentieren. Gute Notizen sind wichtig, ebenso wie Screenshots von allem, denn es lässt sich nie vorhersagen, was sich später als nützlich erweisen wird.
—Spencer Sunshine, 40 Ways to Fight Fascists
Wissen ist Macht. Um eine Bedrohung zu bekämpfen und zu unterminieren, muss zunächst ihr Wesen verstanden werden, d. h. ihr Ursprung und ihr Weg. Dies gilt insbesondere, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Kräften entgegenzutreten, die versuchen, eine autoritäre Herrschaft durchzusetzen, Grundrechte zu verweigern oder zur Faschisierung beitragen.
Bjørn Ihler ist geschäftsführender Direktor und Mitbegründer des Khalifa-Ihler-Instituts. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Prävention einer Radikalisierung hin zu einem gewalttätigen Extremismus. Grundlage seiner Arbeit sind Maßnahmen zur Förderung gesünderer Gemeinschaften im Internet und darüber hinaus.
Forschungen zu flächendeckenden Beobachtungen von rechtsextremen Gruppen waren schon immer Schlüsselelemente des antifaschistischen Aktivismus. Umfangreiches und möglichst lückenloses Monitoring hat zu wirksamen Widerstandsstrategien gegen vor allem lokale rechtsextreme Organisationen geführt. Forschung und Monitoring haben zu kreativen Kampagnen beigetragen, um die Organisation von faschistischen und neonazistischen Veranstaltungen und Aufmärschen zu untergraben. Zudem haben sie auch Gegenaktionen angeregt, die verschiedene Gemeinschaften in ihrem Widerstand gegen faschistische Aktivitäten zusammenbringen.
Meine Arbeit zur Vorbeugung und Bekämpfung des Rechtsextremismus beruht zu einem großen Teil auf Beobachtungsmaßnahmen. Dazu gehören unsere von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte Initiative Antifascist Europe und die Bemühungen des Khalifa-Ihler-Instituts im Rahmen der Global Hate Map, die in diesem Frühjahr neu aufgelegt wird.
Kartierungen und Untersuchungen rechtsextremer Netzwerke, die von meiner Spionageabwehrfirma Revontulet durchgeführt wurden, haben auch zu bedeutenden Maßnahmen seitens des privaten Sektors, der Strafverfolgungsbehörden und zivilgesellschaftlicher Organisationen beigetragen. Unsere Arbeit hat mitgeholfen, Terroranschläge zu verhindern, die Verbreitung faschistischer, neonazistischer und rechtsextremer Propaganda einzuschränken und Online-Gruppen und Netzwerke zu zerschlagen, die neue Mitglieder für rechtsextreme Gruppen rekrutieren.
Monitoring hat viele Formen und dient unterschiedlichen Zwecken. Jede diesbezügliche Strategie hängt unweigerlich von dem gewünschten Ergebnis und den spezifischen Details der Zielgruppe ab. Bei der Durchführung solcher Arbeiten ist es wichtig, die örtlichen Datenschutzgesetze, die ethischen Erwägungen der beteiligten Organisationen (z.B. akademische Einrichtungen und Stiftungen), sowie die operative Sicherheit für alle Beteiligten, Kolleg:innen und Verbündete zu berücksichtigen.
Warum Monitoring?
Ursprünglich habe ich mit meiner Monitoringarbeit begonnen, um die internationalen Verbindungen von rechtsextremen Terroristen besser zu verstehen. Bei der Betrachtung von Fällen aus der ganzen Welt wurde deutlich, dass diese Terroristen — weiße Täter mit Ideologien, die im klassischen Faschismus, Neonazismus, weißer Vorherrschaft und Islamophobie verwurzelt sind — in Europa, Nordamerika und Ozeanien größtenteils nicht wegen Terrorismus belangt wurden. Dagegen wurden Täter, die in Europa Anschläge verübten und deren ideologische Wurzeln im islamistischen Extremismus oder in familiären Beziehungen in Nordafrika oder im Nahen Osten lagen (die oft über Generationen zurückreichen), routinemäßig als Terroristen bezeichnet und verfolgt. Als Verfechter der Maxime, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind empfand ich die Tatsache, dass einige ideologisch motivierte Täter als Terroristen verfolgt wurden, andere hingegen nicht als große Ungerechtigkeit.
Die Strategien für jede Monitoringmaßnahme müssen sich an den Zielen und dem Umfang des Monitorings sowie an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren.
Nach Rücksprache mit Rechtsexperten wurde deutlich, dass der Grund für die Ungleichheit bei der Strafverfolgung darin lag, dass die Terrorismusgesetze in vielen Ländern den Inlandsterrorismus nicht berücksichtigten. Um Taten als Terrorismus zu verfolgen, mussten sich die Staatsanwälte daher auf die Fähigkeit der Ermittler stützen, «internationale Verbindungen» nachzuweisen und zu belegen, dass die Täter auf sinnvolle Weise Teil globaler Netzwerke waren. Bei Anschlägen, zu denen sich der so genannte Islamische Staat oder Al-Qaida bekannte, war dies einfach, bei Anschlägen, die von Einzelpersonen verübt wurden, die häufig (und in der Regel fälschlicherweise) als «einsame Wölfe» bezeichnet wurden, jedoch schwieriger.
So begab ich mich auf die Suche nach jenen internationalen Netzwerken, deren Teil diese «einsamen Wölfe» in Wirklichkeit Teil waren; ich begann Informationen darüber zu sammeln, wie sie sich gegenseitig zu ihren Aktionen inspirierten und ihre Aktivitäten koordinierten. Mein Ziel war es, sowohl die Strafverfolgung zu unterstützen als auch die öffentliche Wahrnehmung dieser Täter weg von der individualisierenden «einsamer Wolf»-Theorie hin zu den Mitgliedern umfassender Netzwerke, die sie tatsächlich sind, zu verändern. Dieses Ziel bildete die Grundlage für unsere Bemühungen, mithilfe der Global Hate Map und Antifascist Europe die transnationalen rechtsextremen Netzwerke auf dem gesamten europäischen Kontinent zu verstehen.
Antifascist Europe
Dieses Ziel lag auch von Beginn an der Konzeption von Antifascist Europe zugrunde, das eine gesamteuropäische Perspektive einnimmt und versucht, nationale rechtsextreme und faschistische Akteure in der internationalen, insbesondere europäischen politischen Landschaft einzuordnen.
Es gibt viele Formen der Beobachtung, und die Ziele sind unterschiedlich. Die Konzeption einer guten Beobachtungsmaßnahme hängt von den allgemeinen Zielen und Vorgaben ab. Wenn das Ziel darin besteht, die Aktivitäten lokaler Neonazi-Kundgebungen zu dokumentieren, um Gegenproteste durchzuführen, erfordert dies einen anderen Ansatz als das, was wir bei unseren Bemühungen um ein Verständnis transnationaler Netzwerke verfolgt haben.
Da wir versuchen, transnationale Netzwerke zu beobachten, lag der Schwerpunkt unserer Bemühungen im Rahmen von Antifascist Europe auf der Dokumentation größerer Veranstaltungen und Treffen, die internationale Unterstützer anziehen. Dies hat es uns ermöglicht, die engen Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren der europäischen extremen Rechten besser zu verstehen, wie sie trotz ihrer nationalistischen Ziele als transnationale Akteure agieren.
Lokale Sprach- und Kulturkenntnisse stellen eine große Herausforderung für internationale Monitoringmaßnahmen dar. Für die Durchführung unseres transnationalen Monitorings sind wir daher auf ein breites Netzwerk von Personen mit lokalem Fachwissen angewiesen. Bei der Konzeption unseres Projekts haben wir uns daher weitgehend auf die Koordinierung von Monitoring auf nationaler und regionaler Ebene und die Standardisierung der Informationserfassung konzentriert, um eine effektive Kommunikation der Ergebnisse, Datenvisualisierungen usw. zu ermöglichen.
Über die Strafverfolgung hinaus ist unsere Beobachtung zu einem zentralen Element für das Verständnis der Wahlpolitik, der internationalen Einflussnahme und der Intrigen der parlamentarischen Versammlungen auf nationaler und europäischer Ebene geworden. So hat sich auch das Ziel unseres Monitorings seit Beginn des Projekts weiterentwickelt.
Beim Monitoring ist es daher wichtig zu wissen, welche Ziele verfolgt werden sollen. Das Schlüsselelement ist ein gemeinsames Verständnis darüber, wofür und von wem die gesammelten Informationen verwendet werden sollen. Dies ist wichtig für die Gestaltung des Ansatzes, des Schwerpunkts und der Nachweise, auf die sich die Aufmerksamkeit richten sollte.
Wichtig ist auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit, die intellektuelle Bereitschaft, sich von den Informationen leiten zu lassen, den teilweise dynamischen Entwicklungen der spezifischen politischen Landschaft nachzuspüren damit bestenfalls auch neue, zu Beginn möglicher Weise unbekannte Interessengruppen Nutzen aus der Dokumentation ziehen können.
Strategisch denken, umsichtig handeln
Die Strategien für jede Monitoringmaßnahme müssen sich an den Zielen und dem Umfang des Monitorings sowie an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren. Bei der Hate Map liegt unser Schwerpunkt auf Offline-Veranstaltungen. Das erfordert eine andere Herangehensweise als die Arbeit von Antifascist Europe, die sich auf die Dokumentation transnationaler Netzwerke in Europa konzentriert, hauptsächlich durch die Linse klassischer Versammlungen und -Veranstaltungen. Unsere Arbeit bei Revontulet konzentriert sich hingegen weitgehend auf die Beobachtung von Online-Netzwerken und deren Beziehung zu Online-Aktivitäten und -Netzwerken. Jede dieser Bemühungen ist mit unterschiedlichen Ressourcen, Netzwerken, Freiwilligen, Ermittler:innen und Organisationen verbunden, was zu unterschiedlichen Ansätzen und Ergebnissen führt.
Die Beobachtung der Aktivitäten einer lokalen Neonazi-Gruppe, die Dokumentation ihrer Aktivitäten, ihres Vandalismus, ihrer Gewalt und ihrer Einschüchterungsversuche erfordert physische Präsenz. In den organisierten antifaschistischen Netzwerken gibt es eine lange Tradition der Dokumentation von Neonazi-Kundgebungen, Graffitis und Aufklebern sowie deren Beseitigung. Solche Bemühungen sind von entscheidender Bedeutung wenn es darum geht, Menschen für die Verbreitung rechtsextremer Hetze zur Rechenschaft zu ziehen und zu zeigen, dass Faschist:innen und Neonazis in unserer Gesellschaft unerwünscht sind.
Während langfristige Ziele und eine strategische Positionierung hilfreich sind, um Proteste und Kundgebungen auf der Straße zu dokumentieren, kann auch die Dokumentation von Provokationen und Gewalt, die mit Handys gefilmt wurden, in einigen Fällen sehr wertvoll sein, da sie «näher am Geschehen»genutzt werden können, um Ton- und Filmaufnahmen zu machen die später als Beweismaterialien in der Medienberichterstattung oder bei Gerichtsverfahren gegen Nazi-Schläger verwendet werden können.
Die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zum eigenen Schutz ist bei allen Monitoringmaßnahmen oberste Priorität.
Bei der Dokumentation von Offline-Veranstaltungen für die Hate Map stützen wir uns häufig auf die lokale Medienberichterstattung oder fotografische Belege, die von lokalen Antifaschist:innen und Aktivistengemeinschaften zur Verfügung gestellt werden. Bei der Dokumentation internationaler Zusammenarbeiten, Treffen und Netzwerke für Antifascist Europe sind unsere Informationsquellen zudem häufig bestehende Social-Media-Profile rechtsextremer Organisationen. Bei der jüngsten Berichterstattung über die Beziehungen zwischen der britischen Homeland Party und der Alternative für Deutschland (AfD) stützten wir uns zum Beispiel teilweise auf Beiträge, die von der Homeland Party auf ihren offiziellen Social-Media-Profilen veröffentlicht wurden. In ähnlicher Weise wurde die jüngste Berichterstattung über die Beziehung zwischen amerikanischen Konservativen und russischen Ideologen durch Aktivitäten auf deren eigenen Social-Media-Kanälen unterstützt.
Wenn auf Aussagen zurückgegriffen wird, die direkt von rechtsextremen Akteuren veröffentlicht werden, müssen zwei Dinge im Auge behalten werden. Erstens sollte vermieden werden, zum Sprachrohr der Gegner zu werden — es gilt, nicht die Aufmerksamkeit auf deren Plattformen zu lenken oder unbeabsichtigt zur algorithmischen Förderung ihrer Botschaften beizutragen indem direkt auf Inhalte verlinkt wird. Zweitens ist eine gehörige Portion Skepsis angebracht, denn wir haben es zumeist mit eher unzuverlässigen Erzähler:innen zu tun. Kritisches Denken und ein Verständnis für die Absicht und die Ziele von Nachrichten (die wahrheitsgetreu oder nicht wahrheitsgetreu sein können) sind wertvolle Hilfsmittel bei der Beurteilung des Wertes und der strategischen Gestaltung von Materialien, die diese Akteure über sich selbst verbreiten.
Online-Monitoring kann viele Formen annehmen, von der Nutzung öffentlicher Inhalte über die Aktivitäten und Treffen von Akteuren, die wir für unsere Berichterstattung über Antifascist Europe verwenden, bis hin zur Infiltration extremistischer Netzwerke über verschlüsselte Kanäle. Das Erlernen der Grundsätze von Open-Source-Intelligenz, z. B. aus dem Buch Deep Dive von Rae Baker, ist ungemein wertvoll. Es ist auch wertvoll, sich mit dem «Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations» (erhältlich in allen UN-Sprachen) vertraut zu machen. Dieses Protokoll legt die Standards für die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen fest, bietet aber auch nützliche Richtlinien für die Bewahrung digitaler Beweise für antifaschistische Monitoringmaßnahmen im Internet an.
Die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zum eigenen Schutz ist bei allen Monitoringmaßnahmen oberste Priorität. Beim Online-Monitoring ist es unumgänglich, sich über die digitale Betriebssicherheit zu informieren und gegebenenfalls virtuelle private Netzwerke, virtuelle Maschinen und andere Tools zu nutzen. Organisationen wie die «Electronic Frontier Foundation» haben Ressourcen zur Selbstverteidigung gegen Monitoring herausgegeben, die nützliche Tipps enthalten, wie man sich sowohl vor den Gruppen, die überwacht werden, als auch vor anderen schützen kann, die möglicherweise auf Daten und die zur Kommunikation verwendeten Tools und Dienste zugreifen.
Monitoring ist für den Widerstand gegen die extreme Rechte und die schleichende Faschisierung unerlässlich. Ohne Wissen ist es unmöglich, sich zu wehren und die Aktivitäten derjenigen zu untergraben, die versuchen, eine faschistische Agenda zu fördern. Es gibt kein Patentrezept für die Durchführung eines wirksamen Monitorings, aber Kenntnisse über Ziele und die zur Verfügung stehenden Ressourcen sind von unschätzbarem Wert für die Festlegung des Ansatzes.
Übersetzung von Franziska Albrecht.