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Wir leben in bewegten Zeiten. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA hat die ohnehin schon stark in Bewegung geratenen geopolitischen Verhältnisse noch einmal nachhaltig verändert: Der Welthandel ist durch die US-amerikanischen Zolldrohungen beeinträchtigt, die transatlantische Partnerschaft zwischen den USA und der Europäischen Union nahezu aufgekündigt und mit Russland soll ein Pakt zur Beendigung des Ukrainekriegs geschlossen werden, um sich dann ganz auf den Systemrivalen China konzentrieren zu können. Das alles hat erhebliche Auswirkungen auf Europa und gerade auch auf die Bundesrepublik Deutschland. Deren wirtschaftliche und vor allem industrielle Entwicklung ist bedroht. Hinzu kommen die durch die Klimakrise verursachten ökologischen Herausforderungen, die eine grundlegende Umstellung der Produktion notwendig machen.
Heinz Bierbaum ist Vorstandsvorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Krise der deutschen Industrie und blockierte Transformation
Deutschland selbst befindet sich in erheblichen Schwierigkeiten – ökonomisch, sozial und politisch. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert. Faktisch handelt es sich um eine Rezession. Das Modell Deutschland ist in der Krise. Seine materielle Basis, nämlich eine starke und auf den Export ausgerichtete Industrie, ist brüchig geworden. Dies gilt besonders für das Herzstück der deutschen Industrie, die Autoindustrie. Alle großen deutschen Automobilkonzerne wie VW, Mercedes oder BMW verzeichnen Umsatz- und Gewinnrückgänge. Die angekündigten Werksschließungen und die Aufkündigung der Beschäftigungssicherung bei VW sind emblematisch. Zwar konnten diese Maßnahmen letztlich durch einen von Streiks begleiteten Tarifabschluss verhindert werden. Doch die Beschäftigten zahlen die Zeche, wurde doch eine Arbeitskosteneinsparung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr vereinbart. Audi hat den Abbau von 7.500 Stellen angekündigt. Dazu wird es auch bei den anderen Autofirmen kommen. Noch schlimmer ist die Lage bei den Automobilzulieferern, die angesichts der Umstellung auf Elektroautos vor einer ungewissen Zukunft stehen.
Dabei kommt der Umstieg auf Elektromobilität nur schleppend voran. Die Unternehmen haben aus kurzsichtigen Profitgründen viel zu lange an der Produktion von großen Verbrennerautos festgehalten, wobei vor allem China ein schier unerschöpflicher Markt schien. Das hat sich gründlich gewandelt. Inzwischen produziert China in hohem Maße für den eigenen Markt und exportiert selbst Elektroautos. Die notwendige ökologische Transformation wird also durch die Unternehmen selbst blockiert, es fehlt aber auch an ausreichender politischer Unterstützung. Dies betrifft vor allem die mangelhafte Infrastruktur. Ob der jetzt beschlossene milliardenschwere Fonds für Infrastruktur, der nun auch der Bekämpfung des Klimawandels dienen soll, für eine wesentliche Besserung sorgen wird, ist abzuwarten. Vor allem fehlt es an einer aktiven und klar orientierenden Industriepolitik. Stattdessen fährt die Politik einen Zickzackkurs, indem sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene das Verbot von Verbrennermotoren gelockert werden soll. Dies ist nicht nur umweltschädlich, sondern auch äußerst kurzsichtig, da es die Beschäftigung in denjenigen Unternehmen bedroht, die eine solche Umstellung bereits vorgenommen haben.
Gerade in Zeiten der Krise ist eine offensive und autonome Gewerkschaftspolitik notwendig.
Auch beim Stahl kommt die ökologische Umstellung trotz Subventionen nicht so recht voran, da es an ausreichend grünem Wasserstoff fehlt. Die von der neuen Regierung geplante Senkung des Industriestrompreises, die auch von den Gewerkschaften gefordert wird, stellt eine gewisse Entlastung dar. Denn die hohen Energiepreise sind einer der größten Wettbewerbsnachteile der deutschen Industrie.
Beschäftigte zahlen die Zeche
Die industrielle Entwicklung stockt und es besteht das Risiko der Deindustrialisierung. Die Unternehmen reagieren darauf mit Kostensenkungsprogrammen zulasten der Beschäftigten und mit vermehrter Abwanderung ins Ausland. Auch der Transformationsprozess geht mit Verlagerungen ins Ausland einher. Und im Rahmen kapitalistischer Konkurrenz verläuft der Prozess der Umstellung widersprüchlich und oft genug zulasten der Beschäftigten. Exemplarisch steht dafür die Schließung des Ford-Werks in Saarlouis mit über 4.000 Beschäftigten. Es fiel der Konkurrenz um den neuen Produktionsstandort für das Elektroauto zum Opfer, da Ford sich für das spanische Valencia und eben nicht für Saarlouis entschied. Freilich ist auch die Zukunft des Werkes in Valencia keineswegs sicher.
Gegen diese Politik ist gewerkschaftsseitig Widerstand gefordert. So hat die IG Metall unter dem Motto «Zukunft statt Kahlschlag!» eine große Kampagne für Investitionen und eine bessere Infrastruktur und gegen Arbeitsplatzvernichtung, Standortschließungen und Verlagerungen ins Ausland gestartet und am 15. März 2025 gut besuchte Großkundgebungen durchgeführt. Es gilt, den betrieblichen Widerstand zu intensivieren und ihn mit betriebsübergreifenden industriepolitischen Maßnahmen zu verbinden. Die zu leistende Transformation betrifft nicht nur die ökologische Umstellung, sondern auch die Arbeit selbst, etwa die Organisation von Arbeitsprozessen durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Industriepolitik kann sich nicht in Subventionen oder Kaufanreizen für Elektroautos erschöpfen, sondern muss den notwendigen Transformationsprozessen Orientierung und Perspektive bieten. Die von den Gewerkschaften mitinitiierten Transformationsagenturen sind dafür ein wichtiges Instrument. Sie begleiten betriebliche Maßnahmen wie etwa Qualifizierungen und greifen strukturpolitisch ein. Gefordert ist eine regionale Strukturpolitik, die industrielle Diversifizierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Bereichen vorsieht, in denen Arbeitsplätze im Rahmen von Umstrukturierungen wegfallen.
In Bezug auf die Autoindustrie sind Mobilitätskonzepte erforderlich, die sich nicht auf das Auto konzentrieren, sondern auch öffentliche Transportkonzepte vorsehen. Es geht um «Just Transition» – einen Übergang, der soziale Gerechtigkeit in die Energiewende einbezieht. Und dies erfordert die direkte Einbindung der Gewerkschaften und der Beschäftigten selbst in diese Prozesse. Nur wenn die betriebliche Mitbestimmung ausgeweitet wird, können die Beschäftigten die Anlage und Ausrichtung der Unternehmenspolitik tatsächlich beeinflussen.
Militarisierung widerspricht gewerkschaftlichen Werten
Die Gewerkschaften kommen auch von anderer Seite unter Druck. Die von Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene «Zeitenwende» hat eine umfassende Militarisierung zur Folge. Zum einen ist damit eine gewaltige Aufrüstung verbunden. So beschlossen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine grenzenlose Erhöhung der Militärausgaben. Zum anderen durchdringt die Militarisierung die gesamte Gesellschaft: Die Bevölkerung soll auf einen Krieg vorbereitet werden. Davon sind wesentlich auch die Gewerkschaften betroffen.
Die Gewerkschaften befinden sich im Abwehrkampf.
Deren Reaktion ist widersprüchlich: Einerseits wird daran festgehalten, dass Gewerkschaften dem Frieden und der Abrüstung verpflichtet sind. Andererseits setzt sich nur eine Minderheit kritisch mit dem Militarisierungskurs auseinander beziehungsweise lehnt ihn ab. Die Mehrheit steht diesem Kurs eher passiv oder gar unterstützend gegenüber, etwa indem der Ausbau der Rüstungsindustrie befürwortet wird. Zugleich gilt die Aufrüstung als Ausweg aus der industriellen Krise. So wurden ein Werk des Autozulieferers Continental von der Rüstungsfirma Rheinmetall und das Waggonwerk von Alstom in Görlitz vom Panzerbauer KNDS übernommen. Zwar werden damit Arbeitsplätze gerettet, doch gleichzeitig stellen sich grundsätzliche Fragen. Denn die Ausrichtung auf Kriegswirtschaft widerspricht der Friedensorientierung der Gewerkschaften. Von Konversion – der Umstellung von Rüstungs- auf zivile Produktion –, die einmal zur Tradition der IG Metall gehörte, ist kaum noch die Rede. Umso wichtiger sind deshalb die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und von Teilen der Gewerkschaften organisierten Konferenzen zum Thema Frieden. Ohnehin bietet die Stiftung mir den «Streikkonferenzen» eine wichtige Plattform für die gewerkschaftspolitische Diskussion.
Es braucht eine offensive und autonome Gewerkschaftspolitik
Die Gewerkschaften befinden sich im Abwehrkampf. Auch dafür sind die Vorgänge bei Volkswagen exemplarisch. VW steht in hohem Maße für das auf Korporatismus basierende System industrieller Beziehungen in Deutschland. Eine Niederlage (die hier gerade noch abgewendet wurde) ginge an die Substanz der Gewerkschaft.
Gleichzeitig häufen sich die Angriffe auf Arbeitsrechte. Dies zeigen die Auseinandersetzungen sowohl um das Recht auf Streik als auch um das Recht auf Mitbestimmung. So beklagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), Unternehmen ignorierten rechtswidrig Gesetze, und auch in Großunternehmen gerate die Mitbestimmung unter Druck. Hinzu kommen Forderungen von Unternehmensverbänden nach längeren und flexibleren Arbeitszeiten sowie der Erhöhung des Rentenalters, die von konservativer politischer Seite unterstützt werden.
Die Gewerkschaften sind also gefordert. Fatal wäre es, wenn sie in alter Verbundenheit mit der Sozialdemokratie sich defensiv anpassen würden. Gerade in Zeiten der Krise ist eine offensive und autonome Gewerkschaftspolitik notwendig.