
Foto: Fran Freeman
Von den 1980er bis in die 2020er Jahre befand sich die britische Arbeiter*innenbewegung im Niedergang.
Grace Blakeley ist Mitarbeiterin des Tribune Magazine und Autorin von Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des Sozialismus (Klett-Cotta, 2025).
Als Margaret Thatcher 1979 an die Macht kam, stand die Gewerkschaftsbewegung auf ihrem Höhepunkt. Arbeiter*innen hatten bewiesen, dass sie die Wirtschaft lahmlegen und Zugeständnisse von Unternehmen und Politik erzwingen konnten. Thatcher machte es sich zur Aufgabe, sie in die Schranken zu weisen – mit drakonischen gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen, einer absichtlich herbeigeführten Rezession, die drei Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit schickte, und dem gezielten Einsatz staatlicher Gewalt gegen Streikende.
Diese Offensive zeigte Wirkung: Die Gewerkschaften verloren in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich an Einfluss – sowohl absolut als auch relativ. 1979 erreichte die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder mit 13 Millionen ihren Höchststand. Bis 2017 war sie auf 6,2 Millionen gefallen, was nur noch 23,2 Prozent der Beschäftigten entsprach.
Mit dem Mitgliederschwund schwenkten die etablierten Gewerkschaften auf einen zunehmend konservativen Kurs um. Sie konzentrierten sich weniger darauf, neue Mitglieder zu gewinnen und höhere Löhne zu erstreiten, sondern boten vor allem Dienstleistungen wie Rechtsberatung und Versicherungen an. Es etablierte sich der Konsens, dass neue Branchen wie die Gig-Economy ohnehin nicht organisierbar seien.
Doch 2017 schien sich allmählich etwas zu ändern: Der Mitgliederschwund stoppte – und die Zahlen zogen sogar leicht an. Ein Grund dafür war das Erstarken der britischen Linken und der massive Zulauf der Labour Party unter Jeremy Corbyn. Viele der neuen Labour-Mitglieder traten auch Gewerkschaften bei.
Organizer*innen versuchten, die Arbeiter*innenbewegung wieder kämpferischer und radikaler aufzustellen, um die Basis für ein sozialistisches Wahlprojekt zu legen. Sie organisierten sogar Branchen, in denen Gewerkschaften zuvor kaum Fuß fassen konnten. So kam es zu Streiks bei Unternehmen wie McDonald’s und Deliveroo.
Doch mit dem Scheitern des Corbynismus und dem Beginn der Pandemie platzten diese Hoffnungen. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Arbeit im Homeoffice erschwerte neue Streiks – und die Gewerkschaftsmitgliedschaften gingen erneut zurück.
Zweite Chance
Die Krise der steigenden Lebenshaltungskosten bot der geschwächten Gewerkschaftsbewegung jedoch eine neue Gelegenheit, ihre Relevanz unter Beweis zu stellen. Seit 2022 nehmen Arbeitskämpfe und die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder wieder zu. Doch viele der großen Gewerkschaften stecken nach wie vor in der Service-Rolle fest, in die sie ab den 1980ern gedrängt wurden.
Die Gewerkschaften erholen sich zwar langsam, aber ihre Arbeit wird von den eigenen Mitgliedern oft nicht als Teil eines sozialistischen Projekts gesehen. Die meisten großen Gewerkschaften unterstützen Keir Starmers Labour-Regierung, obwohl er seine Wahlsprechen hinsichtlich der Rechte der Arbeitnehmer*innen nicht einlöst. Und viele Gewerkschaftsmitglieder haben sogar dezidiert gewerkschaftsfeindliche Parteien wie die Tories oder Reform UK gewählt.#
Im 20. Jahrhundert war die Arbeiter*innenbewegung eine sehr mächtige Kraft in der Gesellschaft. Ein großer Teil dieser Stärke kam von einem Netzwerk aus Bildungsinstitutionen für die Arbeiterklasse.
Vor diesem Hintergrund hat das Londoner Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein neues Schulungsprogramm für Gewerkschafter*innen entwickelt: Worker’s Power – Organise to Win! Das Programm verbindet strategisches Training mit historisch-politischer Bildung über die Bedeutung der Arbeiter*innenbewegung mit dem Ziel, Gewerkschaftsmitglieder zu politisieren.
Die Initiative orientiert sich am Erfolg eines anderen Projekts der Stiftung: Organizing for Power (O4P). Das Online-Trainingsprogramm wurde gemeinsam mit der renommierten Organizerin und Strategin Jane McAlevey entwickelt, die im vergangenen Jahr gestorben ist. In den ersten fünf Jahren wurden über 40.000 Organizer*innen aus 115 Ländern in McAleveys bewährtem Ansatz geschult.
Angesichts dieses Erfolgs sah die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Chance, ein ähnliches Programm speziell für die britische Gewerkschaftsbewegung aufzubauen. Seit dem Start Ende 2023 hat es sich als fruchtbarer Raum etabliert, um die Traditionen der Arbeiter*innenbewegung weiterzutragen – und dabei neue Ideen und frische Begeisterung zu wecken.
Organizing to Win
Kürzlich habe ich mich mit den Organizer*innen Joe Beswick und Deborah Hermanns zusammengesetzt, die dieses Programm leiten, und mit ihnen über die Idee hinter dem Projekt gesprochen. Joe erklärt: «Wir leben in einem System, das an allen Ecken und Enden bröckelt, und viele Menschen suchen nach Alternativen. Warum aber geht mit dem Aufstieg der radikalen Rechten nicht auch eine erstarkende, selbstbewusste Linke einher? Ein Teil der Antwort liegt unserer Meinung nach in einem Mangel an politischer Bildung.»
Das Problem bestehe nicht darin, dass Gewerkschaften generell zu wenig Schulungen anbieten. Die meisten großen Gewerkschaften hätten inzwischen ein solides Angebot, um Mitglieder stärker in die Gewerkschaftsarbeit einzubinden. Es fehle aber, wie Joe es nennt, an «materialistischer Bildung» – an Kursen zur politischen Ökonomie oder zur Geschichte der Arbeiter*innenbewegung.
«Es gibt zwar einige tolle Initiativen, aber sie sind längst nicht flächendeckend verfügbar. Als ich damals bei Morrison’s anfing und in die Gewerkschaft eintrat, gab es jede Menge Schulungen – aber nichts in dieser Art. Es gab keinen Ort, an dem ich als Arbeiter verstehen konnte, wie die Wirtschaft aus unserer Perspektive funktioniert. Genau das wollten wir ändern.»
Das Konzept beruht teilweise auf dem Erfolg eines Bildungsprogramms der US-Gewerkschaft Communication Workers of America. Eine weitere Inspirationsquelle war die Geschichte der Arbeiter*innenbildung in Großbritannien. «Im 20. Jahrhundert war die Arbeiter*innenbewegung eine sehr mächtige Kraft in der Gesellschaft», sagt Joe. «Ein großer Teil dieser Stärke kam von einem Netzwerk aus Bildungsinstitutionen für die Arbeiterklasse. Einiges lief über die Gewerkschaften, aber es gab auch unabhängige Bibliotheken und Arbeiterbildungszentren.»
Wie mein Großvater wohl bestätigen würde, sieht die Lage heute ganz anders aus. «Seit 40 Jahren ist die Gewerkschaftsbewegung massiv geschwächt – und mit ihr auch die Strukturen der Arbeiter*innenbildung», sagt Joe. «Wir versuchen, das wiederzubeleben.»
Arbeit gegen Kapital
Wie funktioniert das konkret?
«Uns war es wichtig, eine Analyse der Gegebenheiten mit praxisnahem Organizing-Training zu verbinden», erklärt mir Deborah. «Wir wollten keine Schulung anbieten, die den Leuten nur vor Augen führt, wie schlimm alles ist – sie sollten auch die Werkzeuge an die Hand bekommen, um etwas zu verändern.»
Zuerst geht es um die wirtschaftliche und politische Geschichte der letzten hundert Jahre. «Wir zeigen auf, wie sich die Wirtschaft im Laufe der Zeit verändert hat und was das für die Arbeiter*innenklasse bedeutet», sagt Deborah. «Die Teilnehmer*innen sollen mit Begriffen wie ‹Neoliberalismus› oder ‹Austerität› vertraut werden. Gleichzeitig vermittelt das Programm die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung. Am Ende sollen die Leute begreifen: Die Arbeiter*innenklasse ist eine der beiden mächtigsten Kräfte in dieser Welt – und sie sind ein Teil davon.»
Der zweite Teil des Kurses dreht sich darum, dieses Wissen in konkretes Organizing umzusetzen. «Wir bringen den Leuten bei, wie sie im Betrieb wirkungsvolle Gespräche führen», erklärt Deborah. «Das kann bedeuten, eine Person vom Gewerkschaftsbeitritt zu überzeugen – aber auch, sie für zum Beispiel für eine Protestaktion zu mobilisieren.»
Unser Ansatz beruht darauf, dass man sich an viele Fakten nicht erinnert – aber sehr wohl daran, wie man sich gefühlt hat, als man sie gehört hat. Während des gesamten Kurses bauen wir eine Energie auf – eine Wut über die bestehenden Verhältnisse.
Zum Abschluss des Trainings entwickeln die Teilnehmer*innen gemeinsam einen Plan, wie sie das Gelernte umsetzen und die Bewegung weiter stärken können. «Manche setzen sich zum Ziel, in den nächsten sechs Wochen zehn neue Mitglieder zu gewinnen – und schreiben sich gleich die Namen der Leute auf, die sie ansprechen wollen.»
Ein zentraler Punkt des Programms ist auch der Aufbau von Beziehungen: Arbeiter*innen mit unterschiedlichen Hintergründen sollen einander besser verstehen. «Wenn wir am Ende zurückblicken und die Erfahrungen reflektieren, ist die Atmosphäre oft sehr emotional und energiegeladen», erzählt Deborah. «Manchmal fließen sogar Tränen. Es entsteht das Gefühl, dass alle gemeinsam eine transformative Entwicklung durchgemacht haben.»
Stärke aufbauen
Das Programm startete im November 2023 in enger Zusammenarbeit mit der Bäckereigewerkschaft. Die ersten Ergebnisse waren vielversprechend. «Nach vier Schulungen mit der Bakers’ Union – mit insgesamt vielleicht 50 bis 60 Teilnehmer*innen – hatten diese rund 300 neue Mitglieder geworben.»
Seitdem wurde das Training zehn weitere Male für fünf verschiedene Gewerkschaften angeboten. Für dieses Jahr sind mehr als zehn weitere Kurse geplant. Ich wollte von Joe und Deborah wissen, was sie sich für die Zukunft erhoffen.
«Unser Hauptziel ist es, den Leuten ein Gefühl der Stärke zu vermitteln. Sie sollen sich als Teil einer langen Tradition des Arbeitskampfs verstehen – einer Tradition, die in der Vergangenheit oft sehr erfolgreich war. Wir wollen die Sozialdemokratie nicht romantisieren, aber es ist beeindruckend, wie die Arbeiter*innenklasse es geschafft hat, sich von einer im frühen 20. Jahrhundert entrechteten Masse zu einer Bewegung zu entwickeln, die Errungenschaften wie den National Health Service (NHS) durchgesetzt hat.»
In dieser Hinsicht war der Kurs ziemlich erfolgreich. «Ein Teilnehmer von der Bakers’ Union war am Ende so engagiert, dass er tagelang alle möglichen Greggs-Bäckereien abgeklappert hat. Er hat wohl um die 50 Personen für die Gewerkschaft gewonnen. Ein junger Fabrikarbeiter hat auch am Kurs teilgenommen. Er war ziemlich schüchtern und hatte so etwas noch nie gemacht. Ein paar Monate später saß er im Bundesvorstand der Bakers’ Union.»
Ein weiteres zentrales Ziel des Programms besteht darin, Menschen zu erreichen, die sonst anfällig für rechtsextreme Ideologien wären. «Wir wenden uns auch an Gewerkschaftsmitglieder, die für den neuen, seltsamen Mix aus faschistischen Ideen und Verschwörungstheorien empfänglich sein könnten», sagt Joe.
«Wir sprechen das im Kurs ganz offen an. Wir thematisieren, dass das wichtigste Spaltungsinstrument der Herrschenden heute der Hass auf Migrant*innen ist. Und wir können mit gutem Gewissen sagen, dass unser Kurs dazu beigetragen hat, einige Personen gegen diese rechten Narrative zu immunisieren.»
Der Fokus liegt jetzt darauf, das Programm möglichst vielen Gewerkschaften zugänglich zu machen. Statt über die Funktionärsebene zu gehen, setzt das Team darauf, direkt mit den einfachen Mitgliedern zu arbeiten, damit diese in ihren Gewerkschaftsgruppen für das Training werben.
«Unser Ansatz beruht darauf, dass man sich an viele Fakten nicht erinnert – aber sehr wohl daran, wie man sich gefühlt hat, als man sie gehört hat. Während des gesamten Kurses bauen wir eine Energie auf – eine Wut über die bestehenden Verhältnisse. Aber wir lassen die Leute nicht damit allein: Sie bekommen Werkzeuge an die Hand, um ihre Gewerkschaften zu stärken, Diskussionen am Arbeitsplatz anzustoßen und sich als Teil der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung zu fühlen.»
Wenn Du in Großbritannien gewerkschaftlich organisiert bist und mehr über das Programm erfahren möchtest, melde Dich bei Deborah Hermanns: deborah.hermanns@rosalux.org. Übersetzung von André Hansen und Charlotte Thießen für Gegensatz Translation Collective.