
Schätzungen zufolge sollen in der Demokratischen Republik Kongo allein seit Anfang dieses Jahres über 7.000 Menschen getötet worden sein. Seit die 2012 gegründete und von Ruanda unterstützte «Bewegung des 23. März» (M23) ihren Feldzug Ende 2021 begann, haben die Kämpfe noch weit mehr Todesopfer gefordert.
Dabei scheint die Empathie mit den Opfern der letzten dreißig Jahre, die die Verleihung des Friedensnobelpreises 2018 an Denis Mukwege für sein Engagement gegen sexualisierte Gewalt als Mittel der Kriegführung begleitete, verloren gegangen zu sein. Die Welt schaut weg.
Katrin Voß leitet das Ostafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Daressalam.
Ausgelöst und angetrieben wird der Krieg von einer skrupellosen Gier nach Rohstoffen, Profit und Macht. Doch die Vielzahl der internen und externen Akteure hat ein kompliziertes Interessengeflecht geschaffen, das eine Lösung des Konflikts extrem schwierig gestaltet.
Die Ökonomie der Gewalt
Die DR Kongo wird von einer präsidialen Zentralregierung regiert, deren Einfluss in vielen Teilen des Landes sehr schwach ist. Die politische Elite in der Hauptstadt Kinshasa hat schon seit geraumer Zeit die Kontrolle über viele Provinzen und Kommunen verloren. Der seit 2018 amtierende Präsident, Félix Tshisekedi, hat sich mit diesem Zustand arrangiert und überlässt die von der Hauptstadt weit entfernt liegenden Provinzen sich selbst bzw. der Kontrolle lokaler Akteure.
Unter diesen Bedingungen hat sich im Osten des Kongo ein Klima des unkontrollierten Zugriffs auf die natürlichen Ressourcen verfestigt. Wirtschaft und Militär sind hier ganz eng miteinander verbunden. Schutzgeldzahlungen, ständig wechselnde Loyalitäten und neue Allianzen der insgesamt rund 100 bewaffnete Rebellengruppen prägen diese Ökonomie der Gewalt.
Um die enge Verzahnung von wirtschaftlichen Interessen und militarisierter Gewalt durchbrechen und der Bevölkerung Schutz bieten können, bedürfte es des entschlossenen Willens der kongolesischen Zentralregierung und durchsetzungsfähiger, loyaler Streitkräfte. Doch das kongolesische Militär, die Forces Armées de la République Démocratique du Congo (FARDC), ist keine staatsloyale Schutztruppe, sondern Teil des sich selbst bereichernden Systems, das von der Ausbeutung der Ressourcen, Korruption und Schutzgelderpressungen lebt. Die FARDC profitiert also selbst von einer Fortsetzung des Krieges und hat folglich kein Interesse daran, die Zentralgewalt zu stärken und den Konflikt zu beenden – schließlich würde sie sich auf diese Weise ihrer gewonnenen Privilegien und Einkommensquellen berauben. Sie ist Teil der mächtigen «Militärbourgeoisie in der Sicherheitsbranche», die von einer Korruption lebt, die eine schwache Zentralregierung voraussetzt. Insofern ist die Schwäche der FARDC durchaus gewollt.
Die Rolle Ruandas
Die Schwäche von Armee und Zentralregierung ist die Stärke der östlichen Nachbarn des Kongo. Dies gilt insbesondere für Ruanda, das in den letzten Jahrzehnten mehrfach ins Land einmarschierte und Rebellengruppen unterstützte. Dies hatte allerdings auch innenpolitische Gründe. Denn während des zweiten Kongokrieges 1998 hatten sich Truppen der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) der kongolesischen Armee angeschlossen. Die FDLR bestanden überwiegend aus Hutu, die vier Jahre zuvor den Völkermord in Ruanda begangen hatten, und waren vor den Angriffen der ruandischen Armee, der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), in das damalige Zaire geflohen.
Ruanda wirft den FDLR-Kämpfern vor, den Genozid zu leugnen und an der Ideologie festzuhalten, die diesem zugrunde lag. Verurteilt wird auch, dass die FDLR immer wieder Anschläge auf Ruanda verüben und gegen die Kinyarwanda-sprechende Bevölkerung vorgehen. Paul Kagame, der frühere Armeeführer und langjährige Präsident Ruandas, wirft der kongolesischen Zentralregierung in Kinshasa vor, die FDLR zu unterstützen.
In Ruanda gilt die FDLR seit langem als anhaltende Bedrohung des Friedens im Land. Denn die Traumatisierung durch den Genozid an den Tutsi und die Angst vor einem erneuten Ausbruch von Gewalt im eigenen Land sitzen tief. Hieran knüpft die Regierung in Kigali an, indem sie den Einsatz ruandischer Truppen auf dem Gebiet der DR Kongo mit dem Argument rechtfertigt, man müsse die Gefahr im Keim ersticken und deshalb auch außerhalb des Territoriums Ruandas kämpfen. Damit wolle man zugleich auch die von der FDLR bedrohten Kinyarwanda-sprechenden Kongoles*innen schützen.
Die von Kigali vorgetragenen Sicherheitsbedenken sind zumindest überhöht; die FDLR sind seit langem massiv geschwächt und längst keine echte Bedrohung mehr für Ruanda. Überdies gab es vor dem jüngsten Einmarsch kaum Indizien dafür, dass die Gewalt gegen Kinyarwanda-sprechende Kongoles*innen zugenommen hätte. Dennoch wird dieses Narrativ der Regierung von breiten Teilen der traumatisierten Bevölkerung Ruandas mitgetragen.
Die M23
Die Rebellengruppe M23 wurde 2011 – nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Joseph Kabila – von desertierenden, Kinyarwanda-sprechenden kongolesischen Offizieren und ehemaligen Partisanen der von Ruanda unterstützten Rebellenarmee gegründet. Die Kagame-Regierung bestreitet zwar, die M23 zu fördern, unterstützt sie in Wirklichkeit jedoch nicht nur logistisch, sondern auch mit Soldaten. Deren Zahl lag, Schätzungen der UNO zufolge, Anfang des Jahres bei 3.000 bis 4.000, dürfte sich aber nach der Einnahme der ostkongolesischen Städte Goma und Bukavu verdoppelt haben.
Die M23 hat sich inzwischen mit der im Dezember 2023 gegründeten militärischen Vereinigung Alliance Fleuve Congo (Allianz des Kongo-Stroms, AFC) verbündet. Diese agiert unter der Führung von Corneille Nangaa, einem international gesuchten Terroristen, der durch ein kongolesisches Gericht für seine Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt wurde. Der frühere Politiker leitete einst die unabhängige kongolesische nationale Wahlkommission (CENI). Nangaa behauptet heute, er habe dem amtierenden Präsidenten Tshisekedi damals durch Wahlmanipulation ins Amt gehievt, und erklärt seine heutige Abkehr vom Präsidenten so: «Wenn ich ein Monster kreiert habe, dann denke ich, dass es auch meine Aufgabe ist, es zu bekämpfen.» Nangaa und seinen Verbündeten haben ihr Ziel klar formuliert: Ihnen geht es darum, die Macht in Kinshasa zu übernehmen.
Derzeit rücken die von der AFC unterstützten M23-Rebellen weiter ins Landesinnere des Kongo vor. Nach der Besetzung der Städte Goma und Bukava in der Süd-Kivu-Provinz haben sie inzwischen auch die Stadt Walikale eingenommen und rücken nun auf die viertgrößte Stadt der DR Kongo, Kisangani, vor.
Ugandische Interessen
Während sich die öffentliche Wahrnehmung auf den Vormarsch der M23 und deren Unterstützung durch Ruanda fokussiert, festigt das nördliche Nachbarland Uganda relativ unbemerkt seine Einflussnahme in der Nordöstlichen Provinz Ituri. Die Streitkräfte der Ugandan Peoples Defence Forces (UPDF) unter der Führung von General Muhoozi Kainerugaba verzeichneten zuletzt ebenfalls große Landgewinne und nutzen diesen Moment, um die eigenen Truppen zu verstärken und ihre Einflussnahme in der Provinz zu verfestigen. Das Narrativ der militärischen Intervention gleicht dem Ruandas: Man benutzt einen vorhandenen ethnischen Konflikt zur Begründung der eigenen militärischen Einflussnahme. Es gelte, heißt es, das Land gegen die CODECO zu verteidigen. Zur Bekämpfung dieser und anderer Milizen, darunter auch die radikal-islamistischen Alliierten Demokratischen Kräfte (ADF), hatten Uganda und Burundi bereits 2021 eine gemeinsame Militäroperation eröffnet – was damals der ruandischen Regierung gar nicht behagte.
Dennoch ist auch hier die Lage komplizierter, als es den Anschein hat. Denn bei General Muhoozi handelt es sich um den Sohn des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni, der wiederum seit langem mit dem ruandischen Präsidenten Kagame verbunden ist. Der aus einer Flüchtlingsfamilie stammende Kagame kämpfte einst im ugandischen Bürgerkrieg an Musevenis Seite und war nach dessen Machtübernahme sogar Chef des militärischen Geheimdiensts. Später marschierte die von ihm geführte Miliz mit Unterstützung der ugandischen Streitkräfte siegreich in Ruanda ein.
Es gibt zwar auch Interessenunterschiede zwischen Museveni und Kagame, doch eine direkte militärische Konfrontation erscheint angesichts ihrer langen Verbundenheit als unwahrscheinlich. Auch dass die ugandische Armee gegen die M23 vorgehen wird, ist höchst zweifelhaft, solange diese die Unterstützung Ruandas genießt.
General Muhoozi reiste am 21. März zu einem geheimen Treffen mit Präsident Kagame und dessen höchsten Sicherheitsbeamten nach Ruanda. Darüber hinaus schlug er kürzlich vor, einen «Verteidigungspakt» zwischen Uganda und Ruanda abzuschließen. Die Gebietsansprüche der beiden Staaten im Osten des Landes scheinen bereits einvernehmlich aufgeteilt. Ähnliches gilt sehr wahrscheinlich für die südlicheren Regionen in der Grenznähe Burundis.
Die Kriegsökonomie
Der Osten Kongos ist extrem reich an unterschiedlichen Bodenschätzen. Es geht vor allem um Gold, Zinn, Coltan und Kobalt. Darüber hinaus bietet die Region überaus fruchtbare Ackerböden und einen großen Holzbestand.
Auch wenn die Bedeutung der Ausbeutung des Goldes in den letzten Jahren stark gestiegen ist: es sind nicht nur die natürlichen Ressourcen und die militärische Beteiligung am Minengeschäft, die diese Region wirtschaftlich so attraktiv machen. Einen Großteil ihrer Einnahmen generieren die Besatzer inzwischen durch eine Kriegswirtschaft aus Grenzkontrollen, Haushaltsteuern, landwirtschaftlicher Zwangsarbeit und Schutzgelderpressungen.
Allerdings ist der Umfang vor allem der Goldexporte Ugandas und Ruandas in den letzten Jahren stark angestiegen. Hiervon profitieren – neben den kongolesischen und ausländischen Militäreliten – auch multinationale Konzerne. Sie kontrollieren seit der wirtschaftlichen Liberalisierung – bzw. dem Ausverkauf der Schürfrechte Mitte der 2000er Jahre – weite Teile der kongolesischen Wirtschaft. Direkt für die Konflikte verantwortlich machen kann man diese Konzerne indes schwerlich, auch weil sich ihre Interessen in anderen Provinzen konzentrieren. Vielmehr hat sich die Gewaltökonomie im kongolesischen Osten weitgehend verselbstständigt.
Der Kreislauf der Gewaltökonomie ist schwer zu durchbrechen, auch weil ein internationaler Markt existiert, auf dem Rohstoffe aus der Konfliktregion Absatz finden.
Dort ist ein rechtsfreier Raum entstanden, der nun durch die Rebellen gefüllt wird. Die M23 hat in Goma und der Provinz Nord-Kivu eine parallele Verwaltung aufgebaut, einen Gouverneur, zwei Vize-Gouverneure und diverse Bürgermeister eingesetzt, die nun nach ihren Regeln regieren. Um diese Macht zu sichern, wird ein substanzieller Anteil der generierten Einnahmen in moderne Waffensysteme investiert.
Dieser Kreislauf der Gewaltökonomie ist schwer zu durchbrechen, auch weil ein internationaler Markt existiert, auf dem Rohstoffe aus der Konfliktregion Absatz finden. Dieser Handel bringt den Gewaltakteuren schnelles und vor allem bares Geld, das weder von der kongolesischen Zentralbank kontrolliert wird, noch internationalen Handelsstandards oder Zöllen unterliegt.
Keine Chance auf Frieden?
Seit dem Ausbruch der Konflikte gab es immer wieder Friedensgespräche, Waffenstillstandsabkommen, Entwaffnungen oder die Integration von Teilen der bewaffneten Gruppen in die kongolesische Armee. Bereits seit 1999 ist die UN-Friedensmission MONUSCO zum Schutz der Bevölkerung im Osten der DR Kongo stationiert. Hinzu kommt noch die Friedenstruppe der Staatengemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC), der etwa 5.000 Soldaten aus Tansania, Malawi und Südafrika angehören.
Aktuelle Bemühungen um Waffenstillstandsabkommen werden durchaus von vielen internationalen Akteuren unterstützt. So hatte Angola für den 18. März zu Gesprächen zwischen M23, DR Kongo und Ruanda eingeladen. Diese Gespräche wurden jedoch in der letzten Minute von M23 abgesagt. Der angolanische Staatschef, João Lourenço, der zurzeit auch Kommissionspräsident der Afrikanischen Union (AU) ist, hat die Vermittlungsversuche im Anschluss für gescheitert erklärt.
Solange aber die Akteure aus dem In- und Ausland aus dem Krieg Profit schlagen können, dürften alle Vermittlungsversuche aussichtslos bleiben.
Parallel zu dem geplanten Treffen in Angola fand auf Einladung des Emirs Katars, Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani, ein geheimes Treffen zwischen Tshisekedi und Kagame in Doha statt. Da Katar ein großer Investor in beiden Ländern ist, wurde viel Hoffnung in die Vermittlung des Wüstenstaates gesetzt. Was dort besprochen wurde, ist jedoch unklar; fest steht lediglich, dass keine spezifischen Konditionen für eine Feuerpause verhandelt wurden. Auch die SADC und die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) haben ein gemeinsames Gremium zur Vermittlung eines Friedensprozesses in der DR Kongo gebildet, das mit ehemaligen Präsidenten aus Nigeria, Südafrika, Zentralafrika, Äthiopien und Kenia prominent besetzt ist.
Und nicht zuletzt versucht auch US-Präsident Donald Trump, einen Teil vom Kuchen abzubekommen. Ähnlich wie mit Blick auf die Ukraine verhandeln seine Emissäre in Kinshasa über die Ausbeutung von Ressourcen im Gegenzug für ein vermeintliches Friedensversprechen.
Das Kernproblem des Dauerkonflikts wird jedoch nur schwer zu überwinden sein. Denn die Schwäche der kongolesischen Zentralregierung nützt allen am Krieg beteiligten Eliten – von Kinshasa über Kampala bis Kigali, von New York über Doha bis Schanghai. Solange aber die Akteure aus dem In- und Ausland aus dem Krieg Profit schlagen können, dürften alle Vermittlungsversuche aussichtslos bleiben. Erst wenn der Handel mit Ressourcen aus dem Kriegsgebiet substanziell erschwert wird, die ausländischen Akteure unter Druck gesetzt werden und die Regierung in Kinshasa ein ernsthaftes Interesse erkennen lässt, den Raubbau am eigenen Land und an der eigenen Bevölkerung beenden zu wollen, besteht Hoffnung auf Veränderung.