
Die spanische Linksregierung wollte in der Hochzeit der EU-weiten Inflationskrise einen Preisdeckel für eine Auswahl an Grundnahrungsmitteln einführen. Damit hat sie sich nicht durchsetzen können. So schrumpfte der Kampf gegen die Inflation auf Einmalzahlungen für einkommensarme Familien und auf eine Streichung der Mehrwertsteuer zusammen. Doch weil die Supermarktketten die Steuersenkung als Zusatzgewinn einstrichen, sind die Lebensmittelpreise hoch geblieben.
Mitte 2021 schlitterte Europa von einer Krise in die nächste. In jenem Sommer keimte nach mehr als einem Jahr Kampf gegen das Corona-Virus endlich wieder Hoffnung auf. Der Impfstoff war in ausreichender Menge vorhanden und der größte Schrecken der Pandemie schien überstanden. Doch schon zeichnete sich die nächste Notlage ab. Die Inflation, die mit der wirtschaftlichen Erholung einherging, sollte den ganzen Kontinent auf den Kopf stellen.
Die Politikwissenschaftlerin Laura Villadiego lebt und arbeitet als freie Journalistin in Spanien.
Spanien erlebte im Dezember 2021 durchschnittliche Preiserhöhungen von 6,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr – der höchste Wert seit Mai 1992. Im Juli 2022 stieg die Inflation auf 10,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr und erreichte damit den höchsten Wert seit den 1980er Jahren. Die hohen Energiepreise galten als Hauptgrund, doch auch die Lebensmittelpreise stiegen im Vergleich zu anderen Produkten überdurchschnittlich stark. Unverarbeitete Nahrungsmittel waren im Juli 2022 13,4 Prozent teurer als im Vorjahr, bei verarbeiteten Nahrungsmittel war die Teuerungsrate mit 11,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr kaum geringer.
«Der unkontrollierte Anstieg der Lebensmittelpreise war vor allem auf den Großhandel zurückzuführen», erklärt Manuel Lago Peñas, Abgeordneter des Linksbündnisses Sumar, der damals im Arbeitsministerium an Lösungen für die steigenden Lebensmittelpreise arbeitete.[*]
Eine linke Antwort auf die Preiskrise
Die spanische Regierung handelte schnell angesichts der Preiskrise. Damals war eine Linkskoalition aus der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und Unidas Podemos – einem Bündnis aus Izquierda Unida und Podemos, die sich zwei Jahre später zu Sumar zusammenschlossen – an der Macht. Die ersten Maßnahmen im September 2021 zielten auf den Strommarkt ab. Mit Steuersenkungen und einem neuen Preismodell für Strom sollten die Kosten für die Haushalte auf das Niveau von 2018 gesenkt werden. Doch mit dem Ukraine-Krieg ab Februar 2022 verschlechterte sich die Energie- und Lebensmittelversorgung in Europa und neue Maßnahmen wurden nötig.
Die wichtigste Maßnahme war der Gaspreisdeckel, den Spanien und Portugal als «iberische Ausnahme» der EU-Kommission abgerungen hatten. Damit begrenzten beide Länder den Gaspreis auf dem Energiegroßmarkt, der für die Preisbildung herangezogen wird. Das sorgte für niedrigere Stromrechnungen, da die Energiepreise durch den Gaspreis in die Höhe getrieben wurden. Einer Studie zufolge führte diese Deckelung «im Zeitraum der Maßnahme ab 15. Juni 2022 bis zum 31. August zu einer durchschnittlichen Verringerung der Stromrechnung der Verbraucher (mit regulierten Preisen) von 24 Prozent».
Darüber hinaus ergriff die spanische Regierung weitere Maßnahmen, vor allem in den Bereichen Energie und Verkehr. Eine davon war ein Preisdeckel für Butangas in Flaschen, die vor allem in den ländlichen Gebieten Spaniens weit verbreitet sind. Außerdem wurden Tankrabatte von 20 Cent pro Liter eingeführt. Andere Wirtschaftssektoren zogen nach und verringerten ihre Preiserhöhungen. Schließlich konnte Spanien im Juni 2023 als erstes Land der Eurozone seine Inflationsrate unter die von der Europäischen Zentralbank als optimal angesehene Marke von 2 Prozent senken. Doch während fast alle Wirtschaftsbereiche von den geringeren Strompreisen profitierten, zeigte das Maßnahmenpaket kaum Wirkungen auf die Lebensmittelpreise.
Gründe für die ungebremste Erhöhung der Lebensmittelpreise
Während die Energiepreise durch den Gaspreisdeckel zu sinken begannen, bis Dezember 2022 um ganze 22 Prozent, wurden die Lebensmittelpreise um 15,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht – der höchste Wert seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1994. Nach Angaben von Justicia Alimentaria (Ernährungsgerechtigkeit), einer Organisation, die sich für das Recht auf gesunde Ernährung einsetzt, bedeutete dies durchschnittliche Mehrkosten für Lebensmittel von monatlich 80 Euro pro Haushalt – in einem Land, in dem der gesetzliche Mindestlohn zu dieser Zeit bei 1.000 Euro pro Monat lag.
Die Lebensmittelpreise wurden noch mehrere Monate weiter erhöht und trugen zwischen September 2022 und Dezember 2023 durchschnittlich 2,9 Prozentpunkte zur Inflation bei, so eine Studie der Wirtschaftswissenschaftler Jorge Uxó, Eladio Febrero und Ignacio Álvarez. Demnach trugen Lebensmittelpreiserhöhungen in Spanien mit einem Anteil von 40 Prozent deutlich mehr zum Inflationsanstieg bei als die durchschnittlichen 27 Prozent in anderen europäischen Ländern. «Dies spiegelt den Preisanstieg bei den Produktionskosten im Primärsektor wider, der größtenteils an die Verbraucher weitergegeben wurde», heißt es in der Studie. Spanien ist einer der führenden Lebensmittelproduzenten Europas, insbesondere für Obst, Gemüse und Schweinefleisch. Der Lebensmittelsektor hat aufgrund der im europäischen Vergleich niedrigen Herstellungskosten einen Anteil von 18,4 Prozent an den spanischen Exporten.
Seitdem die Produktionskosten, insbesondere für Energie, wieder gefallen sind, stellt sich die Frage, welche Verantwortung Vertrieb und Einzelhandel für die hohen Preise tragen. «Ja, es gab einige strukturelle Faktoren im Agrarsektor, die die Preis steigen ließen, zum Beispiel die nach Russlands Überfall auf die Ukraine gestiegenen Düngemittel- oder Kraftstoffpreise. Der starke Anstieg der Lebensmittelpreise war damit aber nicht wirklich zu rechtfertigen», bestätigt Manuel Lago. Javier Guzmán von Justicia Alimentaria stimmt dem Abgeordneten zu: «Der Preisanstieg liegt vor allem an den höheren Gewinnmargen der Händler.»
Dies lässt sich an den Gewinnen der großen Supermarktketten im Jahr 2023 ablesen, als die Inflationsspirale bei Lebensmitteln an ihrem Höhepunkt angelangt war. Mercadona, die führende Supermarktkette des Landes, erzielte 40 Prozent mehr Gewinn als im Vorjahr. Consum steigerte seinen Gewinn um 75,2 Prozent und Eroski um 69,8 Prozent, wie aus Daten hervorgeht, die die Zeitung El País veröffentlicht hat.
(K)ein Preisdeckel für Grundnahrungsmittel
Daraufhin brachte die damalige Arbeitsministerin und Vorsitzende von Unidas Podemos, Yolanda Díaz, Vorschläge zur Deckelung der Grundnahrungsmittelpreise ins Spiel. Im Grunde war die Idee ähnlich wie bei den Benzinpreisen: Die Preise sollten durch Rabatte an der Kasse gesenkt werden. Allerdings stieß dieser Vorschlag innerhalb der linken Regierung auf Widerstand. Das Finanzministerium hielt eine solche Subventionierung auf einem Markt mit so vielen Anbietern wie dem Lebensmittelhandel für kaum umsetzbar. Außerdem befürchtete es, dass kleine Läden das Nachsehen haben könnten, wenn die vergünstigten Preise nur in großen Supermärkten umgesetzt würden.
Daraufhin schlugen die beiden Sumar-geführten Ministerien für Arbeit und für Verbraucherschutz im September 2022 einen preisreduzierten Grundnahrungsmittelwarenkorb vor, damit sich auch Familien mit geringen Einkommen weiterhin gesund ernähren können. «Wir haben über die Definition eines Warenkorbs gesprochen, der neben Grundnahrungsmitteln auch Hygieneartikel und andere Produkte zur Grundversorgung enthält. Dafür hätten sich Unternehmen verpflichten müssen, ihre Gewinnmarge deutlich zu senken oder ganz darauf zu verzichten», erklärt Lago. «Ein Supermarkt führt 5.000 Artikel. Wir hatten davon 100 Artikel ausgewählt», fährt er fort. So schlug die spanische Agentur für Lebensmittelsicherheit und Ernährung (AESAN), die damals dem Verbraucherministerium unterstellt war, einen Leitfaden mit wesentlichen Produkten für eine gesunde, ausgewogene und nachhaltige Ernährung vor, der als Grundlage für die Zusammenstellung solcher Grundnahrungsmittelkörbe dienen sollte.
Der Vorschlag wurde schließlich von Einzelhandelsvertreter*innen diskutiert. Die Supermarktkette Carrefour war bereit, einen Einkaufskorb mit 30 Produkten der Grundversorgung für 30 Euro einzuführen. Dies wurde jedoch von den Verbraucherverbänden abgelehnt. «In dem Korb von Carrefour waren ungesunde Produkte enthalten, wie etwa Marmelade, Kekse, Schokolade oder Hamburger-Brötchen, die ohnehin billig sind. Frischprodukte oder Öl zum Beispiel fehlten dagegen. Das war jedenfalls kein Beitrag zu einem Einkaufskorb mit gesunden Lebensmitteln zu einem erschwinglichen Preis», erklärt Eduardo Montero, Leiter des spanischen Verbraucherschutzverbandes Federación de Consumidores y Usuarios (CECU). Carrefour war jedoch die einzige Kette, die überhaupt einen Vorschlag vorgelegt hatte. «Wir haben mindestens anderthalb Monate lang mit den drei größten Supermarktketten verhandelt, konnten aber keine endgültige Einigung erzielen», erklärt Lago. Entsprechend scheiterte dieser Vorschlag am Widerstand der Supermärkte.
Supermärkte streichen die Mehrwertsteuersenkung als Gewinn ein
Im Dezember 2022 verabschiedete die Regierung schließlich, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel in Höhe von 4 Prozent zu streichen und Familien mit einem Jahreseinkommen von bis zu 27.000 Euro eine Einmalzahlung von 200 Euro zukommen zu lassen. «Die Regierung wird dafür sorgen, dass die Mehrwertsteuersenkung und die Hilfen für Bauern direkt und unmittelbar auf die Lebensmittelpreise umgelegt werden, so wie es auch bei den Energie- und Kraftstoffsubventionen war», sagte Premierminister Pedro Sánchez (PSOE) als er das Maßnahmenpaket vorstellte.
Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen bezweifelten jedoch, ob die Regierung wirklich verhindern kann, dass die Supermärkte die Mehrwertsteuersenkung als Gewinne einstreichen, statt sie auf die Lebensmittelpreise umzulegen. «Wir schlugen vor, dass die Politik direkt in die Preisgestaltung der Lebensmittel eingreifen sollte, schließlich gab es Menschen, die sich Lebensmittel nicht mehr leisten konnten. Aber nichts dergleichen geschah, nicht einmal der geplante Warenkorb mit Grundnahrungsmitteln wurde umgesetzt. Die einzige Maßnahme war die Senkung der Mehrwertsteuer, die nicht viel gebracht hat, außer dass sie die Gewinnspannen der Großhändler erhöhte», kritisiert Javier Guzmán von Justicia Alimentaria.
Im August 2023 veröffentlichte die Nationale Kommission für Märkte und Wettbewerb (CNMC) einen Bericht, in dem sie erklärte, dass sie keine «systematischen Probleme» bei der Umsetzung der Steuersenkung festgestellt habe. Doch die Inflationsdaten für diese Monate spiegelten die Mehrwertsteuersenkung kaum wider. Im Januar 2023, dem ersten Monat, in dem die Maßnahme in Kraft war, sank die Inflationsrate bei Lebensmitteln um gerade einmal drei Zehntelprozentpunkte, von 15,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr im Dezember 2022 auf nun 15,4 Prozent. Im Jahr 2023 stiegen die Lebensmittelpreise um 11,7 Prozent und damit stärker als die aller anderen Warengruppen. Und die Preise sind seitdem hoch geblieben. Laut Verbraucherschutzorganisation Organisation der Verbraucher*innen und Nutzer*innen (OCU) waren Lebensmittel im Jahr 2024 um mehr als ein Drittel teurer als 2021.
Die Mehrwertsteuersenkung wurde außerdem für ihre fehlende Zielgenauigkeit kritisiert. Während ein Warenkorb mit Grundnahrungsmitteln vor allem einkommensarme Bevölkerungsgruppen entlastet hätte, die auf diese Produkte angewiesen sind, galt die Steuersenkung auch für «Premium»-Artikel. Davon profitierten auch wohlhabende Schichten. Die Bank von Spanien stellte in einem Bericht fest, dass «die meisten der in Spanien beschlossenen steuerlichen Maßnahmen [...] zur Bewältigung der Energiekrise und der Inflation sehr allgemein gefasst sind und nicht speziell auf einkommensschwache Haushalte oder kleine Unternehmen ausgerichtet sind».
Für Guzmán von Justicia Alimentaria hatte dies eine klare Konsequenz: Viele Menschen waren gezwungen, ihre Ernährung umzustellen und viel mehr industriell verarbeitete Produkte zu konsumieren. «Fisch ist für viele Familien zu einem absoluten Luxusgut geworden. Es wird weniger hochwertiges Fleisch konsumiert und viel mehr verarbeitete Lebensmittel, Kohlenhydrate und Fertiggerichte, die billiger und kalorienreicher sind, aber einen enorm negativen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen haben, insbesondere bei Kindern», prangert Guzmán an. «Noch ist dieser Effekt nicht sichtbar, aber in einigen Jahren wird er ein großes Problem für die öffentliche Gesundheit sein», schließt er.
Mehrwertsteuersenkungen können nur ein Anfang sein
Das Beispiel Spanien zeigt, dass Mehrwertsteuersenkungen allein kein wirksames Mittel zur Entlastung einkommensschwacher Haushalte sind. Zudem besteht die große Gefahr, dass die Supermärkte die Steuersenkungen nicht an die Verbraucher*innen weitergeben, sondern stattdessen ihre Gewinnmargen erhöhen. Eine Absenkung der Mehrwertsteuer kann daher nur sozial entlasten, wenn die Entwicklung der Preise und der Gewinnmargen entlang der gesamten Lieferkette staatlicher genau beobachtet werden. Vermeidungsstrategien, mit Lebensmittelproduzent*innen, Zwischenhändler*innen oder Supermärkte die Steuererleichterungen nicht an die Verbraucher*innen weitergeben, sondern zur Steigerung ihrer Gewinne einbehalten, müssen sanktioniert und unterbunden werden.
Doch selbst wenn das gelingt wäre ein echter Preisdeckel die sozial gerechtere Lösung. Dass selbst Spaniens damalige Mitte-Links-Regierung, die mit dem Gaspreisdeckel einen echten Erfolg erzielte, ein solches Modell für Lebensmittel nicht durchsetzen konnte, ist auch auf die Marktmacht der Supermärkte zurückzuführen. Langfristig sind deshalb kartellrechtliche Eingriffe unerlässlich, um die Größe und damit einhergehende Marktmacht von Konzernen im Lebensmitteleinzelhandel zu beschränken. Nur so wird es möglich, die Lebensmittelpreise im Interesse der Verbraucher*innen zu steuern.
Übersetzung von Conny Gritzner und Camilla Elle für Gegensatz Translation Collective
[*] Die Aussagen von Manuel Lago Peñas, Eduardo Montero und Javier Guzmán stammen aus Interviews, die die Autorin mit ihnen geführt hat.