Interview | Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität Mietendeckel? Bodendeckel!

Wie Klimakrise und Finanzialisierung von Ackerland die kleinbäuerliche Landwirtschaft bedrohen

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Die Gemüsebäuerin Antje Hollander steht auf ihrem Hof vor einem Pflug.
«Ich finde, dass es Parallelen zum Mietmarkt gibt. Das könnte uns auch als soziale Bewegungen zusammenbringen, vielleicht auch als Brücke zwischen dem ländlichen und dem urbanen Raum.» Gemüsebäuerin Antje Hollander engagiert sich in der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jABL), Foto: privat

Der Internationale Tag des bäuerlichen Widerstands wird seit 29 Jahren am 17. April begangen. Die internationale Organisation La Via Campesina ruft in der Woche um den 17. April weltweit zu Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen auf. Der Gedenktag geht auf ein Massaker im Jahr 1996 im brasilianischen Eldorado dos Carajás zurück, bei dem 19 Aktivist*innen der Bewegung der Landlosen (MST) von der Polizei ermordet wurden. 

Tanja Tabbara (Rosa-Luxemburg-Stiftung) sprach mit Antje Hollander von der jungen Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (jABL) darüber, was dieser Tag im Jahr 2025 für sie bedeutet, warum es gerade für junge Bauern und Bäuerinnen heute so schwer ist Landwirtschaft zu betreiben, wie die sozialen Kämpfe in der Stadt und auf dem Land sich ähneln und verbunden werden könnten und welche Initiativen wir auf dem Land brauchen.
 

Tanja Tabbara: Kannst du euren Hof und eure Arbeit vorstellen?

Antje Hollander: Wir gründen hier eine kleine, eher spezialisierte Gemüsegärtnerei. Im Moment sind wir noch zu zweit, dann in der Saison zu fünft und spezialisiert sind wir auf etwa zehn Kulturen. Unsere Hauptkultur ist Buschbohne. Da haben wir so ungefähr 1,3 Hektar im Anbau. Wir haben so gut wie keinen Winteranbau und machen im Winter dann Dienstleistungsarbeiten. 

Davon könnt ihr gut leben?

Eine betriebliche Neugründung im Gemüsebau oder in der Landwirtschaft ist betriebswirtschaftlich gesehen immer Wahnsinn. Wir machen keine Direktvermarktung, sondern vermarkten an den Großhandel und an größere Abo-Kisten hier in Müncheberg und dann in Berlin. Und da sind die Preise natürlich deutlich niedriger als in der Direktvermarktung. In der Direktvermarktung könnte man eine Kiste Buschbohne für ungefähr 7 Euro das Kilo verkaufen, bei der Abo-Kiste bekommen wir 5,90 Euro. Im Großhandel kriegen wir nur 3,50 Euro. Für uns macht es daher einen extremen Unterschied, ob jemand das Gemüse über die Kiste oder im Supermarkt einkauft, wo es erst mal durch den Großhandel gegangen ist. 

Antje Hollander ist Gemüsebäuerin in Brandenburg. Sie kämpft dafür, dass junge Bauern und Bäuerinnen trotz Klimawandel und schwierigem Zugang zu Boden weiter kleinbäuerliche Landwirtschaft betreiben können. 

Und Direktvermarktung ist keine Option? 

Direktvermarktung bindet so viele Ressourcen, das können und wollen wir hier nicht leisten. Das wäre einfach auch ein ganz anderes Konzept. Solidarische Landwirtschaft finde ich total spannend, auch als alternatives Wirtschaftsmodell. Aber das Konzept beinhaltet eine sehr hohe Diversität, weil man eine Produktpalette präsentieren will und man muss auch ganzjährig anbauen. Wir haben einen anderen Ansatz, weil wir dadurch im Winter ein bisschen Luft holen und andere Arbeit machen können. Ich habe auch meistens ein bisschen mehr Zeit für politische Arbeit. 

Was habt ihr denn für Möglichkeiten, eure Preise zu verhandeln? 

Da gibt es leider kaum Spielraum. Die Preise orientieren sich am Marktpreis, und da konkurrieren wir mit anderen Betrieben. Also zum Teil gibt es günstigere Buschbohnen, zum Beispiel aus Niedersachsen, aber meistens eben Produkte aus Südeuropa. Und die Preise werden uns schon auch immer als Verhandlungsgrundlage vorgelegt. Der Handel versucht die Preise weiter zu drücken. Wir versuchen die Preise wenigstens zu halten. Es gibt aber zum Glück Betriebe, die sehr auf die Regionalität achten. Die letzte Saison ist total gut angelaufen für uns, da eine Abo-Kiste in Brandenburg, an die wir vermarkten, uns unterstützen wollte und unsere Produkte einfach mit in die Palette genommen hat. Aber natürlich zu dem Preis, zu dem sie sonst auch anderswo einkaufen können. Aber wir wurden dann als regionale Produzentinnen vorgezogen.

Du bist als Landwirtin auch politisch organisiert in der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jABL). Warum braucht es eine besondere Vertretung für junge Landwirt*innen? 

Die Landwirtschaft ist ein politisch extrem regulierter Bereich. Wir haben sehr viele politische Vorgaben, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Das gestaltet maßgeblich mit, wie wir unsere Arbeit machen können. Dementsprechend müssen meiner Meinung nach eigentlich alle, die Landwirtschaft betreiben wollen, sich auch dafür interessieren, was politisch vor sich geht. Als junge Menschen stehen wir vor der Herausforderung, dass wir mit den Klimawandelfolgen kämpfen, dass wir gucken müssen, wie wir überhaupt noch weiter Anbau betreiben können mit den ökologischen Gegebenheiten oder mit dem, was da so auf uns zukommt. Die Gründungskosten für einen landwirtschaftlichen Betrieb steigen jedes Jahr. Mittlerweile braucht man im Schnitt 800.000 Euro um einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft zu schaffen. Das ist eine extrem kapitalintensive Branche bei gleichzeitig extrem geringen Renditen und total viel Unsicherheit. Auf der einen Seite sind die ökologischen, auf der anderen Seite die ökonomischen Unsicherheiten. Preise sind einfach nicht sicher. Daher müssen wir uns als junge Menschen, die den Beruf noch ausüben wollen, zusammenschließen. Wir setzen uns in der jABL ein für kleinbäuerliche Landwirtschaft, die wir regional angepasst in Zukunft auch noch weiter betreiben können. 

Du hast schon gesagt, was das für wahnsinnige Kosten sind, so einen Betrieb überhaupt erst mal zu starten. Eines der großen Probleme ist der Zugang zu Land. Es gibt ja immer mehr Flächen, die von agrarfremden Investoren aufgekauft werden. Sind die Bodenpreise auf dem Land das, was in der Stadt die Mietpreise sind? 

Ich finde auch, dass es da Parallelen zum Mietmarkt gibt, das könnte uns auch als soziale Bewegungen zusammenbringen, vielleicht auch als Brücke zwischen dem ländlichen und dem urbanen Raum. Der Bodenmarkt ist ja rechtlich total stark reguliert. Wir haben eine gesetzliche Grundlage, die schon Anfang des 20. Jahrhunderts definierte: Boden ist kein normales Wirtschaftsgut, da er nicht vermehrbar ist. Daher wurde gesetzlich festgelegt, dass er dem Gemeinwohl dienen muss. Verschiedene Gesetze haben festgelegt, dass landwirtschaftliche Flächen in der Hand von Landwirt*innen bleiben müssen. Deshalb haben rechtlich Landwirt*innen eigentlich ein Vorkaufsrecht, wenn Land verkauft wird. Und es gibt auch eine Transparenz- und Anzeigepflicht. Eigentlich. Wenn landwirtschaftliche Flächen verkauft werden, dann muss das gemeldet werden. 

Vielfältige und lebendige ländliche Räume sind absolut essenziell für die Demokratieförderung.

Diese sehr alte Gesetzgebung hat leider eine gesetzliche Lücke. Und zwar können nicht-landwirtschaftliche Unternehmen dieses Vorkaufsrecht umgehen, indem sie Share Deals machen. Dabei werden einfach Unternehmensanteile unter 90 Prozent des Betriebs gekauft. Damit umgehen die Betriebe zum einen die Anzeigepflicht und in der Folge das Vorkaufsrecht. Also eine Holding kann einfach die 89 Prozent des Betriebes kaufen und damit auch noch die Grunderwerbsteuer umgehen. Als Landwirtin zahle ich bis zu 15 Prozent Grunderwerbsteuer. Ich komme dann als Landwirtin nicht an das Land, weil da ein Unternehmen wahrscheinlich viel mehr Geld bieten konnte und mit einem Share Deal diesen Betriebsanteil gekauft hat. Und selbst wenn das Vorkaufsrecht greift, können viele kleinere Betriebe nicht konkurrieren, weil wir die Summen, die mittlerweile auf dem Bodenmarkt vorherrschen, mit unseren Erzeugnissen gar nicht mehr erwirtschaften können. In Brandenburg liegt der Bodenpreis noch bei gut 12.000 Euro für einen Hektar Land, aber in Baden Württemberg sind wir mittlerweile bei um die 80.000 Euro. Und als Ackerbaubetrieb fängst du ja mit einem Hektar gar nichts an. Also in den letzten zehn Jahren haben sich die Bodenpreise aufgrund der außerlandwirtschaftlichen Investor*innen verdoppelt. Bei den Pachtpreisen sieht es ähnlich aus. Mit Agrarstrukturgesetzen soll der Zugang zu Boden reguliert werden. Der Bund hat den Ländern die Verantwortung übertragen. Das Agrarstrukturgesetz für Brandenburg ist vor dem Regierungswechsel gescheitert. 

Die neue Regierung in Brandenburg hat das Thema Bodenmarkt aufgegriffen, will aber kein Agrarstrukturgesetz verabschieden. Stattdessen sieht der Koalitionsvertrag in Brandenburg einzelne Regelungen zu Vorkaufsrecht und Preisbildung vor. Außerdem sollen Prozesse entbürokratisiert und standardisiert werden. Hältst du diese Regelungen für wirksam und ausreichend?

Ich begrüße, dass die Koalition das Thema Bodenpolitik aufgreift und insbesondere Schritte zur Pachtpreisregulierung und zur Beseitigung der doppelten Grunderwerbssteuer für Landwirt*innen unternimmt. Als ABL gehen wir mit unseren Forderungen aber weiter und fordern eine Regulierung des Kaufpreises ab 20 Prozent über dem aktuellen Marktwert des Grundstücks. Das gefährlichste Problem bleibt jedoch der Ausverkauf landwirtschaftlicher Flächen an nicht-landwirtschaftliche Investor*innen durch Share Deals. Das kann nur durch eine neue Gesetzgebung effektiv reguliert werden, detaillierte Vorschläge wie das Agrarstrukturgesetz liegen dafür auf dem Tisch.

Nach den Bundestagswahlen ist die Rede vom Rechtsruck auf dem Land im Osten, obwohl man von Ruck eigentlich nicht sprechen kann. Was ist dein Blick als Erzeugerin in Brandenburg auf diese Situation? Was gibt es hier für strukturelle Herausforderungen? 

Vielfältige und lebendige ländliche Räume sind absolut essenziell für die Demokratieförderung. Es gibt viel zu wenig Räume, in denen sich unterschiedliche Menschen treffen können. Oder es gibt dann vor allem eben auch Angebote von rechten Gruppierungen. Ich glaube, dass sich Leute in den ländlichen Regionen total abgehängt fühlen. Das zeigt sich ja auch darin, wie wirtschaftlich benachteiligt die östlichen Bundesländer immer noch sind. Strukturell kann ich aus landwirtschaftlicher Sicht bekräftigen, dass Land zum Beispiel extrem unfair verteilt ist. Das meiste Land in Ostdeutschland gehört Westdeutschen oder westdeutschen Unternehmen. Das ist ja schon eine extreme Entmündigung, die die Menschen hier erfahren haben. Es ist wichtig, dass wir vielfältige ländliche Räume haben und dass wir auch strukturell in den ländlichen Raum investieren, ob das jetzt öffentlicher Nahverkehr ist oder eben auch kleine und vielfältige Betriebe, die auf dem Land sind und die da Arbeitsplätze schaffen, die hier einen Mehrwert bringen. Leute auf dem Land brauchen Perspektiven oder müssen Alternativen beobachten können und vorgelebt bekommen. 

Isabella Weber hat das Konzept der antifaschistischen Wirtschaftspolitik vorgestellt. Danach muss linke Politik den rechtspopulistischen Parteien, die bei der Verunsicherung, Angst und Wut der Menschen ansetzen, etwas entgegensetzen und die Menschen stärker ins Zentrum stellen. Ein Beispiel das sie mal gegeben hat: Wenn wir Solaranlagen bauen, dann sollten wir sie nicht da hinsetzen, wo es die Menschen stört, wo sie vielleicht spazieren gehen, sondern da wo sie vielleicht sogar noch einen Nutzen haben, zum Beispiel an Autobahnen und sie dann vielleicht mit Flächen zur Schalldämmung verbinden. Nach Weber’s Ansatz braucht es vielfältige Initiativen, auch, aber nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt gibt es auch den partizipativen Aspekt, dass Menschen stärker ihren Lebensraum mitgestalten. Was läuft hier in deiner Region gut und was bräuchte es, um Menschen abzuholen? 

Was es auf jeden Fall braucht, sind Räume, wo Menschen sich begegnen können. In Müncheberg gibt es zum Beispiel ein selbstorganisiertes Café, das drei Tage die Woche geöffnet hat. Das ist total toll, weil es sonst kein richtiges Café in der Nähe gibt. Da kommen dann eben auch Leute aus unterschiedlichen Generationen und spielen Schach. Ich finde es auch sehr wichtig, dass es zum Beispiel hier die Feuerwehr gibt. Die schaffen eine Dorfstruktur. Sie organisieren hier Dorffeste und schaffen dadurch auch Zusammenhalt. Oder ein Seniorentreff, den hier eine Bekannte organisiert und wo sie dann auch Betriebe in der Region besuchen. Das sind Beispiele aus der Zivilgesellschaft, also selbstorganisierte Sachen. 

Partizipation ist gerade, wenn es die Umwelt und unsere Ressourcen betrifft, extrem wichtig.

Vielfalt braucht aber eben auch staatliche Unterstützung. Förderprogramme helfen da, um zum Beispiel so was wie ein Cafe umzusetzen. Das muss ja auch irgendjemand finanzieren. Und es gibt so viele politische Entscheidungen, die eben für Stadtmenschen getroffen werden oder die aus der städtischen Perspektive sinnvoll sind. PV-Anlagen (Photovoltaik-Anlagen, Anmerkung d. Red.) finde ich ein ganz gutes Beispiel. Es gab hier ein großes PV-Projekt in der Nähe und es gab super engagierte, interessierte Leute, die gesagt haben, wir wollen da beteiligt sein; die Konzepte vorgelegt haben, wo Sie gesagt haben, hier, einen Teil von der Anlage hätten wir gerne mit Bürgerbeteiligung. Das wurde leider abgelehnt. Und gerade sowas würde ja eine sehr hohe Akzeptanz schaffen. Dann würde auch ein Teil dieser Wertschöpfung tatsächlich da auf dem Land landen, wo die Anlage gebaut wird. Partizipation ist gerade, wenn es die Umwelt und unsere Ressourcen betrifft, extrem wichtig. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie einen Teil davon mitnutzen und nicht nur ausführen oder erdulden müssen. 

Am 17. April ist ja der von La Via Campesina erklärte Tag des bäuerlichen Widerstands. An wen denkst Du dabei als Landwirtin im Jahr 2025? 

Ich denke auf jeden Fall an La Via Campesina als globale Organisation und kleinbäuerliche Interessenvertretung. Und daran, dass Landwirt*innen es weltweit schwer haben und mit den Klimawandelfolgen kämpfen. Ich finde es total wichtig, dass wir diese globale Perspektive behalten. Und ansonsten denke ich an die junge ABL und es motiviert mich, dass es junge Menschen hier in Deutschland gibt, die sich noch vorstellen können, Landwirtschaft zu machen und sich dafür einsetzen, dass das auch weiterhin in einer Form möglich ist, in der ich selbst gerne arbeiten möchte und die auch der Gesellschaft einen hohen Nutzen bringt.