
Für Verfassungsrechtler*innen ist Trumps Rückkehr an die Macht eine geradezu schwindelerregende Erfahrung. Mit der systematischen Verletzung von Gesetzesverfahren und etablierter Verfassungsnormen, die bisher zu über hundert Klagen geführt hat – Tendenz steigend –, ist kaum mitzukommen.
Trump hat eine Flut an Dekreten erlassen, die offen gegen das Kongressrecht sowie die Verfassung verstoßen: Sie reichen von der Verweigerung der Staatsbürgerschaft durch Geburt über das harte Durchgreifen gegen Programme für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion (Diversity, Equality and Inclusion, DEI) bis hin zur Auflösung gesetzlich autorisierter Regierungsbehörden. Gleichzeitig brüstet sich Elon Musk damit, dass er eine «Übernahme» der Bundesregierung anstrebe, mit dem Ziel, «alles zu privatisieren, was privatisiert werden kann». Dies soll durch Massenentlassungen, den Ausverkauf von Regierungseigentum (einschließlich «443 Bundesimmobilien», möglicherweise zusammen mit unzähligen öffentlichen Kunstwerken) und den Abbau von lebenswichtigen Dienstleistungen geschehen. Dabei wird das gesetzliche und verfassungsmäßige Gebot missachtet, dass Aufgaben hochrangiger Regierungsangestellter von Privatpersonen nur mit Bestätigung durch den Senat übernommen werden dürfen.
Aziz Rana ist Jurist und Politikwissenschaftler, Professor an der Boston College Law School und Experte für US-amerikanisches Verfassungsrecht. Im Jahr 2024 erschien sein Buch The Constitutional Bind: How Americans Came to Idolize a Document That Fails Them. Mehr unter: www.azizrana.com
Manche Beobachter*innen haben angesichts dieser Entwicklungen bereits Parallelen zu den Erfahrungen im postsowjetischen Russland der 1990er Jahre gezogen. Dort kam es zu einer nahezu vollständigen Privatisierung des Staates und einer massiven Umverteilung des Reichtums in die Hände einer kleinen Zahl von Kleptokrat*innen, die nur durch ihre gegenseitigen Rivalitäten begrenzt war. Vielleicht gibt es sogar eine tiefere Verbindung zur russischen Geschichte: Das Verfassungsprojekt der USA wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch den Antagonismus zur Sowjetunion geprägt und gewann durch ihn an Bedeutung. Die grundlegenden US-amerikanischen Prinzipien – die Verbindung von ethnischem Liberalismus (racial liberalism) und einem begrenzten Sozialstaat – wurden innerhalb von drei entscheidenden Jahrzehnten gefestigt: vom New Deal der 1930er Jahre[1] über den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg bis hin zur Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre.
Die Sowjetunion ist längst Geschichte. Aber Trump (ein gewählter Milliardär), Musk (ein nicht gewählter, weitaus vermögenderer Milliardär) und eine kleine Clique von Gefolgsleuten streben nun den Zusammenbruch des US-amerikanischen Verfassungsmodells an. Ihre Vorgehensweise lässt keine Rückschlüsse darauf zu, was am Ende zu erwarten ist. Aber sie verändert das Handlungsfeld der US-amerikanischen Linken grundlegend und wird eine Oppositionspolitik erfordern, wie sie das Land nicht mehr gesehen hat, seitdem Franklin D. Roosevelt an der Macht war.
Amerikas Credo: Versprechen gleicher Freiheit für alle
Die US-amerikanische Verfassungsordnung umfasst eine Reihe ideologischer und institutioneller Komponenten, die der Idee folgen, dass die Vereinigten Staaten für das Versprechen gleicher Freiheit für alle stehen. Der schwedische Soziologe Gunnar Myrdal bezeichnete dies 1944 als «amerikanisches Credo» (american creed). Die nationalen Eliten bekannten sich in einer Zeit der globalen Rivalität mit der Sowjetunion um eine sich entkolonialisierende Welt ausdrücklich zu diesem Verfassungsgrundsatz. Zu seinen konstitutiven Elementen gehörten eine Verfassungsinterpretation, die sich der stetigen Überwindung der «Rassendiskriminierung» auf der Grundlage von Antidiskriminierungsprinzipien verpflichtet fühlte ebenso wie ein antitotalitäres Verständnis der bürgerlichen Freiheiten und der Meinungsfreiheit. Hinzu kamen die Verteidigung eines marktwirtschaftlich orientierten Kapitalismus – teils abgesichert durch einen verfassungsrechtlich verankerten regulatorischen und sozialen Wohlfahrtsstaat –, die Akzeptanz institutioneller Kontrollmechanismen durch die Bundesgerichte – insbesondere des Obersten Gerichtshofs als höchster Instanz – und das Bekenntnis zu einer globalen Vormachtstellung der USA garantiert durch eine starke präsidiale Macht.
Diese Ausrichtung der USA an der Verfassung hatte sowohl eine innenpolitische als auch eine internationale Perspektive. Innenpolitisch schuf sie eine Reihe gemeinsamer institutioneller und kultureller Praktiken. Republikaner*innen und Demokrat*innen verstanden sich als gemeinsame Hüter*innen eines Hegemonialprojekts gegen die Sowjetunion. Repräsentant*innen konnten ihren politischen Gegner*innen über Parteigrenzen hinweg auf die Schulter klopfen, denn bei allen Differenzen hatten politische Entscheidungsträger*innen und Richterschaft die Sonderstellung der USA gleichermaßen verinnerlicht. Unabhängig vom jeweiligen Wahlausgang verband beide Seiten vor allem ein gemeinsames nationales Narrativ, das durch Leid und Sieg im Zweiten Weltkrieg vertieft und durch die anhaltende Rivalität mit den Sowjets auf die Probe gestellt wurde. Es ging von der Genialität der Verfassungsväter, einer gewissen Unfehlbarkeit der Institutionen und dem inneren Fortschritt der US-amerikanischen Gesellschaft aus.
Oft wird übersehen, dass sich im 20. Jahrhundert – parallel zur Sowjetunion – eine spezifisch US-amerikanische Verfassungsordnung herausgebildet hat.
Die USA konnten dank dieser Erzählung Autorität auf der Weltbühne demonstrieren – und den Mythos verbreiten, dass ihr verfassungsmäßiges Bekenntnis zur gleichen Freiheit aller Menschen ein gemeinsames von der Welt geteiltes Interesse darstelle. Das Ergebnis war eine paradoxe Nachkriegsordnung: die Konzentration auf eine regelbasierte Rechtsordnung und zugleich deren ständige Missachtung durch die USA, sei es in Vietnam oder heute im Gazastreifen. Die nationalen Eliten betrachteten multilaterale Institutionen als Ausdruck der konstitutionellen Grundwerte und daher als unbedingt erhaltenswert. Sie waren aber auch der Ansicht, dass die globale Sicherheit eine internationale Rolle der USA als deren Garant erfordere. Dies führte zu einem nicht endenden Balanceakt zwischen abwechselnder Förderung und Missachtung der Ordnung durch verdeckte sowie offene militärische Eingriffe und Interventionen. Die daraus resultierenden Verstöße wurden als notwendig gerechtfertigt, um die kollektive Stabilität aufrechtzuerhalten – ohne Rücksicht darauf, dass dies für die Betroffenen ganz anders aussah, insbesondere in der ehemals kolonisierten Welt.
Oft wird übersehen, dass sich im 20. Jahrhundert – parallel zur Sowjetunion – eine spezifisch US-amerikanische Verfassungsordnung herausgebildet hat. Dies ist zum Teil auf die Besonderheiten der Institutionen und ihrer nationalen Narrative zurückzuführen. Die Vereinigten Staaten haben den Ruf, über die vielleicht am schwierigsten zu ändernde Verfassung der Welt zu verfügen. Der Text von 1787 bleibt in der Regel formal unangetastet und wird schon gar nicht vollständig neu gefasst. Vielmehr kommt es zu Verschiebungen in der gerichtlichen Auslegung und durch richtungsweisende Gesetze, die neue Bedingungen für das Zusammenleben schaffen. Tatsächlich wurde die gegenwärtige Ordnung durch die Verabschiedung wichtiger Gesetze in der Mitte des letzten Jahrhunderts gefestigt – Social Security Act (Sozialversicherungsgesetz, 1935), National Labor Relations Act (Arbeitsbeziehungsgesetz, 1935), Civil Rights Act (Bürgerrechtsgesetz, 1964), Voting Rights Act (Wahlrechtsgesetz, 1965), Medicare Act (Krankenhaus- und Krankenversicherungsgesetz, 1965) –, verbunden mit Urteilen des Obersten Gerichtshofs, die ihre Verfassungsmäßigkeit bestätigten. Gemeinsam brachen der Kongress und die Gerichte mit der alten rassistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Dies führte jedoch – und das ist entscheidend – nicht zu einer neuen Verfassung des 20. Jahrhunderts, die sich vom alten Text unterschied.
Gleichzeitig wurde die gemeinsame Geschichte der rechtlichen Veränderungen als die Erfüllung eines von Natur aus liberalen nationalen Wesens dargestellt. In Wirklichkeit war die Konsolidierung dieser Ordnung jedoch ein zufälliges Produkt von Entwicklungen auf nationaler und globaler Ebene in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie schufen neue Bedingungen, durch die lange etablierte Strukturen der offenen Vormachtstellung weißer Siedler*innen grundlegend in Frage gestellt wurden. Diese Realität passte nicht zum nationalen Narrativ, dass die Vereinigten Staaten von Amerika seit ihrer Gründung den egalitären Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung verpflichtet seien und sich auf einem unaufhaltsamen Weg hin zu diesem neuen Gesellschaftsmodell befanden.
Gegen Inklusion von Menschen verschiedener Hautfarbe
In den ersten zwei Monaten seiner zweiten Amtszeit hat Trump alle Elemente dieses Paktes aus dem 20. Jahrhundert unter Beschuss genommen. Während seine Angriffe auf «Vielfalt, Gleichheit und Inklusion» die offizielle Sprache der Antidiskriminierung nutzen, gehen die Dekrete und Drohungen gegen das Justizministerium über die Darstellung weißer Mehrheiten als der wirklich schutzbedürftigen Gruppe hinaus. Sie lehnen die liberale Prämisse des Kalten Krieges ab, die die Inklusion von Menschen verschiedener Hautfarbe als Eckpfeiler der Verfassung sieht. Die Präsenz von Nicht-Weißen steht kulturell und rechtlich auf dem Spiel, wenn hochrangige Schwarze Beamt*innen entlassen, Universitäten und Unternehmen für ihre Bemühungen zur wirksamen Bekämpfung von Diskriminierung angegriffen und sogar Verweise auf Frauen und ethnische Minderheiten von Webseiten der Regierung entfernt werden.
Seit den 1960er Jahren ist der ethnische Liberalismus vielleicht das wichtigste legitimierende Element des US-amerikanischen Verfassungssystems. Für viele US-Amerikaner*innen, ob weiß oder nicht, war die rechtliche Abschaffung der «Rassentrennung» der endgültige Beweis für das grundlegende egalitäre Versprechen des Landes. Entscheidungen wie «Brown gegen Board of Education»[2] aus dem Jahr 1954 überzeugten sowohl die Eliten als auch die Öffentlichkeit, dass die Institutionen der Vereinigten Staaten das Schiff in Richtung Fortschritt steuern könnten. Der Oberste Gerichtshof hatte zuvor den Grundsatz der «Rassentrennung» als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gewertet.
Trumps Stab setzt die Macht des Präsidenten so ein, dass sie die inneren Widersprüche der Ordnung nutzt, um grundlegende verfassungsrechtliche Vereinbarungen zu kippen.
Auf internationaler Ebene wurden genau diese Veränderungen genutzt, um den Unterschied zwischen der US-amerikanischen Hegemonie und der alten, rassistisch geprägten europäischen Vorherrschaft zu betonen und damit die Führung der USA über eine mehrheitlich nicht-weiße Welt zu legitimieren. Trumps Angriff auf USAID ist in diesem Zusammenhang vielsagend. Die 1961 gegründete Behörde spielte eine entscheidende Rolle im Kalten Krieg. Sie verknüpfte die inneramerikanische Erzählung des Fortschritts bei der Gleichstellung verschiedener ethnischer Gruppen mit einer globalen Geschichte des materiellen Wohlstands für alle unter der Führung der USA. Ihre Auflösung stellt die globale Dimension eines konstituierenden Elements des US-amerikanischen Selbstverständnisses unmittelbar in Frage, ebenso wie die Drohung, sich aus den multilateralen Gremien zurückzuziehen, die von den Vereinigten Staaten selbst ins Leben gerufen wurden.
All dies zeigt, dass nicht nur der ethnische Liberalismus unter Beschuss steht. Trumps Stab setzt die Macht des Präsidenten so ein, dass sie die inneren Widersprüche der Ordnung nutzt, um grundlegende verfassungsrechtliche Vereinbarungen zu kippen. Dies zeigt sich in Trumps Bemühungen, Mittel zurückzuhalten, Sicherheitsüberprüfungen abzuschaffen, «Pro-Diversity»-Äußerungen zu verbieten oder Menschen aufgrund von Protesten auszuweisen und strafrechtlich zu verfolgen. Sicherlich war die US-amerikanische Ordnung in der Mitte des 20. Jahrhunderts stets von McCarthy-Taktiken und dem Scheitern an ihren inklusiven Idealen geprägt – sei es durch die Internierung japanischer Staatsbürger*innen oder die Rechtsverletzungen im «Krieg gegen den Terror». Dennoch wurde die McCarthy-Ära, nachdem die «rote Angst»[3] der 1950er Jahre abgeklungen war, von den politischen Eliten als im Wesentlichen «unamerikanisch» und verfassungswidrig angesehen.
Die Trump-Administration nimmt den pro-palästinensischen Aktivismus zum Anlass, um die Meinungsfreiheit von Nicht-Staatsbürger*innen umfassend zu unterdrücken.
Derartige repressive Praktiken verschwanden zwar nie vollständig, beschränkten sich in der Regel allerdings vorwiegend auf relativ isolierte und benachteiligte Gruppen wie radikalisierte Schwarze oder arabische und muslimische Kritiker*innen der US-Außenpolitik (insbesondere palästinensischer Herkunft). Bidens Befürwortung eines harten Vorgehens gegen die Proteste gegen den Krieg im Gazastreifen reiht sich in die wechselvolle Geschichte nach dem Ende der Angst vor dem Kommunismus ein. Die Trump-Administration nimmt den pro-palästinensischen Aktivismus nun zum Anlass, um die Meinungsfreiheit von Nicht-Staatsbürger*innen umfassend zu unterdrücken. Sie bedient sich dabei inaktiver Sicherheitsbestimmungen aus der McCarthy-Ära und sogar aus den 1790er Jahren. Der Aktivismus in Verbindung mit universitären Lehrplänen und institutionellen DEI-Maßnahmen wird überdies als Vorwand für einen beispiellosen Angriff auf die universitäre Selbstverwaltung und Wissenschaftsfreiheit genutzt. Dieses Vorgehen ist Teil eines zunehmenden Angriffs auf die gesamte Organisationsstruktur der Mitte und der Linken in den USA: So werden derzeit Anwaltskanzleien ins Visier genommen, die mit den Demokrat*innen verbunden sind, möglicherweise bald auch zivilgesellschaftliche Gruppen und Fundraising-Plattformen.
In ähnlicher Weise nutzt die Trump-Administration die Befugnisse des Präsidentenamtes, um den Verwaltungsapparat abzubauen – möglicherweise inklusive der großen sozialen Errungenschaften aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie nutzt die bestehenden konstitutionellen Instabilitäten zwischen Kapitalismus und Regulierung sowie zwischen präsidialer und richterlicher Gewalt zu ihrem Vorteil. Die Aufrechterhaltung der alten Ordnung wird zunehmend unmöglich. Der US-Rechtsstaat war immer von einem klassischen Dualismus geprägt: Der Konsens der Jahrhundertmitte wurde sowohl von einem übermächtigen Obersten Gerichtshof als auch von einem übermächtigen Präsidenten garantiert. Das gemeinsame Bekenntnis der Elite zur globalen Vorherrschaft Amerikas bedeutete im Wesentlichen, dass sich die Gerichte in Fragen der nationalen Sicherheit dem Präsidenten unterordneten. Das Staatsoberhaupt konnte im Ausland und bei der Grenzsicherung beachtliche Gewalt ausüben und als nahezu uneingeschränkter Gesetzgeber agieren.
Diese Zurückhaltung hatte ihren Ursprung in einer Reihe von Urteilen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Krieges. Die Gerichte stellten staatliche Maßnahmen wie die Deportation von Kommunist*innen oder den Beginn des Vietnamkriegs nicht infrage. Sie überprüften zwar das Handeln der Exekutive in auswärtigen Angelegenheiten, aber Einschränkungen erfolgten stets vor dem Hintergrund einer allgemeinen Freizügigkeit. Außenpolitische Zurückhaltung ging mit einer weitgehenden Kontrolle in innenpolitischen Fragen einher, so dass die Bundesjustiz faktisch als politisches Entscheidungsorgan fungierte, dessen endgültige Urteile von den anderen Regierungsorganen ohne weiteres akzeptiert wurden. Dieses Gleichgewicht blieb erhalten, weil sowohl die Gerichte als auch die Präsidenten diese grundlegende Unterscheidung zwischen Innen- und Außenpolitik weitgehend akzeptierten.
Mit der zunehmend konservativen Ausrichtung der Bundesjustiz hat sich das Verhältnis zwischen Präsident und Gerichtsbarkeit jedoch vollständig gewandelt. Die Bundesgerichte nutzten ihre weitreichenden politischen Entscheidungsbefugnisse, um die Regulierung der Wirtschaft zu untergraben, indem sie die Macht des Präsidenten auch auf nationaler Ebene ausweiteten.
Jahrzehntelang haben konservative Jurist*innen Argumente dafür entwickelt, warum gesetzlich geschaffene Behörden eine Bedrohung für die «Einheit der Exekutive» darstellten – der innenpolitischen Macht des Präsidenten, unabhängig von der Gesetzgebung über die Exekutive zu entscheiden. Zwar haben die jüngsten Gerichtsentscheidungen die etablierten Behörden nicht abgeschafft, aber sie hatten zwei Effekte: Richter*innen erhielten mehr Autorität über die Prozesse und Entscheidungen der Behörden, wodurch langjährige regulatorische Errungenschaften untergraben wurden. Und es wurde in Frage gestellt, ob eine Gesetzgebung im Stil des New Deal die einseitige Macht des Präsidenten über den öffentlichen Dienst einschränken könnte. Im Grunde hat die konservative Rechtsprechung die Grundlagen des staatlichen Verwaltungsapparats aus der Mitte des letzten Jahrhunderts schleichend untergraben, indem sie rechtsgerichteten Richter*innen und zukünftigen rechtsgerichteten Präsidenten die Macht zur Schwächung der Behörden verschaffte.
Wie in anderen Bereichen nutzen Trumps Dekrete – unabhängig von Kongressrecht oder gerichtlichen Anordnungen – die Instabilität des Rechtssystems aus, um Bundesbehörden zu zerschlagen. Trumps Entourage ist sich wahrscheinlich nur allzu bewusst, dass es äußerst schwierig wird, den vorherigen Verwaltungsrahmen wiederherzustellen, sobald Behörden geschlossen, Mitarbeiter*innen entlassen und Gebäude verkauft sind. Die letzten Jahre waren vielleicht geprägt von «kleinkalibrigen» konservativen juristischen Angriffen auf die Bundesbehörden, unterstützt durch die stückweise Anwendung von Konzepten der Exekutivgewalt. Nun nutzen Trump und sein Team diese Methoden, um den Vorschlaghammer eines grenzenlos übermächtigen Präsidenten auf die Routinearbeit der Innenpolitik anzuwenden, so wie man es von Interventionen im Ausland kennt. Damit kehrt der globale Autoritarismus nach Amerika zurück.
Notorisch undemokratische Institutionen
Doch wie kam es dazu? Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass die Institutionen des US-amerikanischen Rechtssystems notorisch undemokratisch sind. Sie sind um ein staatliches System herum organisiert, das die Repräsentation auf geografischer Grundlage und nicht auf Grundlage tatsächlicher Bevölkerungszahlen zuweist. Zudem existieren weitreichende Einspruchsmöglichkeiten, die die Macht der Wähler*innenstimmen fragmentieren. Diese Fragmentierung wird durch das Wahlmännergremium, den Senat, die Struktur und die Berufungsverfahren der Bundesjustiz und die Fähigkeit der Bundesstaaten erreicht, mit denen Wahlbezirke neu geordnet, Wahlrechte beschränkt oder auf andere Weise populäre Programme von nationaler Reichweite vereitelt werden. Wie wir gesehen haben, konnten der begrenzte Wohlfahrtsstaat des New Deal und der ethnische Liberalismus nur unter den außergewöhnlichen Umständen um die Mitte des 20. Jahrhunderts verankert werden. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise war ein außergewöhnlich hohes Maß an gewerkschaftlicher Organisation und Macht erforderlich. Später war es das Schreckgespenst der Sowjetunion, das die politischen Eliten zu parteiübergreifenden Kompromissen im Namen antirassistischer Reformen veranlasste, die sowohl von Mitte-Links als auch von Mitte-Rechts als nationale sicherheitspolitische Notwendigkeit verstanden wurden.
Nach dem Ende der UdSSR bildete sich allmählich eine reaktionäre Rechte heraus.
Als jedoch der Konflikt des Kalten Krieges an Bedeutung verlor, insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, verringerte sich der Druck auf eine zunehmend selbstbewusste Rechte, sich dem Verfassungskompromiss der Jahrhundertmitte verpflichtet zu fühlen. Dieser Kompromiss wurde vom US-amerikanischen Ethno-Nationalismus stets vehement abgelehnt – eine starke und anhaltende Kraft im gesellschaftlichen Leben, die auch im Zuge der Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren nicht einfach verschwand. Wir neigen dazu, uns darauf zu konzentrierten, wie der Kalte Krieg in den USA zur gewaltsamen Unterdrückung von Sozialist*innen und anderen linken Aktivist*innen führte. Die vermeintliche Notwendigkeit, sich gegen die Sowjetunion zu verbünden, veranlasste jedoch auch rechtsnationale Politiker*innen dazu, die extreme Rechte einzuhegen, insbesondere durch einen heiklen Tanz mit dem weißen Nationalismus – indem Verbundenheit unterschwellig signalisiert, offiziell jedoch bestimmte explizit ideologische Positionen ausgeschlossen wurden.
Nach dem Ende der UdSSR bildete sich jedoch allmählich eine reaktionäre Rechte heraus. Sie war bereit, systematisch vom bestehenden wirtschaftlichen und ethnischen Pakt abzuweichen. Strategisch konzentrierte sie sich darauf, die Instrumente der Minderheitenherrschaft in der bestehenden rechtsstaatlichen Ordnung zur Machtausübung zu nutzen, unabhängig davon, ob sie eine Bevölkerungsmehrheit repräsentierte oder nicht. Institutionelle Vorteile in der staatlichen Repräsentation ermöglichten es ihr im Laufe der Zeit, den Obersten Gerichtshof, den Senat und sogar zweimal die Präsidentschaft zu übernehmen, obwohl sie die Mehrheit der abgegebenen Stimmen verlor. Noch gravierender war, dass sie innerhalb der Republikanischen Partei und ihrer Wählerschaft eine Kultur schuf, die eine multiethnische Demokratie als geradezu existenzielle Bedrohung betrachtet.
Das Festhalten an einer starren Verfassungsordnung aus dem 20. Jahrhundert, deren historischer Moment längst vorbei war, untergrub notwendige Reformen und schürte die Frustration über die amtierenden Präsidenten.
Gleichzeitig litt die Verfassungsordnung unter ihren eigenen ideologischen und institutionellen Beschränkungen. Die letzten zwei Jahrzehnte standen im Zeichen einer Reihe gesellschaftlicher Krisen – allen voran die Finanzkrise und ihre weitreichenden Folgen –, die eine Erneuerung der Verfassung notwendig machten. Doch die Politiker*innen der 2000er und 2010er Jahre – ob Bush, McCain oder Obama, die Clintons und Biden –, waren dem alten Pakt verpflichtet. Er konzentrierte sich auf die unfehlbare Natur der US-amerikanischen Institutionen, den Glauben an den Marktliberalismus, den moralischen Wert des globalen Interventionismus und minimale Antidiskriminierungsmaßnahmen. Diese Überzeugungen haben aber viele allgegenwärtige Probleme des Landes geschaffen statt sie zu lösen. Aufgrund der Rigidität der Ordnung war es nahezu unmöglich, solche Fragen anzugehen – selbst wenn die Demokrat*innen an den Schalthebeln der Macht saßen. Ohne die breite Unterstützung in der Bevölkerung während des New Deal oder das parteiübergreifende Bekenntnis zugunsten des ethnischen Liberalismus war praktisch jede größere Initiative der Demokrat*innen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn ein Vorhaben das Repräsentantenhaus erfolgreich passierte, waren für die Verabschiedung im Senat 60 von 100 Stimmen erforderlich. Die Mehrheitsverhältnisse im Senat waren jedoch aufgrund der überproportionalen Vertretung ländlicher Gebiete und kleinerer urbaner Zentren zugunsten der Republikaner verzerrt, weshalb es den Demokrat*innen schwer fiel, die erforderliche Stimmenanzahl zu erreichen. Die Instrumente des Verfassungspaktes griffen nicht mehr und die daraus resultierende Pattsituation verstärkte die weit verbreitete politische Unzufriedenheit.
Das Ergebnis waren nahezu ideale Bedingungen für den Aufstieg und später die Rückkehr Trumps. Das Festhalten an einer starren Verfassungsordnung aus dem 20. Jahrhundert, deren historischer Moment längst vorbei war, untergrub notwendige Reformen und schürte die Frustration über die amtierenden Präsidenten. Es ermöglichte Trump auch, 2016 ohne eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen ins Amt zu kommen und anschließend den Obersten Gerichtshof nach Vorstellungen umzubauen, die in krassem Widerspruch zur öffentlichen Meinung standen. Als Trump 2020 versuchte, das Wahlergebnis zu kippen, erschwerten die bestehenden Institutionen Sanktionen gegen ihn – seien es Amtsenthebung und strafrechtliche Verfolgung oder der Ausschluss von künftigen Wahlen. De facto haben die Institutionen nie die zentrale Aufgabe erfüllt, Reformen zu ermöglichen oder Nachfolgekrisen zu verhindern; sie waren stets auf ein hohes Maß an elitärer kultureller Geschlossenheit angewiesen, ob in der frühen Republik oder in der Bürgerrechtsära des Kalten Krieges. Doch dieser Zusammenhalt war nun vollends verschwunden.
Der Oberste Gerichtshof ließ eine breit angelegte Stimmenunterdrückung durch die Rechte zu und gewährte Trump fast uneingeschränkte Immunität für seine Bemühungen, die Wahl 2020 zu kippen.
Die Versäumnisse des Obersten Gerichtshofs zeigen dies deutlich. Die Eliten hatten ihn Mitte des letzten Jahrhunderts als Instanz zur Vermittlung gemeinsamer Werte und zur Eindämmung von Konflikten konzipiert. Tatsächlich hat das fast unverhohlen parteiische Gericht eine entscheidende Rolle bei diesem Versagen gespielt. Es ließ eine breit angelegte Stimmenunterdrückung durch die Rechte zu und gewährte Trump fast uneingeschränkte Immunität für seine Bemühungen, die Wahl 2020 zu kippen. Zuvor hatten Gerichtsentscheidungen den Weg für Unternehmensspenden geebnet. Das Ergebnis ist, dass heute jemand wie Musk mit seinem unbegrenzten Vermögen die Wahlanreize für Politiker*innen im Alleingang entscheidend beeinflussen kann. Das gilt insbesondere innerhalb der Republikanischen Partei, da er durch seine Aufwendungen im Vorwahlkampf Gegner*innen nach Belieben ausschalten kann.
Getrieben von Kränkungen und Rachegelüsten
Trump ist daher in einer guten Position, um die rechtsstaatliche Ordnung der USA zu demontieren. Wie kaum ein anderer Politiker in der modernen US-amerikanischen Geschichteverfügt er über die bemerkenswerte Fähigkeit, republikanischen Politiker*innen Parteidisziplin aufzuerlegen – eine Macht, die durch Musks Ressourcen noch verstärkt wird. Trump mag nicht in der Lage sein, liebsamen Kandidat*innen zum Sieg zu verhelfen, aber seine Verbindung zu seiner Wählerschaft sorgt dafür, dass missliebige Kandidat*innen mit ziemlicher Sicherheit scheitern. Darüber hinaus scheint er von unbedeutenden Kränkungen und Rachegelüsten getrieben zu sein und daher den Fokus auf die Begnadigung seiner Anhänger*innen und die gezielte Verfolgung von Personen zu legen, die versucht haben, ihn zu maßregeln. Damit rückt er persönliche Loyalität in den Vordergrund und verschafft seinen eifrigsten Anhänger*innen erheblichen politischen Einfluss – etwa rechtsextremen Ideologen wie Russell Vought vom Project 2025 oder Ed Martin im Justizministerium. Ihre Dominanz sorgt dafür, dass Trumps zweite Amtszeit weit weniger von wahltaktischem Kalkül motiviert ist als bei typischen republikanischen Amtsinhaber*innen.
Dennoch steht die Regierung vor ernsthaften Schwierigkeiten. Trump ist nach wie vor so unbeliebt wie keine seine Amtsvorgänger*innen.
Auch Musk scheint auf Machtakkumulation und persönliche Bereicherung aus zu sein mit dem Ziel, die Beschränkungen des US-amerikanischen Verwaltungsapparats für Privatunternehmen zu beseitigen. Bemerkenswert sind seine Bemühungen zur massenhaften Entlassung von Bundesangestellten. Während «At will»-Arbeitsregelungen[4] auch in der Zeit des New Deal im Privatsektor nie systematisch eingedämmt werden konnten, wurden im öffentlichen Sektor auf Bundesebene Beschäftigungsschutzmaßnahmen eingeführt. Musks Ziel ist es, diese Beschränkungen aufzuheben und alle Beschäftigungsverhältnisse, ob im öffentlichen oder privaten Sektor, dem Diktat der Arbeitgeber*innen zu unterwerfen. Obwohl es sich hierbei eindeutig um langjährige Ziele der Rechten handelt, agiert auch Musk nur in geringem Maße wahltaktisch. Die Partei scheint für Musk vor allem ein nützliches Instrument zu sein, um Unternehmen von demokratischer Kontrolle zu befreien.
Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt zu einer Bereitschaft, weit über die Barrieren hinauszugehen, die Republikaner*innen in der Vergangenheit zurückgehalten haben. Dennoch steht die Regierung vor ernsthaften Schwierigkeiten. Trump ist nach wie vor so unbeliebt wie keine seine Amtsvorgänger*innen – trotz seiner Behauptung, über ein «massives Mandat» zu verfügen. Bei den Wahlen im November erhielt er nicht einmal 50 Prozent der Stimmen. Zugleich leugnete der jetzige Präsident im Wahlkampf, dass er mit seiner Kandidatur Schlüsselelemente eines Verfassungsbruchs verfolge – und erklärte vielmehr, er habe nichts mit dem «Project 2025» zu tun.
Solange die Vereinigten Staaten demokratische Wahlen haben, gibt es für Trump, Vought, Musk, Martin und andere keinen direkten Weg, eine neue verfassungsmäßige Ordnung zu schaffen, die die alte ersetzt.
Vielen Wähler*innen galt Trump 2024 als «moderat» und nicht besonders ideologisch gebunden – eine Wahrnehmung, die seiner Kampagne zugute kam. Trumps starke Basis repräsentiert dennoch nur eine Minderheit der US-Bevölkerung. Es gibt nicht einmal an nähernd eine Mehrheit, die dieses rechtsextreme Projekt unterstützt. Vielmehr ist die Vision der neoliberalen Deregulierung in den letzten zehn Jahren zunehmend in Ungnade gefallen. Diese extreme Umsetzung ist nur kurzfristig möglich, solange Trump und Musk der Partei Disziplin auferlegen können.
Doch die Uhr tickt, sowohl aufgrund von Trumps Alter als auch aufgrund der Beschränkung auf zwei Amtszeiten (der Narzissmus des Präsidenten scheint unterdessen der Planung für die Zeit danach entgegenzustehen). Mittelfristig ist es in der Tat wahrscheinlich, dass die Demokrat*innen den Trumpismus bei den Zwischenwahlen 2026 besiegen und 2028 angesichts der weit verbreiteten Stimmung gegen den Amtsinhaber erneut an die Macht gelangen. Solange die Vereinigten Staaten mehr oder weniger demokratische Wahlen haben, gibt es für Trump, Vought, Musk, Martin und andere keinen direkten Weg, eine neue verfassungsmäßige Ordnung zu schaffen, die die alte ersetzt. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, dass Trumpist*innen die Maschinerie des Staates hochfahren, um die institutionelle Infrastruktur der Demokratischen Partei anzugreifen – ihre Jurist*innen, ihre Mobilisierungsfähigkeit und ihre NGO-Netzwerke. Neben der Bestrafung von Trump-Gegner*innen könnte es eines ihrer Ziele sein, die Wahlstärke der Demokrat*innen auf eine Weise einzuschränken, die mit den Maßnahmen zur Beschränkung des Wahlrechts in den 2010er Jahren letztlich nur begrenzt erreicht werden konnte.[5] Es ist zwar noch zu früh, um vorherzusagen, wie sich dies auswirken wird. Aber klar ist, dass die Trump-Anhängerschaft bei weitem nicht groß genug ist, um solche Maßnahmen durch demokratische Wahlen zu legitimieren und erneut zu rechtfertigen.
Damit sollen gleichwohl mögliche Auswirkungen des anhaltenden Angriffs auf die bestehende Verfassungsordnung nicht bestritten werden. Sollte es Vought und Musk gelingen, große Teile des staatlichen Regulierungs- und Wohlfahrtsapparats zu demontieren, dürfte es unmöglich sein, ihn in seiner vorherigen Form wiederherzustellen. Angesichts der Trump-freundlichen Besetzung des Obersten Gerichtshofs ist daher ein gemischtes Ergebnis denkbar, bei dem einige Maßnahmen der Regierung letztlich für verfassungswidrig erklärt werden, während andere bestehen bleiben könnten. Während dieses Szenario für die Gemäßigten ausreichen könnte, um die alte Ordnung aufrechtzuerhalten, wird die Situation vor Ort durch eine geschwächte Regulierungskapazität und die weitere Aushöhlung von Antidiskriminierungsreformen und Bürgerrechten für Menschen ohne US-Staatsbürgerschaft gekennzeichnet sein. Entscheidend ist, dass die Kernprinzipien des ethnischen Liberalismus und der bürgerlichen Freiheit, einst Teil eines gemeinsamen Elitenpakts, nun in jeder Legislaturperiode auf dem Spiel stehen.
Die Politik der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten umfasst sowohl einen offenen christlichen Ethno-Nationalismus als auch einen ausgeprägten Besitzindividualismus. Die Normalisierung dieser Ansichten ist ein wesentlicher Bestandteil der Regierungspolitik.
Ein solches Szenario zeigt, dass Trumps Angriff auf die Verfassungsordnung in erster Linie ein kultureller Angriff auf grundlegende Überzeugungen ist, die im 20. Jahrhundert geprägt wurden. Die Politik der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten umfasst sowohl einen offenen christlichen Ethno-Nationalismus als auch einen ausgeprägten Besitzindividualismus. Die Normalisierung dieser Ansichten ist ein wesentlicher Bestandteil der Regierungspolitik. Dies zeigt sich in den Videos, die vom Weißen Haus produziert oder gesponsert wurden. Sie ergötzen sich an der Grausamkeit gegen Immigrant*innen ergötzen oder verwandeln die ethnische Säuberung der Palästinenser*innen in einen Witz über die Trump Towers.
Tatsächlich passen die konkreten Angriffe auf den staatlichen Verwaltungsapparat und die Universitäten sehr gut zu dem Ziel, das kollektive Leben nach rechtsextremen Vorstellungen umzugestalten. Der trumpistische Staat würde auch nach einer weitgehenden Privatisierung noch eine Rolle spielen, allerdings als Ort der Zwangsgewalt gegen vermeintliche Feind*innen und Außenseiter*innen und als Quelle der korrupten Subventionierung kleptokratischer Seilschaften. Auch der von Trump geprägte Universitätstyp hätte nach wie vor eine Funktion, nämlich als noch extremere neoliberale Gewinnmaschine verbunden mit der kulturellen Förderung der «westlichen Zivilisation».
Verfassungssystem als Basis von Trumps Aufstieg
Doch was bedeutet das für die Linke? Eine gängige Reaktion auf Trumps Vorgehen besteht darin, sich auf die Verfassung zu berufen und sogar darauf zu vertrauen, dass die Gerichte das Land retten werden. Diese Haltung spiegelt sich in der Behauptung, Trump habe eine «Verfassungskrise» oder einen «konstitutionellen Stresstest» ausgelöst mit seiner Weigerung, sich an gerichtliche Anordnungen zu halten. Dies impliziert die Überzeugung, dass alles wieder zur Normalität zurückkehren könnte, solange die Amtsträger*innen auf die Justiz hören. Dem muss entgegengehalten werden, dass ebendieses Verfassungssystem die Grundlage für Trumps Aufstieg, seine Rückkehr ins Amt und seinen aktuellen Angriff ist. Angesichts der Dominanz der Rechten unter den Bundesrichtern ist nicht davon auszugehen, dass sie sich als stabil erweisen wird, geschweige denn als Ausgangspunkt für positive Veränderungen dienen kann. In jeder Rückkehr zum Vertrauen in die Justiz klingt die Hoffnung der Demokratischen Partei an, genügend «gute Republikaner*innen» davon zu überzeugen, ihrem Gewissen zu folgen und mit Trump zu brechen – ein Unterfangen, das wiederholt gescheitert ist.
Der Grund, die Verstöße Trumps gegen gerichtliche Anweisungen zu verurteilen, ergibt sich nicht aus einem allgemeinen Vertrauen in Richter*innen oder die Verfassung. Die Lähmung des Verfassungssystems, verstärkt durch die praktisch ausgeschlossene Möglichkeit seiner Änderung, führte dazu, dass viele demokratische Errungenschaften selbst ein gewisses Maß an Normbruch erforderten – von der Reconstruction-Ära[6] bis zum New Deal. Ob Bürger-, Arbeits- oder Frauenwahlrecht: Die großen sozialen Bewegungen der Vergangenheit forderten bekanntermaßen die Missachtung ungerechter Gerichtsurteile, durch die zuvor Sklaverei, «Rassentrennung» und Entrechtung aufrechterhalten oder gewerkschaftliche Organisation kriminalisiert worden waren. Angesichts der derzeitigen Kontrolle der Gerichte durch die Rechte könnte die Linke in den kommenden Jahren in eine ähnliche Lage geraten und zu zivilem Ungehorsam gegenüber der Justiz aufrufen.
Kein demokratisches System kann funktionieren, wenn eine mächtige Clique sich systematisch dem Gesetz entziehen und gleichzeitig den Staatsapparat nutzen kann, um Angst und Einschüchterung zu verbreiten.
Sie sollte sich dennoch nachdrücklich für rechtliche Schritte einsetzen und Trumps Missachtung der Gerichte verurteilen, allerdings aus anderen Gründen. Denn diese Bemühungen sind ein begrenztes Mittel, um die am stärksten Entrechteten vor ungezügelter Gewalt zu schützen. Im weiteren Sinne zeugt Trumps Missachtung von der allgemeinen Fixierung seiner Regierung darauf, Straflosigkeit zu erreichen – sei es bei dem Versuch, Wahlen zu manipulieren, sich an massiver Bestechung zu beteiligen, Mitarbeiter*innen nach Belieben zu entlassen oder politische Gegner*innen ins Visier zu nehmen. Kein demokratisches System, ob liberal oder sozialistisch, kann funktionieren, wenn eine mächtige Clique sich systematisch dem Gesetz entziehen und gleichzeitig den Staatsapparat nutzen kann, um Angst und Einschüchterung zu verbreiten.
Das Beispiel des New Deal unterstreicht auch die Notwendigkeit für die US-amerikanische Linke, eine Massenbasis aufzubauen, die bedeutende Veränderungen in der Verfassungsordnung durchsetzen kann. Denn schon vor Trumps aktuellem Angriff erwies sich diese Ordnung als ungeeignet zur Bewältigung der miteinander verflochtenen ökonomischen, ökologischen und kulturellen Krisen unserer Zeit. Jede echte Aussicht auf positive Veränderungen erfordert eine dauerhafte Mehrheit, selbst wenn diese nicht die Ausmaße erreicht, die wir in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt haben. Denn sie ist eine wesentliche Voraussetzung für einen Normbruch von links, aber im Namen der Demokratie.
Chance für die US-amerikanische Linke
Es ist durchaus möglich, dass die Schwäche der Demokrat*innen bei der nächsten Wahl zu einem weiteren Sieg der Republikaner*innen führt. Sollten die Demokrat*innen jedoch wieder an die Macht kommen, könnte sich ihr Sieg als ebenso hohl erweisen wie der von Trump: ein Sieg durch Unterlassung für die Partei, die gerade nicht im Amt ist. Auch wenn sie kurzfristig die schlimmsten Elemente der US-amerikanischen extremen Rechten in Schach halten könnten: Ohne echte Veränderungen innerhalb der Partei selbst werden sie den Kreislauf der Unzufriedenheit und der Ablehnung von Amtsinhaber*innen fortführen.
Leider deutet derzeit nichts darauf hin, dass die Demokratische Partei diese Herausforderung begreift oder in der Lage ist, als organisierte und geeinte Opposition zu agieren. Der kürzliche Kurswechsel von Chuck Schumer etwa zeugt von mangelnder Geschlossenheit und Standfestigkeit. Der Minderheitsführer der Demokrat*innen im Senat widersetzte sich den Bestrebungen der gewählten Parteiführung, Trump bei der Verabschiedung des Haushalts nicht zu unterstützen. Das Parteiestablishment scheint Entscheidungen auf Grundlage seines unmittelbaren Wahlhorizonts zu treffen, und zwar unabhängig vom breiteren politischen Kontext. Es ist so sehr von den Beschränkungen des alten Verfassungspakts geprägt, dass es offenbar unfähig ist, davon abzuweichen. Trump und seine Anhänger*innen agieren dagegen wie eine Avantgarde.
Die Unfähigkeit vieler Demokrat*innen, Risiken einzugehen, ist eine Chance für linke Gruppierungen.
Dies könnte gleichwohl eine potenzielle Chance für die US-amerikanische Linke darstellen. Während die gemäßigten Demokrat*innen vergeblich versuchen, die alte verfassungsmäßige Ordnung aufrechtzuerhalten, und die extreme Rechte es nicht schafft, sie durch etwas Anderes als Raub und Fremdenfeindlichkeit zu ersetzen, könnte die Rolle demokratisch-sozialistischer Kräfte darin bestehen, eine tragfähige Alternative voranzutreiben. Ein solches Unterfangen muss viele Formen annehmen. Es erfordert die Verteidigung derjenigen, die besonders anfällig für trumpistische Angriffe sind – unter anderem Nicht-Staatsangehörige, Transpersonen und Aktivist*innen, die sich für die Rechte der Palästinenser*innen einsetzen. Sowohl die Politik als auch Beobachter*innen der Mitte waren bisher bereit, all diese Gruppen zu opfern, teils aus echtem ideologischem Misstrauen, teils aus purem wahltaktischem Kalkül. Eine langjährige Lehre aus der politischen Opposition unter autoritären Bedingungen – sei es im US-amerikanischen Süden zur Zeit der «Rassentrennung» oder außerhalb der Vereinigten Staaten – ist jedoch, dass die Bereitschaft zur Verfechtung der eigenen Grundsätze ein entscheidendes Mittel ist, um Vertrauen und Solidarität zwischen den verschiedenen Gruppen zu schaffen, auch in Wahlkampfzeiten. Das impliziert, Risiken einzugehen, auch wenn dies nicht im eigenen unmittelbaren Interesse ist. Die Unfähigkeit vieler Demokrat*innen, genau dies zu tun, ist eine Chance für linke Gruppierungen.
Zum anderen muss die Linke den Aufbau von Institutionen vorantreiben, die die Grundlage für einen Wandel der Verfassung und der Gesellschaft insgesamt bilden können. Dazu gehört der Schutz und die Stärkung von Institutionen, die Zusammenhalt stiften und die Werte von Demokratie und Solidarität in den Alltag integrieren – seien es Gewerkschaften, Mieter*innengewerkschaften, parteipolitische Gruppierungen aller Art, Orte der Wissenschaftsfreiheit und des Empowerments von Arbeitnehmer*innen. Parteipolitik kann hier als Beispiel dienen. Parteien haben sowohl in der US-amerikanischen Vergangenheit als auch in verschiedenen Teilen der Welt lange Zeit als soziale Gemeinschaften fungiert – sie haben eine Reihe von Dienstleistungen und Programmen angeboten und Einzelpersonen in ihr breiteres soziales Umfeld integriert. In den USA sind Parteien heute jedoch keine echten Mitgliederorganisationen, geschweige denn soziale Gemeinschaften. Sie dienen ausschließlich den etablierten Eliten als Instrument zur Erlangung von Ämtern. Die US-amerikanische Bevölkerung kommt nur während der Wahlkampagnen mit Parteien in Berührung, wenn riesige Geldsummen für potenzielle Kandidat*innen ausgegeben werden.
Kamala Harris brachte es fertig, über eine Milliarde Dollar für eine Niederlage einzusammeln. Man stelle sich vor, eine Partei würde ihre enormen Ressourcen stattdessen für den Aufbau von lokalen Institutionen einsetzen!
Es gibt natürlich US-Bundeswahlgesetze, die darauf abzielen, den direkten Kauf von Stimmen einzuschränken – obwohl ebendiese Gesetze es Unternehmen und Milliardär*innen überaus leicht machen, genau dies zu tun. Dennoch ließe sich kreativ über die breitere kommunale Infrastruktur nachdenken, in der eine Partei tätig ist. Die Black Panthers haben zweifellos zahlreiche strategische und sogar ethische Fehler begangen, aber sie verstanden sich als eine oppositionelle, in der Zivilgesellschaft verwurzelte Bewegung. Zu ihren nachhaltigsten konkreten Errungenschaften gehörte die Bereitstellung von Dienstleistungen für einige der am stärksten ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen des Landes (durch Kinderfrühstück, Gesundheitskliniken, Ambulanzen, Kleiderausgaben, das Busing-Programm, Unterstützung für Gefangene und Bildungszentren). Dies waren Antworten auf tatsächliche soziale Bedürfnisse, die zu dem Versuch beitrugen, die Wählerschaft vor Ort in den institutionellen Rahmen der Partei zu integrieren. Sie versuchten, in den Worten des Populismushistorikers Lawrence Goodwyn, eine parallele «Bewegungskultur» zu schaffen, die der etablierten entgegenstand.
Ziel der Linken sollte es sein, das Leben der Menschen durch vermittelnde Institutionen zu verändern: am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Nachbarschaft. Sie sollten die Realität auf dieser grundlegenden Ebene in Frage stellen.
Die Linke sollte diese Lehre beherzigen angesichts der Bemühungen der extremen Rechten, die oppositionelle Kultur zu hegemonisieren. Wenn Trumps Wahlerfolg zum Teil auf die Fähigkeit der extremen Rechten zurückzuführen ist, eine Lebenswelt zu schaffen, die sich um seine Person dreht, ist es an der Linken, ein Gegengewicht zu bilden. Ihr Ziel sollte es sein, das Leben der Menschen durch vermittelnde Institutionen zu verändern: am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Nachbarschaft. Sie sollten die Realität auf dieser grundlegenden Ebene in Frage stellen.
Das Problem ist natürlich, dass das aktuelle politische Terrain – geprägt von der dauerhaften Einhegung der Arbeiter*innenschaft sowie dem Reichtum und der Macht einer Milliardärsklasse – äußerst unwirtlich ist. Linke Aktivist*innen innerhalb und außerhalb der Demokratischen Partei sind zudem ständigen Angriffen seitens überlegener sowie koordinierter Gegner*innen aus der Mitte der Gesellschaft ausgesetzt, angefangen bei den Manövern gegen die Präsidentschaft von Bernie Sanders bis hin zur Unterdrückung von Campus-Protesten anlässlich des Gaza-Konflikts. Es ist ein harter Kampf. Tatsache ist jedoch auch, dass weder die Mitte noch die extreme Rechte einen Ausweg aus dem institutionellen Niedergang der USA bieten können. In den USA und anderswo wurde schon einmal eine linke Kultur geschaffen, und es gibt keine Alternative dazu, dies wieder zu tun.
Deutsche Erstveröffentlichung des Textes «Constitutional Collapse», erschienen auf den Internetseiten der «New Left Review». Zwischenüberschriften und Zitate wurden redaktionell eingefügt. Übersetzung von Camilla Elle und Claire Schmartz für Gegensatz Translation Collective.
Mehr zum Thema: Dylan Riley, «What Is Trump?», NLR 114.
[1] Der Begriff New Deal bezeichnet eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen, die von 1933 bis 1938 unter US-Präsident Franklin D. Roosevelt als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise durchgesetzt wurden. (Anm. d. Ü.)
[2] «Brown gegen Board of Education» ist der Sammelbegriff für fünf Fälle, die zwischen 1952 und 1954 vor dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten verhandelt wurden und die «Rassentrennung» in öffentlichen Schulen betrafen. In den Sammelklagen betroffener Eltern gegen vier Bundesstaaten und den Bundesdistrikt wurde geltend gemacht, dass die getrennte Unterbringung von Schüler*innen nach Hautfarbe gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verstoße. Der Oberste Gerichtshof schloss sich dieser Argumentation in seinem Grundsatzurteil vom 17. Mai 1954 einstimmig an und hob damit die spätestens seit «Plessy gegen Ferguson» geltende Rechtsprechung («separate but equal», getrennt aber gleich) auf. Diese Entscheidung markierte das Ende der rechtlich sanktionierten «Rassentrennung» an öffentlichen Schulen in den USA. (Anm. d. Ü.)
[3] Unter dem Begriff «Red Scare» (Rote Angst) wird eine Art antikommunistische Hysterie zusammengefasst, die in zwei unterschiedlichen historischen Perioden in den USA auftrat. Sie manifestierte sich in der Stigmatisierung und Verfolgung der politischen Linken, insbesondere auch linker Immigrant*innen. (Anm. d. Ü.)
[4] «At-will employment» bezeichnet die Regelung, wonach sowohl Arbeitgeber*innen als auch Beschäftigte das Arbeitsverhältnis jederzeit ohne Grund und ohne Vorankündigung beenden können. (Anm. d. Ü.)
[5] «Ungefähr zur Zeit der Midterms im Jahr 2010 erließen einige Staaten neue Gesetze und Regelungen, die die Teilnahme an den Wahlen erschweren und unterrepräsentierte Gruppen von der Wahlurne fernhalten würden.» Siehe: www.rosalux.de/news/id/42843 (Anm. d. Ü.)
[6] Reconstruction bezeichnet die Phase vom Sezessionskrieg (1861–1865) bis 1877, in der die 1860/1861 aus den USA ausgetretenen Südstaaten wieder in die Union aufgenommen wurden. (Anm. d. Ü.)