
Die Forderung der Union nach einem Wiedereinstieg in die Atomkraft war am Ende wohl nicht mehr als ein Verhandlungs-Chip in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD – nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch wäre sie brachialer Unsinn gewesen. Anders als noch in den Vorentwürfen fehlte die Passage im Koalitionsvertrag, den die beiden Parteien am 9. April 2025 vorstellten. Dennoch ist das Papier im Bereich Klima- und Energiepolitik ein Dokument der Ignoranz gegenüber dem, was nötig wäre.
Uwe Witt hat Volkswirtschaft studiert und arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Referent für Klimaschutz und Strukturwandel.
Nötig, ja überfällig und machbar, wären robuste Festlegungen zu Entwicklungen in vier Bereichen gewesen: Erstens zum weiteren Ausbau und zur Integration von erneuerbaren Energien in die Stromnetze bei zügiger Abschaltung fossiler Erzeugungskapazitäten. Zweitens zum überfälligen Durchstarten bei der Wärmewende im Gebäudebereich. Drittens zum Einleiten der ebenso sträflich verschleppten Verkehrswende. Und viertens zur sozialen Absicherung all dieser Prozesse, die unter der Ampel kaum eine Chance hatte. Darüber hätte angesichts der fortschreitenden Klimakrise ein klares Bekenntnis zum Zwischenziel im Klimaschutz bis 2040 stehen müssen, das die EU-Kommission ins Spiel gebracht hat. Doch Schwarz-Rot hat jetzt zu alldem kaum geliefert, sie hat sogar Rückschritte produziert.
Was im Koalitionsvertrag fehlt, ist die Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Reiche in Klimaverantwortung zu nehmen, auch mit Reichen- und Vermögenssteuern sowie mit Sondersteuern, etwa für Luxusyachten und Privatflieger, muss aber auf der Tagesordnung bleiben.
Klimaschutzziele
Auf dem Weg zur Treibhausneutralität im Jahr 2050 schlug die Europäische Kommission im letzten Jahr als EU-Zwischenziel 90 Prozent weniger Emissionen an Treibhausgasen (THG) bis 2040 gegenüber 1990 vor (Stand 2023: 37 Prozent). Die künftige Koalition bekennt sich zwar zur Treibhausgasneutralität bis 2045 hierzulande, gemäß dem deutschen Klimaschutzgesetz. Das vorgeschlagene neue EU-Zwischenziel für 2040 will sie aber nur unter der Bedingung unterstützen, dass auch Emissionsgutschriften aus Klimaschutzprojekten in außereuropäischen Staaten für die Zielerfüllung genutzt werden können. Drei Prozentpunkte des Zwischenziels sollen künftig über solche Gutschriften abgedeckt werden dürfen. Dafür soll auch das EU-Recht geändert werden, das solche Anrechnungen nach einem Desaster aufgrund häufig dubioser Auslands-Projekt-Gutschriften in der Vergangenheit aus gutem Grund ab 2021 verboten hatte. Kämen die Pläne der Berliner Koalitionäre in Brüssel durch, würde der Mechanismus aufgrund von neuen UN-Regeln zwar wohl nicht so betrugsanfällig sein, wie sein aus Klimasicht gescheiterter Vorläufer (siehe Kasten unten). Die Büchse der Pandora aber würde EU-weit dennoch geöffnet, mit der Gefahr, das Primat nationaler Minderungs-Anstrengungen zu verwässern, das von Industrieländern als Hauptverursachern der Klimakrise erwartet wird.
Dekarbonisierung der Elektrizitätswirtschaft und Industrie
Hatte sich die Ampel im damaligen Koalitionsvertrag noch die vorsichtige Formulierung abgerungen, nach der der Kohleausstieg „idealerweise“ bis zum Jahr 2030 abgeschlossen sein solle, bekennen sich Union und SPD nur zum gesetzlichen Ausstiegspfad bis spätestens 2038. Allerdings hatte auch die Ampel nie wirklich 2030 im Fokus, zumindest nicht durch Gesetzesänderungen. Auch deshalb, weil Expert*innen schon seit geraumer Zeit davon ausgehen, dass gegen Ende der 20er Jahre die Kohleverstromung allein durch gesetzte Marktmechanismen unrentabel wird: Der EU-Emissionshandel treibt infolge der stetig schrumpfenden Zertifikatsmenge die CO2-Preise in solche Höhen, dass Strom aus Kohle sich bis dahin nicht mehr rechnet.
Tritt dieses Szenario ein, müssen nach dem Kohlekompromiss von 2020 für das (gegenüber den damals festgelegten Abschaltdaten) vorgezogene Aus keine weiteren Entschädigungen an die Kohlekraftwerksbetreiber gezahlt werden. Ein schnellerer Ausstieg per Gesetz statt über den Markt käme hingegen der Staatskasse teuer wegen der dann nötigen Entschädigungen an die Betreiber - offensichtlich der Hintergrund, weshalb er auch in diesem Koalitionsvertrag nicht auftaucht. Was den Bundeshaushalt schützt belässt die Kohleregionen allerdings in Illusionen - auch wenn mit dem formalen Festhalten am Ausstiegsjahr 2038 das Gegenteil behauptet wird.
Passagen zum mittelfristig genauso notwendigen Gasausstieg finden sich nicht im Papier, auch nicht zur Korrektur der überdimensionierten Infrastruktur für Terminals für Flüssigerdgas (LNG) an den deutschen Küsten, die unter Ex-Wirtschaftsminister Habeck geschaffen wurde. Dafür will die neue Regierung in einer überarbeiteten Kraftwerksstrategie kurzfristig 20 Gigawatt (GW) neue Gaskraftwerksleistung „technologieoffen anreizen“ – knapp doppelt so viel wie ihre Vorgänger zunächst planten. Das Adjektiv „technologieoffen“ lässt offen, ob Erdgas, Biogas oder irgendwann auch Wasserstoff (und wenn ja, welcher) verbrannt werden sollen.
Zur Notwendigkeit dieser vielleicht 30 bis 40 neuen Gaskraftwerke (falls es sich dabei überwiegend um 600 Megawatt-Blöcke handelt, sonst könnten es auch hunderte werden) gibt es in der Fachwelt unterschiedliche Einschätzung. Etliche Expert*innen meinen, dass tatsächlich zusätzliche steuerbare Leistung im Umfang von etwa 20 GW benötigt wird, um in Zeiten, in denen zu wenig Wind weht und die Sonne nicht scheint, das Stromsystem versorgungssicher zu halten. Dies sei umso dringlicher, wenn parallel Kohlekraftwerke vom Netz gehen, worauf auch der Koalitionsvertrag hinweist. Doch zunehmend könnten auch Batterie-Speicher zumindest einen Teil dieser steuerbaren Flexibilität bereitstellen, ebenso Verträge zur zeitweisen Leistungsreduzierung bei großen Energieverbrauchern in der Industrie (Kühlhäuser, Elektrolyseure) oder der überregionale Stromverbund. Sie werden zwar im Papier erwähnt, kommen hier aber als Leistungsreserve zu den 20 GW on top. Das könnte später unter Umständen zu teuren Überkapazitäten im Kraftwerksbereich führen und/oder zur teilweisen bzw. zeitweisen Verdrängung erwähnter Alternativen. Beides hätte vermeidbare Treibhausgasemissionen zur Folge.
Um genau das zu verhindern empfehlen Analysten, die geplante Ausschreibung der 20 GW auch für alle Alternativen zur Gaskraft zu öffnen. So könnte breit ermittelt werden, wie sich der günstigste Technologiemix für Versorgungssicherheit zusammensetzt. Doch laut Koalitionsvertrag sollen solche gänzlich technologieoffenen Kapazitätsausschreibungen wohl erst im Anschluss an Gaskraftwerksauschreibungen starten.
Dass sich Schwarz-Rot mit Alternativen zur Gaskraft schwertut, zeigt sich auch in dem formulierten Ziel, mit Hilfe momentan stillgelegter, aber einsatzbereiter Kohle- und Gaskraftwerke Strompreisspitzen zu kappen. Diese Reservekraftwerke sollen bislang nur in Notfällen zur Systemsicherung ans Netz, für diese Bereitschaft erhalten sie Geld. Künftig sollen sie auch starten, wenn zeitweise der Börsenpreis für Strom durch die Decke geht, um ihn durch das zusätzliche Stromangebot zu senken. Dagegen läuft nun aber die Branche der Batteriebetreiber und Anbieter smarter Stromsteuertechnologien Sturm, die genau mit diesen Preisspitzen Geld verdienen wollten.
Laut dem Thinktank Agora Energiewende wird das schwarz-rote Konzept nur marginal preissenkend wirken, langfristig aber Investitionen in Großspeicher und andere Flexibilitäts-Projekte unattraktiv machen – unter dem Strich ein strategischer Schaden. Die Abschöpfung leistungsloser Übergewinne am Strommarkt hingegen, die unter bestimmten Umständen auftreten können (etwa zur Gaskrise 2021), ist im Koalitionsvertrag ebenso wenig Thema wie eine grundlegende Reform des Strommarktdesigns, die solche Gewinne von vornherein verhindern würde.
Der Koalitionsvertrag geht überdies früheren Festlegungen aus dem Weg, die vorgeschrieben haben, dass nur diejenigen neuen Erdgas-Kraftwerke Fördermittel erhalten, die zu einem späteren Zeitpunkt auf klimaneutralen Wasserstoff umgerüstet werden können („H2-ready“). Wie und wann will die Bundesregierung bei Kraftwerks-Laufzeiten von bis zu 40 Jahren so die Kurve zur vollständigen Dekarbonisierung des Stromsektors bekommen? Mit neuen Milliarden-Entschädigungen?
Grünen Wasserstoff – also Wasserstoff, der mit Hilfe von Ökostrom erzeugt wird – thematisiert die neue Koalition im Kraftwerksbereich erst gar nicht. Zum Durchbruch verhelfen will sie vielmehr der Abscheidung und Verklappung von CO2 unter dem Meeresgrund sowie „onshore, wo geologisch geeignet“ (CCS). Und anders als in der Vergangenheit geht es hier nicht mehr nur um schwer vermeidbare Emissionen der Industrie (etwa bei der Zementherstellung), sondern auch um Gaskraftwerke, einschließlich solcher, die mit Erdgas betrieben werden. Die Förderung von CCS für fossile Energien wäre vollends ein Tabubruch und ein Pfad hin zur Subventionierung von importierten Erdgas.
Das Ganze könnte perspektivisch die Verstromung von so genannten blauem statt grünem Wasserstoff zur Folge haben: Dabei wird aus Erdgas Wasserstoff gewonnen, das anfallende CO2 würde dann in der Erde verpresst. Ob die riskante und teure CCS-Technologie sowie der Umgang mit den Unmengen von anfallendem Kohlendioxid realistische Optionen sind, ist mehr als fraglich. Nicht nur weil CCS gerade im Falle Erdgas besonders ineffizient und teuer wäre, sondern auch weil die meisten Bürger*innen hierzulande keinen Bock auf neue Endlager und schlummernde Risiken unter ihren Füßen haben.
Überhaupt hat die neue Bundesregierung spürbar wenig Vertrauen darauf, dass in absehbarer Zeit genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, um jene Bereiche zu dekarbonisieren, die nicht mit Ökostrom betrieben werden können (neben Backup-Kraftwerken auch Stahlproduktion und Teile der Chemie sowie des Luft- und Seeverkehrs). Schließlich fordert sie unmissverständlich eine „pragmatische“ Aufweichung der Definition dessen, was eigentlich grüner Wasserstoff ist, angebliche „Überregulierung“ soll zurückgefahren werden. Es könnte darauf hinauslaufen, dass unter der Marke „grüner Wasserstoff“ auch Wasserstoff zum Einsatz kommt, der mittels fossiler Quellen erzeugt wurde. Etwa wenn zur Wasserstoff-Elektrolyse nicht nur zusätzlicher Ökostrom genutzt wird, sondern auch Strom, der über Umwege aus Kohlekraftwerken stammt.
Zum Thema Deregulierung gehören auch jene Passagen, die eine „Rückführung auf EU-Recht“ fordern, etwa beim Energieeffizienzgesetz oder beim Energiedienstleistungsgesetz. Ambitioniertere Gesetzgebungen in Deutschland gegenüber den EU-Mindestvorgaben sollen also gestrichen werden. Auch die Verbandsklage wollen Union und SPD einschränken, welche anerkannten Verbänden zum Beispiel Klagerechte im Umweltbereich einräumen, die sonst nur unmittelbar Betroffene haben. Das deutsche Lieferkettengesetz will die Koalition gleich ganz schleifen, was billige Energieimporte auf Kosten des Globalen Südens erleichtern könnte. Dazu passt schmerzhaft die angekündigte Absenkung der Entwicklungsfinanzierung („Absenkung der ODA-Quote“), während es bei der internationalen Klimafinanzierung bei einem verwaschenen Terminus vom „fairen Anteil“ Deutschlands bleibt.
Erneuerbare Energien und Netzausbau
Beim Ausbau von Ökostromkapazitäten ist Schwarz-Rot zum Glück nicht der Kampagne verschiedener Verbände, etwa des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), gefolgt, nach der die in den letzten Jahren erfreulichen Beschleunigung des Ausbaus von Wind- und Sonnenkraft abgebremst werden sollte. Deren Begründung: Der Stromverbrauch steige nicht so stark, wie angesichts der Elektrifizierung vieler Bereiche erwartet worden war, da weniger E-Autos, Wärmepumpen und Elektrolyseure genutzt werden als angenommen. Daher könnten durch einen langsameren Ausbau Kosten gespart werden, sowohl bei den Erneuerbaren auch beim Netzausbau, der nötig ist, um diese auch nutzen zu können. Dies würde die Kosten allerdings nicht senken, sondern nur in die Zukunft verschieben, denn auf längere Sicht werden all diese Kapazitäten benötigt. Eine solch direkte Kürzung des Ausbaus wurde zwar abgewendet, jedoch finden sich im Koalitionspapier schwer interpretierbare Prüfklauseln zur Synchronisation von Ausbauzielen. Würden infolge dieser Prüfungen die Ausbauziele gesenkt, könnte dies das Erreichen der Klimaschutzziele gefährden.
Gegenüber den Vorentwürfen fehlt im Einigungspapier auch die von Brüssel angemahnte Trennung der einheitlichen deutschen Strompreiszone. Der Hintergrund: Weil der Übertragungsnetzausbau nur schleppend vorangeht, kann häufig nicht der gesamte erzeugte Strom dorthin transportiert werden, wo er gebraucht wird. Vor allem beim Nord-Süd-Transport entstehen Netzengpässe. Darum muss gegenwärtig auch ein Teil des erzeugten Ökostroms im Norden abgeregelt werden, teure fossile Reservekapazitäten im Süden müssen dafür einspringen. Die Mehrkosten bezahlen die Verbraucher*innen über die Netzentgelte. Zwei oder mehrere Strompreiszonen im Großhandelsmarkt könnten demgegenüber sinnvoll den Bau von leistungsfähigen Windkraftanlagen im Süden anreizen, gegen die insbesondere Bayern kämpft, und zudem die Abneigung einzelner Bundesländer gegen den notwenigen Netzausbau mildern. Das muss für die privaten Haushalte auch nirgends teurer werden, wie Arbeiten zur Ausgestaltung zeigen. Diese Chance vergibt das Koalitionspapier.
Den Stromnetzausbau preiswerter machen könnte auch die Zusammenführung und Verstaatlichung der vier teils privaten Übertragungsnetzbetreiber, wie es von der LINKEN ebenso seit Jahren gefordert wird wie die Strompreiszonen. Im Koalitionsvertrag gibt es zumindest einen Hinweis in diese Richtung, vermutlich auf Druck der SPD. „Strategische staatliche Beteiligungen im Energiesektor“ sollen geprüft werden, „auch bei Netzbetreibern“.
Im Übrigen könnte die Bundesregierung viel Geld bei der Energiewende sparen, wenn sie auf maßlose Wolkenkuckucksheim-Projekte im Koalitionsvertrag verzichten würde, etwa in Deutschland den „ersten Fusionsreaktor der Welt“ bauen oder auf dem Mond herumspazieren zu wollen. Die Technologieentwicklung zur Kernfusion ist seit Jahrzehnten ein Milliardengrab. Ob sie je funktionieren wird, steht in den Sternen, und bis 2050 wird sie garantiert keinen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Die Mondmission ist erkennbar eine Idee alter Männer auf Kosten wirklicher Zukunftsprojekte.
Wärmewende
Die Union hat sich offensichtlich mit brachialem Populismus beim Heizungsgesetz durchgesetzt. Sie will es „abschaffen“, wie schon im Wahlkampf verlautbart. Genau genommen gibt es gar kein Heizungsgesetz. Die hysterische Debatte drehte sich immer um den Paragraphen 71 des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG), der die Anforderungen an Heizungsanlagen regelt und der unter der Ampel neu formuliert worden war. Schwarz-Rot will ihn nun „technologieoffener, flexibler und einfacher“ machen. Viel Spaß dabei – denn er wurde von der FDP ohnehin schon verwässert, in Richtung des komplett ineffizienten Einsatzes von Wasserstoff im Wärmebereich und mit Hilfe zahlloser Ausnahme- und Übergangsregeln. Legt die Koalition nun noch Hand an den Kern der Regelungen an, der bei Neuanlagen den Einsatz von klimafreundlichen Heizungen und Fernwärme vorschreibt, bliebe kaum noch ein Instrumentarium, um die Wärmeversorgung schrittweise klimafreundlich zu machen. Die Vorentwürfe des Koalitionsvetrags enthielten noch den Plan einer Verdreifachung der Fördermittel für effiziente Wärmenetze auf 3,5 Milliarden jährlich – einer der wenigen Lichtblicke im Energiebereich. Dass die konkrete Zahl im Koalitionsvertrag nun gestrichen wurde, ist ein weiteres schlechtes Zeichen.
Auch bei der Gebäudeeffizienz gibt es Rückschritte. Der Effizienzstandard EH-55 im Neubau soll wieder staatlich gefördert werden – obwohl er Stand der Technik ist, demnach keiner Subvention bedarf und per Ordnungsrecht umsetzbar ist. Die dafür verwendeten Mittel werden dann bei der energetischen Sanierung im Bestand fehlen. Mittelfristig will die Koalition auch die Treibhausgasminderung an Stelle der Gebäudeeffizienz zum zentralen Steuerungsfaktor machen. Das klingt harmlos, ist aber gefährlich. Weniger dämmen und dafür darauf hoffen, den höheren Restwärmebedarf mittels grüner Wärme decken zu können – die Treibhausgasminderung wäre zwar ähnlich. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen. Denn erneuerbare Energien (etwa Ökostrom für Wärmepumpen, erst recht Biogas) werden auch im Wärmebereich knapp und teuer bleiben. Eine hohe Nachfrage aus schlecht isolierte Häusern könnten ihr Aufkommen schnell überfordern. Unter dem Strich vergeigen Union und SPD das, was endlich kommen müsste, da der Gebäudesektor regelmäßig seine Klimaziele reißt: Den Beginn einer wirklichen Wärmewende.
Soziale Absicherung und Strompreise
Die Koalition unterstützt ausdrücklich die Ausweitung des EU-Emissionshandels auf weitere Bereiche, den EU-Emissionshandel 2 (ETS 2), der ab 2027 greifen soll. Mit der CO2-Bepreisung von Brennstoffen im Wärme- und Mobilitätsbereich hat Deutschland bereits einen deutschen Vorläufer geschaffen. Ab 2027 werden die Brennstoffe dann europäisch bepreist, was für die privaten Haushalte zu empfindlichen Preissprüngen führen kann. Gerade im Hinblick darauf ist wohl auch die Formulierung zu verstehen, nach denen „das System der CO2-Bepreisung als zentraler Baustein im Instrumentenmix“ festgehalten wird. Der seit 2005 betriebene EU-Emissionshandel 1 (ETS 1), der für die Energiewirtschaft und die Industrie gilt, funktioniert inzwischen halbwegs sinnvoll und wirksam im Verbund mit der Förderung der Erneuerbaren und dem Kohleausstiegsgesetz. Ob das für den ETS 2 gelten wird, ist höchst fraglich. Vor allem deshalb, weil die CO2-Preise im ETS 2 bedeutend höher sein müssten als beim ETS 1, um relevante Klimaschutzwirkungen zu entfalten.
Gebäude und Verkehr gelten vielen Fachleuten deshalb auch aus sozialen Gründen eher als das Feld von Ordnungsrecht, Förderpolitik und staatlichen Infrastrukturinvestitionen statt für CO2-Bepreisung. Sie macht hier auch deshalb wenig Sinn, weil etwa Mieter*innen gar keinen Einfluss auf den Zustand des Gebäudes haben, also nicht reagieren können, aber anteilig den CO2-Preis auf die Heizungs-Brennstoffe zahlen sollen. Vergleichbares gilt hinsichtlich der Spritpreise für Pendler*innen bei Abwesenheit eines funktionierenden ÖPNV. Soziale Verwerfungen sind vorprogrammiert gerade bei den Ärmsten.
Unter dem Strich liefert das ETS 2 mehr sozialen Sprengstoff als Klimaschutz. Doch für Politiker*innen, die ohne Alternative das Heizungsgesetz abschaffen wollen und zudem nicht einmal in der Lage sind, das Wort „Tempolimit“ in den neuen Vertrag zu schreiben, scheint das keine Rolle zu spielen.
Dazu passt, dass die Koalition von einem gezielt sozial gestaffelten Klimageld, wie es von einer breiten Bewegung gefordert wird, leider absieht. Stattdessen sollen Strompreissenkungen um fünf Cent je Kilowattstunde kommen, verteilt mit der Gießkanne statt gezielt nach Bedarf. Dazu sollen die Stromsteuer auf fast Null gesenkt und die Übertragungsnetzentgelte vermindert werden. Beides käme auch Vermögenden zu Gute und ebenfalls der Industrie, die zusätzlich noch einen subventionierten Industriestrompreis bekommen soll. Ein solcher kann zwar befristet Sinn machen zumindest für sehr energieintensive Unternehmen mit hohem internationalem Wettbewerbsdruck im Übergang zu klimafreundlichen Technologien. Gilt er aber für die ganze Breite der Industrie - wie in der Vergangenheit so viele Industrieprivilegien - wird er sehr teuer werden und Effizienz-Innovation eher verhindern als fördern. Gleiches gilt für die vorgesehene Verlängerung und Ausweitung der Strompreiskompensation. Sie wird unter bestimmten Bedingungen an Unternehmen gezahlt, um emissionshandelsbedingte Strompreissteigerungen auszugleichen.
Was im Koalitionsvertrag (nicht nur in Bezug auf den Klimaschutz) fehlt, ist die Umverteilung von Einkommen und Vermögen, die im Übrigen auch in der öffentlichen Debatte um die Aufhebung der Schuldenbremse und die neu geschaffenen Sondervermögen fast unterging. Reiche in Klimaverantwortung zu nehmen, auch mit Reichen- und Vermögenssteuern sowie mit Sondersteuern, etwa für Luxusyachten und Privatflieger, muss aber auf der Tagesordnung bleiben. Das ist und bleibt Bestandteil des Kampfes um Klimagerechtigkeit.
Internationale Klimaschutzprojekte:
Auf weniger Betrug im Rahmen internationaler Klimaschutzprojekte hoffen Fachleute, weil sich im Rahmen des Paris-Abkommens jetzt auch die Länder des Globalen Südens zu konkreten Klimaschutzzielen verpflichtet haben. Würden künftig Emissionsgutschriften aus internationalen Klimaschutzprojekten, wie sie die Koalition nutzen will, nach Deutschland transferiert – zum Beispiel aus Vorhaben in Kenia – , so bedeutet das nach den neuen UN-Regeln, dass Kenia nach dem Transfer weniger Klimagase ausstoßen darf als zuvor. So soll vermieden werden, dass sich Kenia und Deutschland den Minderungsbetrag beide auf die nationale Zielerfüllung gegenüber der UN anrechnen. Um solche Doppelzählungen zu vermeiden, muss sich die Menge an Emissionen, die Kenia gestattet ist, in dem Umfang verringern, wie „kenianische“ Emissionsgutschriften nach Deutschland wandern.
Im Gegensatz zur früheren betrugsanfälligen Zeit, in der Entwicklungsländer keine Emissionsminderungsziele hatten und über Instrumente wie den Clean Development Mechanism (CDM) massenhaft „faule“ billige Emissionsminderungszertifikate in die Emissionshandelsmärkte der Industrieländer strömten - so die Hoffnung auf UN-Ebene - würden Regierungen in den „außereuropäischen Partnerländern“ nun genau schauen, ob hinter den gemeldeten Treibhausgasminderungen der Projekte tatsächlich realer Klimaschutz steckt. Denn nur in dem Fall wären die durch solche Transfers verringerten Emissionsbudgets für die Gastländer des globalen Südens kein Problem. Fake-Projekte, die es früher unter den Kyoto-Regeln zuhauf gab, hätten unter dem Paris-Regime weniger Chancen.
Unabhängig, ob dies in der Realität so aufgeht, auch weil sich erfahrungsgemäß bei solchen Instrumenten immer neue Schlupflöcher auftun: Eigentlich sollten solche Instrumente nach Artikel 6 des Paris-Protokolls nur eingesetzt werden, wenn sie netto auch einen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Will heißen: Wenn deutsche Unternehmen um Geld zu sparen lieber Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern finanzieren und damit ihre Auflagen im EU-Emissionshandel abrechnen wollen, sollten EU und Bundesrepublik gleichzeitig die jeweiligen Klimaschutzziele erhöhen. Doch von solch einer Ambitionssteigerung ist im Koalitionsvertrag keine Rede.