Kommentar | Arbeit / Gewerkschaften - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Globalisierung Unwürdig und verantwortungslos

Zur geplanten Abschaffung des Lieferkettengesetzes. Kommentar von Nadja Dorschner

Arbeiterinnen bei der Arbeit an einer Nähmaschine: Indische Textilfabrik Esteam produziert Fairtrade Baumwolltaschen für Lidl (Miraj/Indien, 2008)
«Hier soll ein Gesetz abgeschafft werden, das eine schwarz-rote Bundesregierung 2021 noch als Minimalstandards gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung in globalen Lieferketten auf den Weg gebracht hat.» Indische Textilfabrik Esteam produziert Fairtrade Baumwolltaschen für Lidl (Miraj/Indien, 2008), Foto: IMAGO / Joerg Boethling

Schon zum Ende der Ampelregierung stand es schlecht um das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wollte «die Kettensäge anwerfen» und das Gesetz «wegbolzen». Auch Bundeskanzler Scholz hatte Arbeitgebervertretern versprochen, das Gesetz komme «weg». Die Union legte bereits im Juni 2024 aus der Opposition heraus Gesetzesentwürfe vor, um das LkSG aufzuheben. Jetzt will die neue schwarz-rote Bundesregierung ernst machen: laut Koalitionsvertrag soll das LkSG abgeschafft werden.

Die Absurdität dieses Vorhabens ist mannigfaltig und fängt damit an, dass ein Gesetz abgeschafft wird, das eine ebenfalls schwarz-rote Bundesregierung 2021 als Minimalstandards gegen Ausbeutung und Umweltzerstörung in globalen Lieferketten auf den Weg gebracht hat. Zu diesem Zeitpunkt war der Druck für die Einführung einer gesetzlichen unternehmerischen Sorgfaltspflicht endlich groß genug, weil eine Evaluation des Auswärtigen Amtes nachwies, dass nur 15 Prozent der deutschen Unternehmen freiwillig ihrer Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz in ihren Lieferketten nachkommt.

Nadja Dorschner ist Referentin für globale Lieferketten und sozial-ökologische Transformation im Asienreferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, vorher leitete sie zwei Jahre lang das Regionalbüro Südasien der Stiftung.

Eine Abschaffung des Lieferkettengesetzes würde allerdings nicht bedeuten, dass es in Deutschland zukünftig keine unternehmerischen Sorgfaltspflichten mehr geben wird. Denn seit Verabschiedung der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) auf Europäischer Ebene im Mai 2024 ist Deutschland dazu verpflichtet, diese EU-Richtlinie in deutsches Recht zu überführen. Dabei wäre eigentlich ein Regressionsverbot zu beachten, d. h. dass die nationalen Regierungen bereits bestehende Gesetze durch die Überführung der europäischen Richtlinie in nationales Recht nicht abschwächen dürfen. Mit der Abschaffung des LkSG umgeht die neue Bundesregierung dieses Problem und will sich darauf konzentrieren die CSDDD «bürokratiearm und vollzugsfreundlich» in ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung zu überführen. Dank des Omnibus-Pakets der EU-Kommission, dass Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich unterstützen, muss die CSDDD in den Mitgliedsstaaten voraussichtlich erst 2028 in Kraft treten. 

In Zeiten von globaler Rezession und Handelskriegen mag Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit für viele ein nachvollziehbares Argument für die Schwächung unternehmerischer Sorgfaltspflichten sein. Allerdings wird die CSDDD europaweit gelten, wodurch deutsche Unternehmen zumindest keinen Nachteil gegenüber ihren europäischen Mitbewerber*innen haben werden. Zudem ist zu hinterfragen, auf wessen Kosten sich europäische Unternehmen auf dem internationalen Markt unterbieten wollen und welche Glaubwürdigkeit Deutschland und Europa gegenüber ihren internationalen Partnern verlieren, wenn sie bereits erreichte wirtschaftliche und soziale Schutzstandards wieder aufweichen. Auf eine Wettbewerbsfähigkeit zu setzen, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in globalen Lieferketten ignoriert, ist brandgefährlich und schadet zudem Deutschlands eigenem Interesse an wirtschaftlicher Stabilität, Klimaschutz und der Vermeidung von Fluchtursachen. 

Was als ‹Bürokratie› verunglimpft wird, ist eine notwendige Regulierung gegen teils menschenverachtende Praktiken, die angewendet werden, wenn man das Kapital sich selbst überlässt.

Die Union erklärt die Notwendigkeit zur Abschaffung des LkSG gerne mit dem großen Bürokratieaufwand für die Unternehmen. Markus Krajewski, Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Nürnberg argumentiert, dass sich eine «Änderung» des LkSG allein mit einer Vereinfachung des bürokratischen Aufwands für Unternehmen nicht begründen ließe. Außerdem würde Deutschland damit gegen den UN-Sozialpakt verstoßen. Natürlich verursacht die Analyse von menschenrechtlichen Risiken, die Auseinandersetzung mit Beschwerden oder die Berichterstattung sowohl den Unternehmen als auch dem Staat finanziellen und personellen Aufwand. Trotzdem ist die Erzählung von der Überforderung durch Bürokratie nichts als ein Echo der großen Unternehmensverbände. Laut einer repräsentativen Umfrage des Handelsblatts sollen nur sieben Prozent der Unternehmen grundsätzlich gegen eine gesetzliche Sorgfaltspflicht zum Schutz von Menschenrechten sein. Sicherlich sind unter denjenigen, die eine gesetzliche Regulierung grundsätzlich befürworten noch viele, die das LkSG trotzdem als «Bürokratiemonster» abtun. Hier ist es aber wiederum dringend notwendig sich zu fragen, ob die Bürokratie ihren Aufwand nicht wert sein könnte. Schließlich konnte das LkSG in verschiedenen Fällen schon Wirkung zeigen: deutsche Unternehmen zeigen sich beispielsweise endlich gesprächsbereit gegenüber Gewerkschaften in Produktionsländern und in einigen Fällen konnte die Bezahlung angemessener Löhne durchgesetzt werden. Was als «Bürokratie» verunglimpft wird, ist eine notwendige Regulierung gegen teils menschenverachtende Praktiken, die angewendet werden, wenn man das Kapital sich selbst überlässt. Wer es mit der Vereinfachung des bürokratischen Aufwands für das LkSG ernst meint, sollte sich zuerst den Hürden widmen, die Betroffene von Menschenrechtsverletzungen überkommen müssen, um sich im Rahmen des LkSG gegen deutsche Unternehmen zu beschweren. Bürokratie ist nicht nur lästig, sie kann eben auch eingesetzt werden, um globale Gerechtigkeit herzustellen oder andere wichtige Funktionen wie den Schutz von Demokratie und Verbraucher*innenrechten erfüllen. 

Die breite Aufmerksamkeit des Wahlkampfs lag auf den Themen Migration, Rechtsruck und Militarisierung sowie auf der Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Nur die Partei Die Linke hat sich in ihrem Wahlprogramm für das Lieferkettengesetz stark gemacht. Welchen Beitrag gute Arbeitsbedingungen oder der Schutz vor Verdrängung und Umweltschäden zu Demokratie und Frieden leisten können, scheinen andere Parteien nicht als Potenzial zu erkennen. Nun gehen Expert*innen davon aus, dass das LkSG bis zur Einführung des neuen CSDDD-Umsetzungsgesetzes erhalten bleibt. Seine Wirksamkeit wird dennoch abgeschwächt, denn die Berichtspflichten der Unternehmen sollen aufgehoben werden und Sanktionierungen sind ausdrücklich nur bei massiven Menschenrechtsverletzungen vorgesehen. Dadurch wird deutlich, dass eine Stärkung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Sinne der Betroffenen in Deutschland nach wie vor keinen Platz auf der politischen Agenda hat. Stattdessen steht jetzt Defensivkampf an, um das Lieferkettengesetz in seiner jetzigen Form vielleicht doch noch erhalten zu können. 

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD zeigt, dass sie nicht nur die sozialen Herausforderungen der Menschen in Deutschland nicht erkennen, sondern auch kein Gespür für globale Gerechtigkeit und Solidarität haben.

Expert*innen appellieren an die neue Bundesregierung ihre völker- und europarechtlichen Verpflichtungen zu beachten. Mit einer Änderung oder gar Abschaffung des Gesetzes würde Deutschland in einem weiteren Punkt beweisen, dass es sich nicht an internationale Verpflichtungen gebunden fühlt. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD zeigt, dass sie nicht nur die sozialen Herausforderungen der Menschen in Deutschland nicht erkennen, sondern auch keinen Sinn für globale Gerechtigkeit und Solidarität haben, sobald die wirtschaftlichen und mitunter geopolitischen Interessen Deutschlands darunter leiden würden. Darum sind die Pläne für die Abschaffung des LkSG auch ein Omen für die Schleifung sozialer und demokratischer Grundrechte hierzulande. Im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte bewegen wir uns also aus linker Sicht kurzsichtig in eine völlig falsche Richtung. Die Abschaffung des LkSG ist seinem Zweck völlig unwürdig. In den nächsten Monaten wird es auf linke Stimmen, Jurist*innen und Menschenrechtsorganisationen ankommen unternehmerische Sorgfaltspflichten im Sinne Betroffener zu verteidigen.