
Mit den geplanten Freihandelsabkommen mit Indonesien und den Philippinen verfolgt die Europäische Union mehr als reine Wirtschaftsinteressen. In einer Welt zunehmender geopolitischer Spannungen – zwischen den USA und China, inmitten multipler Krisen – sucht die EU über bilaterale Abkommen (Comprehensive Economic Partnership Agreements – CEPA) nach neuen Allianzen, Rohstoffen und Absatzmärkten. Das Versprechen einer „fairen und nachhaltigen Partnerschaft“ wird jedoch in der Realität durch Machtasymmetrien, ökologische Zerstörung und demokratische Defizite untergraben.
Globale Ordnungspolitik statt Partnerschaft
Die weltweiten handelspolitischen Spannungen haben sich seit dem Amtsantritt Donald Trumps deutlich verschärft. Der protektionistische Kurs der USA, die Eskalation des Handelskonflikts mit China und zunehmende Exportkontrollen strategischer Güter haben die EU dazu veranlasst, ihre wirtschaftlichen Allianzen zu diversifizieren. Ziel ist es, Abhängigkeiten – vor allem von China – zu reduzieren und alternative Bezugsquellen für kritische Rohstoffe sowie neue Absatzmärkte zu erschließen.
Alessa Hartmann ist Referentin für internationale Handels- und Investitionspolitik bei PowerShift e.V.
Die CEPA-Initiativen stehen exemplarisch für einen strategischen Kurswechsel in der EU-Handelspolitik. Im Windschatten der protektionistischen Zollpolitik Donald Trumps und angesichts des wachsenden ökonomischen Einflusses Chinas in Südostasien setzt die EU auf „wertebasierte“ Freihandelsabkommen mit geopolitischer Schlagkraft. Indonesien und die Philippinen gelten in Brüssel als ökonomisch interessante Partner – und somit als Alternativen zur chinesisch dominierten Lieferkettenarchitektur. Die geplanten Abkommen dienen der EU dazu, wirtschaftliche Interessen abzusichern und geopolitisch Flagge zu zeigen – nicht zuletzt im Wettbewerb mit China und den USA.
Die Rolle Indonesiens und der Philippinen
Die Bedeutung Indonesiens und der Philippinen für die europäische Handels- und Klimapolitik ergibt sich vor allem aus ihrem Rohstoffreichtum, insbesondere als Nummer 1 und 2 der weltgrößten Produzenten von Nickel – einem Schlüsselmetall für die Batterieproduktion in der Elektromobilität. Indonesien verfügt über rund 22 Prozent der weltweiten Nickelreserven und hat sich als globaler Hauptlieferant etabliert – ein Umstand, den die EU in ihrer Rohstoff- und Klimaaußenpolitik strategisch nutzen will. Die Sicherung dieser Lieferketten gilt als wichtig für den europäischen Green Deal und die Verringerung der Abhängigkeit von China.
Im Rahmen der Verhandlungen übt die EU Druck auf ihre Partner aus, Exportbeschränkungen aufzugeben und Marktzugänge zu gewährleisten – eine Haltung, die nicht nur entwicklungspolitisch sondern auch strategisch fragwürdig ist.
Doch dieser Ansatz offenbart grundlegende Widersprüche: Der Nickelabbau in Indonesien verursacht gravierende soziale und ökologische Schäden – darunter Entwaldung, Gewässerverschmutzung, Zerstörung von Mangroven und der Verlust von Lebensgrundlagen indigener Gemeinschaften. Hinzu kommt der der Einsatz systematischer Zwangsarbeit in Nickel verarbeitenden Betrieben. Besonders paradox: Ein Großteil der Nickelverarbeitung erfolgt in kohlebetriebenen Industrieparks – was die Emissionsbilanz zusätzlich erheblich verschlechtert und dem Ziel eines klimaneutralen Verkehrssektors zuwiderläuft.
Auf den Philippinen, dem zweitgrößten Nickelproduzenten, zeigen sich ähnliche Probleme. Der Nickelabbau geht dort häufig mit Vertreibungen, Arbeitsrechtsverletzungen und Gewässervergiftungen einher.
Beide Länder verfolgen inzwischen Strategien zur heimischen Veredelung ihrer Rohstoffe. Indonesien verhängte 2020 einen Exportstopp für unverarbeitetes Nickel, um Investitionen in die inländische Industrie anzuziehen. Die Philippinen diskutieren ähnliche Schritte. Doch diese industriepolitischen Bemühungen kollidieren mit den Interessen europäischer Konzerne, die auf zollfreien Zugang zu Rohmaterialien setzen.
Kein Wunder also, dass dieses Thema zu einem regelrechten Zankapfel in den Verhandlungen zwischen der EU und Indonesien geworden ist. Im Rahmen der Freihandelsverhandlungen übt die EU Druck auf ihre Partner aus, Exportbeschränkungen aufzugeben und Marktzugänge zu gewährleisten – eine Haltung, die nicht nur entwicklungspolitisch fragwürdig ist, sondern sich auch strategisch als nachteilig erweisen könnte. Während Brüssel mit Jakarta über Marktöffnungen verhandelt, hat China in den vergangenen Jahren längst massiv in Indonesiens Nickelindustrie investiert – sowohl im Bergbau als auch in der Raffination. In der Folge sichern sich chinesische Unternehmen den Löwenanteil der für Batterien bestimmten Nickelproduktion. Für das laufende Jahr wird erwartet, dass bis zu 82 Prozent dieser Produktion von chinesisch kontrollierten Unternehmen stammen.
Vor diesem Hintergrund sollte die EU auf eine echte partnerschaftliche Rohstoffstrategie setzen – eine, die Indonesien nicht zur Liberalisierung seiner Rohstoffexporte oder zur Aufgabe seiner Preissetzungshoheit drängt, sondern dessen Agenda für lokale Wertschöpfung und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung unterstützt. Dazu zählen Investitionen in eine umweltverträgliche und sozial verantwortliche Verarbeitungsinfrastruktur als Alternative zu den derzeit oft umweltschädlichen, von chinesischem Kapital betriebenen Produktionsstätten sowie die Zahlung fairer Preise für Rohstoffe und die Unterstützung eines gerechten Technologietransfers. Derartige Maßnahmen könnten ein neues Modell für faire und nachhaltige Handelsbeziehungen begründen.
Schattenseiten der Handelsagenda
Menschenrechtlich sind die Verhandlungen mit Skepsis zu bewerten. Denn die Menschenrechtslage in Indonesien und den Philippinen ist seit Jahren Gegenstand internationaler Kritik. Beide Länder weisen gravierende strukturelle Defizite beim Schutz grundlegender Rechte auf – insbesondere im Hinblick auf Versammlungsfreiheit, Arbeitsrechte, indigene Rechte, Umwelt- und Landkonflikte sowie die Sicherheit zivilgesellschaftlicher Akteur*innen. Besonders problematisch ist, dass das Recht auf Konsultation und freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) für indigene Völker in beiden Ländern nicht hinreichend umgesetzt wurde. Landkonflikte im Zuge von Bergbauprojekten sind daher an der Tagesordnung.
Die geplanten Handelsabkommen der EU mit Indonesien und den Philippinen ignorieren die menschenrechtlichen Risiken – obwohl die von der EU selbst beauftragten Nachhaltigkeitsfolgenabschätzungen (SIAs) genau davor warnen. Im Fall Indonesiens prognostiziert die SIA massive Arbeitsplatzverluste in der Industrie – bis zu 60.000 allein im Automobilsektor – zugunsten eines Beschäftigungszuwachses im prekären Textilbereich. Der Bericht warnt zudem vor einer Zunahme von Arbeitsplätzen in Sonderwirtschaftszonen, in denen niedrige Löhne und schwache Arbeitsrechte vorherrschen. Anstatt die industrielle Entwicklung zu stärken, droht das Abkommen, Indonesien weiter in die Rolle als Billiglohnstandort zu drängen.
Eine nachhaltige und gerechte Handelspolitik darf nicht nur die Interessen der europäischen Industrie bedienen. Denn statt einseitiger Interessenverfolgung braucht es echte Partnerschaften – auf Augenhöhe.
Auch im Abkommen mit den Philippinen zeichnen die SIA-Ergebnisse ein besorgniserregendes Bild: Die wirtschaftlich schwächeren Sektoren – Textil, Bekleidung, Elektronik – sollen wachsen, obwohl sie bereits heute für Ausbeutung, Kinderarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen bekannt sind. Besonders betroffen wären Frauen, Kinder und informell Beschäftigte. Indonesische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) warnen zudem davor, mit dem Handelsabkommen Elemente des indonesischen „Omnibus-Gesetzes zur Schaffung von Arbeitsplätzen“ zu übernehmen, da dieses die Menschenrechte und den Arbeitsschutz in Indonesien verschlechtert.
Leider adressiert das Nachhaltigkeitskapitel, das die EU bei den Verhandlungen mit Indonesien vorgeschlagen hat, diese Probleme nicht hinreichend. Der Textentwurf zeigt, dass die EU zwar formell hochgesteckte Ziele verfolgt und sich auf zentrale internationale Normen bezieht. Doch solange keine verbindlichen Streitbeilegungsmechanismen, klaren Sanktionsmöglichkeiten und konsequenten Umsetzungspflichten integriert werden, bleibt dieses Kapitel politisch symbolisch und rechtlich schwach. Für eine tatsächlich menschenrechtsbasierte und umweltgerechte Handelspolitik braucht es mehr als Kooperationsformeln der Freiwilligkeit – es braucht durchsetzbare Standards und zivilgesellschaftliche Kontrollmöglichkeiten.
Industriepolitische Souveränität unter Druck
Nicht nur die Regelungen zu Rohstoffhandel und öffentlichen Ausschreibungen würden den regulatorischen Spielraum der Partnerländer einschränken; die geplanten Abkommen sollen auch umfassende Investitionsschutzklauseln enthalten, wobei bislang noch unklar bleibt, in welchem Maße diese in das Abkommen mit den Philippinen aufgenommen werden.
Investitionsschutzklauseln mit Konzernklagerechten (Investor-to-State Dispute Settlement – ISDS) sind aus mehreren Gründen hochproblematisch. Sie ermöglichen es ausländischen Investor*innen, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn politische Maßnahmen ihre erwarteten Gewinne schmälern, und bilden so die Grundlage für massive Eingriff in die demokratische Souveränität. Indonesien und die Philippinen könnten künftig von Unternehmen aus der EU verklagt werden, wenn sie beispielsweise neue Umweltauflagen erlassen, strengere Klimaschutzgesetze einführen oder Maßnahmen zum Schutz indigener Rechte umsetzen. Die Aussicht auf milliardenschwere Entschädigungsforderungen kann politische Entscheidungsträger*innen davon abhalten, dringend notwendige Regulierungen überhaupt erst auf den Weg zu bringen – ein Effekt, der als „Regulatory Chill“ bekannt ist.
Für Indonesien, das sich in der Vergangenheit bewusst von bestehenden ISDS-Abkommen distanziert hat, wäre die erneute Einführung eines solchen Systems besonders widersprüchlich. Die Regierung hatte bereits zahlreiche alte Investitionsschutzverträge gekündigt, nachdem diese mehrfach gegen öffentliche Interessen eingesetzt worden waren. In einem Land, das mit massiven Umweltproblemen, Landkonflikten und sozialen Spannungen im Zusammenhang mit Rohstoffabbau und Palmölproduktion kämpft, würden ISDS-Mechanismen die ohnehin begrenzten politischen Handlungsspielräume weiter einschränken.
Zeit für gerechte Handelsbeziehungen
Sowohl Indonesien als auch die Philippinen verfolgen mit dem geplanten Freihandelsabkommen strategische Eigeninteressen. Für Indonesien stehen der verbesserte Zugang zum EU-Markt für verarbeitete Rohstoffe – insbesondere Nickel –, die Anziehung ausländischer Direktinvestitionen und die geopolitische Reduzierung der Abhängigkeit von China im Vordergrund. Die Philippinen wiederum sehen in CEPA vor allem eine Absicherung gegen den möglichen Wegfall der einseitigen EU-Handelspräferenzen (GSP+), von denen das Land derzeit profitiert. CEPA wird als Instrument zur Exportförderung für Elektronik, Textilien und landwirtschaftliche Produkte genutzt und als Symbol einer wirtschaftspolitischen Neuorientierung unter Präsident Ferdinand Marcos gedeutet. In beiden Fällen zeigt sich jedoch ein Spannungsfeld zwischen staatlicher Industriepolitik und zivilgesellschaftlicher Kritik, die vor Menschenrechtsrisiken, ökologischer Ausbeutung und demokratischen Defiziten warnt.
Die EU will ihrerseits das Abkommen mit Indonesien zügig abschließen. Mit den Philippinen stehen die Verhandlungen noch am Anfang. Dass die EU diese Abkommen nun mit mehr Tempo voranbringen will, ist Ausdruck einer handelspolitischen Strategie, die wirtschaftliche Interessen mit geopolitischer Machtsicherung verbindet.
Diese Strategie dient der Rohstoffsicherung für die grüne Transformation Europas, untergräbt jedoch gleichzeitig die menschenrechtliche Lage, ökologische Standards und die industriepolitische Souveränität der jeweiligen Partnerländer. Eine gerechte und nachhaltige Handelspolitik würde anders aussehen. Sie müsste Umweltstandards, arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen und die Rechte indigener Gemeinschaften verbindlich verankern – inklusive wirksamer Sanktionsmechanismen. Auch sollte sie auf regionale Wertschöpfung, technologische Kooperation und Rohstoffreduktion durch Recycling und Substitution setzen.
Überdies steht fest: Eine nachhaltige und gerechte Handelspolitik darf nicht nur die Interessen der europäischen Industrie bedienen. Denn statt einseitiger Interessenverfolgung braucht es echte Partnerschaften – auf Augenhöhe.