
Interessenvertreter*innen von Unternehmen und ihnen nahestehenden Jurist*innen ist das Streikrecht ein Dorn im Auge. Sie verfolgen verschiedene Strategien, um Streiks juristisch einzuschränken. Vorschläge zur gesetzlichen Einführung von verpflichtenden Schlichtungsverfahren oder von zeitlichen Mindestabständen zwischen Streiks richten sich gegen das Streikrecht an sich, sind aber nicht neu und haben aktuell wenig Aussicht auf Umsetzung. Aktuell problematischer sind die Auswirkungen der weitreichenden Verrechtlichung des Streikgeschehens. Die Unternehmensseite verfolgt verschiedene Prozessstrategien. Anders als das von der Öffentlichkeit wahrgenommene Bild einer allzu streikrechtsfreundlichen Rechtsprechung bietet ihnen das geltende Streikrecht viele Handlungsmöglichkeiten. Ihre Strategien können sogar dann Erfolg haben, wenn ihre Anträge am Ende vor Gericht scheitern, denn sie beeinflussen die Risikokalkulation der Gewerkschaften.
Einleitung
Ernesto Klengel, wissenschaftlicher Direktor und Laurens Brandt, wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht am Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, Frankfurt am Main.
Das Verhältnis von Streik und Recht ist widersprüchlich. Zivilrechtlich ist der Streik ein Bruch des Arbeitsvertrags, in dem sich der*die Arbeitnehmende dazu verpflichtet hat, auf Weisung des Arbeitgebers tätig zu werden. Damit ist Letzterem der Streik ein Dorn im Auge. Das demokratische Streikrecht wurde in langen Auseinandersetzungen von der Arbeiterbewegung erkämpft. Trotz eines sehr repressiven Koalitionsrechts führten die frühen Gewerkschaften schon im Kaiserreich Arbeitskämpfe und schlossen in den 1870er-Jahren die ersten Tarifverträge ab. In der Folge der Novemberrevolution schützte Artikel 159 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 erstmals die Koalitionsfreiheit. Dieser Artikel ging in seiner rechtlichen Gestaltung auf das Wirken des herausragenden Juristen Hugo Sinzheimer (1875–1945) zurück und wurde mit wenigen Änderungen in das Grundgesetz (GG) übernommen. Artikel 9 Absatz 3 GG erwähnt das Streikrecht zwar nicht explizit. Die Betätigung der Gewerkschaften, die der Artikel schützt, wäre aber ohne Streikrecht nichts als «kollektives Betteln», wie die Gerichte zutreffend erkannten (BAG v. 10.06.1980, Aktenzeichen 1 AZR 822/79; BAG v. 20.11.2012, Aktenzeichen 1 AZR 611/11; BVerfG v. 9.7.2020, Aktenzeichen 1 BvR 719/19).
Der Streik ist damit zweierlei: ein selbstverständlicher Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft und ein verfassungsrechtlich legalisierter kollektiver Rechtsbruch. Da sich die politischen Kräfte der Bundesrepublik bisher in keiner Konstellation auf ein Bundesstreikgesetz einigen konnten, greifen die Gerichte auf den Verfassungsartikel und die bisher dazu ergangene Rechtsprechung zurück.
Damit ist das Feld der aktuellen Auseinandersetzungen um das Streikrecht umrissen.
Aktuelle Forderungen zur Einschränkung des Streikrechts
Obwohl Deutschland nach wie vor kein besonders streikfreudiges Land ist, nutzen Unternehmen und nahestehende politische Vereinigungen jeden einigermaßen öffentlichkeitswirksamen Arbeitskampf dafür, eine Beschneidung des Streikrechts zu fordern. Jüngst ist der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sogar mit einem ausformulierten Gesetzentwurf zur Einschränkung des Streikrechts an die Öffentlichkeit getreten. Für dessen Erstellung waren die beiden Professoren für Arbeitsrecht Clemens Höpfner (Universität zu Köln) und Richard Giesen (Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht ZAAR an der Ludwig-Maximilians-Universität München) beauftragt worden. Darin wird vorgeschlagen, das Streikrecht in systemrelevanten Berufen (sogenannte Daseinsvorsorge) zusätzlich einzuschränken. Das ist bemerkenswert, denn diese Berufe haben in den Branchen des Auftraggebers keine Bedeutung. Außerdem profitieren gerade die Metall-Arbeitgeber bereits in hohem Maße von den geltenden Grenzen des Arbeitskampfrechts. Das Konzept ist auch deshalb bemerkenswert, weil es so radikal ist, dass es einer weiteren Stärkung der politischen Rechte bedürfte, um verwirklicht zu werden.
Das Gutachten wiederholt im Wesentlichen die Vorschläge, die vonseiten der Unternehmen seit Längerem vorgebracht werden. Ein zentraler Vorschlag ist ein neues, unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit zu führendes Schlichtungsverfahren. Auf Verlangen einer Tarifpartei muss eine «Verhandlungsgemeinschaft» gebildet werden, die ein Schlichtungsergebnis verhandeln muss. Das Schlichtungsverfahren soll entweder mit einer Einigung enden oder mit einem Schlichterspruch durch Mehrheitsentscheidung der Verhandlungsgemeinschaft. Die Tarifvertragsparteien können den Schlichterspruch innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung annehmen oder ablehnen. Nur wenn er von beiden Seiten angenommen wird, soll er wirksam werden und den Rang eines Tarifvertrags erhalten. Gegen eine Zwangsschlichtung sträuben sich selbst eingefleischte Arbeitgebervertreter. Dies liegt an den schlechten Erfahrungen, die in der Weimarer Republik mit diesem Instrument gemacht wurden – und der einhelligen juristischen Meinung, dass verpflichtende Schlichtungssprüche gegen die verfassungsrechtlich verankerte Tarifautonomie verstoßen würden.
Doch der Entwurf von Höpfner und Giesen ist nicht weit von einer Zwangsschlichtung entfernt. Denn während des Schlichtungsverfahrens (das einseitig von der Arbeitgeberseite einberufen werden kann) soll die Friedenpflicht gelten. Streikmaßnahmen sollen in dieser Zeit also verboten sein. Dieser Punkt ist juristisch höchst zweifelhaft: Die Friedenspflicht ergibt sich nach der juristischen Lehre ansonsten nämlich aus dem Tarifvertrag selbst, dem die Gewerkschaft ja zugestimmt hat. Nun soll sie um ein gesetzliches Streikverbot ergänzt werden (für Einzelheiten siehe § 10 des Entwurfs). Dieses soll nach Vorstellung der Autoren sogar unbefristet gelten, wenn sich Gewerkschaftsvertreter*innen weigern, zu verhandeln. Hinzu kommen die bekannten Zumutungen für Arbeitskämpfe in systemrelevanten Bereichen, obwohl Streikende hier ohnehin vor besonderen Herausforderungen stehen: eine Ankündigungsfrist von vier Tagen und die Verpflichtung, während des Streiks eine Notversorgung einzurichten. Der Kreis der betroffenen Branchen ist groß: der Öffentliche Dienst, Verkehrsunternehmen, Ernährungswirtschaft, Kranken- und Pflegeeinrichtungen, Post- und Telekommunikationsdienstleister, Unternehmen der Versorgung mit Energie, Gas, Kohle und Wasser sowie die Abfallwirtschaft.
Aktuell haben solche Träumereien einiger Verbände und ihnen nahestehender Jurist*innen kaum Aussicht darauf, verwirklicht zu werden. Das liegt auch daran, dass mit breiten Protesten gerechnet werden müsste, sollte die Axt ans Streikrecht gelegt werden. Die Entschlossenheit der Gewerkschaften ist hier enorm wichtig. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich betont, dass Zwangsschlichtungen nicht in Betracht kämen (BVerfG v. 11.4.2024, 1 BvR 1109/21, Rn. 138).
Wie schnell sich politische Vorzeichen ändern können, zeigen allerdings die Entwicklungen in Ländern, in denen die radikale Rechte an der Macht ist. Und die AfD lässt sich von ihren Gesinnungskameraden im Ausland gerade jegliche Unterstützung zukommen. Dort zeigt sich, dass die radikale Rechte das Streikrecht als stärkstes Mittel der Lohnabhängigen, ihre Interessen unmittelbar durchzusetzen, erkannt hat und entsprechend dagegen vorgeht. So hat die Rechtsregierung in Finnland das bestehende Recht auf politischen Streik nach ihrem Amtsantritt auf maximal 24 Stunden verkürzt, um ihre Pläne zum Sozialabbau leichter durchsetzen zu können. Selbst mehrwöchige politische Streiks konnten diese Gesetzesänderung nicht stoppen – das zeigt, wie stark der Wille der Regierung an dieser Stelle war.
Ein anderes Beispiel ist Italien: Die radikal rechte Regierung mit ihrem Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) nutzt schon länger bestehende gesetzliche Einschränkungen von Streiks in «essenziellen Dienstleistungen», um Arbeitskämpfe massiv zu behindern. Streiks werden verkürzt, verschoben oder untersagt und streikwillige Arbeitnehmer*innen zu Mindestdiensten verpflichtet. Nur in Ausnahmefällen kann dagegen erfolgreich vorgegangen werden – wenn die Regierung Formfehler begeht.
Das Streikrecht vor den Gerichten
Eine andere Entwicklung gibt unserer Ansicht nach derzeit noch mehr Grund zur Sorge: Im Schatten der Debatten um das deutsche Streikrecht findet eine fortschreitende Verrechtlichung des Streiks statt. Die Arbeitgeberseite nutzt Gerichtsverfahren strategisch, um Streiks zu unterbinden und zu erschweren. Hierzu bedient sie sich oftmals Großkanzleien, die viel Geld damit verdienen, Schriftsätze von epischer Länge zu verfassen. Sie können dabei verschiedene Hebel des Streikrechts bedienen.
Besondere Bedeutung hat hier die sogenannte Rührei-Theorie: Der ganze Streik soll nach der Rechtsprechung rechtswidrig sein, wenn von mehreren Streikzielen ein einziges als nicht zulässig angesehen wird. Das «faule» Ei verdirbt das ganze Omelett – eine einzige juristisch womöglich unklar formulierte Streikforderung kann den Erfolg einer ganzen Streikbewegung infrage stellen.
Zudem müssen die Streikziele verschiedenen Anforderungen entsprechen. So dürfen Streiks hierzulande nach einer hergebrachten juristischen Auffassung der Gerichte nur mit einem Ziel geführt werden, das sich in einem Tarifvertrag regeln lässt. Hinzu kommt, dass die Streikforderung keinen Verstoß gegen die unternehmerische Freiheit darstellen darf. Wo die Grenzen sind, ist umstritten, mit praxisrelevanten Folgen.
Streit um Streikziele
Einige Beispiele: Vielerorts ist die Arbeitsplatzsicherung ein drängendes Problem. Doch ob die Standortsicherung Gegenstand eines Tarifvertrags sein kann oder dies unzulässig in die unternehmerische Freiheit eingreift, ist noch immer umstritten und einige namhafte Jurist*innen halten einen solchen Streik für rechtswidrig. Gleiches gilt für Mindestbesetzungsvorgaben und andere Entlastungsregeln, die noch immer unter Verweis auf die unternehmerische Freiheit in Zweifel gezogen werden (anders LAG Berlin-Brandenburg v. 26.1.2015, Aktenzeichen 26 SaGa 1059/15; LAG Köln v. 1.7.2022, Aktenzeichen 10 SaGa 8/22).
Was die nachhaltige Transformation der Wirtschaft angeht, hat das Arbeitsgericht Leipzig beim Streik von ver.di bei den Leipziger Verkehrsbetrieben, in dessen Rahmen gemeinsam mit Umweltgruppen im Bündnis «Wir fahren zusammen» demonstriert wurde, sinngemäß gesagt: «Bis hierhin und nicht weiter!» (ArbG Leipzig v. 29.2.2024 – 14 Ga 5/24). Die gemeinsame Demonstration sei noch zulässig, rücke den Arbeitskampf aber in die Nähe des nach der Rechtsprechung verbotenen politischen Streiks. Begründung: Die Aktionen hätten eine Dimension, die über die Regulierung von Arbeitsbedingungen hinausgingen. Das Gericht kritisierte eine angeblich unzulässige «Vermischung von Politik und gewerkschaftlich geschützter Tätigkeit». Doch diese Vermischung ist in einem öffentlichen Bereich wie dem Nahverkehr schon dadurch gegeben, dass die Tarifverhandlungen maßgeblich von der Gewährung staatlicher Finanzierung bestimmt werden.
Mit einem ähnlichen Argument überzogen Arbeitgeberverbände die Gewerkschaft ver.di mit Anträgen im Eilrechtsschutz, die sich gegen Streiks im Einzelhandel richteten. Früher wurden Tarifverträge im Einzelhandel regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt, sodass sie für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen galten, unabhängig von der Mitgliedschaft in einer Koalition. Diese Allgemeinverbindlichkeit hat im Einzelhandel mit seiner kleinteiligen Betriebsstruktur große Bedeutung. Seit einigen Jahren blockieren die Arbeitgeber sie jedoch, indem sie dem Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung nicht mehr zustimmen. Ver.di hatte nun versucht, diese Zustimmung zu erstreiken. Die Arbeitgeber klagten gegen die Streiks – mit dem Argument, die Forderung, dem Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge zuzustimmen, sei nicht tariflich regelbar – unberechtigterweise (so etwa LAG Nürnberg v. 20.7.2023 – 3 SaGa 8/23). Trotzdem erzeugten die Klagen erheblichen Druck im laufenden Streik.
Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Streikbewegung in den Berliner Kindertagesstätten für bessere Arbeitsbedingungen (LAG Berlin-Brandenburg v. 11.10.2024 – 12 SaGa 886/24), die an der Friedenspflicht scheiterte. Unter den Mitgliedern von ver.di war die Forderung nach einer Mindestpersonalausstattung und einem Belastungsausgleich aufgekommen. Das Berliner Landesarbeitsgericht kam im Rahmen des Eilrechtsschutzes zu dem Ergebnis, dass dieses Thema bereits 2023 bei den Verhandlungen über den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) erörtert worden sei – obwohl sich dies nicht im Text des Tarifvertrags wiederfindet. Das Gericht entnahm dem abgeschlossenen TV-L dennoch eine implizite Friedenspflicht in Bezug auf die betreffenden Ziele. Es untersagte den Streik – und stoppte die Bewegung vorerst.
Mit ähnlichen Argumenten versuchten die Arbeitgeber der sächsischen Metall- und Elektroindustrie im Jahr 2021, Streiks für ein «tarifliches Angleichungsgeld» der IG Metall zu unterbinden. Nachdem sie in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Leipzig siegten, wurden die Streiks zunächst eingestellt. Im Eilrechtsschutz gab dann aber das Landesarbeitsgericht der IG Metall Recht.
Einzelne Gerichte sind zudem dazu übergegangen, sich nicht mehr nur den Streikbeschluss anzusehen, den Gewerkschaftsjurist*innen sorgfältig geprüft haben. Sie versuchen, das «eigentliche» Streikziel zu ermitteln (siehe etwa LAG Hessen v. 9.9.2015 – 9 SaGa 1082/15). Natürlich ist es für Gewerkschaften völlig ausgeschlossen, jedes Plakat, jedes Flugblatt und jede Parole einer Streikbewegung zu kontrollieren. So funktionieren Streikbewegungen nicht – zum Glück.
Verhältnismäßigkeit des Streiks und der Schutz Dritter
Auch die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Streikrecht ist problematisch. Demnach ist ein Streik unzulässig, sofern es neben dem Streik andere, ebenso geeignete Maßnahmen gibt oder die Folgen eines Streiks in einem Missverhältnis zu dessen Ziel stehen. Der Europäische Gerichtshof wendet dieses Prinzip sogar dann an, wenn ein Streik die wirtschaftlichen Grundfreiheiten im EU-Binnenmarkt beeinträchtigt (EuGH v. 18.12.2007, Aktenzeichen C-341/05 – Laval). Das Bundesarbeitsgericht billigt den Gewerkschaften zwar einen Einschätzungsspielraum zu – dennoch wird das Argument häufig vorgetragen. Auch wenn es letztlich oftmals nicht trägt: Die Zweifel stehen bei einer Verhandlung vor dem Arbeitsgericht im Raum und können die Gewerkschaft in der Gesamtabwägung aller Risiken dazu bewegen, vom konkreten Streik Abstand zu nehmen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann auch in Zukunft für juristische Einschränkungen von Streiks aktiviert werden.
Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips werden zudem die Interessen betroffener Dritter berücksichtigt. Besonders relevant ist dies bei Streiks in Krankenhäusern. Die Streikenden und ihre Gewerkschaften legen hier selbst Notdienste fest, damit Patient*innen mit besonders dringlichen medizinischen Problemen trotz des Streiks behandelt werden können. Nicht akute Operationen müssen hingegen verschoben und die Betten gesperrt werden, damit der Streik ökonomischen Druck entfaltet. Hier stellen sich zwei Probleme: Einerseits können Arbeitgeber die Notdienstregelungen gerichtlich überprüfen lassen. Dabei urteilen manche Gerichte „Notdienste“ aus, die so hoch liegen, dass sie einen effektiven Streik unmöglich machen – ein Beispiel bildete kürzlich der Arbeitskampf bei den outgesourcten Tochtergesellschaften der Charité in Berlin (ArbG Berlin v. 1.4.2025 – 39 Ga 4371/25). Die knappe Personaldecke führt also dazu, dass Beschäftigte nicht mehr (wirksam) streiken können. Zum anderen stellt sich die Frage, was passiert, wenn der Arbeitgeber die Betten nicht sperrt und die streikwilligen Beschäftigten, die ihre Patient*innen nicht vernachlässigen wollen, damit zur Arbeit anhält. Nach einer Entscheidung aus dem letzten Jahr sollen die Gewerkschaften kein Recht haben, den Arbeitgeber gerichtlich zur Sperrung der Betten zu verpflichten, weil dies unzulässig in die unternehmerische Freiheit eingriffe (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 9.7.2024 – 4 GLa 3/24).
Folgen rechtswidriger Streiks
Hinzu kommt die Rechtslage zu den Folgen rechtswidriger Streiks. Wenn eine Gewerkschaft einen Streik führt, der sich im Nachhinein als rechtswidrig herausstellt, muss sie damit rechnen, für den Produktionsausfall Schadensersatz leisten zu müssen. Arbeitgeberverbände nutzen solche Forderungen etwa bei ihren Klagen gegen die Streiks im Einzelhandel (siehe oben). Auch wenn die Gerichte bisher für ver.di entschieden haben, haben derartige Klagen einen einschüchternden Effekt. Sie erschweren es, die Ausübung des Streikrechts an geänderte ökonomische und gesellschaftliche Umstände anzupassen.
Streiks in der Privatwirtschaft können zu wirtschaftlichen Einbußen führen, deren Ausgleich für eine Gewerkschaft existenzbedrohlich wäre. Anders sieht es im Öffentlichen Dienst aus. Hier spart der Arbeitgeber bei Arbeitskämpfen bisweilen sogar Geld (etwa bei den Streiks in Kitas und Kinderkrippen, wenn Kitabeiträge nicht an Eltern zurückgezahlt werden, wenn die Betreuung streikbedingt ausfällt). Dies macht es schwer, wirtschaftlichen Druck aufzubauen.
Für Probleme sorgt auch eine Regelung zum Kurzarbeitergeld, die 1986 von der Kohl-Regierung eingeführt wurde (Arbeitsförderungsgesetz). Dabei geht es um Unternehmen, die nur indirekt von einem Streik betroffen sind. Im Rahmen eng getakteter Liefernetzwerke kann es aufgrund eines Streiks schnell zu Produktionsausfällen in Unternehmen kommen, die nicht vom Streikaufruf erfasst werden. Auch die dort Tätigen sollen nach der Rechtsprechung ihren Anspruch auf Entgelt verlieren, wenn sie wegen Produktionsausfällen freigestellt werden. Paragraf 160 Absatz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) III fügt hinzu, dass sie auch kein Kurzarbeitergeld beziehen können. Sie stünden also von heute auf morgen ohne Einkommen da. Für Gewerkschaften entstehen dadurch erhebliche Hürden für Erzwingungsstreiks in diesen Bereichen. Letztlich können Unternehmen längere Streiks erschweren, indem sie auf Just-in-time-Lieferung setzen, anstatt größere Vorräte anzulegen.
Fazit
Die von Arbeitgeberseite vorgetragenen Vorschläge für gesetzliche Regelungen würden das Streikrecht weitgehend untergraben und ihm seine Wirksamkeit als Instrument der Gewerkschaften für die Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nehmen. Stets sind diese Vorschläge mit dem Hinweis darauf garniert, dass das Streikrecht in Deutschland zu freiheitlich sei. Doch ob Rührei-Theorie, Friedenspflicht, Verhältnismäßigkeit oder Schadensersatz: In der Diskussion um das Arbeitskampfrecht werden die vielen Hürden, die für die Durchführung von rechtskonformen Streiks bestehen, nicht hinreichend wahrgenommen. Arbeitgeber nutzen die unterschiedlichen juristischen Angriffspunkte in strategischer Weise, um Streiks zu unterbinden und zu erschweren.