Kommentar | Rassismus / Neonazismus - Parteien / Wahlanalysen - Kampf gegen Rechts Bundesamt für Verfassungsschutz stuft AfD als «gesichert rechtsextrem» ein

Kommt der überfällige Schritt zu spät? Kommentar von Anika Taschke und Friedrich Burschel

Konstituierende Sitzung des 21. Deutschen Bundestags am 25.3.2025: Abgeordnete der verdoppelten AfD-Bundestagsfraktion
«Es geht nicht nur um Abgrenzung, sondern auch um politische Verantwortung, demokratische Verbindlichkeit und parlamentarische Zurechnungsfähigkeit.» Konstituierende Sitzung des 21. Deutschen Bundestags am 25.3.2025: Abgeordnete der verdoppelten AfD-Bundestagsfraktion, Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Die AfD gilt nun offiziell als gesichert rechtsextremistisch: Am 2. Mai 2025 veröffentlichte der Verfassungsschutz seine lang erwartete Einstufung. Für viele linke, progressive und zivilgesellschaftliche Akteure ist das eine überfällige Einschätzung. Bereits Anfang des Jahres lag die entsprechenden Endfassung des Gutachtens vor – doch der Verfassungsschutz genannte Inlandsgeheimdienst hielt sie zurück, um angeblich nicht in den Wahlkampf einzugreifen. Eine Entscheidung, die vielfach kritisiert wurde. Das Gutachten ist «Nur für den Dienstgebrauch» eingestuft und wird mithin nicht veröffentlicht. Damit ist die Gesellschaft gezwungen, sich auf die Arbeit eines Inlandsgeheimdienstes blind zu verlassen, der sich in den zurückliegenden Jahrzehnten eines solches Vertrauens durchaus nicht würdig gezeigt hatte. (NSU-Komplex, Hans-Georg Maaßen et al.) 

Anika Taschke ist Referentin Neonazismus der Rosa-Luxemburg-Stiftung und stellvertretende Leiterin des Bereichs Gesellschaftsanalyse und politische Bildung.

Friedrich Burschel hat für die Rosa-Luxemburg-Stiftung den «NSU-Prozess» begleitet. Er leitet das RLS-Regionalbüro Bayern in München.
 

Die bereits vielfach vorliegenden Materialsammlungen zur Demokratie- und Staatsfeindlichkeit der AfD, Expertisen und Stellungnahmen zum Teil namhafter Expert*innen und Wissenschaftler*innen (u.a. Andreas Fischer-Lescano, Mathias Hong und Gertrude Lübbe-Wolff auf Verfassungsblog; Gutachten des Instituts für Menschenrechte etc.) und eine zunehmende nicht nur verbale Eskalation von AfD-Positionen im zurückliegenden Bundestagswahlkampf hatten die Einstufung der AfD als «gesichert rechtsextrem» nicht beschleunigen können. Auf eine «Gefahr in Verzug» mochte ein – wegen Wahlantritt für die CDU – unpässlicher Verfassungsschutz-Chef Haldenwang nicht erkennen. Lieber wartete man noch den Zuwachs um weitere zehn Prozent für die Rechtsextremen ab. Dabei hätte vielen dafür schon das im Herbst 2024 von netzpolitik.org geleakte halbfertige VS-Gutachten ausgereicht.   

Konkrete Folgen?

Mit der nun vorliegenden Einstufung sind erste direkte Konsequenzen verbunden. So könnte der AfD-nahe Bildungsträger, die Desiderius-Erasmus-Stiftung, seinen Anspruch auf staatliche Förderung verlieren. Doch viel entscheidender ist die Frage: Folgen jetzt auch politische Konsequenzen?

Schon in der Endphase der zurückliegenden Legislatur war im Bundestag ein AfD-Verbotsverfahren diskutiert worden. Eine mögliche Mehrheit hätte es wohl gegeben, doch das Verfahren wurde hinausgezögert und mit den vorgezogenen Neuwahlen zunächst auf Eis gelegt. Viele warteten auf die Einschätzung des Verfassungsschutzes – vergeblich. Andere wiederum zweifelten an der politischen Umsetzbarkeit eines Verbots. Oder sie beschworen die Opferrolle, auf die sich die AfD dann im Wahlkampf kaprizieren würde, was sie ohnehin und auch ohne Verbotsdrohung unablässig tut. 

Veränderungen im Land – Realität längst sichtbar

Für antifaschistische Gruppen, zivilgesellschaftliche Initiativen und viele von verbalen Angriffen aus der AfD-Ecke und tätlichen Angriffen aus der AfD nicht fernstehenden Ecken betroffene Communities steht das Urteil längst fest: Die AfD ist eine Bedrohung für die Demokratie und die Zivilgesellschaft, für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben in diesem Land. In den ostdeutschen Bundesländern, wo die Partei in den letzten Jahren stark gewachsen ist und ihre kommunale Basis ausbauen konnte, sind Hass, Bedrohungen und Gewalt durch rechte Akteure zur Normalität geworden. Vielfach diktieren AfD-Mandatsträger*innen die politische Agenda über alle Brandmauern hinweg oder sogar schon im Einvernehmen mit den Parteien der «demokratischen Mitte». 

Was im politischen Raum oft noch diskutiert wird, ist in der Lebensrealität vieler Menschen längst angekommen: Schluss mit Regenbogenfahnen, Gendergerechtigkeit, demokratischer Kultur und solidarischer Migrations- und humaner Asylpolitik. Die AfD setzt die Themen, und andere Parteien übernehmen sie – ob aus taktischem Kalkül oder aus Überzeugung.

Normalisierung durch Kooperation

In vielen Kommunen geschieht längst das, wovor gewarnt wurde: Die AfD beeinflusst Entscheidungen, ohne Regierungsverantwortung zu tragen. CDU und freie Wählergruppen übernehmen Inhalte – nicht selten wird gemeinsam abgestimmt. Landräte, Bürgermeister und Ausschussvorsitzende aus dem AfD-Umfeld sitzen bereits an zentralen Stellen der demokratischen Infrastruktur.

Die Brandmauer – ein Muss, nicht ein Wunsch

Die neue Einstufung ist eine nachholende Entscheidung. Einige ostdeutsche Landesverbände und die «Junge Alternative» galten schon zuvor als gesichert rechtsextrem. Nun braucht es politische Konsequenzen: Eine konsequente Brandmauer bedeutet nicht nur Abgrenzung, sondern konkrete Entscheidungen.

Das heißt:

  • Keine AfD-Vorsitzenden in Ausschüssen oder parlamentarischen Gremien
  • Keine Richter*innenposten, keine Positionen in Stiftungsräten
  • Keine Zustimmung zu Anträgen der AfD
  • Kein Zugang zu sensiblen Daten oder öffentlichen Ressourcen
  • Und endlich eine konsequente Prüfung und Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens

Scheinopposition und rechte Rhetorik aus der Union

Zur Realität gehört aber auch: Die Brandmauer bedeutet nicht nur Abgrenzung zur AfD, sondern auch, ihre Politik nicht zu kopieren. Der Finger zeigt hier klar auf die Union. Wenn Friedrich Merz wortgleich mit der AfD gegen Migrant*innen hetzt und (weitgehend unrechtmäßige) Grenzschließungen fordert, applaudiert die AfD rechts daneben. Wenn sich der mutmaßliche neue Kanzler einerseits strikt und mit dem Wort «Brandmauer» von der AfD abgrenzt, sie dann aber – zusammen mit FDP und BSW – in die Abstimmung seiner aggressiven Anti-Migrant*innen-Politik einpreist, und erste Annäherungsversuche á la Jens Spahn gegenüber der AfD stattfinden, weiß manche*r Wähler*in nicht mehr, wo ihm*ihr der Kopf steht. 

Die Kleine Anfrage der Union zu Protesten gegen Rechts im Bundestag zeigt: Es geht nicht nur um Abgrenzung, sondern auch um politische Verantwortung, demokratische Verbindlichkeit und parlamentarische Zurechnungsfähigkeit. Wer statt dessen – wie geschehen mit dem berühmten 551-Fragen-Katalog – zivilgesellschaftlichen Protest kriminalisiert, betreibt das Geschäft der Extremen Rechten.

Fazit: Einstufung ist erst der Anfang

Die Einstufung der AfD ist ein wichtiger Schritt – aber nur dann wirksam, wenn ihm nun konkrete politische Maßnahmen folgen. Der Ausschluss der Desiderius-Erasmus-Stiftung von staatlicher Förderung wäre ein Anfang. Doch er darf nicht das Ende sein. Der Einfluss der AfD in den Rängen von Staatsbeamt*innen und im Öffentlichen Dienst, in der Justiz und den staatlichen Exekutivorganen muss abgeschnitten und unterbunden werden. Die Einstufung muss auch waffen- und vereinsrechtliche Konsequenzen haben. 

Es hätte eines Gutachtens nicht bedurft, um zu sehen, was geschieht, wenn man den Rahmen einer demokratischen Ordnung nicht vor dem Zugriff von Neurechten, Faschist*innen und Rechtsextremen schützt. Es ist kein Zufall, dass die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, sich im Wahlkampf auf die Elon-Musk-Rakete setzte und Musk – auf groteske Weise als Big Brother inszeniert – auf einem Parteitag in Halle live zugeschaltet wurde: wo Demokrat*innen weltweit gerade mit Entsetzen der Zerstörung der US-Demokratie zusehen, blickt die AfD begehrlich über den großen Teich. Donald Trumps Zerstörung des amerikanischen Rechtsstaates, der demokratischen Einrichtungen und der Menschenrechte von zahllosen Menschengruppen, die auch die AfD hasst, ist für die nun zumindest endlich «gesichert» eingestufte Partei eine verlockende Blaupause.

Wehret den Anfängen, ehe es zu spät ist.