
Als US-Präsident Donald Trump angeblich «reziproke» Zölle verhängte und diesen Schritt als «Befreiungstag» für amerikanische Arbeiter*innen inszenierte, löste er unbeabsichtigt etwas weit Größeres aus. Obwohl er vorgab, «Amerika wieder groß machen» zu wollen – durch Rückverlagerung der Industrie in die USA, Priorisierung amerikanischer Arbeitskräfte und Verlagerung des Schwerpunkts im Handel mit China –, beschrieben Analyst*innen die wirtschaftlichen Folgen dieser politischen Kehrtwende als «nuklearen Handelskrieg», dessen Ziel nicht nur China sei, sondern die ganze Welt, einschließlich der Verbündeten der USA. Dadurch hat Trump eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die zur Emanzipation des globalen Südens von der wirtschaftlichen Vasallenschaft führen könnte.
Maha Ben Gadha ist Senior Researcherin und Programmmanagerin im Nordafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tunis.
Die US-Märkte reagierten auf Trumps Ankündigung heftig: Der Verlust von fast sechs Billionen US-Dollar an Marktwert – fast das Dreifache der gesamten Krisenreaktion der US-Notenbank im Jahr 2008 und mehr als das Corona-Konjunkturpaket im Jahr 2020 – zeigte auf ernüchternde Weise, wie sehr sich die USA selbst schadeten. Die verheerenden Folgen zwangen die Regierung zum Zurückrudern – nicht zuletzt, nachdem Investoren massenhaft US-Staatsanleihen abzustoßen begannen. Trump setzte daraufhin jene Zölle, die 10 Prozent überstiegen, für alle Länder (außer China) aus, um Verhandlungsspielraum zu gewinnen und den finanziellen Schaden zu begrenzen. Die scheinbar wahllose Einführung und dann wieder Aufhebung von Zöllen könnte jedoch ein Klima tiefgreifender Unsicherheit schaffen – mit abschreckender Wirkung auf Investitionen in den USA, wie auch der Ökonom Paul Krugman anmerkte. Hinzu kommen Störungen in den Lieferketten und Rahmenbedingungen, die eine globale Rezession begünstigen könnten.
In den USA dürften diese Maßnahmen die Inflation weiter anheizen, da Verbraucher*innen mit steigenden Preisen für Importe konfrontiert sind. Auch heimische Produzenten, die auf chinesische Zwischenprodukte angewiesen sind, sehen sich wachsender Unsicherheit in ihren Lieferketten ausgesetzt. Anders als in früheren Krisen – etwa der Finanzkrise 2008 oder der Covid-19-Pandemie – ist diesmal keine geldpolitische Unterstützung zu erwarten, da die Republikaner auf Haushaltsdisziplin und Sparpolitik setzen. Deshalb bezeichnete der frühere Finanzminister Larry Summers Trumps Handelspolitik eine «selbst zugefügte Wunde».
China dreht den Spieß um
Anstatt vor den US-amerikanischen Drohungen einzuknicken, verwandelte China diese Eingrenzungsversuche in eine strategische Möglichkeit, indem es seine Rohstoffe als Waffe einsetzte und gleichzeitig den Globalen Süden umwarb, sich der US-Attacken zu erwehren.
Die Bemühungen der USA, Chinas wachsenden Einfluss einzudämmen, sind nicht neu. Bereits in Trumps erster Amtszeit wurde das Narrativ eines neuen «Kalten Kriegs» durch Vorwürfe unfairer Handelspraktiken gegenüber China gepflegt – so etwa Diebstahl geistigen Eigentums, Währungsmanipulation und Subventionierung staatseigener Betriebe. 2018 verhängte die Trump-Regierung erste Strafzölle gemäß Abschnitt 301 des Handelsgesetzes von 1974. Auch unter Präsident Biden blieben diese Zölle bestehen. Sie wurden 2022 im Inflation Reduction Act (IRA) sogar auf 18 Milliarden US-Dollar chinesischer Importe ausgeweitet – darunter Elektrofahrzeuge (auf die sogar 100 Prozent Zoll erhoben wurden), Halbleiter, Batterien, wichtige Mineralien, Stahl, Aluminium, Solarkomponenten und medizinische Güter. Dies zeigt den parteiübergreifenden Konsens in Washington, Chinas technologischen Aufstieg zu bremsen – selbst wenn dadurch das von den USA mit geschaffene System destabilisiert werden sollte.
Ironischerweise wird Trumps erratische Handelspolitik indes die Kooperation und Integration der Länder des Globalen Südens stärken, weil sie die systemischen Faktoren übergeht, welche die Entwicklung der dortigen Haltung vorantreiben. Diese ist nicht nur eine Reaktion auf Trumps Zölle, sondern Ausdruck langjähriger Frustration über eine unipolare Weltordnung, die als ungleich und ausbeuterisch empfunden wird.
Rohstoff exportierende Länder profitieren von Chinas Nachfrage und nutzen ihre Ressourcen als Verhandlungsmasse. Wenngleich nicht ohne Schwierigkeiten, beginnen sie neue Exportstrategien zu entwickeln.
China reagierte mit kalkulierter und mehrschichtiger Gegenwehr: US-Agrarimporte (Hühner, Weizen, Sojabohnen) wurden mit Zöllen belegt, WTO-Klagen angestrengt (ein Signal für Multilateralismus), und die Ausfuhr wichtiger Mineralien wie Wolfram und Molybdän wurde beschränkt.
Doch Chinas Antwort ging über die bloße Verhängung von Handelszöllen hinaus. Präsident Xi Jinping unternahm umgehend eine Südostasienreise, auf der er Vietnam, Malaysia und Kambodscha besuchte. Dort schlug er beschleunigte Freihandelsabkommen, grüne Technologien und Infrastrukturkooperationen vor. Gleichzeitig sicherte sich Kenias Präsident William Ruto bei einem Staatsbesuch chinesische Investitionen für den Ausbau der Naivasha-Malaba-Bahnlinie nahe der Grenze zu Uganda. Der Besuch des Präsidenten Aserbaidschans – dessen Land eine Schlüsselrolle im Mittleren Korridor zwischen China und Europa spielt – Pekings Ziel einer ungehinderten Handelsroute nach Europa unterstrich. Zudem wird China voraussichtlich die Zusammenarbeit mit BRICS-Plus-Staaten, zu denen inzwischen auch Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabische Emirate (VAE) gehören, sowie mit Partnern der «Belt and Road Initiative» (BRI) ausweiten, um die eigene Position in der sich entwickelnden neuen Weltordnung zu behaupten.
Die globale Wende des 21. Jahrhunderts
Um die Chancen, Herausforderungen und Folgen dieser globalen Transformation zu verstehen, muss man mehrere Jahrzehnte zurückblicken. Wie Thomas Fazi anmerkt, liegen die Wurzeln der US-amerikanischen Probleme in der Hinwendung zu Finanzialisierung und Dollar-Hegemonie. Die Tendenz beschleunigte sich in den 1980er Jahren mit der Deregulierung der Reagan-Ära, in der amerikanische Entscheidungsträger von einem industrie- zu einem finanzgetriebenen Wachstumsmodell übergingen. Unternehmen verlagerten ihre Produktionsstätten verstärkt in Niedriglohnländer – insbesondere nach Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001. Gleichzeitig ermöglichte der «exorbitant privilegierte» Status des US-Dollars als Weltleitwährung den US-Regierungen, anhaltende Handelsdefizite zu finanzieren und den Konsum durch billige Importe anzukurbeln.
Auf den Globalen Süden hingegen hatte die Globalisierung ganz andere Auswirkungen. Während viele von kolonialen Altlasten und neoliberalen Strukturreformen geprägte Länder weiterhin vom Export von Rohstoffen und Arbeitskräften abhängig blieben, beschritt China einen anderen Weg. Indem das Land die staatliche Kontrolle über Schlüsselindustrien aufrechterhielt und sich neoliberalen Reformen widersetzte, stieg es durch gezielte Subventionen und Forschung zur Technologie- und Industriemacht auf. 2021 kontrollierte China 80 Prozent der weltweiten Solarproduktion und 70 Prozent der Windkraftanlagenherstellung. Im Bereich der Elektrofahrzeuge stellt China 60 Prozent der weltweiten Produktion und 75 Prozent der Batterien.
Im Gegensatz dazu sahen sich viele Länder des Globalen Südens konfrontiert mit Deindustrialisierung, anhaltender Rohstoffabhängigkeit und einer erdrückenden Schuldenlast, die aus Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank resultiert.
Subsahara-Afrika verzeichnete einen Rückgang des verarbeitenden Gewerbes von 16,6 auf 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) seit den 1980er Jahren. Hierzu einige Beispiele: In Nigeria schrumpfte die Textilindustrie von 150 Betrieben 1985 auf heute höchstens vier. 89 Prozent der afrikanischen Exporte bestehen weiterhin aus Rohstoffen. Als Sambia 1995 die Kupferveredelung vorschreiben wollte, erzwang der IWF Privatisierungen. In Ghana erreichte das Verhältnis von Schuldendienst zu Staatseinnahmen 2020 unglaubliche 127 Prozent.
Während Saudi-Arabien und andere westasiatische Staaten vom Rohstoffboom profitierten, diente das Petrodollar-System durch die Umleitung der Dollarreserven in Rüstungsausgaben hauptsächlich den militärisch-industriellen Interessen des Westens.[1] Gleichzeitig setzt China seine eigenen Dollarüberschüsse (ca. 761 Milliarden Dollar allein in US-Staatsanleihen) als geopolitisches Druckmittel ein.
Diese Disparitäten markieren einen Wendepunkt: Chinas strategische Expansion hat den Übergang hin zu einer multipolaren Weltordnung, die die Dominanz der USA in Handel, Industrie, Regierungsführung und Sicherheit herausfordert, beschleunigt – und zu einer Eskalation der Bedrohungen geführt.
Doch auch für China stellen die Zölle ein Dilemma dar – der US-Markt lässt sich nur schwer kompensieren. Obwohl Peking Maßnahmen zur Stärkung der Inlandsnachfrage ergriffen hat, liegt der Anteil des privaten Konsums am BIP mit 38 Prozent im Vergleich zu den USA (68 Prozent) niedrig. 2023 entfielen 15 Prozent der chinesischen Exporte auf die USA – mehr als auf jedes andere Land. Eine Diversifizierung der Absatzmärkte ist daher dringend geboten.
Zudem sind viele Länder des Globalen Südens weiterhin strukturell vom Dollar abhängig – sei es durch Energieimporte, insbesondere durch in Dollar denominierte Öl- und Gasimporte, durch Verschuldung in Dollar und Euro oder durch das US-dominierte Finanzsystem (SWIFT, IWF). Das schränkt ihre Bereitschaft ein, Chinas Angebote – vor allem BRI-Kredite oder Yuan-basierte Handelsgeschäfte – anzunehmen, selbst wenn diese finanziell attraktiv sind. Erst wenn wichtige Länder wie Saudi-Arabien, Irak oder Nigeria beginnen, ihre Ölexporte in Yuan, Euro oder goldgedeckten Währungen zu handeln, oder wenn überschuldete Länder wie Argentinien, Ägypten oder Pakistan präventiv ihre Zahlungsunfähigkeit erklären (ein politisch riskanter, aber nicht unmöglicher Schritt), könnte sich das Blatt nachhaltig wenden.
Aus Furcht vor einer möglichen Neuausrichtung der Länder des Globalen Südens versuchen die USA nunmehr, Schlüsselländer wie Indien, Saudi-Arabien oder die VAE zur Kooperation zu drängen, um ihre imperiale geopolitische Vormacht zu sichern.
Vom Regelnehmer zum Regelmacher
Der Globale Süden ist heute kein passiver Akteur mehr – er ist dabei, sich zum Mitgestalter der Weltordnung zu entwickeln. Der Wandel wird nicht allein vom US-China-Konflikt bestimmt, er ist auch Ausdruck einer «neuen Stimmung» und eines wachsenden Selbstbewusstseins des Südens. Diese «neue Stimmung» wird angetrieben von der Ablehnung eines unipolaren Systems, das traditionell eine kleine Gruppe mächtiger Nationen begünstigte.
Rohstoff exportierende Länder profitieren von Chinas Nachfrage und nutzen ihre Ressourcen als Verhandlungsmasse. Wenngleich nicht ohne Schwierigkeiten, beginnen sie neue Exportstrategien zu entwickeln. Länder wie Indonesien haben den Export von Nickel und Bauxit untersagt; Guinea will Bauxit vor Ort veredeln. In Afrika schaffen Chinas Infrastrukturprojekte und Handelsinitiativen Chancen für die Industrialisierung. Dabei nimmt auch die Bedeutung des Yuan als Zahlungsmittel zu.
Der Globale Süden steht an einem entscheidenden Wendepunkt: Er avanciert zunehmend zu einem zentralen Akteur der Neugestaltung der internationalen Ordnung.
Für dollarabhängige Volkswirtschaften – wie Pakistan, Saudi-Arabien oder Ägypten – stellt der Konflikt zwischen den USA und China akute Dilemmata dar. Schulden in US-Dollar und die Abwicklung des Handels in Dollar schränken ihre Fähigkeit ein, sich stärker an China auszurichten. Auch wenn ein Zusammenbruch des Petrodollar-Systems in naher Zukunft aufgrund von Sicherheits- und Militärinteressen sowie der Angst vor US-Sanktionen als unwahrscheinlich gilt, testen viele Länder bereits alternative Wege. So hat Bangladesch zugestimmt, ein russisches Darlehen in Yuan über Chinas Interbank-Zahlungssystem (CIPS) zu begleichen, während Indien mit dem Iran über einen Handel in Rupien verhandelt. Die Rolle des Yuan bleibt zwar begrenzt, wird jedoch in strategischen Sektoren genutzt: Während er lediglich 2,18 Prozent der weltweiten Währungsreserven ausmacht, werden inzwischen 15 Prozent des chinesischen Handels mit Partnern des Globalen Südens wie Brasilien und Pakistan über gezielte Yuan-Währungstauschabkommen in Höhe von insgesamt 586 Milliarden US-Dollar abgewickelt.
Der Globale Süden steht an einem entscheidenden Wendepunkt: Er avanciert zunehmend zu einem zentralen Akteur der Neugestaltung der internationalen Ordnung. Durch eine Vertiefung der Süd-Süd-Kooperation – etwa im Rahmen von BRICS-Plus oder regionaler Integrationsprojekte – können Entwicklungsländer ihren Einfluss auf globaler Ebene deutlich ausbauen. Initiativen wie die Bildung von Rohstoffkartellen, Zahlungsausfallgemeinschaften oder technologieorientierten Allianzen sollen das kollektive Gewicht des Globalen Südens stärken. Gleichzeitig treiben viele Länder die Einführung alternativer Zahlungssysteme, digitaler und lokaler Währungen voran, um Handelsstrukturen zu schaffen, die ihren eigenen Interessen besser dienen.
Damit Rohstoffe nicht länger vorrangig als Exportschlager externe Akteure bereichern, sondern echtes Wirtschaftswachstum und sozialen Fortschritt ermöglichen, braucht es jedoch eine strategische Neuausrichtung: Durch kluges Verhandeln innerhalb globaler Lieferketten und gezielte nationale Politiken zur lokalen Verarbeitung und Wertschöpfung können die Staaten des Globalen Südens ihre Position nachhaltig verbessern.
In ihrem Versuch, den Handel als Waffe einzusetzen, haben die USA ebenjene Konsolidierung des Globalen Südens beschleunigt, die sie eigentlich verhindern wollten. Die Nationen des Südens sind aber längst keine passiven Beobachter mehr, sondern Mitgestalter einer neuen, post-unipolaren Weltordnung. Sofern sie weiterhin mit strategischer Weitsicht handeln, können sie eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung einer inklusiveren Weltordnung spielen.
[1] Für die meisten westasiatischen Länder bleiben die USA und ihre NATO-Partner die Hauptlieferanten, mit einem Import von über 80 Prozent aller Waffen in die Region.