Nachricht | Europa - Osteuropa Die Präsidentschaftswahlen in Polen

Einbruch für die etablierten Parteien: Junge Wähler*innen und rechte Kräfte prägen Polens politische Realität.

Das Bild zeigt eine politische Kundgebung in Polen. Menschen halten Schilder hoch, unter anderem mit der Aufschrift «PO TWOJEJ STRONIE» (auf Deutsch: «An deiner Seite») und «ADRIAN ZANDBERG». Im Hintergrund sind polnische Nationalflaggen zu sehen. Es ist Abend, die Stimmung wirkt solidarisch.
Anhänger von Adrian Zandberg auf einer Wahlkampfveranstaltung am 15. Mai 2025 in Warschau. Zandberg war der Kandidat der linken Partei Razem für das Amt des polnischen Präsidenten. In seiner Rede ging er auf die Probleme von Studierenden, Arbeiter*innen und jungen Menschen ein, die mit den hohen Lebenshaltungskosten im Land zu kämpfen haben. Foto: IMAGO / ZUMA Press Wire

Am vergangenen Sonntag, den 18. Mai 2025 fand in Polen die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Das polnische Staatsoberhaupt wird direkt von den Bürger*innen gewählt. Politisch steht für die Zukunft des Landes bei dieser Wahl viel auf dem Spiel: Wird es ein Ende der derzeitigen «Kohabitation» geben, also der Situation, in der Staatspräsident und Parlamentsmehrheit unterschiedlichen politischen Lagern angehören? Seit den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 regiert in Polen ein politisch breit gefächertes Koalitionsbündnis unter Führung von Premierminister Donald Tusk. Der bisherige Präsident Andrzej Duda (PiS) hat mit seinem Vetorecht einige Gesetzesvorhaben des Parlaments blockiert. Die Ergebnisse der ersten Wahlrunde mit einer Wahlbeteiligung von 67,31 Prozent zeigen, dass in Polen mehr auf dem Spiel steht, als nur die Handlungsfähigkeit der aktuellen Regierung. Es geht auch um die Frage, welche Rolle rechte Kräfte in Polen spielen werden. 

Schwächung der Dominanz 

Die Dominanz des politischen Zweigespanns der national-populistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) und der liberalen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) ist geschwächt, aber nicht gebrochen. Zusammen erzielten Rafał Trzaskowski, KO (31 %) und Karol Nawrocki, PiS (30 %) knapp über 60 % der Stimmen. Das ist der niedrigste Stimmenanteil seit Beginn ihrer politischen Dominanz Anfang der 2000er Jahre. Vor fünf Jahren lag der Stimmenanteil noch bei 73 %.

Gavin Rae ist Soziologe und Professor an der Kozminski-Universität in Warschau. Er leitet den linken Thinktank «Vorwärts» (Naprzód).

Die Rechte gewinnt

Die «Gewinner» dieser Wahlen sind die Rechtsextremen. Sławomir Mentzen von der Konföderation (Konfederacja) (mit 15 %) und der ehemalige Konfederacja-Politiker Grzegorz Braun (mit 6 %) erhielten insgesamt über 21 % der Stimmen. Mentzen war der mit Abstand beliebteste Kandidat unter jungen Wähler*innen. Diese „neue“ extreme Rechte ahmt andere Parteien in Europa nach, beispielsweise die AfD. Sie verbindet ihren extrem autoritären Konservatismus mit einem sozialdarwinistischen Neoliberalismus, der den «Starken» Wohlstand beschert und die «Schwachen» ausgrenzt. Sie verkörpert die neoliberale Ideologie, die in Polen seit drei Jahrzehnten propagiert wird, in ihrer extremsten, wenn auch vielleicht ehrlichsten Form.

Linke Kandidat*innen mit bestem Ergebnis seit 2010

Die polnische Linke hat ihr bestes Ergebnis bei einer Präsidentschaftswahl seit 2010 erzielt. Die drei linken Kandidat*innen erhielten zusammen rund 10 % der Stimmen. Die wichtigste Erkenntnis aus diesen Ergebnissen für die Linke ist, dass zum ersten Mal seit 1989 ein Kandidat einer Partei, die nicht aus dem „postkommunistischen“ Lager stammt, den größten Stimmenanteil der Linken erhalten hat – Adrian Zandberg von der Partei Zusammen (Razem) mit fast 5 %. Seine wichtigste linke Konkurrentin, die ehemalige Razem-Co-Vorsitzende Magdalena Biejat, die nun für die etablierte sozialdemokratische Neue Linke (Nowa Lewcia, NL) kandidierte, erhielt etwas über 4 %. Sicherlich ist das kein Durchbruch, da sie fast gleichauf liegen; aber es ist symbolisch wichtig und stellt einen möglichen Wandel im linken Lager dar. Razem führte einen sehr energischen und innovativen Wahlkampf, nutzte die sozialen Medien mit großem Erfolg und erzielte den zweithöchsten Stimmenanteil (19 %) unter jungen Wähler*innen. Sie profitierten davon, nicht an Tusks Regierung beteiligt zu sein (im Gegensatz zu Biejat und Nowa Lewica) und präsentieren sich als Anti-Establishment-Alternative von links. Zandbergs Ankündigung, keinen Kandidaten in der zweiten Runde zu unterstützen, zeigt, dass Razem diese Strategie fortsetzen wird. Der Inhalt ihres Wahlkampfs war linkspopulistisch – links in dem Sinne, dass sie Dinge wie den Bau von Wohnungen und Investitionen in das Gesundheitssystem versprachen; populistisch, weil sie das sehr heikle Thema der Verteidigungsausgaben Polens von fast 5% seines BIP nicht ansprachen. Diese Position ist vielleicht bei einer Präsidentschaftswahl haltbar, bei der der Kandidat um ein paar Prozentstimmen konkurriert, aber darüber hinaus ist sie nicht schlüssig. Ich fürchte, man kann nicht gleichzeitig Brot und Waffen haben. Die erfahrene sozialdemokratische Politikerin Joanna Senyszyn, die als Unabhängige antrat, erhielt 1 %.

Ausblick auf die zweite Runde

Eine überschlägige Berechnung lässt vermuten, dass Nawrocki angesichts des starken Stimmenanteils für die extreme Rechte die Stichwahl gewinnen wird, obwohl dies alles andere als sicher ist. Wir werden sehen, wie Trzaskowski die Stichwahl angeht. KO gewann die Parlamentswahlen 2023, indem sie eine große Zahl von Menschen mobilisierte, die mit der PiS unzufrieden waren, und indem sie vielen Fragen eine Wende nach Links vollzog. Das Problem ist nun, dass Tusks Regierung sehr wenig erreicht hat, und es überrascht nicht, dass er während dieses Wahlkampfs praktisch unsichtbar war. Zweitens hat die KO in Fragen wie den Rechten von Migrant*innen eine extrem rechte Position eingenommen, die auf einen Sieg abzielt, indem sie die Sprache der extremen Rechten übernahm und Maßnahmen wie die Abschaffung des Asylrechts für einige Flüchtlinge forderte. Eine der ersten Ankündigungen in Trzaskowskis Wahlkampf war seine Unterstützung für die Streichung des Kindergeldes (800 PLN/190 EUR pro Kind) für nicht erwerbstätige geflüchtete Ukrainer*innen. Trzaskowski hofft bei dieser Wahl auf die Unterstützung linker und bürgerlicher Wähler*innen. Er befürchtet, dass ihm im Falle eines Wahlsiegs Nawrockis in ein paar Jahren eine PiS-Konfederacja-Regierung gegenüberstehen könnte (was tatsächlich das wahrscheinlichste Ergebnis ist). Sollte Trzaskowski jedoch weiterhin Konfederacja-Stimmen hinterherjagen, könnte er in zwei Wochen, bei der Stichwahl am 1. Juni 2025, feststellen, dass viele linke und bürgerliche Wähler*innen zu Hause bleiben werden. Die Wahl wurde auf der rechten Seite ausgefochten und wird wahrscheinlich auch von der Rechten gewonnen werden.