Kommentar | Arbeit / Gewerkschaften - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Militarisierung - Spurwechsel Konversion, falschherum

Bomben und Raketen statt Busse und Bahnen?

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Protestaktion von Robin Wood: am VW-Werk in Osnabrück ist ein Banner aufgespannt, auf dem steht: "ÖPNV statt Panzer".
In Osnabrück zeigt sich im Brennglas der Kampf um die Form der Konversion: Hin zu Militär und Gewalt oder hin zu einer sozial-ökologischen Zukunft? Protest am VW-Werk in Osnabrück, 19. Mai 2025, Foto: picture alliance / Fotostand | Fotostand / Kipp

Endlich, nach jahrelanger Debatte über die Konversion der Autoindustrie, um Beschäftigung zu sichern, alternative Industrien aufzubauen und sinnvollere Gebrauchswerte zu produzieren, kommt die Konversion – allerdings in die falsche Richtung: Anstatt einer Rüstungskonversion erleben wir eine Konversion zur Rüstungsindustrie.
 

Die neue «Arbeitskoalition» von CDU und SPD setzt auf Krieg. In der Konkurrenz von China abgehängt, von den USA unter Druck gesetzt, tut Merz jetzt, was er zuvor noch hart kritisiert hat: Er gibt Hunderte Milliarden für Aufrüstung und für die Herrichtung veralteter Infrastruktur aus, damit die neuen Panzer auch über die maroden Brücken kommen. Die Infrastruktur muss kriegstauglich werden, so heißt es. Von den Verkehrs- und Energienetzen, über die Kommunikation bis hin zu den Krankenhäusern soll alles für den Fall militärischer Auseinandersetzungen fit gemacht werden. Der sozial-ökologische Umbau und der Ausbau sozialer Infrastrukturen sind damit jedoch nicht gemeint. Im besten Fall können Schulen, Kitas und Krankenhäuser gebaut, aber keine Lehrer*innen, Erzieher*innen oder Pfleger*innen eingestellt werden. Es drängt sich auf, dass überproportional viele Milliarden für Zwecke der Militarisierung ausgegeben werden.

Mario Candeias ist Referent für sozialistische Transformationsforschung, linke Strategien und Parteien der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das Geschäft mit entsprechendem Gerät boomt jedenfalls schon. Die Hersteller von Panzern, Munition und Militärfahrzeugen suchen händeringend nach Kapazitäten, Fachkräften und Fabriken, um der gestiegenen Nachfrage nachzukommen. Da kommen die Abbaupläne der Autokonzerne gerade recht, deren Fachkräfte und Fabriken kann die Rüstungsindustrie gut gebrauchen. Und diese Art der Konversion wird vielfach begrüßt: von Beschäftigten, die so ihre Jobs behalten, sowie von Kommunen und Regionen, die so ihre industriellen Standorte – und damit ihre Steuereinnahmen – bewahren können. So wird die Mobilmachung zur «inneren Zeitenwende» (Solty) ganz einfach.

Was können wir daraus für die Konversion lernen?

Konversion funktioniert, wenn der Staat eine stabile Nachfrage erzeugt, die Planungssicherheit verschafft. Unternehmen können dann Kapazitäten ausbauen, Personal beschäftigen und qualifizieren. Die Abnahme und die Wirtschaftlichkeit der Investition ist gesichert. Viele Bereiche kämen infrage.

Auch der Bedarf für eine sozial-ökologische Mobilitätswende ist gegeben. Für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht es die Produktion von Schienenfahrzeugen, E-Bussen, Straßenbahnen, E-Bikes etc. Und es braucht unglaublich viel Arbeitskraft – auch für den Umbau der Städte, für Betrieb und Reparatur des öffentlichen Verkehrs.

Es wird Material, Geld und Arbeit verschleudert, die für den sozialökologischen Umbau dringend nötig wären.

Dafür reichen ca. 35 Mrd. Euro jährlich – einschließlich Deutschlandticket. Dem stehen umweltschädliche staatlichen Subventionen für den Auto- und Flugverkehr mit über 30 Milliarden Euro pro Jahr gegenüber. Die Mobilitätswende wäre also fast zum Nulltarif zu haben, wenn der Bund umfinanzieren und Kommunen, Verkehrsverbünde mit notwendigen Mitteln ausstatten würde.

Stattdessen bauen die wenigen Schienenfahrzeughersteller wie Stadler und Alstom und Busproduzenten wie Daimler das Personal ab. Das Alstom-Werk in Görlitz wird jetzt vom Rüstungshersteller KNDS übernommen. 580 der 700 Beschäftigten will KNDS übernehmen. Statt Doppelstockwagen und Straßenbahnen sollen sie künftig den mit dem Sondervermögen bestellten Kampfpanzer Leopard 2 fertigen. Hier läuft die Konversion falschherum: Statt eines dringenden Gebrauchsguts sollen Tötungsmaschinen gebaut werden. Die Klima- und Umweltkrise wird dadurch verschärft. Es wird Material, Geld und Arbeit verschleudert, die für den Umbau dringend nötig wären.

Rüstungskeynesianismus ökonomisch sinnvoll?

Auch ökonomisch würde ein Umbau hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln mehr Sinn machen. Straßenbahnen, Radwege, Sozialwohnungen, Krankenhäuser, Schulen oder nachhaltige Energie und Wärme tragen zur Verbesserung der Produktions- und Lebensbedingungen bei. Panzer und Drohnen tun dies nicht. Ausgaben für die soziale und materielle Infrastruktur haben auch stärkere ökonomische Folgeeffekte als Mittel für die Rüstungsproduktion. 

Der neue Kanzler setzt auf Politiken der Angst und die Mobilisierung zur Aufrüstung, um Sozialkürzungen und den Abbau von Arbeitsrechten zu rechtfertigen.

Der Multiplikatoreffekt der Rüstungsindustrie wird auf magere 0,6 geschätzt. Das heißt, die Erhöhung der Ausgaben für Rüstungsgüter um 1 Euro führt zu einem Anstieg des BIP um 0,6 Euro. Bei Investitionen in Infrastrukturen liegt der Multiplikatoreffekt bei 1,5, also mehr als doppelt so hoch. Letztere sind gemeinhin auch wesentlich beschäftigungsintensiver, vor allem in den Mobilitätsindustrien, durch das schiere Volumen der Produktion und dann auch des Betriebs. Diese Art des Rüstungskeynesianismus bringt also begrenzte Wachstumseffekte – gut, dass er zugleich zur ideologischen Mobilmachung taugt.

Denn sozial und ökonomisch hat die Regierung Merz wenig Konsenselemente anzubieten. Der neue Kanzler setzt auf Politiken der Angst und die Mobilisierung zur Aufrüstung, um Sozialkürzungen und den Abbau von Arbeitsrechten zu rechtfertigen. Die ökonomische Krise kann er mit dieser Politik in dieser globalen Lage nicht lösen – das alte deutsche Exportmodell stirbt. Einhergehend damit entsteht Druck und Dynamik, seine Politik auch auf anderen Feldern zu radikalisieren: Irrationalismus à la Trump, Repression und Ablenkung verstärken, um den Weg der zunehmenden Faschisierung zu beschreiten, und/oder die Mobilisierung gegen vermeintliche innere und äußere Feinde zu forcieren. 

Oder, wie Yanis Varoufakis es formuliert:

 «Die Deutschen können keine Autos mehr verkaufen. Also bauen sie nun Panzer. Aber Panzer halten Jahrzehnte und die Konsumenten kaufen sie nicht. Daher funktioniert der Militärkeynesianismus nicht – es sei denn du lancierst, wie die USA, einen Krieg nach dem anderen.»

Keine Alternative in Sicht?

Die Profite, die in der Rüstungsindustrie realisiert werden, kosten den Staat viel Steuergeld. Im Bereich Schienenfahrzeug – oder in der Busproduktion sind Profite niedriger, auch geringer als in der Produktion von Luxusautos. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Produktion für den öffentlichen Verkehr noch schneller an billigere Standorte verlegt wird. Dadurch gehen Kapazitäten und Know-how verloren. 

Letztlich kann auch die Rüstungsindustrie den Beschäftigungsverlust in der Auto- und Stahlindustrie nicht auffangen.

Eine Erklärung von Gewerkschaften und Umweltinitiativen forderte eine «Mindestwertschöpfungsquote von 50 Prozent in Deutschland bei der Fahrzeugbeschaffung öffentlicher Verkehrsunternehmen». Dies bringt Planungssicherheit für Unternehmen und erfordert ein Eingreifen der öffentlichen Hand, wenn private Unternehmen nicht mehr willens sind, Standorte in der Bus- oder Schienenfahrzeugindustrie zu erhalten und für die Transformation fit zu machen. In unserer Studie «Spurwechsel», erschienen im VSA-Verlag, belegen wir, welch hohes Beschäftigungspotenzial zu heben wäre. Leider hatten sich weder Grüne noch SPD in der Ampel-Regierung dafür eingesetzt, noch hat die IG Metall der richtigen Forderung eine wirkliche Praxis folgen lassen. 

Oft hat die Gewerkschaft Konversion als letztlich nicht umsetzbar behandelt. Nun müssen wir alle mit dem Dilemma umgehen, Beschäftigung und Industrie in Deutschland halten zu wollen und kaum eine praktische Alternative zur Ausweitung der Rüstungsindustrie entwickelt zu haben. Doch die Widersprüche bleiben, ökonomisch und beschäftigungspolitisch löst die Militarisierung nicht die Probleme des niedergehenden Exportmodells. Letztlich kann auch die Rüstungsindustrie den Beschäftigungsverlust in der Auto- und Stahlindustrie nicht auffangen, viel zu klein ist ihr Gewicht im Vergleich zu diesen großen Branchen. Hier bieten sich Ansatzpunkte für linke Interventionen.

Ein Beispiel: das VW-Werk in Osnabrück

Der Konzern will ab 2027 dort keine Autos mehr bauen. Armin Papperger, Vorstandschef von Rheinmetall, hatte das VW-Werk aber bereits als gut geeignet für den Bau militärische Fahrzeuge bezeichnet. VW kann sich eine Kooperation gut vorstellen. Die hohen Umbaukosten investiert Rheinmetall natürlich nur, wenn es «sichere Aufträge durch den Bund» gebe. Noch wehrt sich die Belegschaft gegen diesen Weg

Das Werk selbst könnte, wenn VW es nicht mehr möchte, als Genossenschaft geführt werden – gern mit öffentlicher Beteiligung.

In Osnabrück zeigt sich im Brennglas der Kampf um die Form der Konversion: hin zu Militär und Gewalt oder hin zu einer sozial-ökologischen Zukunft. Denn tatsächlich werden in Osnabrück auch Kleinbusse für den ÖPNV in Hamburg und Hannover gebaut. Auch größere E-Busse könnten gebaut werden. Sofern die Nachfrage garantiert wäre, kann eine solche Fabrik wirtschaftlich arbeiten. Ein kommunaler Verbund aus diversen niedersächsischen Kommunen sowie Hamburg und Bremen als Abnehmern könnte für den Anfang eine bestimmte Nachfrage garantieren. Das Land Niedersachsen (in seiner Rolle als Miteigentümer der Fabrik) könnte unterstützen, um Industrie in der Region zu halten und die Mobilitätswende voran zu bringen. Ohne die großen Profite von SUVs oder Rüstungsgütern werden die Konzerne das dennoch nicht wollen.  

Das Werk selbst könnte, wenn VW es nicht mehr möchte, als Genossenschaft geführt werden – gern mit öffentlicher Beteiligung. IG Metall und Belegschaft signalisieren Offenheit. Wenn der politische Wille vorhanden wäre, wäre das umsetzbar – das zeigt die aktuelle Erfahrung mit der umgekehrten Rüstungskonversion. Dafür braucht es gesellschaftlichen Druck. Nach der Kampagne #wirfahrenzusammen ist das eine gute Möglichkeit für konkrete ökologische Klassenpolitik und neue Allianzen zwischen Gewerkschaften, Belegschaften, Klimabewegung und Umweltverbänden, Mobilitätsinitiativen, friedensbewegten Antimilitaristen, Kirche oder der Linken. Es braucht positive Beispiele, die auch andernorts Kämpfe inspirieren.