Analyse | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Krieg / Frieden - Libanon / Syrien / Irak Die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien

Startschuss für einen neoliberalen Wiederaufbau?

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Zentralbank in Damaskus, Mai 2025
Zentralbank in Damaskus, Mai 2025 Foto: Bernhard Hillenkamp

Am Morgen des 13. Mai war auf einer rotweißen Werbetafel auf dem Umayyaden-Platz im Stadtzentrum von Damaskus zu lesen: «Shukran Qatar» (Danke, Katar). Im April hatte die Regierung von Katar zusammen mit der von Saudi-Arabien Syriens Schulden bei der Weltbank in Höhe von rund 15 Millionen US-Dollar beglichen. Am 13. Mai 2025 verkündete dann auch noch US-Präsident Trump während eines Investitionsforums in Riad die Aufhebung der langjährigen Sanktionen gegen Syrien.

Bernhard Hillenkamp ist Islamwissenschaftler und Politologe. Er war Landesdirektor des forumZFD in Beirut von 2015 bis 2020.

Angestoßen durch regionale Diplomatie und strategische Finanzhilfen aus den Golfstaaten hat diese Entscheidung vor allem in Syrien, aber auch in der gesamten Region für Optimismus gesorgt. Ohne Zweifel markiert sie einen Wendepunkt für die wirtschaftliche und politische Entwicklung Syriens – nachdem der großen anfänglichen Euphorie über den Sturz des Assad-Regimes Anfang Dezember 2024 eine Phase der Stagnation und Ernüchterung gefolgt war. Angesichts der schleppenden Entwicklung seit dem Sturz der Assad-Familie (die von 1970 bis 2024 an der Macht war) und der enormen Herausforderungen des Wiederaufbaus ist die Aufhebung der Sanktionen fraglos ein wichtiger Schritt für das «neue, post-autoritäre Syrien».

Doch die derzeitige Regierung unter Ahmed Sharaa zeichnet sich durch begrenzte institutionelle und administrative Kapazitäten aus, zudem finden sich in wichtigen Verwaltungsfunktionen und an zentralen Stellen in der Wirtschaft loyale Anhänger aus seiner Phase als Milizenführer wieder sowie opportunistische Wendehälse des alten Regimes. Diese Zusammensetzung des Staatsapparats wirft also Zweifel hinsichtlich der Fähigkeit der jetzigen Regierung auf, den Wiederaufbau zu steuern, Reformen umzusetzen und das Land zu führen. Während ein kurzfristiger wirtschaftlicher Aufschwung Entlastung bringen könnte, droht langfristig die Durchsetzung eines neoliberalen Wiederaufbaumodells, das bestehende soziale Ungleichheiten weiter vertiefen könnte.

Auf dem Weg zur «Normalisierung»

Die Unterstützer*innen des «neuen Syrien» in der arabischen Welt streben nicht nur eine Normalisierung der Beziehungen Syriens zu wichtigen Finanzinstitutionen an. Viele sahen mit großen Erwartungen Trumps angekündigtem Besuch in der Golfregion entgegen – insbesondere in Saudi-Arabien, das viele als Türöffner für eine neue Phase der internationalen Einbindung Syriens betrachten. Bis zu diesem Moment waren die Aussichten für die Regierung von Ahmed Sharaa – ehemals Führer des syrischen al-Qaida-Ablegers, seit 2017 faktischer Machthaber in Idlib und nun pragmatischer Übergangspräsident ohne dschihadistische Ambitionen – auf eine politische und wirtschaftliche Öffnung gegenüber der internationalen Gemeinschaft (jenseits der bisherigen Unterstützer wie der Türkei) äußerst gering. Doch Sharaa und sein Außenminister Asaad Hassan al-Shibani hatten anscheinend ihre diplomatischen Hausaufgaben gemacht. Ein Besuch von al-Shibani in Washington im April war zwar als «zeremoniell aufwendig, aber ergebnisarm» beschrieben worden, scheint aber die Grundlage für die aktuellen Entwicklungen gelegt zu haben. Frühere Besuche in den Golfstaaten sowie ein zentrales Treffen zwischen Sharaa und Mohammed bin Salman hatten den Auftritt von Trump in die Golf-Monarchien vorbereitet und den Weg für die Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber Syrien geebnet.

Nachdem Trump die frohe Mär verkündet hatte, folgte am 14. Mai ein bilaterales Treffen zwischen dem US-Präsidenten und Sharaa. Trump bezeichnete Sharaa als «jungen, attraktiven Kerl […], als einen harten Typ […], einen echten Anführer». Innerhalb von 24 Stunden änderte sich die Stimmung in Syrien schlagartig. Nach der Ankündigung kam es zu spontanen Feiern, nicht nur auf dem Umayyaden-Platz. Im ganzen Land war die Hoffnung auf einen Neubeginn deutlich zu spüren. Knapp eine Woche später folgten die Außenminister der EU dem Vorbild der USA und gaben ihrerseits die vollständige Aufhebung von Wirtschaftssanktionen gegen Syrien bekannt. Damit scheint eine neue historische Phase eingeleitet worden zu sein für ein Land und seine Menschen, die darum kämpfen, endlich aus der jahrzehntelangen internationalen Isolation herauszukommen.

Hintergrund der Sanktionen

Die wirtschaftlichen Sanktionen und Restriktionen gegenüber Syrien vonseiten der EU, den USA und der Arabischen Liga haben eine längere Geschichte. Den Anfang machten im Dezember 1979 die USA, die die syrische Regime als «staatliche Unterstützer des Terrorismus» in der Region einstuften. Deutlich verschärft wurden die Sanktionen nach 2011 als Reaktion auf das brutale Vorgehen der Assad-Regierung im Bürgerkrieg. Diese Maßnahmen richteten sich auch gegen Drittstaaten und hatten somit die Wirkung eines umfassenden Embargos. Die Sekundärsanktionen der USA blieben bis 2019 begrenzt, dem Jahr, in dem dort der Caesar Act in Kraft trat – benannt nach den erschütternden Bildern von syrischen Folteropfern, die ein Polizeifotograf unter dem Decknamen Caesar ins Ausland geschmuggelt hatte. Der Caesar Act zielte darauf ab, in Syrien missbräuchliche staatliche Gewalt zu verhindern und politische Reformen zu fördern. Obwohl humanitäre Ausnahmen vorgesehen waren, führten die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen zu erheblichen Hindernissen für Hilfsmaßnahmen.

Seit 2011 sind die Folgen der Sanktionen für die syrische Wirtschaft verheerend. Banktransaktionen wurden stark eingeschränkt, was Syrien in eine Bargeldwirtschaft gezwungen hat. Der internationale Reiseverkehr wurde erschwert, Handel und Investitionen brachen ein. Reiche städtische Händler transferierten ihr Vermögen ins Ausland, es wurde nicht länger oder nur noch sehr begrenzt in Syrien investiert. Um das Überleben des Regimes und der Wirtschaft zu sichern, nahmen illegale Aktivitäten wie der Drogenhandel zu. Aus Fenetyllin hergestelltes Captagon war unter dem Assad-Regime das mit Abstand wichtigste Exportgut Syriens und stellte alle legalen Ausfuhren in den Schatten. Nach seinem Sturz wurden die Kosten für den Wiederaufbau Syriens auf 250 bis 400 Milliarden US-Dollar geschätzt. Laut eines Berichts des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) leben neun von zehn Syrer*innen in Armut, ein Viertel ist erwerbslos, das Bruttoinlandsprodukt liegt bei weniger als der Hälfte des Werts von 2011. Der UNDP-Bericht vom Februar prognostizierte, dass es bei den aktuellen Wachstumsraten über 50 Jahre dauern könnte, bis Syrien wieder das wirtschaftliche Niveau vor dem Krieg erreicht, und forderte daher umfangreiche Investitionen, um die Erholung zu beschleunigen.

Die aktuelle Lage

Bereits vor Trumps Besuch kursierten Medienberichte, wonach Sharaa den Bau eines Trump Towers in Damaskus vorgeschlagen habe – in Anlehnung an das erste Projekt dieser Art im Nahen Osten, das im März 2025 in Dubai angekündigt worden war. Zudem soll die syrische Regierung US-Unternehmen Zugang zu syrischen Öl- und Gasvorkommen angeboten haben. Es gibt zudem Hinweise auf Verhandlungen der neuen Machthaber mit Israel. Während Sharaa bestätigte, dass sicherheitsrelevante Gespräche über Vermittler geführt würden, äußerte er sich nicht zu formellen diplomatischen Beziehungen. Eine «Spezialoperation» israelischer Streitkräfte und des Mossad zur Bergung der sterblichen Überreste eines seit 1982 vermissten Soldaten innerhalb Syriens sowie die regelmäßigen israelischen Luftschläge und die andauernde Besatzung im Süden des Landes deuten auf eine strategische Annäherung oder zumindest eine Phase verminderter Feindseligkeit hin. Nach der Niederlage der Hisbollah und den veränderten Perspektiven der Golfstaaten im Rahmen der Abraham-Abkommen erscheint ein Frieden mit Israel nicht mehr undenkbar. Dennoch bleiben viele skeptisch, ob Syrien sich den Abkommen anschließen wird.

Trump betonte, die Entscheidung zur Aufhebung der Sanktionen sei auf Wunsch von Mohammed bin Salman erfolgt. Seine Gespräche mit dem saudischen Kronprinzen sowie mit dem türkischen Präsidenten hätten ihn sehr beeinflusst. Dennoch war das Hauptziel von Trumps Reise nicht Syrien, sondern der Abschluss umfangreicher Wirtschaftsverträge mit den Regierungen der Golfstaaten. Die Interessen der deutschen Regierung scheinen hier anders gelagert zu sein. Trotz der gegenwärtigen Neuausrichtung der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik – auch bedingt durch den Regierungswechsel und gekürzte BMZ-Mittel – gehen viele mit Syrien befasste Expert*innen und Regierungsstellen davon aus, dass es mittelfristig zu einer engeren Kooperation mit staatlichen Stellen in Syrien kommen wird. Gleichzeitig wird betont, dass zivilgesellschaftliche Akteure, sowohl aus der (deutschen) Diaspora als auch innerhalb Syriens, eine wichtige Rolle in dieser Zusammenarbeit spielen sollen.  

Unsichere Perspektiven

Der Entscheidung, die wirtschaftlichen Sanktionen aufzuheben, müssen nun konkrete Aktionen folgen. Einen genaueren Zeitplan dafür, so Michael Mitchell, Sprecher des US-Außenministeriums, gibt es bislang nicht. Vor allem weil der Kongress am Erlass der Sanktionen beteiligt war, dürfte die vollständige Aufhebung noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Unterdessen haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel darauf geeinigt, gemeinsam den wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens zu unterstützen, indem sie unter anderem das Verbot von Ölimporten, Beschränkungen im Bank- und Finanzwesen, Investitionsverbote im Infrastruktur- und Energiesektor sowie das Ausfuhrverbot für Luxusgüter beendeten.

Donald Trump nutzt die Lage, um die wirtschaftlichen Beziehungen der USA insbesondere mit den Golfstaaten zu stärken und neue Allianzen in der Region zu schmieden. Die Herauslösung Syriens aus der iranischen Einflusssphäre wird dabei von seiner wirtschaftlichen Integration unter der Vorherrschaft der Golfstaaten strategisch flankiert. Konfliktthemen wie Gaza, das Westjordanland oder der Jemen spielten auf Trumps Nahostreise keine Rolle. Hier zeichnet sich gegenüber den Vorgängerregierungen von Obama und Biden ein deutlicher, aber nicht überraschender Paradigmenwechsel ab. Trump strebt ein neues wirtschaftliches Gefüge in der Region an – nicht ein wertegeleitetes Verhältnis zu den dortigen Staaten.

Auch wenn in Damaskus keine «Shukran-Trump-Plakate» hängen, herrscht wirtschaftliche Aufbruchsstimmung. Für Millionen Syrer*innen im Ausland öffnen sich wieder Kanäle für Rücküberweisungen. Geschäftstätigkeit kann wiederaufgenommen werden und Syrien könnte sich allmählich von der Bargeldabhängigkeit lösen. Fliegende Devisenhändler auf den Straßen Damaskus könnten bald der Vergangenheit angehören. Formale Bankdienstleistungen und direkte internationale Hilfen rücken in greifbare Nähe. Auch syrisches Auslandskapital könnte zurückkehren und zur wirtschaftlichen Stabilisierung beitragen.

Angesichts des gewaltigen Bedarfs sind die wirtschaftlichen Aussichten zweifellos ermutigend. Doch wird die neue syrische Regierung, die jetzt schon enormem Druck vonseiten verschiedener Akteure mit konkurrierenden Interessen ausgesetzt ist, die sich bietenden Chancen nutzen können? Alte und neue kapitalistische Kräfte dürften das staatliche Vorhaben, einen gerechten und nachhaltigen Wiederaufbau zu ermöglichen, massiv behindern. Die Zerschlagung korrupter Netzwerke, die unter Assad loyale Eliten begünstigten, sowie die Entmachtung alter Wirtschaftscliquen, die zentrale Industriezweige kontrollieren, werden sich äußerst schwierig gestalten. Viele dieser Akteure und ihre Strohmänner sind weiterhin im Land präsent – sie werden ihren Anteil einfordern und den politischen Prozess mitgestalten wollen. Wie bereits im Irak, in Afghanistan oder im Libanon zu beobachten war, fördert der Wiederaufbau nach einem Krieg häufig Korruption, Misswirtschaft und untergräbt gute Regierungsführung. Syrische Unternehmer*innen fordern bereits die Wiedereinführung von Importzöllen, da billige Importe aus der Türkei und China lokale Produzenten verdrängen und die wirtschaftliche Erholung gefährden würden.

Doch wer soll die wirtschaftliche Planung in den Ministerien übernehmen? Die derzeitige Administration – personell unterbesetzt, zusammengewürfelt aus Sharaa-loyalen Kräften aus Idlib und Überbleibseln des alten Regimes – könnte damit strukturell überfordert sein. Es braucht visionäre Führung, um tragfähige Institutionen aufzubauen und langfristige Strategien zu entwickeln – eine Aufgabe, der sich die neue Regierung bisher kaum gewidmet hat. Die syrische Regierung bemüht sich um eine stärkere Anbindung an internationale Finanzinstitutionen und setzt beim Wiederaufbau auf finanzielle Unterstützung aus den Golfstaaten sowie auf syrisches Auslandskapital. Das stellt eine enorme Herausforderung für ein fragiles, vom Krieg gezeichnetes Land dar. Auch westliche Unterstützung – wenn auch in geringerem Umfang als in Afghanistan, Irak oder dem Libanon – dürfte zur Verfügung stehen.

Im Unterschied zu anderen Ländern der Region, in denen sich Wiederaufbauprozesse oft zäh gestalteten, zeigen die Golfstaaten derzeit ein ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse an Syrien – auch um dessen strategische Entkopplung vom Iran zu unterstützen. Obwohl die Aufhebung der Sanktionen notwendig war, besteht die Gefahr, dass sich nun ein neoliberales Wiederaufbaumodell durchsetzen wird, das soziale Ungleichheiten vertieft und staatliche Institutionen überfordert. Doch ohne wirtschaftliche Erholung bleiben politische Errungenschaften wie Meinungsfreiheit und Pluralismus für viele Syrer*innen bedeutungslos.

Ein Trump Tower wird wohl in absehbarer Zeit in Damaskus nicht gebaut werden und Trumps Fokus scheint derzeit die Golfregion zu sein. Doch regionale Investitionen und lokale wirtschaftliche Initiativen könnten den Grundstein für ein stabiles Syrien legen. Ob sich Trumps Vision – Frieden arabischer Staaten mit Israel und die Zerschlagung terroristischer Gruppen – erfüllen wird, ist fraglich. Konditionalität für Hilfeleistungen wurde bislang nicht thematisiert – wenig überraschend angesichts von Trumps wirtschaftszentrierter Nahostpolitik. Auch die neue syrische Führung misst der wirtschaftlichen Stabilisierung die größte Bedeutung zu – ihre Priorität liegt nicht auf politischer Partizipation, gesellschaftlicher Versöhnung, dem Aufbau einer Übergangsjustiz oder guter Regierungsführung. Dies könnte zu einer zunehmenden Verfestigung autoritärer und neoliberaler Strukturen führen, wie sie derzeit in weiten Teilen der Region zu beobachten ist.