
Am 12. Mai meldeten die Nachrichtenagenturen, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ihre Entwaffnung und Auflösung beschlossen habe. Die Meldung weckte Hoffnungen auf ein Ende des seit über vier Jahrzehnten andauernden Krieges zwischen dem türkischen Staat und der PKK.
Ismail Küpeli ist promovierter Politikwissenschaftler. Er forscht und publiziert vor allem zu Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland und der Türkei.
Diese Entwicklung, die bis vor einem Jahr noch undenkbar schien, geht auf einen recht undurchsichtigen Prozess zurück, der im Winter 2024/25 begann. Seitdem gab es eine Vielzahl von teilweise widersprüchlichen Äußerungen beider Seiten, was die Bewertung erheblich erschwert. Um einschätzen zu können, ob es sich tatsächlich um einen Friedensprozess handelt, ist zunächst ein Blick auf die zuvor gescheiterten Verhandlungen geboten.
Der sogenannte Friedensprozess 2013-2015
Als die türkische Regierungspartei AKP nach ihrem Regierungsantritt 2002 den Ausnahmezustand in den kurdischen Gebieten und das Verbot der kurdischen Sprache in der Öffentlichkeit aufhob, weckte sie viele Hoffnungen. Plötzlich schienen ein Waffenstillstand und sogar ein Friedensvertrag denkbar.
In den folgenden Jahren hörte der Krieg in den kurdischen Gebieten der Türkei zwar nicht auf, aber die Intensität der Kämpfe nahm spürbar ab; in vielen Regionen konnten die Menschen recht friedlich leben. Ausgestattet mit einem Gefühl der Überlegenheit – das angesichts der großen Unterstützung, die die der AKP in der Bevölkerung genoss, und der Schwäche der Oppositionsparteien keineswegs unbegründet war –, ging die Regierungspartei davon aus, dass die kurdische Seite alles unternehmen würde, um eine Rückkehr zum offenen Krieg zu vermeiden. Schließlich hatte die kurdische Zivilbevölkerung massiv unter dem schmutzigen Krieg der 1990er Jahre gelitten.
Eingefädelt vom türkischen Geheimdienst MIT begannen 2009 inoffizielle Verhandlungen mit der PKK. Die Regierung setzte allerdings währenddessen die Repression gegenüber der kurdischen Bewegung und Zivilgesellschaft fort. Anfangs sah es danach aus, als würde sich die PKK nicht auf dieses «Friedensangebot» einlassen. In den Jahren 2009 bis 2013 kam es immer wieder zu teils heftigen Gefechten zwischen türkischer Armee und PKK, die zahlreiche Tote auf beiden Seiten forderten. Erst der Beginn direkter Verhandlungen mit dem inhaftierten PKK-Anführer, Abdullah Öcalan, im Winter 2012 brachte Resultate. Nachdem die AKP-Regierung die Anerkennung der kurdischen Bevölkerung, ihre rechtliche Gleichstellung und politische Beteiligung in Aussicht gestellt hatte, erfolgte 2013 ein Teilrückzug der PKK-Kämpfer*innen aus der Türkei in den Nordirak. In der Folge ging die Zahl der militärischen Zusammenstöße deutlich zurück.
Nach zehn Jahren Krieg ist absehbar, dass eine «militärische Lösung» des Konflikts unmöglich ist. Anders gesagt: Weder kann die türkische Armee die PKK besiegen, noch die PKK die türkische Armee.
Dennoch kam es zu keinem echten Friedensprozess. Ein grundsätzliches Problem stellte die Forderung der AKP-Regierung dar, die PKK müsse vor einem offiziellen Verhandlungsbeginn ihre Waffen abgeben. Doch hätte die PKK sich darauf einlassen, wäre das einer Kapitulation gleichgekommen; dazu war die Partei nicht bereit. Ein weiteres Hindernis war Ankaras Politik gegenüber der autonomen Region Rojava im Norden Syriens, in der PKK-nahe kurdische Kräfte dominieren. Seit diese 2012 Selbstverwaltungsstrukturen etablieren konnten, hat die Türkei mittels einer Grenzblockade und der Unterstützung islamistischer und dschihadistischer Kräfte versucht, diese Strukturen zu zerschlagen oder zumindest zu schwächen.
Trotzdem war der Frieden in der Türkei nie so nah wie im Zeitraum 2013 bis 2015. Allerdings gelang es der türkischen Regierung weder, die PKK so weit zu schwächen, dass diese sich den Bedingungen der AKP unterworfen hätte, noch war die AKP tatsächlich bereit, sich auf einen gerechten Friedensschluss mit der PKK einzulassen.
Einen letzten ernsthaften Versuch, den Friedensprozess wiederzubeleben, markierte Öcalans Botschaft zum kurdischen Neujahrsfest Newroz am 21. März 2015. Der inhaftierte PKK-Anführer skizzierte einen Friedensprozess, in dessen Verlauf die PKK den bewaffneten Kampf einstellen, nicht aber ihre Waffen niederlegen würde. Im Gegenzug solle die türkische Regierung mit Zustimmung des Parlaments offizielle Friedensgespräche einleiten, in denen auch über eine grundlegende Veränderung der Türkischen Republik zu verhandeln sei.
Ankara bezeichnete die Gespräche zwischen der türkischen Regierung und kurdischen Repräsentant*innen jedoch weiterhin ausdrücklich nicht als Friedensverhandlungen, weil dies bedeutet hätte, die PKK als Verhandlungspartner anzuerkennen. Für die AKP-Regierung waren die beiden Forderungen Öcalans – Anerkennung der PKK als Verhandlungspartnerin und Umgestaltung des Staates als Teil des Friedensprozesses – inakzeptabel, weshalb sie seinen Vorschlag schlicht ignorierte. Es blieb bei einem brüchigen De-facto-Waffenstillstand.
Folgen der Wahlniederlage der AKP
Während die Gespräche in eine Sackgasse gerieten, fanden im Juni 2015 Parlamentswahlen statt, die unvorhergesehene Folgen für den Friedensprozess haben sollten. Die Regierungspartei AKP verlor neun Prozent der Stimmen und erhielt nur noch 41 Prozent. Damit büßte sie ihre parlamentarische Mehrheit ein; um weiterhin an der Macht zu bleiben, hätte sie eine Koalition eingehen müssen. Dieser mögliche Machtverlust lag hauptsächlich daran, dass die linke HDP mit 13 Prozent der Stimmen erstmalig die Zehn-Prozent-Wahlhürde übersprang und ins Parlament einzog. Damit zeigte sich zugleich, dass der Friedensprozess – trotz seiner Fragilität – die Kurd*innen dazu ermutigte, den politischen Kampf für ihre Rechte in der zivilgesellschaftlichen und parlamentarischen Arena auszufechten. Von dieser Stimmung hatte ganz offensichtlich die HDP profitieren können, die viele Kurd*innen als ihre Stimme im Parlament wahrnahmen.
Diese Entwicklung stellte die AKP-Führung vor ein massives Problem. Aus ihrer Sicht sollte der Friedensprozess die PKK als Bedrohungsfaktor ausschalten und die eigene Macht weiter festigen – stattdessen führte er jedoch dazu, dass die AKP die Regierungsmacht verlor. Dieses unerwartete Ergebnis veranlasste die Partei zu einem neuen Vorgehen: Jetzt wollte sie die HDP auszuschalten, um auf diesem Weg die alleinige Regierungsmacht wiederzuerlangen. Ihr Kalkül: Wenn der Friedensprozess die HDP gestärkt hatte, dann würde eine Rückkehr zum Krieg die AKP begünstigen.
Der ohnehin brüchige und vielfach verletzte Waffenstillstand zerfiel sechs Wochen nach der Parlamentswahl mit dem Anschlag von Suruç am 20. Juli 2015 mit 34 Todesopfern, der dem Islamischen Staat (IS) zugeschrieben wurde. Anschließend diente die Tötung von zwei Polizisten durch PKK-nahe Kräfte der türkischen Regierung als Legitimation für Luftangriffe auf die PKK-kontrollierten Gebiete in Nordirak, die rasch zu einem umfassenden Krieg eskalierten.
Öcalans Brief unterscheidet sich deutlich von seiner Newroz-Botschaft des Jahres 2015. Er fordert die PKK zur Selbstauflösung auf mit der Begründung, dass die politische Mission der Partei historisch vollendet sei.
Als in einigen kurdischen Städten zivilgesellschaftliche Räte entstanden, die «ihre» jeweiligen Städte für autonom erklärten, reagierte die AKP-Regierung mit erneuten Militäroffensiven. Menschenrechtsorganisationen berichteten über willkürliche Hinrichtungen, Folter und weitere Kriegsverbrechen während dieser Offensiven. Schätzungen zufolge wurden mehrere tausend Menschen getötet, etwa 500.000 Menschen vertrieben und zu Binnengeflüchteten gemacht. Insgesamt haben rund anderthalb Millionen Menschen durch den Krieg Schäden erlitten.
Militärisch war die türkische Armee nach monatelangen Kämpfen gegen die schlecht bewaffneten PKK-nahen Kämpfer*innen in den Städten erfolgreich. Allerdings wurde dieser «Erfolg» durch massive Zerstörungen und die Tötung Tausender kurdischer Zivilist*innen erkauft. Seit 2017 hat sich der Krieg dann wieder aus den Städten heraus in die ländlichen Regionen verlagert, wo die türkische Armee gegen die militärisch erfahreneren PKK-Kämpfer*innen einen wesentlich schwereren Stand hatte.
Nach zehn Jahren Krieg ist absehbar, dass eine «militärische Lösung» des Konflikts unmöglich ist. Anders gesagt: Weder kann die türkische Armee die PKK besiegen, noch die PKK die türkische Armee. Entsprechend nahm die Zahl der Gefechte in den kurdischen Gebieten der Türkei in den letzten Jahren wieder ab. Diese Pattsituation unterscheidet sich nicht grundlegend vor der Situation in den 1990er Jahren. Aber etwas Anderes ist durchaus neu: Während die militärische Erfolglosigkeit der türkischen Armee in den 1990er Jahren zu politischen Krisen und dem Zusammenbruch von Regierungskoalitionen führte, kann die AKP-Regierung den Krieg politisch für ihre Agenda nutzen.
Friedensverhandlungen reloaded?
Weil das Regierungslager aus AKP und rechtsextremer MHP vom Krieg profitieren konnte, schien eine grundlegende Veränderung dieser Situation von ihrer Seite aus unwahrscheinlich. Doch genau dies trat ein: Eine etwas kryptische Äußerung des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli am 22. Oktober 2024 im türkischen Parlament wurde zum Startsignal für Gespräche zwischen dem Regierungslager und der linken kurdischen Oppositionspartei DEM. Nach einer Vielzahl von Gesprächsrunden, insbesondere zwischen MHP und DEM, wurde dann im Frühling 2025 Abdullah Öcalan in die Gespräche einbezogen. Am 27. März 2025 wurde dessen Mitteilung an die PKK der Öffentlichkeit vorgestellt.
Öcalans Brief unterscheidet sich deutlich von seiner Newroz-Botschaft des Jahres 2015. Er fordert die PKK zur Selbstauflösung auf mit der Begründung, dass die politische Mission der Partei – die Durchsetzung der Anerkennung der kurdischen Frage – historisch vollendet sei.
Ebenso finden sich in seinen jetzigen Äußerungen keine Forderungen mehr nach einer grundlegenden Umgestaltung des politischen Systems der Türkei oder nach spezifischen Rechten für die kurdische Bevölkerungsgruppe. Er erklärte lediglich, dass der Prozess politische und juristische Rahmenbedingungen benötige und forderte, dass die Friedensverhandlungen im türkischen Parlament stattfinden sollten.
Diese Erklärung wurde von kurdischer Seite so interpretiert, dass vor der Selbstauflösung der PKK Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK nötig seien. Allerdings sprach das Regierungslager zu keinem Zeitpunkt von Friedensverhandlungen mit der PKK und noch nicht einmal von Zugeständnissen an die kurdische Seite. Vielmehr erklärten der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und der MHP-Vorsitzende Bahçeli, dass der «Kampf gegen den Terror» (sprich: der Krieg gegen die PKK) nunmehr zu einem erfolgreichen Ende gekommen sei.
Dies ist der politische Kontext der Mitteilung, in der die PKK ihre Selbstentwaffnung und Selbstauflösung ankündigte. Die PKK wies allerdings zugleich darauf hin, dass die Schaffung der politischen und juristischen Rahmenbedingungen und der Beginn eines Dialogprozesses im türkischen Parlament Voraussetzungen dafür seien, dass dieser Beschluss tatsächlich umgesetzt werde. Damit jedoch ähnelt die Lage jener im Jahr 2015. Zur Erinnerung: Damals scheiterten die Verhandlungen, und der Krieg entflammte neu. Keine rosigen Aussichten für Kurdistan.