Kommentar | Bildungspolitik - Kultur / Medien - Krieg / Frieden - Militarisierung Junger Protest gegen Bundeswehr und Militärwerbung

Lisa Pfitzmann über kreative Protestformen als Form der politischen Bildung

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Autorin

Lisa Pfitzmann,

Straßenbahn im Tarn-Look mit Bundeswehr-Werbung am Rauthausplatz, Augsburg, 29. März 2025
«Egal ob in TikTok-Livestreams, auf Butterbrottüten bei der Bäckerei nebenan oder auf dem Weg zur Schule in der beklebten Tram. Es scheint kein Entrinnen vor der Bundeswehrwerbung zu geben.» Straßenbahn im Tarn-Look am Rauthausplatz, Augsburg, 29. März 2025, Foto: IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Die Friedensbewegung galt in weiten Teilen der deutschen Presselandschaft der letzten Jahre oftmals als eine Gruppe von ein paar alten verwirrten Seelen. Doch immer mehr junge Menschen organisieren sich aktuell wieder gegen den deutschen Aufrüstungskurs und den erwartbaren Versuch einer schleichenden Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die junge Garde greift neben dem altbewährten Mittel der Demonstration auch zum kreativen Protest gegen die symbolischen Akte der Bundeswehr und stört die Inszenierung und Normalisierung in der Gesellschaft. 

Lisa Pfitzmann (26) ist Mitglied bei Linksjugend ['solid] und jugendpolitische Sprecherin im Parteivorstand von Die Linke.

Am 23. Mai 2025 fand erneut ein Gelöbnis auf dem Vorplatz des Berliner Abgeordnetenhauses statt, nachdem im Vorjahr zum ersten Mal dort ein Gelöbnis durchgeführt wurde. Das ist insoweit bemerkenswert, weil die Landesparlamente eigentlich nur wenige Berührungspunkte mit der Bundeswehr im eigentlichen Sinne aufweisen. Gegen dieses Gelöbnis organisierte die Linksjugend [‘solid] Berlin kurzfristig eine Gegendemonstration unter dem Slogan «Wir geloben der Kriegsdienstverweigerung». Im Vorfeld spielten Bundesinnenministerium und Polizei der Anmelderin verschiedene, sich widersprechende Aussagen zur Zulassung des Kundgebungsortes zu. Laut Berliner Versammlungsgesetz sollen «Gegenversammlungen» in Hör- und Sichtweite ermöglicht werden. Dies wurde jedoch durch einen großflächig eingerichteten Sicherheitsbereich für ausschließlich geladene Gäste des «öffentlichen» Gelöbnisses de facto verunmöglicht. Während der Gegendemonstration wurden die Veranstalter*innen immer wieder aufgefordert, die Lautstärke der mobilen Lautsprecherbox herunterzuregeln. Begründet wurde dies damit, dass man die Durchführung des Gelöbnisses nicht stören wolle. Protest ist also erlaubt – aber möglichst unsichtbar und leise. 

Solche symbolischen Akte finden zumeist an eigens dafür vorgesehenen, abgeschirmten Orten statt. Dadurch werden sie der kritischen Auseinandersetzung und somit auch dem Protest und der Konfrontation entzogen. Der öffentliche Raum soll durch öffentliche Rituale militärisch in Besitz genommen werden.

Eroberung des öffentlichen Raums

Dort setzt kreativer Protest an. Durch Konfrontation wird der öffentliche Raum zumindest temporär zurückerobert, die militärische Besetzung durch die Unterbrechung in Frage gestellt. Während sich die jungen Menschen mit Polizeiauflagen konfrontiert sahen, machten sich ein paar «alte Hasen» ans Werk. Während des Gelöbnisses auf dem Vorplatz des Abgeordnetenhauses unternahm die Linksfraktion den Versuch, ein Transparent aus dem Gebäude zu entrollen: «Heute Gelöbnis, morgen Wehrpflicht, übermorgen …?». Das Transparent sollte sich nicht vollständig entrollen, aber es wurde der Versuch eines Bruchs unternommen. Währenddessen ersetzte eine Adbusting-Gruppe in der Umgebung verschiedene Werbeplakate der Bundeswehr. 

Ein Jahr zuvor griff die Linksjugend [‘solid], beim Fest zum «Tag der Bundeswehr» in Brandenburg an der Havel, zum noch eindeutigeren bildlichen Protest: Vor dem Karrierebus der Bundeswehr übergossen sich Aktivist*innen mit Rote-Beete-Saft und stellten sich tot, während ein Mitglied der Gruppe eine Rede über ein Megaphon verlas. Die Aktion ging viral – allerdings auch aufgrund eines Falles von Polizeigewalt bei der die Person, die zuvor am Megaphon sprach, nach einem Griff ins Gesicht durch einen Polizisten zu Boden sackte.

Diese Aktionen machen deutlich, dass die Normalisierung der Bundeswehr im öffentlichen Raum dort scheitert oder zumindest unterbrochen wird, wo sie auf direkte Gegenwehr stößt. Sie stiftet Konfrontation und eine diskursive Auseinandersetzung mit dem Militär und dem Aufrüstungskurs, die durch den unweigerlichen Versuch, die Bundeswehr in den öffentlichen Raum zu drängen, nicht gewollt oder ermöglicht wird. 

Diskursiver Angriff an den Schulen

Ein ähnlicher Kurs wird in Klassenzimmern und an Universitäten eingeschlagen. Auch dort soll der Bundeswehr mehr Raum gegeben werden. In Bayern wurde gar ein Gesetz verabschiedet, dass in die Autonomie der Universitäten eingreift und die Aushebelung von hart erkämpften Zivilklauseln ermöglicht – also Regelungen, die Forschungen zu militärischen Zwecken untersagen. Die Auftritte der Bundeswehr an Schulen verdoppelte sich von 2023 zu 2024 binnen eines Jahres. Die Bundeswehr soll nicht nur räumlich, sondern auch diskursiv über die Einflussnahme in Bildung und Forschung normalisiert werden. 

Werbeoffensive auf allen Ebenen

Insbesondere in strukturschwächeren Regionen erhält das militärische Werben eine weitere Dimension. Fehlende attraktive Angebote und Zukunftsperspektiven vor Ort, der Wegzug junger Menschen (meist Frauen) in die Großstadt und strukturelle Benachteiligungen begünstigen eine Rekrutierungspraxis, die auf Perspektivlosigkeit reagiert, denn die Bundeswehr braucht mehr Soldat*innen. 

Dafür wird auch verstärkt in Werbung investiert. So wurden 2024 58 Millionen Euro für Bundeswehrwerbung ausgegeben, 2023 waren es noch 35 Millionen Euro. Der öffentliche Raum wird mit spielerischen Botschaften und Versprechungen geflutet. Egal ob in TikTok-Livestreams, auf Butterbrottüten bei der Bäckerei nebenan oder auf dem Weg zur Schule in der beklebten Tram. Es scheint, als gäbe es kein Entrinnen vor der Bundeswehrwerbung. Drill, Sexismus, Rechtsextremismus und posttraumatische Belastungsstörungen werden in dieser Werbewelt nicht thematisiert.

Gegen diese Diskursbestimmung und -verschiebung richtet sich der kreative Protest. Er stört den Ablauf um dominante Narrative zu durchbrechen, indem er das sichtbar macht, was verborgen bleiben soll.

Über Feste der Bundeswehr im öffentlichen Raum soll der Militarismus Teil der Gesellschaft und des Alltäglichen werden. Diese Form der Inszenierung lässt sich im Anschluss an Foucaults Konzept der Heterotopie als ein besonderer Raum verstehen. Die Heterotopie eröffnet sich in einem erzeugten Zwischenraum – in diesem Falle kann der Festakt als solcher verstanden werden –, der temporär besteht und dennoch eine transformative Kraft birgt, indem er sich vom Alltag abhebt und zugleich auf gesellschaftliche Ordnungen einwirkt. Diese Kraft soll über die symbolischen Akte genutzt werden, um die Bundeswehr zu normalisieren. Es handelt sich bei den Protesten zwar um den Versuch, solche Normalisierungsversuche zu stören, aber die Inszenierung der Bundeswehr selbst ist ausgelegt zur Darstellung als Teil der «normalen» Gesellschaft, welche Teil des Aufrüstungskurses ist.

Intervention schafft Raum zum Denken

In einer Zeit, in der militärische Sicherheitspolitik und Demokratieverständnis größere Schnittmengen bilden, ist Intervention von Bedeutung, denn sie übernimmt eine bildende Funktion. Wenn junge Menschen sichtbar machen, was Aufrüstung, Pflichtdienste und militärische Präsenz für konkrete Auswirkungen auf ihr Leben haben sollen, werden Räume für andere Erzählungen eröffnet und somit politische Bildung gestiftet.

Beim jüngsten Parteitag von Die Linke in Chemnitz Anfang Mai 2025 reichten Linksjugend [‘solid] und SDS einen Antrag gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht ein. Im Zentrum von diesem stand die Forderung nach einer emanzipatorischen Bildung statt Pflichtdiensten. Unterstützt wird die Position durch ein zuvor gegründetes Jugendbündnis gegen die Wehrpflicht, das bereits über 11.000 Unterschriften sammelte. Ob daraus eine dauerhafte Mobilisierung wird, bleibt abzuwarten. Aber der Anstoß ist da und kommt von unten. Die politischen Mittel bleiben mit klassischen Demos, Interventionen oder Adbusting vielfältig. 

Antimilitaristischer Protest muss aktuell jedoch mehr leisten als nur Präsenz. Er muss durchbrechen, verbildlichen, inszenieren, konfrontieren. Er muss bilden und Diskurs stiften. Darin liegt die Stärke politischer Bildung und Impulse als Widerstand.

Während immer wieder bei der politischen Bildung der Rotstift angesetzt werden soll, nimmt die Militärwerbung an allen Stellen an Fahrt auf. Umso wichtiger ist es, dass junge Menschen sich in der aktuellen Militarisierung, die zuhauf über ihre Körper ausgetragen werden soll, selbst vertreten. Letztendlich nicht allein, sondern in Bündnissen mit anderen Generationen, die genauso durch Sozialabbau und Aufrüstung betroffen sind. Die Linksjugend [‘solid] stellt dabei besonders ihr Bündnis mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Senior*innenpolitik der Linken heraus. Auch dort bleibt die gemeinsame Forderung bildlich: «Keine Enkel in den Krieg!»